Das Wein-Wunder von Kana
Predigt von Michael Volkmann

Johannes 2,1-11 in der Übersetzung von Klaus Wengst (Das Johannesevangelium I, Stuttgart 2000, S. 97):

Und am dritten Tag gab es eine Hochzeit im galiläischen Kana; die Mutter Jesu war auch dort. Es war aber auch Jesus zur Hochzeit eingeladen worden, auch seine Schüler. Und als der Wein ausgegangen war, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein. Und Jesus sagte ihr: Was sagst du mir das, Frau? Noch ist meine Stunde nicht gekommen. Seine Mutter sagte zu den Bedienenden: Was immer er euch sagt, tut! Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die jüdische Reinigung; die fassten jeder zwei oder drei Metretes. Jesus sagte ihnen: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis oben hin. Und er sagte ihnen: Schöpft jetzt und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s. Als aber der Speisemeister das Wasser geschmeckt hatte, das Wein geworden war, und nicht wusste, woher es kam – die Bedienenden aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, rief der Speisemeister den Bräutigam und sagte ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken sind, den schlechteren. Du hast den guten Wein verwahrt bis jetzt. Dies tat Jesus als Anfang seiner Zeichen im galiläischen Kana und offenbarte seine Herrlichkeit; und seine Schüler glaubten an ihn.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schwestern und Brüder,

Wein bedeutet Freude. Der Wein erfreut des Menschen Herz, weiß der 104. Psalm. Darum gehört zu einem Fest auch Wein. Wenn aber mitten in einer Hochzeitsfeier der Wein ausgeht, so ist das überaus peinlich für den Speisemeister, das Brautpaar und seine Angehörigen. Das schlägt sich auf die Stimmung der Gäste und trübt die Freude. Was der schönste Tag im Leben der beiden jungen Leute werden sollte, wird in der Erinnerung immer auch der Tag sein, an dem der Wein nicht gereicht hat. Gut, dass Jesus die Glücklichen vor dieser Schande bewahrt.

Wäre Jesus ein „normaler Mensch“ gewesen, so hätte die christliche Tradition nach dieser Geschichte aus ihm vielleicht den Schutzheiligen der Hochzeitsleute und Weinhändler gemacht. Nun aber ist Jesus mehr. Und darum steckt auch in dieser Geschichte mehr.

Das sagt uns schon gleich die Zeitangabe, mit der dieser Abschnitt beginnt: am dritten Tag. Im Judentum hat nur der Sabbat einen Namen, die anderen Tagen werden von eins bis sechs durchgezählt wie bei der Schöpfung. Am dritten Schöpfungstag erschuf Gott zwei Werke und sah zwei Mal, dass es gut war. Darum ist der dritte Wochentag, also der Dienstag, bei Juden ein beliebter Tag zum Heiraten. So pragmatisch verstehen Schalom Ben Chorin und Pinchas Lapide diese Worte. Und die Tochter unseres lieben Freundes Hans Maaß, die in Israel lebt, hat, wie ich gestern erfahren habe, entsprechend diesem Brauch an einem Dienstag geheiratet.

Wir können weitere biblische Vorbilder für die Bedeutung des dritten Tages finden. Am dritten Tag hob Abraham seine Augen auf und erblickte Moria, den Berg zur Bindung Isaaks. Nach drei Tagen bewahrheiteten sich die Träume des Bäckers und des Mundschenks von den drei Körben und den drei Reben, die Joseph im ägyptischen Gefängnis gedeutet hatte. Am dritten Tag nach der Ankunft der Kinder Israel am Sinai fuhr Gott herab auf den Berg. In Hosea 6 hoffen die Umkehrenden, dass Gott sie am dritten Tag aufrichten wird, damit sie vor ihm leben werden. Am dritten Tag spie der große Fisch Jona ans Land. Am dritten Tag erstand Jesus Christus vom Tod.

