Alte Synagoge Erfurt
Die Rückkehr ins alte Zentrum
von Peter Michalzik

Wer länger nicht in Erfurt war, wird von der unübersehbaren Menge alter Handelshäuser überrascht sein. Ganze Straßenzüge bestehen aus Fassaden, die von purem Wohlstand künden, prächtige Hochrenaissance. Alles ist so sauber restauriert, dass die Stadt wahrscheinlich noch nie strahlender ausgesehen hat als heute. Ohne Zweifel ist Erfurt mittlerweile eine der schönsten, propersten und herausgeputztesten Städte Deutschlands. Es ratskellert an allen Ecken. Dazwischen coffeeshopt es natürlich wie überall auf der Welt.

Vollkommen versteckt hinter einer Häuserzeile, wenngleich ganz im Zentrum, befindet sich ein eigenartig schiefes Gebäude, das noch viel viel älter ist als die alte, glänzende Stadt, die man jetzt sieht. Wenn man von der hier "via regia" genannten Hauptstraße zwischen Krämerbrückencafé und Restaurant Paparazzi abbiegt, genau gegenüber von der Erfurt Tourist Information, wenn man zwischen dem Gasthaus Feuerkugel und der Karibik Bar weiter geht und dann noch einmal links abbiegt, dann kommt man zu einem gläsernen Eingang, der einen durchlässt zur Alten Synagoge.

Das Gebäude ist schief, sehr unregelmäßig und erstaunlich groß dafür, dass es über viele Jahrhunderte nicht nur aus dem Bewusstsein des Landes sondern auch der Stadt weitgehend verschwunden war. Erfurts Synagoge war vollkommen zugebaut, sie war so sehr vergessen, dass sie, was für ein Glück, sogar die Zerstörungswut der Nazis übersehen hat. Wie ein Wunder muss es sich auch angefühlt haben, als im September 1998 Bauarbeiter, das Areal war schon zur Neubebauung freigegeben, unter einer Kellertreppe das fanden, was inzwischen als Erfurter Schatz weltweite Berühmtheit erlangt, eine kleine Welttournee hinter sich hat und nun in Erfurt zu bewundern ist.

Was da aus der Erde geholt wurde, waren 700 Goldschmiedearbeiten aus dem späten 13. und frühen 14. Jahrhundert, vor allem Gürtelteile und Verschlüsse, aber auch Broschen und Ringe. Dazu umfangreiches goldverziertes Silbergeschirr, 14 Silberbarren mit Prägung, und mehr als 3000 vor allem in Frankreich geprägte Silbermünzen. Experten sind sich einig: Unter den Schätzen mittelalterlicher profaner Goldschmiedearbeit ist der Erfurter Schatz einer der bedeutendsten.

Der Schatz gehörte sehr wahrscheinlich einem jüdischen Kaufmann, möglicherweise hieß er Kalman von Wiehe, der ihn 1349, dieses Jahr ist entscheidend, aus Angst vor Verfolgung und Diebstahl und in der Hoffnung auf bessere Zeiten, die dann nicht kamen, unter der Treppe vergraben hatte. Unter anderem legt das der jüdische Hochzeitsring nahe. Der etwa fünf Zentimeter hohe Goldring ist das Prunkstück der Sammlung. Er wurde nur zu Hochzeiten getragen, ein Symbol der Treue. Auf zwei geflügelten Drachen ruht ein unglaublich fein gearbeitetes, gotisches, spitzbogiges Mini-Gebäude. Eine Goldkugel, die sich darin befindet, macht bei Bewegungen des Rings glockenartige Geräusche.

Der Ring

Jetzt ist der Ring das wichtigste Exponat in dem neuen Museum, das in der Alten Synagoge eingerichtet wurde und das nun den Besuchern offen steht. Neben dem echten Ring in einer Glasvitrine sehen wir im neuen Museum ein Wachsfigurenpaar wie bei Madame Tussaud in London, er steckt ihr gerade den Ring an. Beide sind auch sonst reich geschmückt und aufwendig gewandet. Das Hochzeitspaar, das im Keller der Alten Synagoge steht, ist so proper strahlend wie sonst nur die Erfurter Altstadt. Die Nasen sind deutlich krumm.

Schatz, Haus und Wachsfiguren erzählen davon, dass es in Erfurt einmal ein reiches jüdisches Leben gegeben haben muss. Man wusste von Köln und Mainz, vielleicht von Leipzig. Aber Erfurt? 900 Mitglieder soll die jüdische Gemeinde der Stadt damals gehabt haben. Am Ende des 11. Jahrhunderts, als Erfurts Synagoge gebaut wurde, gab es in Deutschland etwa 25000 Juden. Es gab berühmte Rabbiner in Erfurt, Alexander Süßlin Hakohen, der die Glossen "Aguda" zum Talmud verfasste, oder Jakob ben Juda Weil. In der Ausstellung erfährt man davon nichts.

Der Sturm gegen die Juden vom März 1349 tobte nicht nur in Erfurt. Um die 300 jüdische Gemeinden sind damals in Deutschland ausgelöscht worden. Es war die Zeit, als die Pest wütete, als man in den Juden die Brunnenvergifter ausmachte und ihnen unter Folter Geständnisse abpresste. Auch die Erfurter Gemeinde mit ihren 900 Mitgliedern wurde vollkommen ausgelöscht. Hundert Juden sollen dem christlich aufgepeitschten Mob zum Opfer gefallen sein, bevor sich der Rest in seinen Häusern einschloss und die ansteckte. Der Ruß ist noch heute an der Synagoge zu sehen. In der Ausstellung kann man auch darüber kaum etwas lesen. Etwas ausführlicher hätte das Leben dieser Bewohner im Museum schon dokumentiert sein können.

