„Zeit zur Neuverpflichtung“
Die zwölf Thesen von Berlin
(Wortlaut in BlickPunkt.e 5/2009)
Der ICCJ tritt in eine neue Phase des christlich-jüdischen Dialogs - inmitten eines unruhigen Umfeldes
von Friedhelm Pieper

Man kann Jubiläen vor allem mit der Erinnerung des Vergangenen begehen; man kann aber auch ein Jubiläum nutzen, um die Weiterentwicklung des Erinnerten als Herausforderung für die Gegenwart  und die Zukunft in Angriff zu nehmen. Das Erinnern des 70. Jahrestages des Beginns des verheerenden Zweiten Weltkriegs und des 60. Jahrestages der „Seelisberger Thesen“, die einen Neuanfang des christlich-jüdischen Dialogs nach dem Holocaust in Gang setzten, waren für den „Internationalen Rat der Christen und Juden“ (ICCJ) Anlass, das Erinnern mit einer „Neu-Verpflichtung“ zu verbinden. Der ICCJ ist die Dachorganisation eines Netzwerkes von 38 christlich-jüdischen Dialogorganisationen weltweit, deutsches Mitglied ist der „Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ (DKR).

Die „Neu-Verpflichtung“ in Form von zwölf „Berliner Thesen“ ist ein Dokument, das eine neue Phase des christlichen-jüdischen Dialogs zum Ausdruck bringt. Seit den „Seelisberger Thesen“ von 1947 hat der christlich-jüdische Dialog einen beeindruckenden Wandel „von Asymetrie zu Komplementarität“ (1) erlebt. Es ist ein Weg, der von einer zunächst in den Kirchen in der Aufarbeitung der eigenen Schuldgeschichte einsetzenden Neubesinnung der christlichen Wahrnehmung des Judentums hin zu einem „Dialog auf gleicher Augenhöhe“ führte. In einem solchen „Dialog auf Gegenseitigkeit“ zeigen Juden und Christen, wie sie einander in Verantwortung vor der jeweils eigenen Tradition anerkennen können sowie nach dem fragen, was sie voneinander lernen können und was für sie miteinander im Konsens aussagbar ist. Ein herausragendes Beispiel für diese neue Qualität im Dialog ist der Artikel „Voneinander lernen – Gedanken aus jüdischer Sicht“ von Rabbiner David Rosen (2),  dem Präsidenten des „Internationalen jüdischen Komitees für Interreligiöse Gespräche“ (International Jewish Committee on Interreligious Consultations, IJCIC).

Solch ein „Dialog auf Gegenseitigkeit“, der in den letzten Jahren eine neue Phase im christlich-jüdischen Gespräch eröffnete, wurde gleichwohl bereits von Martin Buber in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts antizipiert. Die „Berliner Thesen“ des ICCJ, die im Juli 2009 in einer feierlichen Zeremonie von Vertretern der internationalen ICCJ-Mitgliedsorganisationen unterzeichnet wurden, zeigen sowohl im Entstehungsprozess als auch im Ergebnis, wie diese neue Dialogebene Gestalt gewinnt.

60 Jahre nach Seelisberg

Die Berliner Thesen erinnern an die “Seelisberger Thesen”, die auf einer von Juden und Christen im August 1947 in Seelisberg in der Schweiz durchgeführten „Dringlichkeitskonferenz über Antisemitismus“ verfasst wurden, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und den Verbrechen des Holocaust. Im Dialog mit den jüdischen Partnern suchten Christen nach einem Weg, die „Lehre der Verachtung“ (Jules Isaac) gegenüber dem Judentum in den christlichen Gemeinschaften zu überwinden und formulierten einen entsprechenden „Aufruf an die Kirchen“ in zehn Thesen. Die damals bahnbrechenden Thesen trugen entscheidend mit zu dem neu sich formierenden Dialog zwischen Juden und Christen bei. Ebenfalls wurden auf der Konferenz in Seelisberg und der Folgekonferenz in Fribourg (1948) erste Gründungsversuche des „Internationalen Rates der Christen und Juden“ unternommen.

