E-Mail an die Klagemauer
von Isabelle de Bortoli

Das Rabbinat der Klagemauer in Jerusalem macht den heiligsten Gebetsort der Juden jetzt weltweit erreichbar: Wer Bitten in der Klagemauer hinterlassen will, kann sie via Internet schicken, die Rabbiner stecken sie in die Ritzen.

„Gott, lass meine Frau wieder gesund werden“, „Schenke uns ein Kind“ oder „Gib uns Frieden“. Tausende kleiner Zettel mit ganz persönlichen Bitten an Gott stecken in den Ritzen der Klagemauer in Jerusalem. Sie ist die heiligste Stätte der Juden, der letzte Rest des zweiten Tempels, der von den Römern im Jahr 70 nach Christus zerstört wurde. Im Hebräischen heißt sie „kotel ma-arawi“, westliche Wand - weil sie an der westlichen Seite des ehemaligen Tempels steht. Tausende Juden, aber auch Andersgläubige kommen Jahr für Jahr an die Klagemauer, um zu Gott zu beten und zu bitten.

„Der Glaube sagt: das, was ich auf den Zettel geschrieben habe, wird von Gott erhört und geht in Erfüllung“, sagt Yitzhak Hoenig, Kantor der jüdischen Gemeinde Düsseldorf. „Das ist ein Teil der jüdischen Tradition.“ Sportmannschaften, Hollywoodstars und Premierminister, aber auch Papst Johannes Paul II haben hier ihre Gebete schon in die Mauerritzen gesteckt.

Um dies Juden in aller Welt zu ermöglichen, auch wenn sie nicht persönlich nach Jerusalem kommen können, bieten die Rabbiner der Klagemauer einen besonderen Service: Über ein Formular auf der Homepage www.thekotel.org können Gebete per E-Mail nach Jerusalem geschickt werden: „Schreiben Sie hier Ihren Brief. Wir werden ihn drucken und zwischen den Steinen der Mauer platzieren.“ Die Computer-Bitten an Gott werden von den Mitarbeitern des Rabbinats drei Mal am Tag ausgedruckt und zur Klagemauer gebracht.

Bitten werden nicht gelesen
Gelesen würden die Bitten natürlich nicht, versichert das Rabbinat. Auch per Post oder per Fax können Gläubige ihre Gebete nach Jerusalem senden. „Die Menschen schreiben an die Klagemauer, an Gott, oder an den Tempel in Jerusalem“, sagte der Vertreter des Klagemauerrabbiners, Joseph Kurzweil, kürzlich im Interview mit dem Deutschlandfunk. „Es ist ein großer Erfolg, denn so kommt die Klagemauer in die ganze Welt.“

Millionen kleiner Papierschnipsel stecken in der alten Mauer. „Natürlich wird sie regelmäßig geleert, sonst gäbe es ja gar keinen Platz mehr“, erklärt Kantor Hoenig. Am jüdischen Neujahrsfest und am Pessach-Fest werden die Zettel in hunderten von Säcken gesammelt und auf dem Ölberg beigesetzt.

„Die Westmauer ist nicht das Mekka der Juden“, betont Yitzhak Hoenig. „Das heißt, es steht nirgendwo geschrieben, dass man als Jude einmal in seinem Leben an der Klagemauer gewesen sein muss. Das ist kein Gesetz.“ Das Pilgern zur Klagemauer gehöre in vielen Familien einfach zur Tradition. Der Zugang zur Klagemauer ist Tag und Nacht für jedermann offen, wie in der Synagoge haben Frauen und Männer getrennte Bereiche.

Die Klagemauer befindet sich am Fuße des Felsendoms und der El-Aksa-Moschee. Ihre Höhe beträgt 18 Meter. Nach einer jüdischen Legende hielten bei der Zerstörung des Tempels die Engel Gottes schützend ihre Flügel über diese Mauer. Schon seit Jahrhunderten wird an dieser Stelle nach jüdischer Sitte gebetet, wie in einer riesigen Freiluft-Synagoge. Freien Zugang zur Klagemauer haben die Juden aber erst seit dem Sechs-Tage-Krieg im Jahr 1967.

Aber nicht nur E-Mails können Menschen aus aller Welt schreiben, sie können auch rund um die Uhr am Geschehen an der Klagemauer teilhaben. Auf der Homepage der „kotel ma-arawi“ gibt es nämlich eine Web-Cam. Das Besondere: auch Bar-Mitzwa-Feiern an der Klagemauer werden live in alle Welt übertragen. Die Bar-Mitzwa ist der Ritus, bei dem der jüdische Jugendliche seine Religionsmündigkeit erwirbt, und in die Gemeinde aufgenommen wird.

Nicht allein auf der offiziellen Seite der Klagemauer, die vom Rabbinat betrieben wird, auch auf anderen Websites, wie etwa dem amerikanischem Forum www.aish.com oder der Seite www.virtualjerusalem.com , werden E-Mail-Service und Webcams angeboten. Inzwischen haben auch Privatleute in den Häusern rund um den Tempelberg Webcams auf ihren Dächer installiert. Wer allerdings ganz sicher sein will, dass sein Zettel wirklich zwischen den uralten Steinen der Klagemauer steckt, der sollte auf die offizielle Website bauen - oder doch selbst nach Jerusalem pilgern.

rp-online, 9.05.2007

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