Der Gott Israel, Fels der Zuflucht und Erlösung
Eine Lesepredigt am 9. Sonntag nach Trinitatis
von Klaus-Peter Lehmann

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen baute. Als nun eine Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus; fiel es doch nicht ein; denn es war auf den Felsen gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß. Mt 7,24-27

I.) Ist es nicht so? Alle Menschen wollen in einem Haus von Bestand wohnen. Niemand wird freiwillig obdachlos. Keiner möchte in Stürmen untergehen. Auch die Seele will ein festes, dauerhaftes Zuhause. Religionen wollen den Menschen dabei helfen. Ihre Glaubensgebäude wollen Häuser für ewigen Schutz und von zeitloser Dauer sein. Häuser, die unvorhersehbaren geschichtlichen Katastrophen, die wie ein Platzregen oder Hurrikan über die Menschen kommen, standhalten. Ewig wollten die großen Reiche und Religionen sein, die griechische Götterwelt und das römische Imperium. Auch die Götter der Azteken, das heilige, römisch-christliche Abendland und -  das tausendjährige Reich.

II.) Diese Worte lesen wir dazu in der Bibel:
      Gott steht in der Gottesgemeinde und ist Richter unter den Göttern.
      ‚Wie lange wollt ihr unrecht richten und die Gottlosen vorziehen.
      Schaffet Recht dem Armen und der Waise
      und helft dem Elenden und Bedürftigen zum Recht…
     …ihr werdet sterben wie Menschen
      und wie ein Tyrann zugrunde gehen’.
      Gott, richte die Erde;
      du bist Erbherr über alle Heiden. (Ps 82)
Es ist auf jeden Fall auch so: Die für die Ewigkeit gebauten Götterhäuser stürzen ein. Die religiösen Tyranneien gehen zugrunde. Sie sind auf Sand gebaut. Warum? Ihr Fundament war nicht Gottes Gebot: Schaffet Recht dem Armen, ihr Fundament war nicht: Gerechtigkeit.
Wir fragen vielleicht: Wie verhält es sich da mit den Religionen und den Reichen heute? Auf welchem Fundament stehen sie? Sind sie für ewig? Das Judentum? Die Kirche? Der Islam? Der Hinduismus? Das Reich der Marktwirtschaft? Die vielen Diktaturen? In irgendeinem dieser Häuser leben doch auch wir.

III.) Jesus fragt nicht: Wer hat auf Fels gebaut. Sondern er sagt: Wer diese meine Rede hört und tut, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen baute. Wasser und Sturm zum Trotz fiel es doch nicht ein, denn es war auf den Felsen gebaut.
An unzähligen Stellen im Alten Testament betet der fromme Jude zum Gott Israels: Herr, mein Fels und mein Erlöser. (Ps 19,15) Das jüdische Volk, leidend und unterdrückt von anderen Völkern, hat Gott als Fels der Erlösung erfahren. In vielen Befreiungen, in der Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten, in der Rückkehr aus dem babylonischen Exil, in der zionistischen Heimkehr aus dem antisemitischen Haus des christlichen Abendlands. So gilt bis heute:
        Der Herr lebt! Gelobt sei mein Fels. (Ps 18,47)
        Herr, mein Fels, mein Erretter…
        Ich rufe an den Hochgelobten,
        so werde ich vor meinen Feinden errettet. (Ps 18,3f)
        Er ist ein Fels.
        Alles, was er tut, ist recht.
        Treu ist Gott und kein Böses an ihm,
        gerecht und wahrhaftig ist er. (5Mos 32,3f)
Wer Jesu Rede hört und tut, der baut nicht einfach auf Fels, sondern auf den Felsen, meinen Erretter. Er baut auf den Gott Israels, den Felsen der Zuflucht und Erlösung, weil an ihm nichts Böses ist. Im Vertrauen auf diesen Felsen hat Israel, haben die Juden in ihrer langen Leidensgeschichte an einer Gnade und Güte Anteil bekommen, die wir nur als Vollendung der Welt, als Überwindung aller Bosheit und allen Unrechts preisen können. Beten doch auch wir in derselben Hoffnung: Erlöse uns von dem Bösen. (Mt 6,13)

IV.) Uns dorthin auf den Weg zu machen, dazu ruft Jesus mit seiner Rede auf. Wir sollen sein Wort hören und tun, damit das Böse in der Welt weniger werde und schließlich zunichte geht. In seiner Rede, der Bergpredigt, legt Jesus die Gebote des Alten Testamentes aus.
Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. (Mt 5,45)

