Keep Believing in the Impossible
Die Botschaft der Bauwerke von Daniel Libeskind
zusammengestellt von Klaus-Peter Lehmann

„Keep Believing in the Impossible.“ Mit dieser Ermutigung signierte Daniel Libeskind seine Autobiographie, die ich während der Woche der Brüderlichkeit in Augsburg, erworben hatte. Dem berühmten Architekten wurde hier für sein Werk, das von den Brüchen und Leiden und von der Hoffnung der jüdischen Geschichte erzählt, die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen. Jene Ermutigung bezieht sich auf die Botschaft seiner Bauwerke wie auf die Schwierigkeiten, sie zu realisieren. Dazu einige Zitate aus seinem Buch „Entwürfe meines Lebens“, Autobiografie, München 2006

Durch einen Schlitz im Güterwaggon
Als ich das Jüdische Museum in Berlin entwarf, war ich versucht, einen Raum zu konzipieren, in den keinerlei Licht drang. Das Museum beherbergt die Chronik von 2000 Jahren deutsch-jüdischer Geschichte. Wäre es möglich, dort einen schonungslosen, pechschwarzen, hoffnungslosen Raum zu installieren, der all das repräsentiert, was während des Holocaust verloren ging? Schließlich gab es auch in den Gaskammern kein Licht. Ich erinnerte mich an eine Geschichte, die eine Überlebende des Holocaust in Yaffa Eliachs bemerkenswertem Buch „Träume vom Überleben: chassidische Geschichten aus dem 20. Jahrhundert“ erzählte. Die Frau, die später in Brooklyn lebte, erinnerte sich, dass sie mit dem Zug zum Konzentrationslager Stutthof deportiert wurde, und als sie schon alle Hoffnung fahren lassen wollte, gelang es ihr durch einen Schlitz im Güterwaggon einen Blick auf den Himmel zu werfen. Dort erschien plötzlich eine weiße Linie, die sie als ein Zeichen dafür sah, dass sie weiterleben würde. Während der beiden darauf folgenden schrecklichen Jahre im Konzentrationslager klammerte sie sich an dieses Zeichen, als wäre es der Beweis dafür, dass ein Wunder geschehen und sie das Lager lebend verlassen würde… Obwohl die Bedeutung der ‚Vision’ dieser Frau unklar und rätselhaft war, besaß sie doch eine solch große transformierende Kraft, dass ich beschloss, sie in den Entwurf eines Raumes zu integrieren, den ich als ‚Holocaust-Turm’ bezeichnete. Dieser kahle, trostlose Leerraum befindet sich außerhalb des restlichen Museums und ist weder beheizt noch klimatisiert. Aber er ist auch nicht vollkommen dunkel: Hoch oben an der Decke befindet sich ein schmaler, nicht einsehbarer Fensterschlitz, der einen schmalen Lichtstreifen hereinlässt, welcher wiederum von den Betonwänden des Gedenkraums zurückgeworfen wird.

Jüdische Abteilung
Bei Franz Kafka findet man, eingebettet in die längere Erzählung ‚Beim Bau der Chinesischen Mauer’, ein Gleichnis namens ‚Eine kaiserliche Botschaft’. Darin ruft ein Kaiser auf dem Sterbebett einen Boten herbei, der einem weit vom Palast entfernt wohnenden ‚jämmerlichen Untertanen’ eine wichtige Botschaft übermitteln soll. Die kafkaeske Wendung besteht nun darin, dass der Bote in der Menschenmenge im Palast stecken bleibt, sodass ihm niemals gelingen wird, sich seinen Weg aus dem Palast zu erkämpfen und die alles entscheidenden Worte zu übermitteln.
Und genau so fühlte es sich an, als ich den Umschlag öffnete, der durch meinen Briefschlitz gefallen war. Ich wusste sofort: Diese Botschaft war nur für mich bestimmt. Ich war der jämmerliche Untertan, und der Westberliner Senat war Kafkas Kaiser. Seit jeher hatte die Berliner Landesregierung die Kultur gefördert, und jetzt lud sie mich zur Teilnahme an einem Architekturwettbewerb zum Bau einer Jüdischen Abteilung des Berliner Museums ein.
Jüdische Abteilung! Die Worte trafen mich wie ein Stich ins Herz.
Eigentlich konnte man das Vorhaben des Senats nur loben – schließlich wurde es höchste Zeit für das Berlin Museum, den unschätzbaren kulturellen und historischen Beitrag der Juden in Berlin anzuerkennen. Aber wie konnte man nur diesen Ausdruck verwenden! Es war genau derselbe Ausdruck, den Adolf Eichmann verwendet hatte.

