„Briefe an David“
Eine Rezension von Jacqueline Haag

In insgesamt 22 Briefen an seinen Enkel David versucht Friedrich Gölz, emeritierter Pfarrer der Württembergischen Landeskirche, einen Weg zum besseren Verständnis zwischen Juden und Christen aufzuzeigen. Die in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren entstandenen Briefe sind sehr persönliche Schreiben, in denen er versucht, seinem Enkel viele unterschiedliche Aspekte des Judentums und auch des vermeintlich vertrauten Christentums näher zu bringen. Schon seit langem beschäftigt sich der promovierte Theologe auf eine kritische Art und Weise nicht nur mit dem eigenen Glauben und seinen Zweifeln, sondern auch mit der Beziehung zwischen der jüdischen Religion als der Mutter und der christlichen Religion als deren Tochter. Deshalb ist es sein Wunsch, seine Kirche wach zu rütteln und ihr zu helfen, indem er in seinen Briefen zu offenem Austausch, zu Ehrlichkeit und zum gegenseitigen Zuhören aufruft.

Friedrich Gölz pflegt einen überaus angenehmen Erzählstil; seine Erklärungen – zum Beispiel zu den verschiedenen Strömungen innerhalb des Judentums und zur rechtlichen Situation jüdischer Bürger im Deutschland der letzten Jahrhunderte – erläutert er anschaulich und macht die Lektüre seiner Briefe auch für Laien auf diesem Gebiet zugänglich. Teilweise schweift er an einigen Stellen etwas ab und wiederholt sich auch des Öfteren, aber dies mindert die Bedeutung seines Anliegens in keinster Weise; im Gegenteil: sehr eindrucksvoll stellt er Verknüpfungen her zwischen zuvor erwähnten Ereignissen und Personen mit aktuellen Begebenheiten, wie etwa dem Kopftuchstreit oder den israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen. Abgesehen davon, dass Gölz den Talmud zweimal als eine Auslegung der Bibel darstellt, was er nicht ist (er umfasst vielmehr die so genannte Mischna – die mündliche Tora – und dazugehörige Kommentare), stellt er schwierige Sachverhalte sehr kenntnisreich und detailliert dar.

Ein wichtiges Thema der Briefe bildet das Sendschreiben der Jüdischen Hausväter von 1799 an den als Kirchenreformer geltenden Propst Teller. Deren Vorschlag, sich taufen zu lassen, ohne jedoch christliche Dogmen zu akzeptieren und „neben katholisch und evangelisch jüdisch als dritte Konfession“ zu etablieren, lehnte Teller ab. David Friedländer – einer der Absender des Sendschreibens – war ein erfolgreicher Berliner Jude, der sich wie Moses Mendelssohn für die Emanzipation deutscher Juden in die christliche Mehrheitsgesellschaft einsetzte. Friedländer taucht in den meisten Briefen an David immer wieder als Rahmenfigur auf. Des Weiteren jedoch portraitiert Gölz auf einfühlsame Art und Weise ein weites Spektrum ungemein interessanter jüdischer und christlicher Persönlichkeiten, mit deren Leben er sich beschäftigte und die sein Denken entscheidend mitprägten.

Friedrich Gölz’ Briefe verstehen sich als Aufruf, wie er selbst „nüchterner“ und „kritischer“ allem gegenüber zu werden; nicht einfach oberflächliches Wissen und bequeme Meinungen zu akzeptieren, sondern fortwährend auch eigene Positionen in Frage zu stellen und beständig zu überprüfen. Und demgemäß möge jeder Leser beginnen, mit Hilfe der Briefe an David, ein Radikaler im eigentlichen Wortsinne zu werden: ein Mensch, der den „Dingen auf den Grund geh[t] und nach den Wurzeln der Erscheinungen frag[t]“. Jeder sollte versuchen, sich nach der Lektüre von Friedrich Gölz’ Briefen „nicht nur oberflächlich zu orientieren und zu engagieren“, sondern selber zu hinterfragen beginne.
Friedrich Gölz: Briefe an David. Stuttgart (Klingenstein Verlag) 2008. ISBN: 978-3-937813-05-9. Euro 19,80.

Quelle: Ölbaum online

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