Islamischer Antisemitismus
von Klaus-Peter Lehmann

Wie bei der Suche nach den Ursprüngen des christlichen Antisemitismus die Bibel und die Kirchengeschichte befragt werden  müssen, so beim islamischen Antisemitismus der Koran und die Geschichte des Islam. Es ergeben sich drei Epochen. Der kurzen von Mohammed bestimmten Frühzeit schließt sich die lange Epoche der islamischen Großreiche an, in denen das Leben der jüdischen Minderheit durch die Dhimma geregelt war. Das 20. Jahrhundert ist geprägt vom Untergang des letzten, des Osmanischen Reiches und dem Entstehen des neuen jüdischen Staates auf seinem ehemaligen Gebiet.

1.) Im Schatten Mohammeds: feindselige Abwendung von den Juden
Der Koran ist ohne seine vielen Bezüge auf die Bibel nicht denkbar. Er spricht von Israel als Bundesvolk (Sure 2,38ff), von seiner Erwählung (5,21f), von der Tora (2,50; 3,2; 41,45). Er kennt Mose, David, die Propheten. Auch das spätere Judentum und seine Synagogen sieht er unter dem Schutz Allahs (22,41). Als Volk der Schrift gelten ihm Juden, Christen und Muslime. Doch wo der Koran die biblischen Schriften berührt, unterscheidet er sich von ihnen. Er verwirft die bleibende Erwählung Israels (5,29) und unterstellt den Juden, die Tora böswillig verfälscht zu haben (4,47; 5,16.45), besonders indem sie die Hinweise auf Mohammed unterschlagen hätten (2,169).

In der Bibel ist Abraham der erste Jude, Erzvater des jüdischen Volkes, sein Land ist das Gebiet des biblischen und heutigen Israel. Er bindet seinen einzigen Sohn Isaak für Gott auf einen Altar. Im Koran ist der Islam die ‚Religion Abrahams’ (3,61). Er errichtet die Kaaba in Mekka und bringt Ismael dar. Das Gemeinsame der biblischen Erzählungen mit denen des Korans reduziert sich auf jüdische Namen. Der Inhalt trennt Juden und Muslime. Im Koran ist Abraham Vorgänger Mohammeds (3,60). Seine geistliche Vaterschaft für das jüdische Volk wird ausdrücklich zurückgewiesen (2,118). Das erscheint wie eine Gegenerzählung zur jüdischen Bibel. Was der Koran von ihr aufnimmt, gestaltet er in schroffer Abgrenzung neu.  (1) 

Dazu passt die Konfrontation Mohammeds mit den jüdischen Stämmen in Medina. Sie verweigerten Mohammeds Anspruch auf Anerkennung und Gefolgschaft. Drei Stämme wurden vertrieben, die Qurayzu ließ Mohammed vernichten: Frauen, Kinder und Besitz wurden unter den Muslimen aufgeteilt, die ca. 900 Männer wurden an einem Tag bei ihren Gräbern enthauptet.  (2)  Vor diesen Ereignissen hatte Mohammed seinen Anhängern empfohlen, Gebets- und Feiertagspraxis an den jüdischen Bräuchen auszurichten. Nach dem Bruch mit den Juden in Medina und nach seinem Einmarsch in Mekka empfing er die Suren von der Gründung der Kaaba durch Abraham, veränderte die Gebetsrichtung nach Mekka und setzte den Feiertag auf Freitag. Arabien wurde zum Zentrum des Islam und die Juden von Kronzeugen Allahs zu seinen Feinden degradiert (5,85).

Der Koran ist durchsetzt von judenfeindlichen Stereotypen, die sich weitgehend mit denen des Christentums decken: die Juden haben verhärtete und unbeschnittene Herzen, sie haben Gottes Bund gebrochen, die Propheten getötet, sie lügen und haben Gottes Wort verfälscht, sie sind vertragsbrüchig, nehmen Wucher, rauben Geld, sie glauben nicht ans Jenseits, wegen ihres Ungehorsams hat Gott Affen und Schweine aus ihnen gemacht. Im Koran erscheinen die Juden als böswillige Charaktere. Deshalb der Kampfruf: „Kämpfet wider jene bis sie erniedrigt sind und den Tribut entrichten“ (9,29).

Die spätere Lehre vom ungeschaffenen Koran verfestigte dieses Bild von den Juden. Sie überhöhte die Polemik gegen die unterlegenen jüdischen Gegner Mohammeds zu einem ewig gültigen Urteil über alle Juden. Anders als der antijüdische Angstwahn des Abendlandes gründet sich der islamische Antijudaismus auf einem Gefühl der Überlegenheit, dem die Demütigung der Ungläubigen zum Gesetz wurde.

