typisch!
Klischees von Juden und Anderen

Von 1. April bis 11. Oktober 2009 zeigt das Jüdische Museum Wien die Ausstellung "typisch! Klischees von Juden und Anderen", die gemeinsam mit dem Jüdischen Museum Berlin erarbeitet wurde. Dabei wird der Besucher mit den verschiedensten Klischees und Stereotypen des Alltags konfrontiert. "typisch! Klischees von Juden und Anderen" ist eine Ausstellung über das Sehen, die Wahrnehmung, Ordnung und Zuordnung von Bildern und Dingen vom Fremden und vom Eigenen. Sie zeigt Gegenstände, Bilder, Fotografien und audiovisuelle Objekte, die Menschen darstellen oder etwas über Menschen aussagen sollen. Das heißt, sie beschäftigt sich mit Stereotypen. Stereotype entstehen im Allgemeinen aus der Unkenntnis und der Angst vor dem Anderen, aus Unvorstellbarkeiten, Unerklärlichkeiten, Unverständlichkeiten, kurz: aus Furcht vor dem Nicht-Eigenen und in Abgrenzung zum Nicht-Eigenen. Stereotype helfen, die Welt zu ordnen, sich selbst zu verorten, den Anderen einzuordnen. Positiv genutzt sind sie Hilfsmittel zur Charakterisierung des Anderen im Prozess der Positionierung des Selbst. Negativ genutzt sind sie Hilfsmittel zur Dämonisierung des Anderen im Prozess der Überhöhung des Selbst. Vor diesem Hintergrund stellt die Ausstellung "typisch!" zur Diskussion, wie sich Darstellungen typisierender Motive aus der bildenden Kunst zu Objekten aus der Trivialkunst verhalten und konfrontiert sie mit Arbeiten, die durch das Herausarbeiten von Paradoxien oder mit kritischer Ironie das Klischee in Frage stellen.

Stereotype bewegen sich in der Ambivalenz zwischen der Notwendigkeit zur Klassifizierung und Einordnung von Eindrücken aus der Umwelt und dem Bedürfnis urteilender Kontrolle. Die Ausstellung will auch Auswege zeigen, Möglichkeiten, die Klassifikation und Zuschreibung ins Gegenteil zu verkehren. Denn so wie das Stereotyp nicht nur ein oktroyiertes, eine von außen wie auch immer gestaltete oder formulierte Klassifizierung ist, so ist das Stereotyp auch eine Eigendefinition, ein Binnenbild vom Selbst, entstanden um sich seiner als prägnant angenommenen Charakteristika selbst zu versichern oder aber auch als Reaktion auf das Fremdbild. Und beide Stereotype, das von außen sowie das von innen geprägte, werden in zunehmendem Maße immer wieder von Mitgliedern der Gruppe hinterfragt. Diese Hinterfragung erfolgt auf subversive Weise, indem das jeweilige Stereotyp radikal überzogen oder durch ein Gegenstereotyp konterkariert wird. In vielen Fällen kann sich aber auch die Subversion nicht vom Vorwurf der Überlieferung von Stereotypen freisprechen; sie verhilft lediglich, den Sachverhalt anders zu bewerten.

Wie der Titel schon verrät, beschäftigt sich die Ausstellung "typisch! Klischees von Juden und Anderen" nicht nur mit antisemitischen Vorurteilen. Da Antisemitismus und Philosemitismus nur eine Facette von Rassismus als "Konstruktion des Anderen nach eigenen Wünschen und Vorstellungen" sind, wie es der Afrikanist Walter Schicho formulierte, werden in der Ausstellung durchwegs Parallelen aufgezeigt. So kommen auch Stereotype von Native Americans, African Americans, Aborigines etc. vor. Diese weder systematisch erfassten noch umfassenden Parallelen sollen sowohl zeigen, dass jüdische und antijüdische Stereotype keine Ausnahmeerscheinungen sind, als auch den Besucher für das Thema Stereotyp, Fremdbild und Vorurteil in einem globaleren Sinne sensibilisieren. Besonders mit der Einbeziehung antiislamischer Stereotype wird auf die Aktualität allen Klischeedenkens verwiesen und einmal mehr verdeutlicht, inwieweit wir sowohl in historisch gewachsenen als auch in tagespolitisch motivierten Vorurteilen gefangen sind.