V.) Sie waren fliehende Sklaven. Herabgedrückt ins Leid, tief unten lebend. Als verwirrter Haufen von der Vergangenheit in Ägypten abgeschnitten und voll Ungewissheit über ihre Zukunft hörten die geflohenen Hebräer die ewigen Gebote für die Menschheit und nahmen sie an. Das war die Erhebung der Sklaven zum Volk des Ewigen.
Was sprach der Ewige zu den entronnenen Sklaven? Eine Weisung, ein Wort vom Tun. Von Gerechtigkeit, Liebe und Feindesliebe spricht er. Davon, wie jeder Israelit beispielhaft Feindesliebe üben soll:
Wenn du dem Rind oder Esel deines Feindes begegnest, die sich verirrt haben, so sollst du sie ihm wieder zuführen. (2Mos 23,4)
Womit sich die entlaufenen Sklaven geistig beschäftigen, was sie in ihrer Not nicht vergessen sollen, wie sie sich schon jetzt aus ihrem Leid erheben können – es gilt, darüber nachzudenken, nach welchem Gesetz sie im Gelobten Land einmal leben wollen. Nicht die Beschäftigung mit der Mühsal und Plage des Alltäglichen erhebt unsere Seele, sondern die Zuversicht eines Zukünftigen, die Gewissheit eines Lebens in Gerechtigkeit muss hinzutreten, um dem menschlichen Leben Rückgrat und Sinn zu geben. Das wird die Entflohenen aufgerichtet haben. Bei dem Gedanken an ein Leben in Freiheit und Würde müssen auch wir tiefer durchatmen. Diese Vision lässt alle geängstigten Herzen freudig höher schlagen.
Das Gebot der Feindesliebe ist der äußerste Prüfstein für eine Gemeinschaft, in der jeder Mensch als Mensch geachtet werden soll. An ihm wird die Gerechtigkeit vollkommen. Hier wird die Menschenwürde auf den ewigen unsichtbaren Thron erhoben.

VI.) Das wahre Erhabene ist ganz alltäglich und praktisch. Es geschieht im Unsichtbaren, wie obige Weisung, den verirrten Esel des Feindes zurückzuführen, uns demonstriert.
Draußen, wo niemand mich sieht; wo ich machen kann, was ich will; wo ich ganz alleine vor mir stehe; da wo der Israelit das verirrte Vieh des Verhassten endlich in die Wüste schicken könnte: recht geschieht’s ihm; wo ich ohne, dass einer davon weiß, meinem Feind schaden kann – in dieser Verborgenheit gilt das Gebot. Ganz um seiner selbst, um seiner Menschlichkeit und Wahrheit willen, ist es zu erfüllen. Ganz ohne Schielen auf die Folgen gilt, wie wir im Buch der Sprüche lesen: Freue dich nicht über den Fall deines Feindes und dein Herz sei nicht froh über sein Unglück. (Spr 24,17)
Handelt denn moralisch, wer das Gebot um der vorteilhaften Folgen willen erfüllt? Ungesehen und ohne Berechnung bewahre ich meinen Gottes- und Jesusgehorsam. Dort im Verborgenen, wo ich seine Rede nur um ihrer selbst willen tun kann, werde ich zu einer weltgeschichtlichen Persönlichkeit. Ich? Du! Sie alle (!) werden im selbstlosen Tun allein um der Wahrheit Gottes willen zu Menschen und Bauleuten eines neuen Menschenreiches.
Das Reich Gottes ist das Menschenreich, in der es keine Feinde, keine Feindseligkeit und keine Feindbilder mehr gibt. Die Bauleute dieses Reiches können von überall herkommen, aus aller Herren Länder, aus allen Völkern, Religionen, Sprachen, Kulturen. Die Herkunft spielt im neuen Leben keine Rolle mehr. Allein die Bereitschaft Feindbilder abzulegen, dem Anderen gerecht zu werden und so nach Frieden zu suchen, ist gefragt. Jedes Tun in diesem Geist hat wahrhaft weltgeschichtliche Bedeutung. Alles was wir mit dieser Bitte tun: Dein Reich komme!

