Elia am Berg Horeb
Eine Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias – 1. Könige 19,9-16
von Michael Volkmann

Die nachstehende Predigt wurde bei der KLAK-Jahrestagung 24.01.2010 in Berlin-Schwanenwerder gehalten. Sie folgt dem neuen, von der KLAK erarbeiteten Entwurf für eine Ordnung der Predigttexte in der Evangelischen Kirche. Für die Erstellung hilfreich waren ein Fortbildungskurs mit Shlomo Mayer, Jerusalem, „Der Prophet Elia: vom Eiferer zum Friedensboten“ im Frühjahr 2009 im Kloster Denkendorf, eine Predigtmeditation von Ernst Michael Dörrfuß zu 1. Könige 19,1-8(9-13a) in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext zur Perikopenreihe VI, hg. v. Studium in Israel e. V., 2007, S. 115-120, und „Thabor. Aufsätze zu den Haftarot“ von Rabbiner Josef Nobel, Zürich 1984.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schwestern und Brüder!

Die Herrlichkeit, die als Thema dieses letzten Sonntags nach Epiphanias über uns aufgeht, ist die Herrlichkeit des Herrn. Weder in unserer Perikope noch in unserer Wirklichkeit noch in diesem Gottesdienst geht dieser Glanz von uns Menschen aus. Wir sind vielmehr die, auf die er fällt. Die sich beglänzen lassen, willig sich entfalten wie die zarten Blumen in der bekannten Liedstrophe von Gerhard Tersteegen.

Die Umstände freilich, unter denen Elia der Herrlichkeit Gottes begegnet, lassen solche Assoziationen kaum zu. Elia steht unter massivem Druck. Er wirkt verbittert und resigniert. Er hat nicht nur ein burnout-Syndrom, nein, während er um sein Leben läuft, sehnt er sich nach dem Tod. Das sind extremste Widersprüche. Elia ist ohnehin kein Mann der Zwischentöne, sondern der Extreme, des kompromisslosen Entweder – oder. Er streitet jeden Streit, in den Gott ihn schickt, bis zum bitteren Sieg. Ein Eiferer wie Pinchas, dessen Parascha aus dem 4. Buch Mose unser Text aus diesem Grund als Haftara zugeordnet ist.

Einen solchen Sieg hat er auch am Karmel errungen. Unglaublich: er als einzelner Prophet Gottes triumphiert über vierhundertfünfzig Baalspriester. Quasi im Alleingang tilgt er den Baalskult aus Israel aus. Doch es ist nur ein Etappensieg. Die Priester haben eine starke Beschützerin, die Königin. Jetzt entbrennt ihr Hass gegen Elia. Sie möchte sich an dem Propheten rächen. Da läuft Elia um sein Leben.

Elia lebt mehr im Untergrund und auf der Flucht als dass er ein normales Leben hätte. Am Bach Krith, bei der Witwe von Zarpath und auch jetzt ist er jeweils auf der Suche nach einer Zuflucht vor den Häschern des Königs. Aber diese Flucht stellt alles, was zuvor geschah, in den Schatten. Elia flieht über die Landesgrenze nach Juda, und bis Beerschewa an der Südgrenze Judas. Dort lässt er seinen Diener zurück. Hält der nicht mehr durch? Will Elia ihm den Marsch in die Wüste ersparen? Oder denkt er jetzt schon an die Flucht in den Tod, bei der er allein sein will, an der ihn niemand hindern soll? Eine Flucht, die an Jonas Flucht vor Gottes Auftrag erinnert, westwärts ans Meer, auf ein Schiff ans westlichste Ende der Welt, in den Schiffsbauch, in den Schlaf, in den Tod durch Ertrinken.

Auch Elias Fluchtweg durchläuft solche Stationen. Elia hat genug! Jetzt flieht er in die Wüste, unter einen Wacholderstrauch, in den Schlaf. Doch eine Tagesreise weit ist noch nicht genug zum Sterben. Jemand rührt ihn an, da sieht er ein Stück geröstetes Brot und einen Krug Wasser stehen und stärkt sich und schläft ein. Wieder wird er geweckt und vernimmt einen Befehl, dem er nicht widerspricht und sich nicht widersetzt: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.

Eine vierzigtägige Wüstenwanderung schließt sich an. Elia verfolgt die Wanderung der Kinder Israel im Zeitraffer zurück bis an den Gottesberg. Jetzt gleicht er Mose. Er gleicht ihm so sehr, dass man an die dreißig Vergleichspunkte finden kann, ich habe die Probe aufs Exempel einmal zusammen mit einem jüdischen Lehrer gemacht. Er kommt dort zu „der“ Höhle. Die Ausleger sind sich uneins, ob es die Felsspalte ist, in die Gott Mose gestellt hatte, als er an ihm vorüberzog. Elia bleibt über Nacht in der Höhle, sein äußerster Fluchtpunkt, wie lebendig begraben. Hier, umgeben von Erde, könnte er doch einfach nicht mehr aufwachen, wieder zu Erde werden.

Doch so weit kommt es nicht. Gott richtet das Wort an ihn, fragend, konfrontierend, wie er einst Adam und Kain gefragt hatte: Was machst du hier, Elia? Da antwortet Elia aus der Höhle: „Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.“ Worte voll Bitterkeit, nicht über die hasserfüllte Königin, sondern über das ganze Volk.  Mose – um hier einen Unterschied zwischen beiden zu benennen – fand auch in den trübsten Zeiten Worte der Verteidigung und Fürbitte für sein Volk. Elia klagt es nur noch an.