Stereotype als Thema einer Ausstellung

Wie kann man Objekte, die den Anderen eindeutig stereotypisieren, ausstellen, ohne Gefahr zu laufen, damit bereits vorhandene Vorurteile zu bestätigen? Dem ist mit differenzierten Gegenfragen zu begegnen: Wer definiert ein Objekt, auf dem in irgendeiner Form ein Mensch zu sehen ist, als antisemitisch, weil dieser Mensch vielleicht eine große Nase hat? Doch nur derjenige, der meint zu wissen, dass alle Juden große Nasen hätten. Und wer definiert ein Objekt, das einen Menschen mit einem Bauchladen zeigt, als antisemitisch? Doch nur derjenige, der meint zu wissen, dass alle Juden Hausierer seien. Und wer definiert ein Objekt, das einen Menschen mit einem Geldbeutel zeigt, als antisemitisch? Doch nur derjenige, der meint zu wissen, dass alle Juden Wucherer seien. Und wer definiert ein Objekt, das einen oder mehrere übergewichtige, dicke Zigarren rauchende Menschen darstellt, die miteinander flüstern, als antisemitisch? Doch nur derjenige, der meint zu wissen, dass alle Juden Kapitalisten seien. Die Fragen lassen sich fortführen mit den stereotypen Vorstellungen von jüdischen Kommunisten, Weltverschwörern, Mädchenverführern etc., etc. Der Vorrat an Vorurteilen ist nahezu unerschöpflich, beinhaltet er doch nicht nur ideologische Stereotype, sondern auch solche, die sich auf Charakter, Mentalität und Körper beziehen. Doch für all die angeführten Beispiele lassen sich Objekte beibringen, die - bei genauem, "wertfreiem" Betrachten - deutlich machen, dass wir weniger sehen, was wir sehen, sondern dass wir vielmehr sehen, was wir sehen wollen, was wir zu kennen und daher auch wiederzuerkennen glauben. Denn bei der Interpretation dessen, was wir sehen, greifen wir auf einen bewussten wie auch unbewussten Wissensfundus zurück, der das Erkennen des Bildes oder des Objektes erst ermöglicht.

So ist bei vielen Objekten und Darstellungen ihre Einordnung in eine Antisemitica-Sammlung wie die Sammlung Schlaff des Jüdischen Museums Wien mehr als fragwürdig, bilden diese doch oft ganz wertfrei  Juden ab: Karikaturen von bekannten Persönlichkeiten, Portraits und Genre-Darstellungen, teils einfach nur albern, oft verletzend überzeichnet, oft aber auch ganz "neutral", manchmal selbstironisch den stereotypen jüdischen Witz über sich selbst visualisierend. Die Frage nach der Urheberschaft der Kennzeichnung als "antisemitisch" in einem solchen Sammlungsbestand führt zur Frage, wer diese Zuschreibungen vergibt. Sind es nicht letztlich wir selbst, d.h. die BetrachterInnen, die SammlerInnen, die MuseumskuratorInnen? Die Erfahrung der Schoa hat das ethische Koordinatensystem bezüglich der gegenwärtigen oder historischen Bewertung alles "Jüdischen", alles für, von und über Juden Hervorgebrachten völlig durcheinandergebracht. Darstellungen und Geschichten, die einmal als schlechter oder sei es auch nur als harmloser Witz empfunden wurden, scheinen heute durch die Brille der Gegenwart vielen als Wegweiser oder gar als Wegbereiter der Katastrophe des größten Genozids in der Geschichte. Die Tatsache, dass wir verständlicherweise Geschichte durch den Spiegel der Schoa sehen und interpretieren, erschwert oft die korrekte Analyse der Geschichte "davor". Es macht anscheinend auch ein "wertfreies" Nachdenken über Mentalitäten, Gruppeneigenschaften und Typologien unmöglich. Stereotypische Darstellungen sind Kommunikationsmittel. Mit ihnen kann man sich an bestimmte Gruppen wenden, die das Stereotyp dekodieren und die mitgeteilte Botschaft verstehen. Positiv gesehen sind sie Kommunikationsmittel, die das Eigenbild der Gruppe stärken. Negativ gewertet sind sie Kommunikationsmittel, die andere Gruppen als Andere stigmatisieren. Gleich, in welche Stoßrichtung das Stereotyp geht, gleich, welches Erkenntnisziel es hat, es muss leicht dechiffrierbar sein, um zu funktionieren.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Stereotype regional und zeitlich gebunden sein können, dass bestimmte klischeehafte Vorstellungen nur in bestimmten Gesellschaften funktionieren können. Sie beruhen auf einem gesellschaftlichen Konsens, der in anderen Gesellschaften möglicherweise nicht gegeben ist. Wenn heute in Europa ein Plakat zu sehen wäre, das in Bild und Text vor dem "Nigger Jew" warnt, so könnten wohl die wenigsten Betrachter irgendetwas mit dieser Botschaft anfangen. Anders in den USA, wo weiße Suprematisten Juden und Farbige als kombinierte Gefahr diffamieren. Doch greifen wir auf unser Vorstellungsarsenal nicht nur zurück, wenn vom Anderen, vom Fremden die Rede ist. Traditionelle Bilder, Symbole und Metaphern spielen auch in der Eigenwahrnehmung eine feste Rolle. Die selbstdefinitorischen Bilder müssen den von außen zugeschriebenen Stereotypen nicht unbedingt widersprechen, vor allem natürlich dort nicht, wo sie vorgeblich positive Stereotype sind. Doch auch negative Stereotype finden sich in den Binnenperspektiven wieder, sei es, weil sie unreflektiert in den eigenen Bilderkanon übernommen oder weil sie als Stereotype erkannt und bearbeitet werden sollen. Deshalb werden in der Ausstellung auch antisemitische Fremddarstellungen stereotypen Darstellungen von Juden für Juden gegenübergestellt. Eigen- und Fremdstereotypien beziehen sich auf Nationen, Ethnien, soziale Gruppen, Religionsgemeinschaften etc. und fungieren als Identifikationsangebote, "gleich" bzw. "anders" zu sein. Stereotype können dabei gesellschaftliche Aggression ebenso befördern wie den prosozialen Zusammenhalt von Gruppen unterschiedlicher Art und Größe: von der Familie zur Heimatstadt, von der Nation zum übernationalen Verbund.

