Streit um die Treue Gottes
Die Kontroverse um die »Judenmission« nimmt in der katholischen Kirche an Schärfe zu: Der Regensburger Bischof Müller greift das Zentralkomitee an
von Hartmut Meesmann

Erich Zenger, Hanspeter Heinz, Hubert Frankemölle, Wilhelm Breuning, Josef Wohlmuth, Heinz-Günter Schöttler, Hans-Joachim Sander – das sind in der katholischen Theologenszene allesamt bekannte und geschätzte Hochschulprofessoren. Doch so richtig katholisch sind sie nicht – findet jedenfalls der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, früher selbst Dogmatikprofessor in München.

Die Genannten zählen neben anderen prominenten Katholikinnen und Katholiken zum Gesprächskreis »Juden und Christen« beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Und der hat sich in den Augen des Regensburger Oberhirten mit seiner Anfang März veröffentlichten Erklärung »Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen« der »Verkürzung der katholischen Lehre« schuldig gemacht. Heißt es doch in der viel beachteten Erklärung des ZdK-Gesprächskreises klipp und klar: »Wir betonen mit der Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk einen Heilsweg zu Gott darstellt – auch ohne Anerkennung Jesu Christi und ohne das Sakrament der Taufe.«

Anlass für die Erklärung ist der Streit um die Karfreitagsfürbitte im tridentinischen Gottesdienstritus, der Papst Benedikt XVI. am 5. Februar 2008 eine neue Fassung gab und in der um die Bekehrung der Juden gebetet wird. Die Brisanz der ZdK-Erklärung liegt mithin darin, dass dem Papst – der bis jetzt nicht offiziell zur Frage der Judenmission Stellung genommen hat – theologisch sozusagen ins Gewissen geredet wird.

Der Gesprächskreis, dem auf jüdischer Seite eine Reihe bekannter Rabbiner wie Henry Brandt oder Walter Homolka angehören, argumentiert vor allem damit, dass selbst der Apostel Paulus stets betont habe, dass Gott sein Volk nie verstoßen habe – auch wenn die meisten Juden Jesus von Nazareth nicht als Messias und »Gottes Sohn« anerkennen würden. »Wer wäre Gott, wenn er die Treue zu seinem erwählten Volk Israel aufkündigte, weil die meisten dem Evangelium nicht glauben?«, fragen die Autoren, Paulus aufnehmend. »Wäre das anders, könnten wir Christen nicht mehr an die Treue Gottes glauben, weil er nicht mehr zu seinen früheren Verheißungen stünde.« Für den Neutestamentler Hubert Frankemölle ist dies das »entscheidende Argument« für die Ablehnung jeder Judenmission.

Verwiesen wird in der historisch, vor allem aber exegetisch argumentierenden Erklärung auch darauf, dass Jesus selbst einen reichen jungen Mann aus dem jüdischen Volk dazu aufgefordert habe, sich an die Gebote der Tora zu halten, »ohne dessen Heil von einem Bekenntnis zu sich und von der Nachfolge als sein Jünger abhängig zu machen«. Schließlich werde Jesus im Matthäusevangelium mit den Sätzen zitiert, er sei nicht gekommen, um »die Tora und die Propheten« aufzuheben. Das Neue Testament ersetze also nicht einfach das Alte.

Und der sogenannte »Missionsbefehl« Jesu? Der richte sich nach Auffassung einer Mehrheit der Exegeten an die nichtjüdischen Völker. Judentum und Christentum seien zwei eigene Heilswege – was den Dialog über die jeweils eigenen Glaubensüberzeugungen nicht überflüssig mache, doch jeden Bekehrungsversuch als abwegig erscheinen lasse. Entscheidend sei im Übrigen »das gemeinsame Zeugnis für Gott und das Tun des Willens Gottes«. Darin stimmten Christen und Juden überein.