2.) Die Epoche der islamischen Großreiche: Demütigung der Juden
In den islamisch beherrschten Ländern lebten die Juden unter der Dhimma. ‚Dhimmi’ nennt die islamische Rechtstradition Monotheisten, die als Bürger minderen Rechts nicht der Umma angehören, aber unter staatlicher Obhut ‚Schutzbefohlene’ waren. Als geschützt galten Leben und Besitz, das Recht auf Niederlassung, eine beschränkte Glaubensfreiheit. Auf Mission stand die Todesstrafe. Juden durften keine muslimischen Sklaven halten, weder Waffen tragen noch Pferde reiten. Begegnete ihnen ein Muslim, mussten sie von ihrem Reittier absteigen. Juden hatten gekennzeichnete Kleider zu tragen, gelbe Turbane oder Gürtel. Ghettos und Berufsverbote gab es nicht. Doch siedelten Juden oft freiwillig in eigenen Bezirken (Juderias) und übten die von Muslimen verschmähten Berufe aus: Textil- und Gewürzhändler, Steuereintreiber, Gelehrte, Kunsthandwerker.
Die Bewertung der Dhimma geht auseinander. Viele betonen ihre relative Rechtssicherheit. Unter Pogromen hatte die jüdische Bevölkerung hier weniger zu leiden als im christlichen Okzident. Andere sehen in der Dhimma ein System der Schutzgelderpressung,  (3)  der Demütigung, der religiös gerechtfertigten Erniedrigung, die die Tora abschaffen wollte.  (4)

Ab 1146 unter den Almohaden nahmen Verfolgung und Repression zu. Im Kampf gegen die Reconquista wurden Synagogen zerstört, Hochschulen geschlossen und Zwangsbekehrungen durchgeführt. Viele Juden flüchteten nach Ägypten oder in die christlichen Gebiete. Nach dem Alhambra-Edikt 1492, mit dem das siegreiche christliche Königshaus alle Juden aus Spanien vertrieb, fanden sie Asyl in den islamischen Ländern.
Auch unter den Osmanen waren die Juden, ähnlich den Christen, als Bürger minderen Rechts toleriert. Im Mittelalter und in der Neuzeit kam es in mehreren Städten wie Kairo, Granada, Fes, Bagdad und Damaskus zu größeren Pogromen.

Internationales Aufsehen erregte die Damaskusaffäre. Im Februar 1840 wurden der Abt eines Franziskanerklosters in Damaskus und sein Diener vermisst. Mönche beschuldigten die Juden der Stadt des Mordes an den beiden Männern. Sie würden beim bevorstehenden Pessachfest deren Blut rituell verwenden. Der vom französischen Konsul mit der Untersuchung beauftragte ägyptische Gouverneur ließ acht angesehene Juden verhaften und versuchte, sie durch Bestechung, Erpressung und Folter zu Geständnissen zu zwingen. Ein 80jähriger erlag der Folter. Ein anderer konvertierte, um seine Familie zu schützen. Die übrigen quälte man ohne Erfolg. Nun wurden 63 Kinder als Geiseln genommen, um den Eltern Geständnisse abzupressen. Sogar ihre Hinrichtung wurde angedroht. Im Nahen Osten kam es zu zahlreichen Übergriffen gegen jüdische Gemeinden. In Europa und Amerika organisierte sich jüdischer Protest. Die britische Regierung schaltete sich ein. Eine unabhängige Untersuchung erwirkte die Freilassung der Gefangenen und die öffentliche Anerkennung ihrer Unschuld. Vier waren im Gefängnis gestorben. Die Leichen der Vermissten wurden nie gefunden. Seitdem kam es öfter zu Ritualmordverdächtigungen. Zur Pessachzeit 1870 wurden die Handelssäcke jüdischer Kaufleute in Konstantinopel auf Kinderleichen inspiziert.

3.) Das 20. Jahrhundert: die Juden als Weltfeind
Mit der Damaskusaffäre begann der Import des abendländischen Antisemitismus in das Osmanische Reich.  (5)  Der islamische Antisemitismus bekam eine neue Qualität. Als das Reich des Sultans an politischer Macht verlor, wuchs der Hass der Muslime gegen religiöse und ethnische Minderheiten. Schon die erste jüdische Einwanderungswelle nach Palästina im Jahr 1882 deuteten viele Muslime als Teil einer jüdischen Weltverschwörung, deren Ziel der Sturz des Sultans sei.

