„Sein Kampf“
Antwort an Hitler
von Irene Harand
Wien 1935

Vorwort

Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland habe ich in einer kleinen Broschüre einige aufklärende Worte an meine christlichen Mitmenschen gerichtet, um ihnen zu beweisen, daß der Antisemitismus unser Christentum schändet. (Irene Harand „So? oder so? - Die Wahrheit über den Antisemitismus“, ldn-knigi) Seither sind mehr als zwei Jahre verstrichen. Viel Blut ist in Deutschland geflossen. Viele Tränen sind dort vergossen worden.

Das Hakenkreuz läßt nicht nur die jüdische Minderheit, sondern auch die Katholiken seine Macht fehlen. Der Hauptangriff gilt aber der deutschen Judenheit, die unsägliche Qualen und Demütigungen im Dritten Reich ertragen muß. Der Antisemitismus bedeutet für das Hakenkreuz nichts anderes als ein Mittel zur Befestigung der hauptsächlich durch Entfachung der Haßinstinkte gegen die Juden nun einmal erlangten Macht. Wir haben während der zwei Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft gesehen, daß das Hakenkreuz auch vor dem Massenmord nicht zurückschreckt, wenn es gilt, die errungenen Positionen zu halten. Ich glaube daher, daß es im Interesse der Wahrheit liegt, auf die Hakenkreuzbibel, auf Hitlers „Mein Kampf", öffentlich Antwort zu geben und vor der ganzen Kulturwelt zu prüfen, ob die Hauptlehrsätze dieses Buches, die zur Begründung der Politik des Hakenkreuzes angeführt werden, der Kritik standhalten.

Diese Auseinandersetzung mit dem Hakenkreuz ist in erster Linie deshalb notwendig, um klar und deutlich zu beweisen, daß sein entsetzliches Vorgehen gegen das Christentum und Judentum die Menschenrechte schändet, deren Achtung {8} in jedem Kulturstaate eine Selbstverständlichkeit ist. Ich will beweisen, daß es die Pflicht der ganzen gesitteten Welt ist, sich gegen die Brutalitäten aufzubäumen, denen Juden und Christen in Deutschland ausgesetzt sind. Aber noch ein anderes Moment hat mich bestimmt, diese Arbeit zu leisten. Das Hakenkreuz begnügt sich nicht mit der Diffamierung und Peinigung der deutschen Juden, es begnügt sich nicht mit der Verfolgung der Katholiken und jener Christen, die treu zum Heiland halten. Das Hakenkreuz will seine Herrschaft über die ganze Welt verbreiten und alle Völker dieser Erde bestimmen, seinem blutigen Beispiel zu folgen. Darum will ich die Gefahren für die Menschheit aufzeigen, die das Vordringen des Hakenkreuzes bedeuten würde. Vielleicht gelingt es mir durch meine Arbeit denjenigen Menschen in Deutschland die Augen zu öffnen, die noch nicht jedes Schamgefühl verloren haben. Vielleicht werden die alten deutschen Heerführer erkennen, welchen ungeheuren Dienst sie gerade jetzt ihrem Vaterlande leisten können, wenn sie dem Hakenkreuz die Macht entwinden würden.

Die Natur der Sache bringt es mit sich, daß ich mich in erster Linie mit der Rassenfrage im allgemeinen und mit der Judenfrage im besonderen beschäftigen muß. Ich habe zunächst untersucht, ob der Rassenfrage die Bedeutung zukommen kann, die ihr das Hakenkreuz beimißt. Fällt der Rassenstandpunkt, so hat man dem Hakenkreuz seine wichtigste Waffe genommen. Ich habe dann die Frage erörtert, ob es wahr ist, daß speziell die jüdische Rasse die körperlichen und seelischen Defekte aufweist, die die Nationalsozialisten anführen, um ihr blutiges Werk gegen die Juden zu rechtfertigen. Ich glaube, den Beweis erbracht zu haben, daß die Bestandteile der „Erbmasse" der heutigen Juden, die ihre Urahnen auf sie übertragen haben, keineswegs als minderwertig angesehen werden können.

Wenn man eine Wertung der heutigen Juden unter der Lupe der Geschichte und der Wissenschaft vornimmt, so kommt {9} man zu völlig anderen Ergebnissen als das Hakenkreuz, das die Lüge als Hauptwaffe benützt. Durch Aufzählung einiger Episoden aus der jüdischen Geschichte und durch Anführung wichtiger Lehrsätze aus dem Talmud, durch Hervorhebung der Leistungen der modernen Juden auf allen Gebieten der Kultur konnte ich den Nachweis erbringen, daß die Behandlung der Juden in Deutschland nichts anderes ist als eine Kette von Verbrechen, als nackte Gewalt, als feige Verfolgung einer wehrlosen Minderheit durch eine überwältigende Mehrheit. Auch von Hitlers Gegnern wird viel zu wenig über die Judenfrage geschrieben. Viel, viel mehr muß man über diese Schande des Hakenkreuzes schreiben, damit ihm die Mittel genommen werden, seine Scheußlichkeiten sittlich zu untermauern. Ich habe natürlich auch die Lügenhaftigkeit der gegen unsere katholische Religion vorgebrachten Beschuldigungen aufgezeigt, die sonstigen Verhältnisse in Deutschland geschildert und das Vorgehen des Hakenkreuzes gegen Österreich dargelegt. Ich habe zur Begründung meiner Stellungnahme die Meinungen zahlreicher kirchlicher und weltlicher Autoritäten angeführt.

Ich wende mich nicht an Gelehrte. Ich will, daß das Volk mich verstehe. Darum werden vielleicht Sprache und Stil nicht alle Schöngeister befriedigen.

Der Zweck dieser Arbeit ist, die breiten christlichen Massen von der Verlogenheit der nationalsozialistischen Lehren zu überzeugen und die Wege zu zeigen, wie die Welt sich der fürchterlichen Gefahr, die der deutsche Nationalsozialismus verkörpert, erwehren kann.

Den Opfern des Hakenkreuzes soll aber diese Arbeit Trost bieten und die Überzeugung beibringen, daß es Menschen in der Welt gibt, die sich mit dem Terror des Dritten Reiches nicht abfinden und kämpfen wollen, bis von der Menschheit die Gefahr, die die Verbreitung des Hakenkreuzes bedeutet, gebannt, und die Opfer von ihren Peinigern erlöst werden.

Wien, Juni 1935. Irene Harand.

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