VII.) Was heißt das für unser Verhältnis zu anderen Religionen, z.B. zum Islam? Wir fragen schon nach der Herkunft: Sunniten, Schiiten oder Aleviten? Die wichtigere Frage aber sollte sein: Wollt ihr mitbauen an einem Haus auf dem Felsen der Gerechtigkeit? Jesus lädt Menschen aus allen Völkern und Religionen dazu ein, auf dem Felsen der Feindesliebe, auf den Gott Israels und seine alle Menschen erneuernde Gerechtigkeit zu bauen. Das Bekenntnis ist zwar wichtig, aber es ist nicht das Eintrittsbillet, um am Haus des sozialen Friedens mitzubauen. Unabhängig von Nation und Religion ruft Jesus uns auf, für eine gerechte Menschengemeinschaft ohne Feindbilder zu wirken:
Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. (Mt 7,21)
Aber diesen Willen zu tun, seinem Gebot der Nächsten- und Feindesliebe gerne zu folgen, dazu möchte Jesus uns verpflichten, damit die Menschenwelt zu einem dauerhaften Haus auf dem Felsen der ewigen Gerechtigkeit wird.
Amen.

Wahrnehmungen auf dem Weg zur Predigt / Mt 7,24-27

Das poetisch anmutende Bild vom fest gebauten Haus auf dem Felsen, das Naturkatastrophen standhält, könnte zu phantasiereicher Rhetorik einladen. Darin lauert die Gefahr, den biblischen Text nicht genau zur Kenntnis zu nehmen. Zwar handelt es sich bei ihm um Poesie, aber um jüdische, die ohne ihre prägnante Rückbindung an die überlieferte Glaubenstradition und ihre Diskussionen nicht verstanden werden kann.
Eine Diskussion wird schon im Neuen Testament geführt. Jesus spricht von einem, der diese meine Rede hört und tut. Wer Gottes Stimme hört, hört Gebote und Verheißungen. Dieses Hören wäre sinnlos ohne erstere zu tun und letzteren zu vertrauen. Auf Gott hören heißt immer seinen Geboten gehorchen. Auch Jesu Rede, die vorangehende Bergpredigt, enthält vornehmlich Auslegungen von Gottes Geboten. Das betonte und tut weist auf das Missverständnis hin, man könne an Gott glauben ohne seine Gebote zu tun.
Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst. (Jak 1,22) Meine Mutter und meine Brüder sind diese, die Gottes Wort hören und tun. (Lk 8,21; s.a. Mt 23,3)
Wie im Alten Testament geht es auch im Neuen um Toragehorsam, allerdings auf dem Wege wie der Rabbi Jesus sie lehrt (Joh 3,2).
Eine zweite Beobachtung. Anders als die Lutherübersetzung bleibt die Zürcher Bibel näher am griechischen Text und schreibt vom klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen baut und das nicht einfiel, denn es war auf den Felsen gegründet. Das lutherische auf Fels gegründet lässt die Gedanken nicht darauf kommen, dass ein bestimmter Fels gemeint sein könnte. Unzählige Male aber ruft der Beter der Psalmen zu Gott, dem Fels meiner Zuflucht (Ps 94,22; 18,3.32.47; 95,1), mein Fels und Erlöser (Ps 19,15). Es legt sich nahe, die Zürcher Fassung zu übernehmen und beim Verlesen des Predigttextes den bestimmten Artikel leicht zu betonen.
Im biblischen Horizont meint das Bild vom Felsen den Gott Israels, dessen Bundestreue sich über geschichtliche Katastrophen hinweg als unerschütterlich erwiesen hat. Auch die Götter der Heiden sind Felsen, die aber nicht fest bleiben (5Mose 32,4.31.37). Jesus nimmt das Bild auf und variiert es, indem er den Felsen mit Sand vergleicht. Auch an Mt 16,18f ist zu denken: Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen… Ich will dir die Schlüssel des Himmelreiches geben. Mit dem Bekenntnis zu Jesus als Messias (Mt 16,17) und dem Tun seiner Rede, verankert sich die Kirche in den Verheißungen der Bundesgeschichte Israels. An ihnen hat sie unverbrüchlichen Anteil aller geschichtlichen Unbill zum Trotz.
Inwieweit sind gleichlautende Stellen aus dem Koran zu berücksichtigen? Sure 9,109 heißt es: ‚Ist denn einer besser, der sein Gebäude auf Gottesfurcht und Wohlgefallen gegründet hat, oder einer, der es auf den Rand eines brüchigen Steilufers gegründet hat, worauf es mit ihm in das Feuer der Hölle abstürzt?’ Im Zeitalter des interreligiösen Dialoges ist nach der Nachbarschaft zum Islam zu fragen. Verwandtschaft erscheint aber nur dann gegeben, wenn die Aufnahme des Bildes vom Hausbau auf den Felsen in den Koran auch die theologische  Aussage vom Anschluss an die Bundesgeschichte Israels und ihre Verheißungen einschließt. Davon kann sicherlich keine Rede sein. Allerdings ist von der Suche nach sozialer Gerechtigkeit im Islam auszugehen, auch wenn der Koran das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe nicht kennt.

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