Mit Solarstrom in die Neuzeit
Revolution im Westjordanland
von Inge Günther

Susya. Es ist einer der seltenen Tage im Süden der Westbank, an denen sich die Sonne öfter hinter dicke Wolken verzieht. Dafür bläst kräftiger Wind über die kargen Hügel. Abu Dschihad, ein alter Fellachin - ein palästinensischer Bauer - mit zerfurchtem Gesicht, ist es so oder so Recht. Mag das Solarpanel vor seiner Hütte heute weniger Energie speichern. Umso mehr liefert das Windrad, das surrt wie ein Bienenschwarm.

Mit ein paar anderen Männern aus Susya hockt der Alte im Gemeinschaftszelt, um den Gästen aus Israel Tee zu servieren. Noam Dotan (54) ist mit Besuchern gekommen, um diesen eine Revolution im Kleinen vorzuführen.

Ein israelisch-palästinensisches Graswurzelprojekt, initiiert von der Organisation Comet-ME (Comunity Energy Technologies Middle East), das das Leben aller umgekrempelt hat. Wie sehr, hat Dotan, der Physiker, gesagt, müsse man vor Ort gesehen haben.

Susya, das ist ein Dorf wie im Mittelalter, in dem 30 Familien in Steinhöhlen oder Zelten hausen, neben ihnen die Ziegen- und Schafherden. Sie kennen die moderne Zivilisation, aber die hat sie zurückgelassen. Die Hochspannungsleitungen, die israelische Siedlungen und Militärcamps ringsum versorgen, laufen über sie hinweg. Für die Leute in Susya gab es bis vor kurzem keinen Strom aus der Steckdose.

Abgeschnitten vom Weideland

Hier ist C-Gebiet, in dem die palästinensischen Autonomieregierung nichts zu sagen hat, Israels Militärverwaltung aber umso mehr. In C-Gebieten, 60 Prozent des Westjordanlandes, haben die Interessen jüdischer Siedler Vorrang. Zu ihrem Schutz ist um die bebaute Siedlungsfläche ein mehrere Kilometer breiter Sicherheitsgürtel gezogen, der "Schabam". Pech für die Palästinenser aus Susya, das ihre alten Weideflächen für sie heute unerreichbar genau dort liegen, im "Schabam".

Keine Frage, die Siedler möchten, dass das arabische Susya verschwindet. Doch das hält stand, trotz Entbehrung und Übergriffen von Armee und militanten Siedlern. Zu Hilfe kamen ihm dabei Anhänger der linken israelischen Organisation Taayush (Zusammenleben). Zu denen gehören auch Noam Dotan und Elad Orian. Sie beide wollten mehr tun, als nur solidarisch sein. "Ich glaube nicht an große Worte wie Frieden", sagt Dotan. "Um wirklich etwas zu ändern, muss man klein anfangen." So kamen sie auf die Idee mit den Solarzellen.

Bis dahin hatten sich die Fellachin in Susya nachts mit Kerosinlampen beholfen. Um Handys aufzuladen, mussten sei nach Yatta, eine knappe Autostunde entfernt. Das ist vorbei. Wind und Sonne liefern ihnen nun die Energie für Licht in der Hütte, Fernsehen und Computer. Jeder in Susya preist die Innovation. "Eine hundert Prozent gute Sache", sagt Abu Dschihad. Die Kinder könnten noch nach Einbruch der Dunkelheit Schulaufgaben machen. Und auch die Frauen seien alle glücklich, lacht der Alte. "Im Ramadan haben wir hier zusammen jeden Abend Fernsehserien geguckt."

Der Fortschritt geht weiter. Seit dem Frühjahr besitzt Susya eine leistungsstarke Windturbine, die genug Strom produziert, um die Ziegenmilch in der Rührmaschine zu Butter zu schlagen und den Käse in Kühlschränken für den Verkauf zu lagern. Eine Woche lang haben Dotan und seine Freunde mit den Männern aus Susya die Turbine aufgebaut. Selbermachen statt fertig kaufen, die Leute befähigen, statt ihnen nur etwas hinzustellen, das, so Dotan, "ist Teil unserer Philosophie".

Auch Berlin hilft

Die Herangehensweise hat den Initiatoren eine Menge Anerkennung beschert. Das Auswärtige Amt zahlte 8000 Euro Starthilfe aus dem von Frank-Walter Steinmeier aufgelegten Programm "Zukunft für Palästina". Auch die Schweizer Kampagne zur Vermarktung palästinensischen Olivenöls gehört zu den Förderern. Zudem wurde Comet-ME in die Endausscheidung eines globalen Wettbewerbs für Graswurzelinitiativen - BBC Word Challenge - gewählt.

Bis 13. November kann auf der BBC-Website abgestimmt werden. Das Preisgeld wäre nicht schlecht angelegt. Im Süden Hebrons, dem Armenhaus der Westbank, leben 500 palästinensische Familien ohne fließend Wasser und Strom. Eine Solareinheit kostet mindestens 4000 US-Dollar.

Das Musterbeispiel an israelisch-palästinensischer Kooperation hat freilich mehr als schnöde Energie erzeugt. Woran es im Friedensprozess mangelt, ist hier nebenbei entstanden: Vertrauen. Zu Beginn, gesteht Schinaran, "haben wir gedacht, Noam und die anderen sind Siedler und wollen sich bei uns einschleichen." Aber dann habe er sich gesagt: "Nicht jeder Finger an der Hand ist gleich. Es gibt gute und schlechte Menschen unter Israelis wie Palästinensern."

Frankfurter Rundschau, 30.10.2009

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