Dieses Feindbild setzte sich erst allmählich durch. Denn ein Großteil der Eliten des Osmanischen Reiches war westlich orientiert und modernistisch. Sie übernahmen weithin das nationalstaatliche Denken. Die Juden wurden juristisch gleichgestellt und auch ihrer Einwanderung stand man nicht feindlich gegenüber. Mit den Misserfolgen der arabischen Politik verlor dieses Denken an Einfluss. Immer mehr suchte man nach Schuldigen für die Missstände in den islamischen Ländern.

Nun verband sich das Wahnbild einer jüdischen Weltverschwörung aus den >Protokollen der Weisen von Zion mit der traditionellen islamischen Judenfeindschaft. Die zionistische Bewegung und die Gründung des Staates Israel wurden immer mehr zum Anlass, in den Juden den niederträchtigsten Feind des Islam und der ganzen Welt zu sehen. Bei der Geburt dieses Wahns spielte die deutsche Politik eine wichtige Rolle. Zur Verteidigung ihrer Kolonien im Ersten Weltkrieg belebte die deutsche Kriegspropaganda die Djihad-Idee und stellte sie in ihren Dienst. In den 30er Jahren fanden von den Nazis inspirierte Aufrufe und Radiosendungen große Verbreitung. Sie setzten Mohammeds Kampf gegen die jüdischen Stämme mit einer angeblichen aktuellen Bedrohung des Islam durch eine jüdische Weltverschwörung gleich.   (6) 

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Antisemitismus in Europa zurück, in den arabischen Staaten bekam er starken Zulauf. SS-Standartenführer Gleim baute in Ägypten eine Geheinpolizei auf, die Juden überwachte. Hitlers ‚Mein Kampf’ fand, ins Arabische übersetzt, große Verbreitung im Militär. Die arabischen Reaktionen auf den Eichmann-Prozess (1961) bezeugten einen unverhohlenen Antisemitismus. „Einen wirklichen Segen“ habe Eichmann der Menschheit mit der Ermordung der 6 Mio Juden erwiesen, und sein Werk werde noch mit der „Liquidierung der verbliebenen 6 Mio vollendet werden.“  (7) 

Nach der Niederlage im 6-Tagekrieg von 1967 wurde die islamische Welt mit dem Pamphlet von Sayyid Qutbs ‚Unser Kampf gegen die Juden’ überschwemmt. Dieses Machwerk verbindet Mohammeds Krieg gegen die jüdischen Stämme Arabiens mit dem Wahn von einer jüdischen Weltmacht, die den Islam von Anfang an zerstören wollte.  (8)  Die Gedanken Qutbs, die durch die Muslimbruderschaft besonders großen Einfluss in Ägypten haben, finden bis in die jüngste Zeit weite Verbreitung in der arabischen Welt, in politischen Reden,  (9)  in öffentlichen Medien,  (10)  in der Charta der Hamas.  (11)  Beunruhigend ist, dass dieses ideologische Gebräu ein deutlich genozidales Profil hat. Die >Protokolle der Weisen von Zion und NS-Literatur sind im Nahen Osten  ungehindert zugänglich. Der Holocaust wird weithin geleugnet und die israelische Kriegführung immer wieder mit der NS-Vernichtungspolitik in eins gesetzt.  (12)

  1. J. Bouman, Der Koran und die Juden. Die Geschichte einer Tragödie, Darmstadt 1990, S. 31-55; M. Wolffsohn, Was eint, was trennt „die abrahamitischen Religionen“ aus jüdischer Sicht?, ‚zur debatte’, Zeitschrift der katholischen Akademie in Bayern, 6/2008, S. 12ff

  2. Bouman, a.a.O., S. 86

  3. Prinzipiell bestand unter dem Islam die Möglichkeit durch Konversion Gleichberechtigung zu erlangen. Allerdings wurde das nicht gern gesehen und schon gar nicht gefördert, da Muslime erheblich weniger Steuern zu entrichten hatten als die Dhimmi.

  4. Die Weisungen der Tora zielen auf eine endgültige Befreiung vom Sklavenstand (2Mose 20,2; 21,1-11).

  5. Viele Autoren vertreten die Ansicht, der islamische Antisemitismus sei allein auf den Import von christlich-abendländischen Wahnideen zurückzuführen, er widerspreche der islamischen Tradition und dem Geist des Koran (Bassam Tibi). U.E. vermag diese Sicht dem Gewicht der vielen gegenläufigen Tatsachen und anderslautenden Überlieferungen nicht standzuhalten.

