Urteil statt Vorurteil. Heute:
Was bedeutet „Israel“?
von Klaus-Peter Lehmann

Das Problem: ein Volk mit vielen Namen

Unser Reden über Israel ist mit Unsicherheit behaftet. Meint ‘Israel’ dasselbe wie ‘jüdisches Volk’? Wann sollen wir von den ‘Juden’ sprechen? Wann reden wir besser von den ‘Israeliten’? Wo aber muss es heißen die ‘Israelis’? Wann die ‘Kinder Israels’?

Auf zweierlei geht die jüdische Vielfalt der Eigennamen zurück. Zunächst auf die einmalige Besonderheit, dass sich die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk über Religion und Geburt gleichermaßen definiert. Viele vermögen das zweite nicht zu akzeptieren. Wir sprechen zwar wie selbstverständlich von jüdischer Religion und von den Juden, aber schon weniger selbstverständlich vom jüdischen Volk. Gänzlich unsicher stehen viele vor der Frage, was mit ‘Volk Israel’ gemeint ist. Dasselbe wie mit ‘jüdisches Volk’? Oder nur das antike Glaubensvolk der Bibel? Wie weit reicht dann das jüdische Volk zurück? Wenn sich ‘Israel’ nicht bis heute erstreckt und nur Antikes benennt, wäre dann der Staat Israel nicht automatisch ein Anachronismus?

Unsere Unsicherheit geht auf den Zweifel zurück, ob Israel von Anfang an bis heute, von Mose bis Herzl, als ein Volk zu betrachten ist. Oder handelt es sich nur um die Geschichte einer sich wandelnden, ursprünglich israelitischen dann jüdischen, Religionsgemeinschaft? Zweifellos stünde das in unüberbrückbarem Gegensatz zum jüdischen Selbstverständnis.

Ein Zweites kommt hinzu. Die großen Katastrophen und Neuanfänge in der Geschichte Israels - besonders das babylonische Exil (586 v.d.Z.) - haben neue Namen mit sich gebracht. Die aus Babylon Geretteten heißen schon in der Bibel „Juden“. Aus jüdischer Sicht ergibt sich daraus ein Problem. Wie kann der geschichtlichen Kontinuität als Volk von Mose bis Herzl Ausdruck verliehen werden, auch wenn der Name wechselt?

Von außen, von christlicher Seite, wurde ein Bruch in Israels Geschichte - die Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n.d.Z.) - als Ende der Geschichte Israels als Volk und das jüdische Leben danach, weil aus dem Land Israel vertrieben, als uneigentliche religiöse Schattenexistenz gedeutet. Für die Juden selber war es immer anders. Im Synagogengottesdienst versammelten sich vor der Tora Mosis die leiblichen und gläubigen Nachfahren Isaaks und Jakobs, das aktuelle Volk vom Sinai, und beteten für seine Rückkehr in das Land Israel. Der Gottesdienst in der Synagoge ist das gläubige Selbstzeugnis Israels von seiner dauernden Einheit als das eine Volk Gottes bezogen auf das ihm zugesprochene Land.

Lexikalische Übersicht der Namen

Israel

  1. Ehrenname Jakobs (1Mose 32,29);

  2. Jakob-Israel ist Vater der 12 Stämme des biblischen Volkes Israel = Kinder Israel = Israeliten;

  3. diese besiedeln das ihnen im Bund mit Gott verheißene Land Kanaan, das dann im Alten und Neuen Testament Land Israel / eretz Jisrael genannt wird;

  4. Name des 200 Jahre lang nach dem Königtum Salomos bis zu seiner Auslöschung durch die Assyrer (721 v.d.Z.) neben dem Südstaat Juda bestehenden Nordreiches (1Kön 12 - 2Kön 17);

  5. im Neuen Testament wird mit ‘Israel’ das Volk Israel bzw. die Kinder Israel bezeichnet, nicht die Kirche wie in der späteren christlichen Tradition;

  6. in der Bibel und in der jüdisch-religiösen Tradition ist ‘Israel’ Name für das eine Gottesvolk von Mose bis in jeweilige die Gegenwart; es umfasst die Bewohner des Landes Israel und der Diaspora;

  7. Name des Staates Israel.

Israeliten
Angehörige des biblischen, antiken Volkes Israel.

