Ein verworfenes Volk?
Die evangelischen Landeskirchen lehnen die Judenmission ab. Doch im Kirchenvolk rumort es noch immer – wie jetzt in Bayern
von Hartmut Meesmann

Es ist der folgende Satz, der in seiner präzisen Kürze und Direktheit Widerspruch auslöst: »Aktivitäten, die das Ziel einer Konversion von Juden zum Christentum verfolgen, sind für die Evangelische Landeskirche Bayerns undenkbar.« Diese erfreulich klare Standortbestimmung findet sich in einem »Wort aller kirchenleitenden Organe zur Entwicklung des christlich-jüdischen Verhältnisses«. Verabschiedet wurde es auf der Herbstsynode 2008. Mit dieser Erklärung wird eine Stellungnahme der Landessynode aus dem Jahr 1998 bekräftigt, in der die bleibende Erwählung Israels als Gottes Volk betont und der Judenmission eine Absage erteilt wird.

Über 150 Theologen, Pfarrer und andere Kirchenmitglieder fragen nun aufgeregt in einem offenen Brief, ob sich die Landeskirche jetzt verpflichte, »gegenüber Juden das Evangelium nicht zur Sprache zu bringen«. Wenn dem so sei, »dann müssen wir fragen: Wie soll das gehen?« Auch wenn selbstverständlich kein Druck ausgeübt werden dürfe, so gebe es doch nach wie vor den »Missionsbefehl Jesu« und seine Aufforderung, das Evangelium allen Völkern zu verkünden, heißt es sinngemäß in dem von dem Rüdenhausener Pfarrer Martin Fromm formulierten offenen Brief.

Auch stoßen sich die Kritiker daran, dass die Erklärung der Herbstsynode dazu auffordert, »umstrittene Grundfragen des christlichen Selbstverständnisses im Verhältnis zum Judentum, wie zum Beispiel das trinitarische Gottesbekenntnis, das Verständnis vom christlichen Zeugnis und die Stellung der Landeskirche zu den sogenannten ›messianischen Juden‹ weiter zu diskutieren«. Das trinitarische Gottesbekenntnis sei als »Selbstoffenbarung Gottes« jeder Diskussion entzogen, heißt es theologisch steil; und im Blick auf die messianischen Juden – also jene jüdischen Frauen und Männer, die Jesus als Messias anerkennen – wird gefragt: »Sollen eventuelle jüdische Taufbewerber durch die Pfarrerinnen und Pfarrer abgewiesen werden?« Darauf könne es als Antwort nur ein klares Nein geben.

Das sieht auch Landesbischof Johannes Friedrich so. In einer Antwort verweist er darauf, dass ein »begründetes Taufbegehren« von Juden selbstverständlich nicht abgewiesen werden dürfe. Und bei der Mission gehe es um die Art und Weise, wie sie geschehe. Die Synode werde sich im Frühjahr noch einmal »klarstellend mit der Thematik befassen«.

Die »Judenmission« bleibt ein heißes Eisen für evangelische Christen. Inzwischen haben zwar alle evangelischen Landeskirchen zu einer offiziellen Ablehnung der Judenmission gefunden. Doch halten vor allem evangelikale Kreise und eine Reihe von Theologieprofessoren nach wie vor eisern an ihr fest. Ende letzten Jahres stellte die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland noch einmal klar, dass der Judenmission aus theologischen Gründen »eine Absage ohne Wenn und Aber« zu erteilen sei. Denn der »Missionsbefehl« sei aus der Perspektive Israels formuliert und richte sich an die nichtjüdischen Völker. »Israel und die Kirche sind gemeinsame Zeugen Gottes vor der Welt«, heißt es. Laut Bibel bleibe Israel das erwählte Gottesvolk. Es werde am Ende der Zeiten durch Gott gerettet werden – »an der Kirche vorbei«.

Wer für die Judenmission plädiere, setze voraus, so die rheinische Kirchenleitung, dass Israel von Gott verworfen und auf die Stufe der heidnischen Völker zurückgefallen sei. Eine solche Position sei aus biblisch-theologischer Sicht jedoch falsch. Das christliche Zeugnis gegenüber den Juden könne nur im geschwisterlichen Gespräch geschehen. Denn es handle sich um einen »innerbiblischen Dialog«.

Ähnlich argumentiert auch der Saarbrücker Neutestamentler Wolfgang Kraus in einem Beitrag für das vom bayerischen Pfarrer- und Pfarrerinnenverein herausgegebene Korrespondenzblatt: Christen sollten durchaus im Gespräch mit Juden »Rechenschaft geben über die Hoffnung, die in ihnen ist – aber eben nicht mit dem Ziel, den Gesprächspartner zum Religionswechsel aufzufordern«. Das bedeute auch nicht, »dass es Konversionen grundsätzlich nicht geben dürfe«. Aber sie blieben wohl die Ausnahme.

Dass sich viele evangelische Christen mit dem Judentum so schwer tun, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass bis in die 1950er- und 1960er-Jahre hinein ganz anders argumentiert wurde. Hieß es doch zum Beispiel 1948 im Darmstädter Wort noch: »Indem Israel den Messias kreuzigte, hat es seine Erwählung und Bestimmung verworfen ... Die Erwählung Israels ist durch und seit Christus auf die Kirche aus allen Völkern, aus Juden und Heiden, übergegangen.« Dieses Denken wirkt in Teilen noch heute nach.

Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Nr.5/2009

Hinweis der Redaktion der Blickpunkte:
Eine umfassende, alle Seiten und Positionen einbeziehende, Dokumentation der theologischen Debatte steht über das Korrespondenzblatt des bayerischen Pfarrerinnen- und Pfarrervereins im Internet jedermann abrufbar zur Verfügung.

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