Mit Blick auf den 60. Jahrestag der „Seelisberger Thesen“, der 2007 in dem Ursprungsort, dem malerisch oberhalb des Vierwaldstättersees in der Schweiz gelegenen Städtchen Seelisberg, festlich begannen wurde, beschloss nun der ICCJ in 2006, ein Projekt zur Neu-Bewertung (Reassessment) des christlich-jüdischen Dialogs zu starten. Sechzig Jahre nach dem historischen „Aufruf an die Kirchen“ in Seelisberg sollte eine Bestandsaufnahme des bisherigen Dialogs erfolgen sowie erkennbare künftige Aufgaben benannt werden.

Der ICCJ setzte eine internationale Expertenkommission aus Juden und Christen ein, die unter der Leitung des ICCJ-Vizepräsidenten Prof. Dr. Phil Cunningham (USA) im November 2007 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain zusammentraf und in Diskussionen in einem eigenen Internet-Forum sowie bei einer weiteren Konferenz im Oktober 2008 in Fribourg (Schweiz) und abschließenden Sitzungen eines Redaktionsteams den Text der „Berliner Thesen“ formulierte. Deutsche Mitglieder der Expertenkommission waren: Prof. Dr. Hanspeter Heinz (Vorsitzender des Gesprächskreises “Juden und Christen” beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken), Rabbiner Andrew Steinman, (Mitglied im Vorstand des DKR), Prof. Dr. Martin Stöhr (ICCJ-Ehrenpräsident), die Theologin Andrea Thiemann (ehemalige Mitarbeiterin im Martin-Buber-Haus, Heppenheim) und der Autor dieses Artikels: Pfr. Friedhelm Pieper, von 1998 bis 2004 ICCJ-Generalsekretär.

Die Thesen der Kommission wurden den ICCJ-Mitgliedsorganisationen zugesandt und schließlich durch Unterzeichnung bei der in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführten ICCJ-Jahreskonferenz im Juli 2009 in Berlin als gemeinsames Dokument der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Unterzeichnung erfolgte im Beisein von dem Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, dem Gesandten Israels, Ilan Mor, dem Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Perisset, der ICCJ- Präsidentin Dr. Deborah Weissman, dem jüdischen Präsidenten des DKR, Landesrabbiner Henry Brandt, dem EKD Ratsvorsitzenden Dr. Wolfgang Huber sowie dem Aachener Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz.

Es fügte sich, dass im Juli 2009 in Berlin ein weiteres Jubiläum zu begehen war: der 60. Jahrestag der Gründung des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. So konnten die Vertreter der mehr als 80 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland zusammen mit ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen bei einem Festakt im Französischen Dom vernehmen, wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Festansprache das Engagement in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit würdigte: Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit würden eine „großartige und unverzichtbare Arbeit“ für die Gespräche beider Religionen leisten.

Die Berliner Thesen – eine neue Phase im christlich-jüdischen Dialog

Die Berliner Thesen sind in der Geschichte des christlich-jüdischen Gesprächs das erste internationale Dokument, das vollständig gemeinsam von Juden und Christen erarbeitet wurde und sich als gemeinsamer Aufruf an die Gemeinden in beiden Religionsgemeinschaften richtet. Nach dem Seelisberger „Aufruf an die Kirchen“ (1947), nach der bahnbrechenden Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils „Nostra Aetate“ (1965), nach der Erklärung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen „Der christlich-jüdische Dialog nach Canberra ‘91“ (1992), nach dem ICCJ-Dokument „Juden und Christen auf der Suche nach einer gemeinsamen religiösen Basis für einen Beitrag zu einer besseren Welt“ (1993), nach „Dabru Emet – eine jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum“ (2000) sowie nach der Studie „Kirche und Israel“ der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (2001 – damals „Leuenberger Kirchengemeinschaft“ genannt), die allesamt sich aus der Perspektive eines der Dialogpartner äußern - mit bereits einem kleinen gemeinsamen Abschnitt in dem ICCJ Papier von 1993 -, war für die Autoren die Zeit reif für dieses Experiment. Als Ausdruck des in jahrelanger Zusammenarbeit gewachsenen Vertrauens und im Wissen um die nach wie vor vorhandenen Probleme in der Rezeption der Ergebnisse des jüdisch-christlichen Dialogs in den Kirchen und in den jüdischen Gemeinden sowie im Angesicht von jüngsten Irritationen und Rückschlägen (3) sollte dies gewagt werden: Eine gemeinsame christlich-jüdische Erklärung, die zentrale Ergebnisse des bisherigen Dialogs festhält, die daraus folgenden Herausforderungen für Kirchengemeinden und für jüdische Gemeinden benennt, sich dem Nahostkonflikt stellt, zum verstärkten Dialog mit der muslimischen Welt aufruft und sich gemeinsam zu nachhaltigem Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und die Erhaltung der natürlichen Lebensumwelt verpflichtet.