Israeli
Angehöriger des Staates Israel; kann Jude aus jedem Land und nichtjüdischer Araber sein.

Juda

  1. Sohn Jakobs, auf dem die messianische Verheißung ruht (1Mose 49,10);

  2. Name für den nach Salomo bis zur Tempelzerstörung (586 v.d.Z.) existierenden Südstaat.

Juden

  1. Biblischer Name für die um Jerusalem wohnenden Angehörigen des Stammes Juda und Benjamin;

  2. nach dem Exil in Babylon Name für alle Angehörigen des Bundesvolkes Israel.

Judäer

  1. Bewohner der römischen Provinz Judäa, die um die Zeitenwende vornehmlich rechtgläubige Pharisäer waren;

  2. wahrscheinlich bessere Wiedergabe des neutestamentlichen οι Ιουδαιοι / hoi Joudaioi, was üblicherweise mit „die Juden“ übersetzt wird.

Mosaische Religion / jüdische Religion
Zwei Bezeichnungen für die jüdische Religion, die in ihrer Mitte die Tora Mosis hat. Die erste Bezeichnung betont die Kontinuität zwischen biblischem Glauben und heutiger jüdischer Frömmigkeit, die Aktualität der alten Worte vom Sinai.

Israelitische Kultusgemeinde
Übliche offizielle Bezeichnung für die Synagogen im deutschsprachigen Raum.

 

Wie die Namen entstanden

Der älteste archäologische Nachweis des Namens Israel findet sich auf einer Stele des Pharaos Menepta um 1220 v.d.Z. aus Theben. Die Inschrift lautet: „Israel ist verdorben, hat keinen Samen mehr.“

In der Bibel ist Israel der Ehrenname Jakobs. Er bedeutet: „Gottesstreiter“ oder auch „Gott streitet“. Jakob erhält ihn für seine fast unendliche Geduld, durch die er mit dem Mut des Wehrlosen an Gottes Verheißungen festhält (1Mose 32). Von seinen zwölf Söhnen stammen alle Israeliten ab, die am Berg Sinai zum Volk Israel werden, indem sie die Tora annehmen. Die Gesamtheit des Volkes nennen Altes und Neues Testament ganz Israel (5Mose 29,2; Röm 11,26).

Nach dem Königtum Salomos teilt sich das Volk in den Nordstaat ‘Israel’ und in den Südstaat um Jerusalem ‘Juda’. Im Jahr 721 v.d.Z. tilgen die Assyrer Israel von der geschichtlichen Landkarte. Der verbleibende Rest Juda wird 586 v.d.Z. von den Babyloniern deportiert, kann aber ca. 50 Jahre später wieder ins Land Israel zurückkehren und mit dem Neubau des Tempels beginnen (Jes 45,1-7;Sach 1,16f; Haggai). ‘Juden’ heißen schon in Neh 1,2 die Geretteten, die nach der Wegführung übriggeblieben waren. Die Geretteten und Versprengten Israels (Jes 49,6) gelten weiterhin als dein Volk (Neh 1,10). Der Ehrenname Jakobs gilt in der Bibel auch für die Juden, obwohl sie nur den Rest seiner Söhne, nämlich Juda, Benjamin und einen Teil von Levi (1Kön 12,20f), repräsentieren. So ist schon in der biblischen Namensgebung das Motiv erkennbar, die Nachfahren Jakobs über die geschichtlichen Brüche hinweg als ein Volk, als dein Volk, als Israel zu bezeugen.

