Aufstieg aus der Diaspora
von Inge Günther

Als evangelischer Bischof in Jerusalem vertritt Munib Younan eine marginale Minorität in der schwindenden Minderheit palästinensischer Christen. Weltweit aber ist der 59-Jährige jetzt oberster Repräsentant von 70 Millionen Protestanten. Ganz so ungewöhnlich, wie seine Wahl zum Vorsitzenden des Lutherischen Weltbundes auf den ersten Blick wirkt, ist sie jedoch nicht. Bislang war der gebürtige Jerusalemer schon dessen Vizechef gewesen.

Bei der Vollversammlung des Weltbundes in Stuttgart war Younan der einzige Kandidat für den höchsten Posten. Von 418 Delegierten stimmten 300 für ihn. Das Ergebnis spiegelt wider, dass man ihn als rührigen Kirchenmann schätzt, er aber nicht unumstritten ist. Manch einer findet, Younan verfolge als Bischof der wenige hundert Mitglieder zählenden evangelischen Gemeinden in Israel, den palästinensischen Gebieten und Jordanien zu sehr seine eigene Politik. Immerhin hat Younan, der den interreligiösen Dialog fördert, den Protestanten im Heiligen Land, in dem die Christen aller Konfessionen gerade mal drei Prozent der Bevölkerung ausmachen, eine unüberhörbare Stimme gegeben.

Im Nahost-Konflikt liegt der Bischof dabei auf der Linie der palästinensischen Autonomie-Führung. Die Sicherheit Israels einerseits und Freiheit und Gerechtigkeit für das palästinensische Volk andererseits seien nur zusammen zu haben, „ohne eine Zwei-Staaten-Lösung wird das nicht gelingen.“ Internationales Recht müsse endlich umgesetzt werden, sagt er. Israelis und Palästinenser wünschten sich sehnlichst ein normales Leben. Seine Gegner kreiden ihm seine mitunter scharfen Äußerungen an; so hat er vor palästinensischem Publikum israelische Militäraktionen gegeißelt.

Aufgewachsen in Jerusalem, hat Younan in Helsinki Theologie studiert und war nach seiner Rückkehr Pastor in Beit Jala und Ramallah. Seitdem häufen sich Ämter und Aufgaben. Younan sitzt dem Nahost-Kirchenrat vor sowie diversen Institutionen in der Westbank. Nebenher übersetzte er das Augsburger Bekenntnis ins Arabische. 1998 wurde er in der Jerusalemer Erlöserkirche zum Bischof ernannt.

Younan traut sich auch an Tabuthemen. Wiederholt hat er bei seinen Landsleuten für eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust plädiert: „Wir Palästinenser müssen das tiefe Trauma des jüdischen Volkes verstehen“. Umgekehrt fordert er von den Israelis Anerkennung des Leids, das die Okkupation verursacht habe. Seine Familiengeschichte ist Teil davon. Younan stammt aus einer Flüchtlingsfamilie aus Beer Sheva, seine Frau Suad, mit der er drei Kinder hat, aus einem 1948 zerstörten arabischen Dorf in Israel.

Frankfurter Rundschau, 26.7.2010

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