Da ruft ihn die Stimme nach draußen, vor Gott. Elia soll zuteil werden, was nur Mose beschieden war: Gott zu begegnen. Naturgewalten umtosen Elia, Sturmwind, Erdbeben, Feuer, doch jedes Mal heißt es: Gott war nicht darin. Es sind lediglich die Vorboten der Gotteserscheinung. Doch sie bringen den Tag gewaltig in Erinnerung, an dem Gott Israel an diesem Ort die Tora gegeben hatte. Dann wird es still. Erst jetzt tritt Elia in den Eingang der Höhle, sein Gesicht verhüllt er mit seinem Prophetenmantel. Gott erscheint ihm akustisch als ein kaum wahrnehmbarer Klang, eine verwehende Stimme, ein stilles sanftes Sausen. Und dann wiederholt Gott seine Frage: Was machst du hier, Elia?

Elia gibt genau dieselbe Antwort wie beim ersten Mal. Was Elia nun antwortet, nennt der frühere Halberstädter Rabbiner Josef Nobel einen „Rapport, den ein pflichttreuer Soldat seinem obersten Kriegsherrn erstattet… Elijahu betrachtet sich als einen einfachen Gotteskrieger, als einen allein gebliebenen, vergessenen Wachtposten, und er meldet sich zur Ablösung.“

Merkwürdig. Zwischen seinen beiden identischen Antworten ist Elia Gott begegnet, eine Gnade, die außer ihm nur Mose geschenkt wurde. Und er zeigt sich völlig unbeeindruckt. Ist er so abgestumpft, dass er nur mechanisch einen vierzig Tage lang in sich bewegten Text wiederholt?

Lassen wir noch einmal Josef Nobel über Elia sprechen: „Er ist Krieger der G’tteswahrheit und will nichts anderes sein“, schreibt er. „Und ob ihm auch Haschem am Berge Choreb die lehrreiche, besänftigende Mitteilung macht, dass es nicht durch strenge, sondern durch milde Beurteilung Israels möglich geworden, diesem das Chorebgesetz zu übergeben, Elijahu bleibt bei seinem ‚kano kineti‘ und fordert einen freien heiligen Boden für dies Gesetz …“

Elia steht am Höhleneingang, in seinen Mantel gehüllt, und hält an seinem Eifer fest, an dem er fast zugrunde geht. Und Gott zieht an ihm vorüber in einem kaum hörbaren Ton, in einer irritierenden Sanftheit, als wollte er sagen: Lass ab vom Eifern, Elia, lass dir an meiner Milde genügen. Ich möchte den Kontrast, den Gott in seine Begegnung mit dem eifernden, verbitterten Elia legt, nicht gegen Elia auslegen. Nicht als Ironie und nicht als Kritik. Sondern als Trost. Als Entlastung. Und zusammen mit Gottes nun folgenden Worten auch als eine Entbindung vom prophetischen Auftrag.

Geh wieder deines Weges, sagt Gott zu Elia. „Deines (!) Weges“. Drei schöne Aufträge eröffnen Elia den Weg in den Rückzug, in den Ruhestand. Er soll Menschen salben. Zwei Könige, die an seiner Stelle weiter kämpfen, und einen pflügenden Bauernsohn zu seinem Nachfolger als Prophet. Elia darf aus seinem Mantel schlüpfen wie aus einer zweiten Haut und ihn einem anderen umhängen. Er ist befreit von dem Zwang, das begonnene Werk selbst zu Ende zu führen. Ein einzelner wäre damit überfordert. Andere stehen bereit.

Noch beklagenswerter als Elias bittere Rede gegen Israel empfinde ich die drei Worte: „ich bin allein“ – wa’iwater ani lewadi. Sein Eifer für die Tora hat Elia einsam werden lassen. Vielleicht ist dies nur ein subjektives Gefühl, dem eine andere Realität gegenübersteht: die hundert Propheten, die Obadja versteckt hat, und die siebentausend in Israel, die Gott übriglassen will. Aber für Elia zählt, was er wahrnimmt und wie er es wahrnimmt.

Doch er bleibt nicht allein, und er endet nicht in Einsamkeit. Gott nimmt ihn zu sich wie einst Henoch. Diese Entrückung beflügelte die Nachgeborenen, so dass in Judentum und Christentum neue Elia-Traditionen gebildet wurden. Erstaunlich sind die vielen literarischen Beziehungen Elias, zu Pinchas, zu Mose, zu Jona, dazu seine breite Rezeption im Neuen Testament und in der Kirchengeschichte. Zu den Lesungen des heutigen Tages gehört die Geschichte von der Verklärung Jesu, als ihm Mose und Elia zur Seite treten.

Im Judentum wurde der Eiferer zum Friedensboten. „Er soll das Herz der Väter bekehren zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern, auf dass ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage“, heißt es bei Maleachi. Der christliche Kanon macht aus dieser Verheißung den Schlusssatz des Alten Testaments.

Heute ist Elia überall da, wo man ihn braucht. Am Festtagstisch ist ein Platz für ihn reserviert. Bei der Beschneidungszeremonie steht ein Stuhl für ihn bereit. Und wenn er kommt, so weiß man, dass auch der Messias nicht mehr weit sein kann. So hat das stille, sanfte Sausen sich durchgesetzt und Bitternis in Trost, Einsamkeit in Freundschaft, Angst in Hoffnung verwandelt. Amen.

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