In der Bibel und in der jüdisch-religiösen Tradition ist Israel Name für das Volk Israel und für das diesem Volk zugesprochene Land Israel. Weil Israel gleichzeitig als das ewige Bundesvolk Gottes gilt, wird damit der unauflösbare Zusammenhang von diesem Volk und diesem Land bekannt.

Wer die Bedeutung der Bibel betonen will, spricht von ihr als einem ‘jüdischen’ Buch. Das historisch richtigere Adjektiv ‘israelitisch’ verbietet sich von selbst. Jeder spürt, so benannt wäre die Bibel museal und tot. Als jüdisches Buch ist sie heute lebendig. Umgekehrt gilt dasselbe für die Benennung der Synagogen als ‘Israelitische’ Kultusgemeinden. Mit dem Adjektiv ‘jüdische’ würden sie sich im Namen vom biblischen Israel lösen. So aber wird den Passanten gesagt: Mit den Juden dieser Synagoge lebt mitten unter euch das Israel Mosis.

Mit dem Staat Israel meldete sich Jakob unvermutet auf der politischen Bühne zurück. Dieser Staat hat eine im Säkularen nicht aufgehende theologische Dimension. Mit dem Staat Israel ist der Schein der Musealität über seiner Existenz durchbrochen. Eine Herausforderung an alle, die die Bibel nur auf die Kirche hin auslegen und im Blick auf Israel nur archäologische Wissenschaft betreiben. Die Gründung des Staates Israel verweist auf die übergeschichtliche Gültigkeit der biblischen Landverheißungen für Israel. Auch die politische, theologische und geschichtliche Provokation, die der Staat Israel bedeutet, kündet uns von diesem: das Israel Mosis war ist und bleibt im ganzen jüdischen Volk lebendig.

Irrwege im Gebrauch der Namen

Deshalb sollten z.B. folgende Begriffe eher umfassend verstanden werden, weil sie sich bis zur Deckung überschneiden: Israel, jüdisches Volk, Judentum. Um die Kontinuität zwischen älterem Israel und späterem Judentum zu betonen, kann ebenso von den heutigen Juden als dem Volk Israel wie vom antiken als dem jüdischen gesprochen werden. Die Begriffe sind nicht scharf voneinander zu trennen, weil sie alle zwischen zwei Brennpunkten kreisen, ihrer konkreten geschichtlichen Wurzel und dem einen Israel in seiner Geschichte, das sie gleichzeitig repräsentieren.

Von daher werden alle Sichtweisen problematisch, die die Geschichte Israels zerteilen, mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels enden lassen, um dann mit der Geschichte des jüdischen Volkes als etwas anderem neu anzusetzen. Sie gehen auf die christliche >Enterbungslehre zurück, derzufolge die Kirche Israel als Bundesvolk Gottes ersetzt hat und selber als neues Israel,  über das für tot erklärte Judentum triumphierend, der Erlösung entgegensieht. Heute ist sich die kirchliche Bibelauslegung darin einig, dass das Neue Testament mit Israel nicht die Kirche, sondern das jüdische Volk meint. Damit sind alle kirchlichen Erbansprüche gegenüber Israel hinfällig. Legitim wäre allein, von einer Teilhabe der Christus-Gläubigen an den Verheißungen für Israel zu sprechen (Eph 3,6).

Für das Land Israel verwendet das Christentum bis heute weithin die Bezeichnung Palästina. Sie kommt von den Römern, die mit ihr nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands (135 n.d.Z.) die Erinnerung an das Judentum in Judäa auszulöschen suchten. Palästina steht für ‘Philisterland’. Da sich diese Bezeichnung in der Bibel nicht findet, ist ihre Aufnahme durch die Kirche als theologische Anerkennung der römischen Machtpolitik und ihrer judenfeindlichen Sprachregelung zu werten. Auch wo vom ‘Land der Bibel’ gesprochen wird, wird gerade der biblische Name des Landes vermieden.

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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