Mit all dem ist Bischof Gerhard Ludwig Müller, Ökumenebeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, nicht einverstanden. Er wirft den Autorinnen und Autoren des ZdK-Papiers eine theologische Vereinfachung komplexer Zusammenhänge vor. Zwar sei das jüdische Volk von Gott bleibend erwählt, doch sei dieser Bund von Gott selbst durch Jesus Christus »überboten und universalisiert worden«, so Müller. »Das Erlöserwirken Jesu Christi auf die Heiden außerhalb des Gottesvolkes Israel zu beschränken hieße, das gesamte biblische Zeugnis auf den Kopf zu stellen.« Es gebe nicht zwei voneinander unabhängige Offenbarungen und Bundesschlüsse Gottes, »der sich jeweils verschiedene Zielgruppen vornimmt und die Menschheit damit spalten statt einen würde«, urteilt Müller, der auch Mitglied der vatikanischen Glaubenskongregation ist und in Sachen Kirchenlehre keinen Spaß versteht.

Für den Bischof steht fest, dass Jesus eine Kirche aus Heiden und Juden gewollt habe. Und so lautet seine theologische Lösung: »Die bleibende Rolle des Bundesvolkes Israel ist im Heilsplan Gottes dynamisch zu beziehen auf das ›Volk Gottes aus Juden und Heiden – geeint in Christus‹.« Dieser dogmatisch verklausulierte Satz bedeutet im Klartext: Die Juden sollten (und müssten) eigentlich Jesus als Messias und Erlöser aller Völker anerkennen können, da sie ja durch die Existenz der Christen von dieser Heilsbotschaft wissen können. Fazit Müller: »Das ungeschmälerte Christusbekenntnis der Kirche bleibt zentrales Thema im Gespräch mit der jüdischen Glaubensgemeinschaft.« Das habe auch das Zweite Vatikanische Konzil nicht anders gesehen.

Auf das zentrale Argument, dass die unverbrüchliche Treue Gottes zu Israel nur um den Preis eines problematischen Gottesbildes aufgegeben werden kann – Gott würde sich dann ja korrigieren und zweimal »offenbaren« –, geht Müller nicht ein. »Der Bischof antwortet dogmatisch auf eine nicht dogmatische Erklärung«, kommentiert Hanspeter Heinz, der Vorsitzende des Gesprächskreises beim ZdK, Müllers »lehramtliche« Entgegnung. Während der Gesprächskreis die Menschen der Bibel in den Blick nimmt, argumentiert Müller von Gott und seinem »Heilsplan« her, wie er in der kirchlichen Dogmatik ausformuliert ist. Gleichwohl findet es Heinz gut, dass der Regensburger Bischof reagiert hat, »denn wir wollen ja auch eine Debatte über das Thema anstoßen«. Für Heinz lautet die entscheidende Frage: »Müssen auch die Juden das Ja des christlichen Glaubens sagen?« In den Augen des ZdK-Gesprächskreises müssen sie es nicht.

Bischof Müller fährt am Ende seiner Erklärung wie üblich schweres Geschütz auf, wenn er ausdrücklich festhält, dass der ZdK-Text »in keiner Weise als ein offizielles Dokument der katholischen Kirche oder als authentische Darstellung des katholischen Glaubens und Bekenntnisses angesehen werden darf«. Doch diesen Anspruch hat der Gesprächskreis nie erhoben. Aber in den Augen des Regensburger Bischofs dürfen Katholikinnen und Katholiken offenbar keine eigene Meinung haben. Auch offene Fragen gibt es für ihn augenscheinlich nicht.

Der Streit um die »Judenmission« ist eine hoch theologische Debatte. Sie wird auch in den evangelischen Landeskirchen sehr kontrovers und heftig geführt. Den Fachtheologen geht es dabei um die theologische Wahrheit und ein angemessenes Gespräch mit dem religiösen Judentum; den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern darum, nicht von aggressiven Christen – vor allem evangelikalen Missionseiferern – behelligt und abgewertet, sondern respektiert und anerkannt zu werden.

Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Nr. 8/2009

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