Bemerkenswert, aber unmöglich
Ich hatte mit das Gebäude immer als eine Art Text vorgestellt, der gelesen und verstanden werden sollte, und es gefiel mir, dass die Mitglieder der Jury, auch wenn ihnen mein Name auf dem Modell nicht auffiel, dennoch die Absicht des Projektes und seine vielen Bedeutungsebenen verstanden. Doch ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, dass die Juroren, obwohl sie von meinem Entwurf beeindruckt waren, nicht unbedingt davon ausgingen, dass er auch realisiert werden könne. Ganz im Gegenteil – irgendwann musste ich einsehen, dass seine Vielschichtigkeit vielen von ihnen deshalb so gut gefiel, weil sie die Wahrscheinlichkeit verringerte, dass nach diesem Entwurf je gebaut werden würde. Wenn sie wirklich vorgehabt hätten, eine „jüdische Abteilung“ zu bauen, hätten sie sich für etwas Profaneres und Naheliegenderes entschieden. Doch mit meinem Modell konnten sie ihre kollektive Betroffenheit und ihren kühnen Geist groß herausstellen – und gleichzeitig, natürlich Bedauern, über die Möglichkeit einer tatsächlichen Realisierung hinweggehen. „Ja es ist wirklich ein bemerkenswerter Entwurf, aber unmöglich zu erbauen – Sie wissen schon.“

*

Museum ohne Ausgang
Bei der Gestaltung des Museums versuchte ich, jede Sentimentalität zu vermeiden. Ich war entschlossen, ein Gebäude zu entwerfen, das nicht die Opfer des Holocaust im Allgemeinen ehrte, sondern die Geschichte eines Individuums und seines Schicksals zeigte. Die Geschichte eines Mannes. Ein Gesicht. Ich wollte, dass die Besucher Nussbaum sahen.
Das Felix-Nussbaum-Haus besteht aus drei Baukörpern, die einander überschneiden. Einer der Bauteile ist mit Holz verkleidet, der zweite mit Zink und der dritte einfach aus Sichtbeton. Bei Letzterem handelt es sich weniger um ein Gebäude, als vielmehr um einen langen dunklen Tunnel, der den zweigeschossigen Nussbaum-Gang enthält. Hier wurden seine letzten Gemälde aufgehängt, die Bilder, die er kurz vor seiner Verhaftung durch die Geastapo malte. In seinen Tagebüchern beklagte er die Enge der Räumlichkeiten, in denen er zu arbeiten gezwungen war. Er hatte keinerlei Sichtabstand, schrieb er; es war unmöglich einen Schritt zurückzugehen und das ganze Gesicht zu betrachten. Trotzdem malte und zeichnete er fieberhaft, und genau diese Werke, die er teilweise nur wenige Zentimeter von seinem eigenen Gesicht entfernt schuf, hängen in diesem Bereich des Museums – einige hoch oben an der wand, andere dicht über dem Boden.
Als den deutschen Behörden bewusst wurde, dass der geplante Gang nur etwa 1,80 Meter breit sein würde, versuchten sie, mich umzustimmen. „Sie können in einem öffentlichen Gebäude nicht solch einen schmalen Raum anlegen“, protestierten sie. „Es handelt sich um ein Museum. Die Menschen müssen herumgehen und sich frei bewegen können.“ Aber genauso war es damals nun mal, erklärte ich ihnen. Es geht hier nicht um die Bewegungsfreiheit der Besucher, sondern um die Verdichtung von Erfahrung.
Ich nannte das Projekt „Museum ohne Ausgang“, da es für Felix Nussbaum keinen Ausgang, kein Entkommen aus dem Holocaust gegeben hatte.

*

Bizarr und wunderschön wie ein Gesicht
Wenn ich an einem Projekt arbeite, verbringe ich häufig Stunden mit dem Studieren von Gesichtern: Als ich das Jüdische Museum in Berlin entwarf, betrachtete ich zahllose Fotografien von Menschen, die in den dreißiger Jahren über den Alexanderplatz flanierten. Ich blickte in die Gesichter des Zwölftonkomponisten Arnold Schönberg und des abstrakten Malers Wassily Kandinsky, einem Freund Schönbergs, und ich prägte mir den stechenden Blick des Literaturkritikers Walter Benjamin ein. Sicherlich wird man keinen direkten Zusammenhang zwischen diesen Fotografien und dem letztendlich realisierten Gebäude erkennen; ich habe mir diese Männer auch nicht bei einem Besuch des Museums vorgestellt. Aber während ich ihre Gesichter betrachtete, spürte ich etwas Persönliches, Ursprüngliches und zutiefst Menschliches, das ich in meinen Entwurf zu integrieren versuchte.
Die Baumeister des Barocks waren der festen Überzeugung, dass Steine die Geschichte der Zeit, der Vergangenheit und der Vergänglichkeit erzählen mussten. Und genau das liebe ich an dieser Epoche, ebenso wie die zugrundeliegende Philosophie: Das Wort „Barock“ ist mit dem italienischen Begriff „barocco“ verwandt, was soviel wie „bizarr“ bedeutet – aber tatsächlich kommt „lebenslustig“, „überschwänglich“ der Sache viel näher. Barocco lautet auch der Name für eine Perle, die auf wundervolle und natürliche Weise fehlerhaft ist und deshalb wunderschön und einzigartig. Wie ein Mensch. Wie ein Gesicht.

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