Mauergeflüster
Junge Frauen aus Israel und Palästina machen «Ferien vom Krieg» und schicken ihre Vorurteile baden
von Theresa Polley

Der Busfahrer setzt zu einer Durchsage an: «Bitte alle anschnallen!» Ein Raunen geht durch den Bus, das sich bald in Gelächter auflöst. «Das ist eine Kontrollstelle, haltet eure Papiere bereit!», kichert eine junge Palästinenserin. Die israelischen Jugendlichen schauen sich verwundert um. Was hier scherzhaft nachgeahmt wird, ist sonst bitterer Ernst.

Für zwei Wochen begegneten sich palästinensische und israelische Frauen in Deutschland in einem Frauenseminar um die heikle Situation in Nahost aus frauenspezifischer Perspektive zu diskutieren.

Seit 1994 bietet das Komitee für Grundrechte und Demokratie Kindern und jungen Erwachsenen aus Kriegsgebieten die Möglichkeit, so etwas wie «Ferien vom Krieg» zu machen. Infolge des Balkankrieges gründeten Helga Dieter und ihre Schwester Wilfriede vor 14 Jahren die gleichnamige Aktion.

Die Idee ist einfach: Kinder und Jugendliche der jeweiligen Feindesfront begegnen sich, fernab der zerrissenen Verhältnisse ihrer Heimat in gemeinsamen Freizeiten. Sie lernen sich bei Workshops, Dialogseminaren, Spielen und Ausflügen kennen.

«Ferien vom Krieg» zu machen, das heißt, den Jugendlichen ein Freizeitprojekt zu gestalten, indem sie ihren angeblichen Feinde gegenüberstehen und feststellen können, dass sich hinter deren Fassade ein ganz normaler Mensch verbirgt, mit dem man gerne Fußball spielt oder dem die gleiche Musik gefällt.

Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig. Trotz vieler bürokratischer Hindernisse und der Kritik von Diplomaten und Friedensaktivisten, die das Experiment als «zu gefährlich» einschätzten, ließen sich die Organisatorinnen nicht von ihrer Idee abbringen. Das Projekt lässt sich durch private Spenden und ehrenamtliche Arbeit finanzieren.

Seit acht Jahren können auch Jugendliche aus Israel und Palästina diese Gelegenheit nutzen. Ohne Mauer und der vorherrschenden Propaganda von einem verinnerlichten Feindbild begegnen sie einander auf gleicher Augenhöhe und unter gleichen Bedingungen für ihren Aufenthalt. Aller anfänglichen Skepsis der Kritiker zum Trotz, die eine Rekrutierung von Teilnehmern für schwierig hielten, hat sich die Aktion zum größten «Versöhnungsprojekt» des Nahen Ostens entwickelt. Über 1.200 junge Israelis und Palästinenser stellten sich bis jetzt der Herausforderung mutig und neugierig.

Soldatin sieht Attentäterin - und umgekehrt

In diesem Sommer trafen sich unter den insgesamt 185 jungen Leuten aus Israel und der Westbank beinahe 40 Frauen zu einem Frauenseminar. Sie wollten auf neutralem Boden zueinander finden und bewusst ohne männliche Präsenz miteinander in Dialog treten. Diejenigen, die Politik machen, sind in der Regel Männer. Der Wunsch nach einem Frauenseminar kam daher von beiden Seiten. Die besondere Atmosphäre von Offenheit und Ehrlichkeit ermöglicht, dass auf einige Dinge gründlicher eingegangen werden kann. Viele gewagte Themen wie Beziehungen, Familie, Ehe und Sexualität würden sich in einem geschlechtergemischten Seminar nicht diskutieren lassen.

Die ersten Tage der Begegnung sind schwierig, die Teilnehmer stehen sich zum ersten Mal gegenüber. Sie haben Vorurteile, sehen ihre Feindbilder in Person, die Soldatin eine Selbstmordattentäterin. Sie sind mit ihrer Wut konfrontiert und verschließen sich. Andere legen erste Stereotype ab. So wundern sich manche israelische Frauen darüber, dass die Palästinenserinnen Englisch sprechen. Andersherum werden kleine Gemeinsamkeiten festgestellt.

Im Mittelpunkt des Dialoges steht der Konflikt, wobei nicht gleich auf die Politik eingegangen wird, sondern auf den Drang der Frauen, zu erzählen. In Gesprächsrunden berichten sie über ihr Leben und ihre Erfahrungen mit dem Konflikt. Die intimen Berichte der Frauen sind schmerzhaft. Es werden Demütigungen und sexuelle Übergriffe an Kontrollpunkten gegenüber Palästinenserinnen geschildert, über den Verlust von Familienangehörigen bei Terroranschlägen gesprochen und den Emotionen freien Lauf gelassen. Oft müssen die Sitzungen kurzzeitig abgebrochen werden.

Für die Betreuerinnen stellt dieser Teil des Austausches einen wichtigen Schritt zur Entwicklung eines Verständnis füreinander und der Wahrnehmung der eigenen Gesellschaft von einem anderen Standpunkt aus dar. Die Israelinnen sind schockiert über die Zustände in den besetzten Gebieten, erkennen, wie frei sie selbst sich im Vergleich bewegen können. Die Palästinenserinnen sind berührt, dass ihnen zugehört wird. Sie dachten, dass die israelischen Frauen kein Interesse an ihren Geschichten hätten.

Die Mauer - nicht nur in den Köpfen

Die Mauer, eine 759 km lange Absperrung, die das israelische Kernland vom Westjordanland trennt, wird auch während der Projekte unbewusst immer wieder zum Thema. Bei einer Präsentation kommt eine Palästinenserin etwas zu spät. Verwundert stellt sie fest, dass die Palästinenserinnen auf der einen Seite, die Jüdinnen auf der anderen Seite sitzen. Sie fragt, ob es eine bestimmte Sitzordnung gäbe. Die Frauen versichern, dass die zwei Fronten ganz zufällig entstanden seien. Eine Jüdin zeigt auf die in der Mitte ausgebreiteten Präsentationszettel und sagt: «das ist die Mauer, die uns voneinander trennt» - und kriegt die prompte Antwort der Zugestossenen: «Dann setze ich mich zu euch. Auf eurer Seite darf ich an den Strand fahren.»

Die Frauen beginnen die Mauer als Hindernis ihrer Kommunikation zu verstehen und erzählen von der Idee eines Checkpoint-Peace-Coffeshops. Dabei wollen sie jeweils einen halben Tisch direkt auf die Grenzlinie bringen. Nur so könnten sie sich wiedertreffen.

Für die Koordinatorinnen ist es wichtig, dass eine Seite Verständnis für die Situation des Anderen findet. Oft sei es für ein freundschaftliches Verhältnis zu früh. Viel wichtiger wäre die Sensibilisierung füreinander, die zu neuen Denkanstößen führe. Vieles habe sich unterbewusst verändert, die Verarbeitung der Eindrücke finde oft erst lange danach statt. Eine israelische Teilnehmerin berichtet mir abschließend, dass sie in dem Frauenseminar erlebt habe, dass es möglich sei, miteinander zu leben und zu kooperieren. Ein Erlebnis, dass sie nie vergessen werde.

Künftige Projekte werden sich erneut aus Spenden finanzieren müssen. Informationen und Kontakte finden sich auf der Website http://www.ferien-vom-krieg.de

Jüdische Zeitung, August 2009

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