Karfreitagsfürbitte
von Klaus-Peter Lehmann

Die katholische Liturgie für den Karfreitag schrieb über Jahrhunderte ein Gebet für die treulosen Juden (pro perfidi Judaeis) vor, das wiederholt als judenfeindlich kritisiert worden war. Das Zweite Vatikanische Konzil beschloss eine viel gelobte Neufassung. Die jüngste Veränderung des Gebetsformulars durch Papst Benedikt XVI. sorgte wiederum für Kritik.

Die ursprüngliche Karfreitagsfürbitte findet sich im Römischen Messbuch von 1570, dessen Herausgabe das große Konzil der Gegenreformation, das Tridentinum (1545-63), veranlasst hatte. Darin heißt es: Lasst uns beten für die treulosen Juden. Gott möge den Schleier von ihren Herzen wegnehmen und dahingehend wirken, dass sie das Licht deiner Wahrheit, das Jesus Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden aufgrund unserer Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor dich bringen.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) revidierte dieses antijüdische Gebetsformular gründlich. Man verabschiedete sich vom Vorurteil des verblendeten Judentums und betonte stattdessen die ewige Erwählung Israels zu Gottes Bundesvolk. Im Messbuch von 1970 heißt es: Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will... Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

Diese Neufassung der Karfreitagsfürbitte gehörte zu den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die ein neues Verhältnis zwischen der Katholischen Kirche und dem Judentum einleiteten. Die im Jahre 2008 neu aufgeflammte Diskussion um sie geht auf den Beschluss von Papst Benedikt XVI. zurück, den alten lateinischen Ritus erweitert zuzulassen und zwar mit einer Gebetsfassung, die den christlichen Ausschließlichkeitsanspruch aufnimmt. Die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland hatte postwendend gefordert, die neue Fassung zurückzunehmen. Sie lautet:

Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott, unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen... Allmächtiger, ewiger Gott, der Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle der Völker in deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus unseren Herrn. Amen.

Was verbirgt sich hinter dem Streit um diesen christlichen Gebetstext?

In Mittelalter und früher Neuzeit waren judenfeindliche Gebete und Predigten am Karfreitag steter Anlass zu pogromhaften Ausschreitungen gegen Juden. Die Karfreitagsfürbitte des Römischen Messbuches steht in einer Folge von acht Bitten, die für Notleidende, Häretiker u.a. zu sprechen waren. Nur die Bitte „für die treulosen Juden“ war mit der Vorschrift verknüpft, bei ihrem Sprechen nicht die Knie zu beugen. Gegenüber den hartnäckigen Gottesmördern (>Ritualmordlegende), die den gekreuzigten Christus angeblich mit Kniebeugen verspottet hatten, erschien das unangebracht. So stand dieses Ritual für eine Rechtfertigung des kruden kirchlichen Antisemitismus.

In dieselbe Richtung weist das Vorgehen von Papst Pius XI. gegen die ‚Freunde Israels’, eine 1924 gegründete katholische Initiative, die sich für die Revision der Karfreitagsbitte stark machte. Den Amici Israel gehörten 3000 Priester, 328 Bischöfe und 19 Kardinäle an. In einer Petition forderten sie für die umstrittene Bitte den Kniefall einzuführen und die Worte von den „treulosen“ Juden zu streichen. Die liturgische Kommission bestätigte die Berechtigung ihres Anliegens. Doch einflussreiche Würdenträger wollten auf die „altehrwürdige, bis in die Antike zurückreichende heilige Liturgie“ nicht verzichten. 1928 wurden die Freunde Israels verboten und ihre umfängliche Eingabe auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Um nicht in den Verdacht des Antisemitismus zu geraten, verurteilte der Pius XI. in demselben Dekret den rassischen Antisemitismus.  (1)  Obwohl ihr führender Abt Schuster 1996 selig gesprochen wurde, blieben die Amici Israel bis heute so gut wie unbekannt.

Hinter dem Antijudaismus steht der alte Anspruch der katholischen Kirche, als Institution die absolute Wahrheit zu verkörpern. Diesen Anspruch milderte das 2. Vatikanum mit dem Zugeständnis ab, dass in abgestufter Form auch andere Religionen an ihr Anteil hätten, wie z.B. die  Juden, „die älteren Brüder im Glauben“,  (2)  oder die Muslime. Wenn in der neuen Gebetsform von Benedikt XVI. die Erkenntnis der Wahrheit wieder exklusiv mit dem Namen Christi verbunden wird, erscheint das wie ein Rückfall in die krasse Ausschließlichkeit, wie eine Anknüpfung an die Gegenreformation. Allerdings ergibt seine genaue Lektüre, dass der Papst die Judenmission weiterhin ausschließt.  (3) 

Viele interpretieren den päpstlichen Beschluss als eine Konzession an ultra-konservative katholische Kreise. Andere befürchten, die neue Karfreitagsbitte könnte mehr sein als eine kirchenpolitische Beschwichtigung, nämlich Anzeichen eines tiefer greifenden Richtungswechsels.

Jüngste Verlautbarungen des päpstlichen Stuhls neigen dazu, den christlichen Glauben unter Ausblendung seiner jüdischen Wurzeln zu begründen. So spricht Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Spe Salvi über die Hoffnung der Kirche, ohne die alttestamentliche Verheißung des die Völkerwelt von Zion her ergreifenden geschichtlichen Menschheitsfriedens (Schalom) zu erwähnen.  (4)  Dieselbe Tendenz verrät die neue Karfreitagsbitte. Die einmalige geschichtliche Bedeutung Israels für die Erlösung der Menschheit, seine Ersterwählung, ist in ihr gestrichen zugunsten einer Bekehrung der Juden am Ende der Zeiten.

Der Streit, der sich dahinter verbirgt, ist grundsätzlicher Natur. Geht es doch mit den jüdischen Wurzeln um die Geschichtlichkeit der christlichen Hoffnung und damit verbunden um die gebotene Parteinahme für soziale Gerechtigkeit im politischen Raum. Ein ungeschichtlicher Glaube macht die Kirche halsstarrig gegenüber dem Gerechtigkeitsgebot des Ewigen. Seine Stimme gemahnt sie an ihre jüdischen Wurzeln und zur Solidarität mit den Unterdrückten. Altehrwürdige Traditionen verleihen ihrer Institution einen Ewigkeitsschleier an der Seite irdischer Herrschaften.

  1. R. Kisselmann, ‚Pro perfidis…’ und ‚Amici Israel’, Jüdische Zeitung, 9/2005, S. 37

  2. Dieses Wort prägte Papst Johannes Paul II. auf seinem historischen Besuch der Großen Synagoge Roms 1986. Der Sache nach deckt es sich mit der Verlautbarung des 2. Vatikanums Lumen Gentium (Licht der Völker), die „jenes Volk, dem der Bund und Verheißungen gegeben worden sind,... dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teure Volk“ herausstreicht.

  3. Der Bezug auf Röm 11,25 macht die erfolgreiche universale Heidenmission zum Grund und zur Voraussetzung jüdischer Bekehrung, lässt also keinen heilsgeschichtlichen Platz für Judenmission.

  4. Zur Enzyklika über die christliche Hoffnung vom 30.11.07 s. K. P. Lehmann, Von der fleischlosen Liebe, Blickpunkt.e 2, 2008, S. 16f.

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