Da rassistische Theorien und Thesen von pseudowissenschaftlichen, aber auch von ernst genommenen Wissenschaftlern immer unterstützt wurden, geht die Ausstellung im Besonderen auch auf anthropologische und biologistische Stereotype ein. Viele dieser Stereotype wurzeln in kolonialem Bemächtigungsstreben, das die Welt nicht nur politisch, wirtschaftlich und strategisch, sondern auch kulturell und "zivilisatorisch" in den Griff bekommen wollte. Andere dienten zur Legitimierung der Sklaverei oder gehen darauf zurück, dass "vor allem von weißen Männern die reine körperliche Überlegenheit von Rassen, die allgemein als minderwertig galten, als psychische Kränkung empfunden und deshalb verdrängt und überkompensiert" wurde. Rassistisch-biologistischer Forscherdrang mündete schließlich im hemmungslosen Sammeln von Daten und Materialien, wie dies beispielsweise der damalige Leiter der anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien, Josef Wastl, betrieb. Er sammelte die in der Ausstellung virtuell präsentierten Haare jüdischer Inhaftierter und Kriegsgefangener ebenso leidenschaftlich wie anatomisch präparierte "Judenschädel" ermordeter KZ-Häftlinge. Dass das Erkenntnisziel, welches der Beleg für die stereotype Idee sein sollte, die Erkenntnismittel heiligte, spielte ebenso wenig eine Rolle wie das Forschungsergebnis: Es gab keines. Daran hat sich auch in der Zeit nach dem Nationalsozialismus wenig geändert. Das Sammeln und Beforschen biologischer und genetischer Daten wird mehr denn je betrieben, verteidigt von jenen, die glauben, der menschlichen Gesundheit und dem menschlichen Fortschritt damit zu dienen - misstrauisch verfolgt von jenen, die neue Varianten biologistischer Ausdifferenzierungen zwecks Erhärtung unserer stereotypen Vorurteile vermuten.

"typisch! Klischees von Juden und Anderen" soll zum genauen Hinschauen und zum Nachdenken über Klischees vom Eigenen und vom Anderen anregen, über unsere Annahme von diesen Klischees und über unser aller Weitergabe von unseren eigenen Vorurteilen. Dabei zielt die Ausstellung keinesfalls auf die Nivellierung nationaler, religiöser, ethnischer oder kultureller Unterschiede ab. Sie wendet sich gegen das falsche Abbilden und das falsche Ansehen des Anderen.

Quelle: Jüdisches Museum Wien

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