So wendet sich dieses gemeinsame Dokument als Aufruf zunächst in an die Kirchen, sodann an die jüdischen Gemeinden und schließlich an Juden, Christen und Vertreter anderer Religionen.

Aufruf an die Kirchen (Thesen 1 bis 4)

Im Aufruf an die Kirchen hält das Berliner Dokument die bisherigen Ergebnisse der theologischen Forschung zum christlich-jüdischen Verhältnis fest, insbesondere die Verankerung des christlichen Glaubens im Judentum. Danach ist für eine sachgemäße Interpretation der Lehre Jesu und der  Theologie des Paulus die Wahrnehmung des zeitgenössischen jüdischen Kontextes unerlässlich.    Die Thesen weisen ebenfalls darauf hin, dass die Kirchen von dem Reichtum jüdischer Texte, Liturgien und Praktiken für die eigene Lehre und Praxis fruchtbare Impulse empfangen können.

Entscheidend für das Verhältnis der Kirchen zum Judentum ist und bleibt die grundlegende Anerkennung des jüdischen Selbstverständnisses, in der die eigenständige jüdische Gottesbeziehung respektiert und nicht mehr in Frage gestellt wird. Dies ist der entscheidende Schritt, der von den Kirchen zu gehen ist und der in der Konsequenz eine christliche Judenmission ablehnt. Es wäre viel gewonnen, wenn in der gegenwärtig neu aufflackernden Diskussion über „Judenmission“ in der katholischen Kirche sowie in einigen evangelischen Landeskirchen dieser Aufruf gehört würde.

Aufruf an die jüdischen Gemeinden (Thesen 5 bis 8)

Die jüdischen Gemeinden ruft die Berliner Erklärung in den Thesen 5 bis 8 dazu auf, die langjährige Arbeit christlicher Gemeinden unterschiedlicher Konfessionen, Einzelpersonen und Institutionen zur Überwindung antijüdischer Traditionen und zur Erneuerung des Verhältnisses zum Judentum wahrzunehmen und anzuerkennen. In der Konsequenz dieses Aufrufs geht das Berliner Dokument noch einen Schritt weiter und tritt für die Überarbeitung jüdischer liturgischer Texte ein, in Hinblick auf zeitbedingte Passagen mit problematischen Formulierungen über Christen und Angehörige anderer Religionen.

Geht das? Können Christen gemeinsam mit jüdischen Partnern einen derartigen Aufruf an jüdische Gemeinden richten - angesichts der Tatsache, dass die Ergebnisse des christlich-jüdischen Dialogs noch längst nicht in allen Gliederungen der Kirchen nachvollzogen wurden? Die Autoren des Berliner Dokuments verdrängen die nach wie vor großen Aufgaben innerhalb der Kirchen nicht. Sie – insbesondere die jüdischen Partner - halten gleichwohl die Zeit für einen „Dialog auf Gegenseitigkeit“ gekommen, sodass auch gegenüber den jüdischen Gemeinden darauf zu drängen ist, die christlichen Reformbemühungen der letzten Jahrzehnte anzuerkennen und zu einer neuen Wahrnehmung des Christentums zu gelangen. Dass dies möglich ist, zeigt das Vertrauen, das zwischen den jüdischen und christlichen Dialogpartnern und Autoren der Berliner Thesen gewachsen ist und das sie nun gemeinsam zu neuen Schritten für eine breitere Verankerung des Dialogs in beiden Glaubensgemeinschaften ermutigt.

