Gedenkstätte in Darmstadt
Schreiende Steine
von Frank Schuster

Dunkel ist es. Schummriges Licht scheint von unten. Dort illuminiert es, um was es im Innern des Gedenkortes geht. Zu sehen sind die Grundmauern der in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 niedergebrannten Darmstädter Liberalen Synagoge. Sechs Jahre nachdem Bagger bei Ausgrabungsarbeiten am Städtischen Klinikum auf die Mauerreste gestoßen waren wird die Gedenkstätte am heutigen Montag, 15 Uhr, auf den Tag genau 71 Jahre nach Zerstörung des Gotteshauses, eröffnet.

"Der Stein wird aus der Mauer schreien." Dieser Spruch des Propheten Habakuk steht auf einer der in den Boden eingelassenen Intarsien. Eine andere zitiert einen Satz der Lyrikerin Rose Ausländer: "Mein Schlüssel hat das Haus verloren." Die Intarsien sind Teil eines didaktischen Erinnerungsparcours, den die Darmstädter Künstler Ritula Fränkel und Nicholas Morris gestaltet haben. Von einem "Gedächtnisspeicher" am "authentischen Ort" spricht Fränkel.

Der Parcours erklärt sich selbst. Jeder Besucher kann sich an den Info-Portalen über die Geschichte der 1876 gebauten Synagoge und die der Darmstädter Juden seit 1529 informieren. An Computerbildschirmen ist etwas über das Leben bedeutender jüdischer Persönlichkeiten in der Stadt zu erfahren, etwa über die ehemalige Staatstheater-Schauspielerin und den späteren Filmstar Lilli Palmer. Gelauscht werden kann den Erzählungen dreier jüdischer Zeitzeugen, die als Kinder in Darmstadt lebten und wegen der Verfolgung durch die Nazis in die USA und nach England immigrierten.

An die Wand projizierte Bilder zeigen anhand historischer Fotos und Zeitungsausschnitte, welch schmuckes Bauwerk die Liberale Synagoge einmal war und wie sich das Bild von den Juden in der deutschen Öffentlichkeit zwischen 1876 und 1938 wandelte. In einem stockfinsteren Seitengang stößt der Besucher auf den emotional wohl berührendsten Teil des Parcours. In einer Glasvitrine liegen unkommentiert Gegenstände, die Mitglieder der jüdischen Gemeinde seit dem Baustopp auf dem Klinikgelände im Herbst 2003 teils mit bloßen Händen aus dem Schutt gruben: ein verkohlter Dachbalken, geschmolzenes Glas, gebrochene Bodenfließen, Bruchstücke von Säulen.

"Durch die Erinnerung an das Vergangene wird eine Brücke in die Zukunft geschlagen", sagte Darmstadts Oberbürgermeister Walter Hoffmann (SPD) vor der Eröffnung. Er bezeichnet die Kritik an der langen Bauzeit als berechtigt. Ursprünglich sollte die Gedenkstätte 2008 eröffnen - 70 Jahre nach der Pogromnacht und parallel zum Jubiläum der Neuen Synagoge. Doch Verzögerungen am Klinikneubau, in den der Erinnerungsort integriert ist, hätten dies nicht möglich gemacht.

Moritz Neumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Darmstadt, erinnerte an einige "unerfreuliche Randerscheinungen und öffentlichen Äußerungen", die es gegeben habe, nachdem Hoffmanns Amtsvorgänger Peter Benz (SPD) einen schnellen Baustopp auf dem Klinikgelände erwirkt und einen Runden Tisch einberufen hatte. Er sprach, ohne Namen zu nennen, "von hässlichen Briefen, die damals der OB erhalten hat, darunter auch von Personen, deren Namen in Darmstadt geläufig sind". In den vergangenen sechs Jahren habe er festgestellt: "Es ist ein dauerhafter Kampf, damit die Wahrheit weiter verbreitet werden kann."

Die Kosten für den Bau der Gedenkstätte betrugen zwei Millionen Euro. An Spenden gingen 600.00 Euro ein, unter anderem von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Die Gedenkstätte ist über den Klinik-Eingang Bleichstraße zu erreichen. Besichtigungen: samstags und sonntags von 11.30 bis 16 Uhr. Führungen, auch für Schulklassen, nach Vereinbarung. Anmeldungen über Telefon 06151/ 134514, oder E-Mail: tourist@darmstadt.de. Von Dienstag bis Freitag dieser Woche ist die Gedenkstätte zudem von 13.30 Uhr bis 18 Uhr geöffnet.

Frankfurter Rundschau, 9.11.2009

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