  6. „Der Kampf zwischen Juden und Islam begann, als Mohammed von Mekka nach Medina floh. … damals waren die jüdischen Methoden schon die gleich wie heute. … Wenn die Juden Mohammed so verraten konnten, wie werden sie die Muslime dann heute verraten. … Die Verse aus dem Koran und Hadith beweisen, dass die Juden die bittersten Gegner des Islam gewesen sind und noch weiter versuchen, denselben zu vernichten.“ (Islam-Judentum. Aufruf des Großmuftis el Husseini an die islamische Welt im Jahre 1937). Von 1939-1945 kombinierte der Kurzwellensender Radio Zeesen regelmäßig Koransuren mit den Stereotypen des modernen Antisemitismus. Er strahlte auf Arabisch, Türkisch und Persisch und erreichte die analphabetischen Massen in den Bazaren und Teehäusern.

  7. Die Zeitungen in Damaskus, Beirut, Kairo und Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern, dass er „sein Geschäft nicht zuende geführt“ habe. Eine Rundfunksendung aus Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt einen Seitenhieb auf die Deutschen, denen vorgeworfen wurde, dass „im letzten Krieg nicht ein deutsches Flugzeug je eine jüdische Siedlung überflogen und bombardiert“ hätte (H. Arendt, Eichmann in Jerusalem, 1986, S. 81). Am 19.7.1948 hatte die irakische Regierung den Zionismus zum Kapitalverbrechen erklärt. Daraufhin richtete die Regierung Israels eine Luftbrücke ein. Auf ihr wurden 95% der irakischen Juden bis 1952 nach Israel überführt.

  8. „Von ihrem ersten Tag an waren die Juden die Feinde der muslimischen Gemeinschaft. Der Kampf wird weitergehen, weil die Juden erst mit der Zerstörung des Islam zufrieden sein werden. Hinter der Doktrin des atheistischen Materialismus steckte ein Jude, hinter der Doktrin der animalischen Sexualität steckte ein Jude, und hinter der Zerstörung der Familie und der Erschütterung der geheiligten Beziehungen in der Gesellschaft steckte ebenfalls ein Jude. Diese jüdische Macht, die die islamische Welt bedroht, verfügt zudem über eine riesige Armee von Agenten: Professoren, Philosophen, Doktoren und Forscher. Es ist also eindeutig, dass die schlimmsten Feinde der islamischen Gemeinschaft die Juden sind, die sie von Allahs Weg abbringen wollen.“

  9. „Wir erkennen heute, dass die Juden – Allah möge sie verfluchen – am Text des Korans herummanipuliert haben. Wir müssen den Menschen bewusst machen, dass die Juden und ihre ausländischen Unterstützer die jüdische Herrschaft überall auf der Welt etablieren wollen.“ (Ayatollah Khomeini). „Geliebter Imam Khomeini. Du sagtest, dass das zionistische Regime ein Krebstumor sei, das man von der Landkarte löschen müsse. Dank der Gnade Gottes wird dein Wunsch bald materialisiert sein.“ (Ahmadinejad). Yasser Arafat verglich die Osloer Verträge  vor Muslimen mehrfach mit den Verträgen von Kureish, die Mohammed mit den jüdischen Stämmen zum Schein schloss, um sie nach eigener Aufrüstung zu überfallen.

  10. „Das jüdische Volk ist verpflichtet für dieses Fest (Pessach) Blut aufzutreiben, damit ihre Geistlichen dieses Gebäck (Mazzen) für die Feiertage vorbereiten können.“ (Al Riad, saudi-arabische Regierungszeitung, 10.3.2002). Zum Fastenmonat Ramadan strahlte ein syrischer Fernsehsender 29 Folgen aus, in denen die Juden bezichtigt wurden, alle politischen Katastrophen der Neuzeit verursacht zu haben. Einige Folgen zeigten, wie Rabbiner Gefesselte grausam foltern, sie zwingen flüssiges Blei zu trinken und die Ohren abschneiden. Eine andere zeigte die Schlachtung eines christlichen Kindes, dessen Blut zum Backen von Mazzen verwendet wurde.

  11. „With money they sparked revolutions in various countries around the world. They were behind the French Revolution and the Communist Revolution. With money they have formed secret organisations all over the world to destroy societies and to serve Zionists’ interests. There is no end about what can be said about their involvement in local wars and world wars. They were behind World War I, through which they achieved the destruction of the Islamic Caliphate … obtained the Balfour Declaration and established the United Nations. Wherever there is war in the world, it is they are pulling the strings behind the scenes” (Charta der Hamas).

  12. Durch sein Vorgehen im Gazastreifen ahme Israel die Verbrechen der Nazis nach, so die staatliche Nachrichtenagentur Saudi-Arabiens. „Was in Gaza passiert, ist schlimmer als der Holocaust“ so Palästinenserpräsident Abbas (taz, 3.3.2008). Solche Äußerungen finden sich neben einer verbreiteten Leugnung des Holocaust. Für den Komplex des Antisemitismus im Nahen Osten vgl. M. Küntzel, Djihad und Judenhass, Freiburg 2003.

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