Und so haben wir hier die Verbindung nach rückwärts bis hin zu Abraham und zu Gottes Weg mit Israel, und nach vorwärts, auf die Auferstehung Christi an Ostern hin. Dieser Zusammenhang wird von der Anwesenheit der Mutter Jesu unterstrichen. Denn als handelnde Person ist sie im Johannesevangelium nur hier und unter dem Kreuz von Golgatha zugegen. So ist die Hochzeit zu Kana nicht nur biblisch tief verankert, sondern auch eng mit Passion und Ostern verbunden. Der Bogen, den diese Geschichte in die Zukunft schlägt, reicht aber noch weiter. Denn die Hochzeit ist ein beliebtes Symbol dafür, dass Gott zu seinem Volk kommen und die Welt vollenden wird bzw. dass der Messias kommt und eine neue Zeit anbricht, eben eine hohe Zeit, eine Hochzeit. Und so weist auch die festliche Freude über die bloße Weinseligkeit hinaus auf die Freude des kommenden Gottesreiches.

Diese eher hintergründige Ebene erzählt die eigentliche Botschaft des Johannesevangeliums. Die vordergründige Geschichte wird ganz auf diese Botschaft abgestimmt. Mit Logik allein kommen wir hier nicht weiter. So erfahren wir in unserem Abschnitt gar nichts über die Braut – und das wäre doch das erste, was uns interessieren würde, oder etwa nicht?

Jesus ist nicht zusammen mit seiner Familie eingeladen, sondern zusammen mit seinen Jüngern. Das ist wichtig, denn was nun geschieht, geht vor allem sie an. Der Wein ist alle, und seine Mutter sagt es Jesus. Vermutlich würde jeder Sohn den dezenten Hinweis seiner Mutter: „Sie haben keinen Wein“ als Aufforderung verstehen, etwas zu unternehmen. So auch Jesus. Doch er fragt dagegen: Was sagst du mir das, Frau?, weist seine Mutter mit ihrem Ansinnen ab, aber bei weitem nicht so schroff, wie oft behauptet. Meine Stunde ist noch nicht gekommen.

Wieder so ein Hinweis, dass Jesus ein Ziel und die Handlung einen tieferen Sinn hat. Wenn Jesus von seiner Stunde spricht, meint er manchmal vorausblickend die Stunde seines Todes, die für den Evangelisten Johannes zugleich die Stunde seiner Verherrlichung ist. Aber wie wäre seine Antwort dann zu verstehen? Er wird doch in dieser Notlage seine Hilfe nicht verweigern. Und wenig später greift er auch ein und gibt wenigstens einen Vorgeschmack dessen, was es heißt, dass seine Stunde erst noch kommen wird.

Sie haben keinen Wein, hieße nach unserer Deutung: ihnen ist die Freude abhanden gekommen. Ein Schatten legt sich auf das Fest, auf das Leben der Brautleute und auf alle, die gekommen sind, um mit ihnen zu feiern. Die hohe Zeit droht abzustürzen. Jesu Mutter weiß, dass ihr Sohn dies nicht einfach geschehen lassen würde. Darum gibt sie den Bediensteten die Anweisung, die jede Christin und jeder Christ getrost als Lebensmaxime übernehmen kann: Was immer er euch sagt, tut!

Die Hilfe entspringt nicht unserer eigenen Phantasie und Kreativität, sondern dem, was er uns sagt. Das Krisenmanagement, das das Johannesevangelium uns empfiehlt, ist nicht der Ruck, der durch Deutschland gehen muss, das unverdrossene Weiterkonsumieren, das blinde Vertrauen in die maßlosen Maßnahmen der Regierungen - nein, sondern aufmerksam mitzugehen mit Jesus Christus und sein Wort zu halten.