Christlich-Jüdischer Dialog und der Nahostkonflikt

Sowohl in dem Aufruf an die Kirchen als auch an die jüdischen Gemeinden nimmt das Dokument Bezug auf den Nahostkonflikt. Die Thesen halten fest, dass der christlich-jüdische Dialog den Werten der Gerechtigkeit und des Friedens verpflichtet ist. Entsprechend setzen sich die Autoren für eine gerechte und friedliche Lösung des Konfliktes im Nahen Osten ein. Sie betonen die Anerkennung der jüdischen Verbundenheit mit dem Land Israel und zugleich die Anerkennung der palästinensischen Beheimatung dort: „die tiefe Bindung beider Gemeinschaften an das Land“ (These 4). Mit der Forderung nach Sicherheit und Wohlergehen christlicher Gemeinden in Israel und Palästina erinnert das Dokument an die prekäre Lage, in die Christen im Nahostkonflikt geraten sind, insbesondere durch die religiöse Interpretation und Verschärfung des Konfliktes in der Perspektive eines muslimisch-jüdischen Gegensatzes.

Die Berliner Thesen benennen dabei ausdrücklich das Recht auf Kritik gegenüber israelischen und palästinensischen Institutionen, wobei zugleich auf die unerlässliche Aufgabe verwiesen wird, zwischen legitimer Kritik und antisemitisch motivierten Haltungen zu unterscheiden. Dabei  verweisen die Thesen auf das Erbe der biblischen Texte, die die Liebe zum Land und die Verbundenheit mit ihm mit den Forderungen nach Gerechtigkeit zusammenbindet (These 7).

So gilt es, zusammen „mit jüdischen, christlichen und muslimischen Friedensarbeitern, mit Israelis und Palästinensern“ Vertrauen zu schaffen, mit dem Ziel, dass die Konfliktparteien „in eigenständigen, lebensfähigen Staaten leben können, die auf internationalem Recht und garantierten Menschenrechten beruhen“ (These 4). Die Berliner Thesen betonen also, dass die Teilnehmer am christlich-jüdischen Dialog in ihrer Solidarität mit Israel sich zugleich für das Wohlergehen der Palästinenser einsetzen, dass sie sich nicht von einem Lager oder einer politischen Gruppierung im Nahostkonflikt vereinnahmen lassen, sondern eine eigenständige und das Recht beider Konfliktparteien einbeziehende Position einnehmen.

Der christlich-jüdische Dialog ist keine Insel – (Thesen 9 bis 12)

Mit dem Satz „Keine Religion ist eine Insel“ (No religion is an island) begründete Abraham Heschel vor Jahren sein Engagement im christlich-jüdischen Dialog (4). Die Berliner Thesen machen deutlich, dass auch der Dialog zwischen Juden und Christen keine Insel und keine Nische darstellen kann. Der jüdisch-christliche Dialog ist Teil der zunehmenden interreligiösen Begegnungen und der religiös motivierten Konflikte in der globalisierten Welt. Er muss daher neben den bilateralen Beziehungen zwischen Juden und Christen auch das Verhältnis zu anderen Religionen und auch nichtreligiösen Akteuren in Politik und Gesellschaft in den Blick nehmen. Diesem Ziel dienen die letzten 4 Thesen der Berliner Erklärung.

Als erster weiterer Gesprächspartner wird an mehreren Stellen der Thesen die muslimische Gemeinschaft genannt. Dies entspricht dem trilateralen Programmteil des ICCJ, in dem im Rahmen eines „Abrahamischen Forums“ das gemeinsame Gespräch von Juden und Christen mit Muslimen verstärkt gesucht wird – wobei gleichzeitig die bisherige Ausrichtung in eigenen Programmteilen erhalten bleibt und weiterhin den Schwerpunkt bildet: die Weiterbearbeitung der spezifischen Fragen des christlich-jüdischen Verhältnisses.