Die Stadt verkaufte bald nach der Ermordung oder Vertreibung der Juden das leerstehende Gebäude, es wurde zu einem Lager umfunktioniert. Sowohl der Erfurter Schatz als auch die Alte Synagoge sind seitdem vergessen. Seit 660 Jahren führen sie ein verstecktes Dasein. Und gerade diesem Umstand, merkwürdige Ironie der Geschichte, verdanken sie ihr Überleben. Der Bauforscher Elmar Altwasser und der Denkmalpfleger Gerhard Schade, beide bei der Restauration der Synagoge befasst, weisen darauf in einer Publikation hin.

Was nun in Erfurt zu sehen ist, Schatz wie Gebäude, ist tatsächlich aller Aufmerksamkeit wert. Es ist nicht nur der prunkvolle und gleichzeitig grazile Hochzeitsring, es ist nicht nur die schiere Menge der Münzen, die beeindrucken. Das vollständige Set sogenannter Häufelbecher, im Mittelalter vielfach verwendet, aber selten erhalten, ist erstaunlich: Acht Trinkbecher, die genau ineinanderpassen. Auch die Ringe und Broschen waren Gegenstände zum privaten Gebrauch, dafür sind sie ungemein aufwendig gearbeitet und kostbar. Ineinandergeschlungene Hände findet man auffallend oft, Zeichen der Liebe wie auch der Hochzeitsring. Erstaunlich diesseitig wirkt das jüdische Leben, das man sich hier ausmalen kann, so gar nicht mittelalterlich.

Im ersten Stock befinden sich eine hervorragend erhaltene Thorarolle und eine noch größere hebräische Bibelhandschrift, angeblich die größte mittelalterliche der Welt, beide gehören der Staatsbibliothek Berlin, sind aber jetzt als Leihgabe zurückgekehrt. Zeitweilig durch ein Duplikat ersetzt, wird der älteste Judeneid deutscher Sprache, ein sehr schön in gotischen Buchstaben beschriebenes Pergament mit einem gewaltigen Wachssiegel. Dieser Judeneid ist das erste Zeugnis jüdischen Lebens in Erfurt.

Die merkwürdig geknickte, mit spitzgiebeligen Fenstern unregelmäßig ornamentierte gotische Synagoge wurde seit 1992 näher und dann sehr akribisch untersucht. Man stieß dabei auf eine längere Vorgeschichte des heute sichtbaren Gebäudes. Baubeginn war wohl kurz vor 1100, erhalten ist von dieser ältesten Synagoge nur eine 90 Zentimeter hohe Mauer. Auch von der zweiten Bauphase, 50 Jahre später, ist heute kaum noch etwas zu sehen. Dagegen kann man in dem Gebäude heute noch den symmetrischen Bau mit Spitzbogenfenstern und einer Fensterrose ausmachen, der von etwa 1270 stammt. Erweitert wurde er dann 1310 an der Nordwand, hier befindet sich auch der charakteristische Knick.

Die verwaiste Synagoge

Unmittelbar nachdem die verwaiste Synagoge 1349 von der Stadt verkauft worden war, unterkellerte sie der neue Besitzer. Dort ist heute der Schatz ausgestellt. Ins erste Obergeschoss bauten Bürger im 19. Jahrhundert einen Ballsaal mit Empore. Auch er wurde, wie andere Veränderungen durch die Jahrhunderte auch, restauriert. Man sieht in Erfurt die Geschichte eines Gebäudes und hat nicht versucht, einen ursprünglichen (welchen auch immer) Zustand der Synagoge wiederherzustellen. Einerseits zeigt dieser Ballsaal, wie sehr die ursprüngliche Bedeutung des Gebäudes vergessen war, andererseits berührt es eigenartig, dass diese Szenerie jetzt genauso konserviert worden ist wie die Thorarolle, der Judeneid und die Bibel.

Erfurt ist stolz auf sein neues Juwel, aus der Hand geben will es die Stadt unter keinen Umständen: Bürgermeister Andreas Bausewein hält nichts von einer Stiftung, an der auch das Land Thüringen beteiligt wäre, auch wenn von dort Geld käme. Man redet in Erfurt schon laut vom Weltkulturerbe. Hinter vorgehaltener Hand wird dagegen darüber gesprochen, dass Ines Beese, die ohne Ausschreibung Leiterin des Museums wurde, die Frau des Vorsitzenden der Kunstkommission der Stadt, Wolfgang Beese, ist. Und dass sie vielleicht nicht alle Qualifikationen mitbringt, die es für die Aufgabe braucht.

Das Erfurter Museum legt viel Wert auf Prunk, Pracht und Superlativ. Die Informationen in der Ausstellung sind dagegen spärlich. Man bekommt sie fast ausschließlich über die iPod-Führer, aber die führen, wie alle Audioguides, dazu, dass einer Stimme folgende Besucher andere, die stehen und schauen wollen, rüde beiseiteschieben. Die Bürgermeisterin von Erfurts Partnerstadt Haifa, Hedva Almog, sagte bei der Eröffnung, dass Erfurt den jüdischen Bewohnern von einst nun ihre Ehre zurückgebe. Das ist sicher richtig. Trotzdem bewegt man sich nahe an einem gefährlichen Grat. Etwas detaillierter würde man sich über das ausgelöschte jüdische Leben schon informieren wollen.

Frankfurter Rundschau, 30.10.2009

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