Zwei Mal hören die Bediensteten auf Jesus und tun, was er sagt. Da stehen sechs koschere steinerne Wasserkrüge für Netilat Hajadajim, den jüdischen Brauch des rituellen Händewaschens vor dem Essen. Der einfache Hinweis in unserem Bibeltext auf die jüdische Reinigung genügt, dass sich manche christliche Exegeten zur Distanzierung vom Judentum aufgefordert sehen. In der Zurückweisung seiner Mutter würde Jesus das Judentum zurückweisen, und in der Verwandlung von Wasser zu Wein würde er es überbieten, kann man da lesen. Nichts davon steht in unserem Bibeltext. Christliche Existenz heute kommt ohne Seitenhiebe auf Juden und das Judentum aus, sieht sich vielmehr an ihrer Seite.

Netilat Hajadajim hat eine praktischen hygienischen und einen rituellen Sinn. Oberrabbiner Israel Lau schreibt (Wie Juden leben, Gütersloh 1988, S. 8, vgl. auch S. 56f.): Wie der Hohepriester, der sich, bevor er seinen Dienst im heiligen Tempel aufnahm, zuerst die Hände wusch, so ist auch das Händewaschen ein Ausdruck der Tatsache, dass ein Mensch erneut in den Dienst des Schöpfers tritt. Alle Menschen auf dieser Hochzeit, die Bedienenden und die Feiernden, sind durch Netilat Hajadajim erneut in den Dienst Gottes getreten. Die Diener zeigen dies, indem sie Jesus gehorchen, und die Feiernden, indem sie den von Jesus gespendeten Wein trinken werden, immerhin rund ein halber Kubikmeter.

Das eigentliche Wunder wird jedoch nicht erzählt. Es geschieht, indem die Bediensteten den Worten Jesu gehorchen. Man kann es nicht sehen. Aber man kann es schmecken. Hier wird unsere Geschichte geradezu dramatisch. Der Speisemeister, der nicht mitbekommen hat, was da hinter den Kulissen geschehen ist, bekommt das Wasser aus den Krügen zu kosten und gerät außer sich. Er stellt den nichts ahnenden Bräutigam zur Rede, als hätte dieser inkompetent oder berechnend gehandelt. Ja, er stellt sogar eine neue Regel fürs Weintrinken auf, die wir sonst nirgends bestätigt finden: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken sind, den schlechteren. Damit will der Speisemeister vor allem die besondere Qualität des von Jesus gespendeten Weins hervorheben.

Im schwäbischen Pietismus gibt es ein kurzes und bündiges Urteil über dieses erste Zeichen Jesu: Des isch net sei beschts Stückle gwä! Und zwar aus zwei Gründen: Der Wein war unnötig viel und unnötig gut. Wir aber setzen den Wein mit der Freude gleich und fragen: kann es je zu viel und zu gute Freude geben? Der Mangel an Freude in unserem Leben ist doch noch lange nicht ausgefüllt.

Fulbert Steffensky unterscheidet in der neuen Ausgabe des Magazins Chrismon plus (01.2009, S. 76) zwischen entbehrlichen und unentbehrlichen Wundern. Das Weinwunder zu Kana könnte man ein entbehrliches Wunder nennen, so Steffensky. Das zweite Zeichen, das Jesus in Johannes 4 ebenfalls in Kana wirkt, die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten, wäre nach Steffensky eines der unentbehrlichen Wunder. Aber ihr Problem ist, so sagt er, dass sie im Leben so selten vorkommen. Vielleicht, soll die – gut schwäbisch: kropfunnötige – Freude am Wein uns auf die seltenen unentbehrlichen Wunder verweisen, die unsere Hoffnung auf die große Hochzeit in Gottes Reich wach und stark halten.

Die Geschichte von der Hochzeit zu Kana endet mit den Worten: Jesus offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Schüler glaubten an ihn. Die ganze Hochzeitsgesellschaft freut sich am guten Wein, aber nur die Schüler erkennen, was da eigentlich passiert ist: dass für einen Moment sich der Himmel aufgetan hat und zu schmecken war, was Gott uns Menschen für eine Zukunft bereiten will. Das erste Zeichen Jesu lässt uns auf diese Zukunft voll Freude zugehen.

Amen.

Predigt bei der KLAK-Delegiertenversammlung in Berlin-Schwanenwerder am 2. So. n. Ep., 2009

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