Mit Blick auf die Rolle der Religionen bei der Verstärkung von Konflikten aber eben so auch    hinsichtlich des tief verankerten Friedenspotentials der religiösen Traditionen betonen die Berliner Thesen die Notwendigkeit interreligiöser und interkultureller Erziehung sowie die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Religionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

In der interreligiösen Zusammenarbeit wirbt das Berliner Dokument für eine Haltung, die im Respekt vor den unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften zugleich Werte der Aufklärung und der Moderne anerkennen kann. Zu der Forderung nach Religionsfreiheit gesellt sich so der Aufruf, die gewachsene Anerkennung individueller Lebensstile in der Moderne zu respektieren und für die Gleichberechtigung aller Menschen „ungeachtet ihrer Religion, ihres Geschlechtes oder ihrer sexuelle Orientierung“ einzutreten. Interreligöse Zusammenarbeit wird hier unter dem anspruchsvollen Ziel angesteuert, gemeinsam Benachteiligungen von Frauen und von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen (z.B. Homophile), die in vielen religiösen Traditionen nach wie vor vorkommen, zu überwinden.

Ein weiteres Ziel besteht in der Kooperation mit politischen und wirtschaftlichen Institutionen, ohne die eine wirksame Entwicklung zu mehr Gerechtigkeit und zu einem die Grenzen der natürlich Umwelt achtenden Lebensstils nicht gewonnen werden kann.

Der Anspruch der Berliner Thesen ist hoch. Er bindet die Herausforderungen des jüdisch-christlichen Dialogs in die die Menschen aller Religionen und Weltanschauungen zunehmend bedrängenden Fragen der globalisierten Welt ein. Weniger geht nicht, denn die Autoren des Dokuments sehen sich als Juden und Christen einer besonderen Beauftragung gegenüber verpflichtet, die in dem das Berliner Dokument begleitenden Text „Die Geschichte einer Beziehung im Wandel“ ausdrücklich benannt wird:

„Wir laden Juden und Christen überall auf der Welt dazu ein, sich uns in dem Streben nach den Zielen anzuschließen, die wir uns gesetzt haben, Zielen, die uns aus unserer gemeinsamen Überzeugung erwachsen, dass Gott von uns – gerade als Juden und Christen – erwartet, dass wir die Welt für die Herrschaft Gottes, das kommende Zeitalter der Gerechtigkeit und des Friedens vorbereiten“ (5). In dieser Perspektive gewinnt die Weiterarbeit an der Versöhnung zwischen Christen und Juden eine nicht mehr aufhebbare Verpflichtung, die zugleich um die Notwendigkeit des Engagements in den vielen interreligiösen Konfliktfeldern unserer Welt weiß und erhofft, dass der lange Weg des christlich-jüdischen Dialogs dafür ein ermutigendes Beispiel sein kann.

Anmerkungen:

1. Friedhelm Pieper, Von Asymmetrie zu Komplementarität. Der Wandel im christlich-jüdischen Dialog, in: Ökumenische Rundschau 2008, 57. Jg. Heft 4, S. 413ff

2. David Rosen, Voneinander lernen – Gedanken aus jüdischer Sicht, in: Themenheft 2007 „Redet Wahrheit“, hg. v. Deutscher Koordinierungsrat der Gesellscahften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, S. 36ff 

3.  vgl. die Kontroversen um die Einführung der neuen Karfreitagsbitte für die von Papst Benedikt XVI. wieder zugelassene lateinische Messe in 2008, die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft am 21. Januar 2009 durch Papst Benedikt XVI, ohne dass diese Bischöfe - darunter der Holocaustleugner Richard Williamson - ihre Fundamentalkritik an Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils und entsprechend am christlich-jüdischen Dialog  aufgaben sowie die wiederaufkommende Diskussion um „Judenmission“ in einigen evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche in Deutschland.

4. Abraham Heschel, „No religion is an island“, dt. unter dem Titel: „Kein Religion ist ein Eiland“, in: Fritz Rothschild (Hg.), Christentum aus jüdischer Sicht, Berlin 2000 (2. Aufl.), S. 324ff

5. Zeit zur Neu-Verpflichtung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin/Berlin, 2009, S. 50
   

Friedhelm Pieper, Pfarrer, Europabeauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, war von 1998 bis 2004 Generalsekretär des Internationalen Rates der Christen und Juden. Mitwirkender an den 12 Berliner Thesen des ICCJ.

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