Paul Celan 1920 bis 1970
90. Geburtstag – 40. Todestag im Jahr 2010
von Ulrich Schwemer

In diesem Jahr wäre Paul Celan 90 Jahre alt geworden. Er wurde in Czernowitz am 23. November 1920 als Paul Antschel in einer deutschsprachigen jüdischen Familie geboren. Doch Paul Celan wurde nur knapp 50 Jahre alt. Ende April 1970, also vor 40 Jahren, nahm sich Paul Celan in Paris mit einem Sprung in die Seine das Leben. Sein Leichnam wurde erst Tage nach seinem Verschwinden gefunden. Und wenn sicher auch viele verschiedene Gründe für seinen Freitod genannt werden können wie seelische Erkrankung, tiefe Verletzung durch die sog. Goll-Affäre, gehört Celan wohl in die Reihe der Holocaustüberlebenden, die das Überleben nicht überlebt haben wie Jean Amery, Primo Levi, Stefan Zweig oder auch der Staatsanwalt des Auschwitzprozesses Fritz Bauer.

Denn Celan ist Holocaustüberlebender, der Zeit seines Lebens darunter gelitten hat, dass seine Eltern ins KZ deportiert und umgebracht wurden, ohne dass er sich hat von ihnen verabschieden können. In der Nacht ihrer Deportation schlief er nicht zu Hause und fand am nächsten Tag die leere Wohnung vor. Um selber der Deportation zu entgehen, meldete er sich zur Zwangsarbeit in rumänischen Zwangsarbeiterlagern, wo er im Straßenbau eingesetzt wurde. Nach der Befreiung von Czernowitz kehrte er im Herbst 1944 dorthin zurück. 1947 kam er über Ungarn nach Wien, wo er Ingeborg Bachmann begegnete und zog 1948 nach Paris.

Zeit seines Lebens hat ihn das Schicksal seiner Eltern nicht losgelassen. Es hat ihn beunruhigt und ließ ihn wohl auch schließlich seelisch erkranken.

Schon früh hat Celan begonnen Gedichte zu schreiben, die nach dem Krieg allmählich der Öffentlichkeit bekannt wurden und die die besondere sprachliche Begabung Celans deutlich machten. Diese Gedichte schrieb Celan auf deutsch, da Czernowitz aus der Zeit der österreichisch-ungarischen kuk Monarchie weitgehend eine deutschsprachige Stadt war.

In die Zeit der ersten öffentlichen Wahrnehmung seiner Gedichte nach der Befreiung fällt auch die Veränderung des Namens, aus Antschel war in der rumänischen Zeit Ancel geworden. Aus der Umkehrung der beiden Silben entstand der Name Celan.

Ein Gedicht vor allem ist es, das Paul Celan in Deutschland bis heute weiten Kreisen bekannt gemacht hat: Die Todesfuge. Dieses Gedicht kann als Celans grundlegende Auseinandersetzung mit dem Holocaust verstanden werden, als eine Art Vermächtnis weshalb er dieses Gedicht z.B. nie etwa für eine Vertonung freigegeben hat:

Todesfuge

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar   Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen


Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

 

Tragisch ist, dass ausgerechnet dieses Gedicht von Claire Goll, Witwe des verstorbenen Dichters Ivan Goll, mit dem Celan bis zu seinem Tod befreundet war, von ihr als angebliches Plagiat eines Gedichtes ihres Mannes bezeichnet wurde. Längst ist es erwiesen, dass dieser Vorwurf gänzlich unberechtigt war und auf einer Fälschung von Claire Goll selber beruhte. Doch Celan drohte an dem Vorwurf zu zerbrechen und ist vielleicht auch daran zerbrochen. Er hat seit dem Plagiats-Vorwurf dieses Gedicht nie wieder öffentlich vorgetragen.

Aber Celan hat Gedichte geschrieben bis zu seinem Tod. Auf den ersten Blick sind diese Gedichte oft rätselhaft und manche bleiben es vielleicht auch. Je mehr man aber hinein taucht in die Sprache Celans, desto mehr entschlüsseln sich die Gedichte. Oft helfen auch Ereignisse aus dem Leben von Paul Celan, Worte und Sätze zu entschlüsseln (vgl. hierzu auch das Gedicht „Todtnauberg“).

Mit einigen Texten wollen wir in diesen Blickpunkt.en Paul Celans und seines diesjährigen 90. Geburtstages und 40. Todestages gedenken:

  • Drei Texte von Imre Kertesz stellen sich zum einen der Frage nach der Bedeutung von Auschwitz, dann der Frage nach der Last des Überlebens und schließlich der Frage nach der Bedeutung des Wortes "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch" von Theodor W. Adorno.

 

  • Die Goll-Affäre wird durch eine Buchbesprechung vergegenwärtigt.

  • Zwei Texte gehen auf das Verhältnis von Celan und Heidegger ein, den er sehr bewundert hat, von dem er aber eine Distanzierung von der nationalsozialistischen Ideologie und seiner eigenen Stellung dazu erwartet hatte. In diesen Zusammenhang gehört das Gedicht „Todtnauberg“.

 

  • Erst kurz vor seinem Ende besuchte Celan Israel und Jerusalem. Auch wenn Celan nie erwog, nach Israel überzusiedeln, wurde sein Besuch stark wahrgenommen. Zwei Zeitungsartikel berichten von der Bedeutung seines  Besuches für Israel.

  • Schließlich betrachtet ein Text die Bedeutung der Dichtung Celans für andere Künstler. Musikalisch hat sich z.B. Peter Ruzicka mit Texten von Celan auseinander gesetzt und auch ein Musiktheater über seine Person geschrieben. Der Künstler Anselm Kiefer hat das Gedicht „Mohn und Gedächtnis“, das Titel eines ganzen Gedichtbandes geworden war, in einem monumentalen Werk bearbeitet, das in Berlin im Museum „Hamburger Bahnhof“ zu sehen ist.

 

Der „Ev. Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau - ImDialog“ und „Lomdim“ werden im Herbst gemeinsam mit der „Ev. Akademie Arnoldshain“ vom 22. bis 24. November 2010 eine Tagung über Paul Celan veranstalten. Sie fällt genau auf Celans Geburtstag am 23. November. Der Titel: „Mohn und Gedächtnis – Paul Celan zum 90. Geburtstag“

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