Stilfragen - neue Synagogen und alte Befindlichkeiten
von Johannes Heil

„Interessant. Ganz moderne Architektur” – man merkte einigen Passanten in Mainz die Unsicherheit beim Blick auf die neue Synagoge, an. Markant erhebt sie sich auf dem Gelände der 1938 zerstörten Synagoge. Schon jetzt ist absehbar, dass der Bau von Manuel Herz neben dem romanischen Dom und dem Rathaus von 1973 (Architekten: Arne Jacobsen, Otto Weitling) künftig als eines der markantesten Mainzer Bauwerke gelten wird.

Seit die jüdischen Gemeinden durch die Zuwanderung von Juden aus der früheren Sowjetunion stark angewachsen sind, entstanden in Deutschland zahlreiche neue Synagogen, in Mainz und anderswo, darunter eine Anzahl spektakulärer Bauten, die internationale Auszeichnung, aber vor Ort keineswegs immer ungeteilte Zustimmung fanden.

Für die Gemeinde Duisburg baute Zvi Hecker in den Jahren 1997-99 am Innenhafen der Stadt ein sich weit in den Raum öffnendes Gemeindezentrum, das die Form des Davidsterns mit der eines aufgeschlagenen Buches verbindet. In Dresden erhebt sich seit 2001 an der Jungfernbastei über der Elbe das neue Gemeindezentrum mit Synagoge in Form zweier über einem Verbindungsbau angeordneter asymmetrischer Kuben an der Stelle der 1938 zerstörten Semper-Synagoge. 2006 wurde dann am Jakobsplatz in der Münchner Innenstadt das Jüdische Zentrum mit Synagoge, Gemeindezentrum und Muse-um eröffnet; die Synagoge Ohel Jakob rückt über einen massiven rechteckigen Steinsockel, der in moderner Sprache Motive des Tempelbaus aufgreift, einen quaderförmigen Oberlichtraum, dessen Fenstergliederung ein-mal mehr die Motivik des Davidsterns aufgreift. Lörrach, Heidelberg, Offenbach, Bochum sind, um nur einige zu nennen, weitere Beispiele für bemerkenswerte Neubauten der vergangenen Jahre.

In Speyer wird gegenwärtig eine aufgelassene Kirche zur Synagoge umgebaut – und damit eine bald zwei-tausendjährige Geschichte der Domination einvernehmlich auf den Kopf gestellt. Besonders durch den Bau der Dresdner Synagoge, wie in München durch das Saarbrücker Büro Wandel-Hoefer-Lorch in Zusammenarbeit mit Nikolaus Hirsch ausgeführt, regten sich kritische Stimmen. Dabei mischten sich abgesehen von der notorischen Dresdner Abneigung gegen alles Nicht-Barocke (oder was man dort darunter verstehen mag) gelegentlich ausgesprochen bedenkliche Untertöne in die Debatte.

Das allseitige Erstaunen über den markanten jüdischen Auftritt im öffentlichen Raum rührt freilich auch daher, dass Sakralneubauten in der allgemeinen Wahrnehmung Kirchen sein sollen, diese aber in den vergangenen Jahren eher die Ausnahme waren. Und wenn, dann waren sie den Umständen geschuldet, so in Charlottenburg/Berlin, wo die schlichte St. Canisius-Kirche nach einem Brand durch einen Neubau ersetzt wurde, der durch radikale Nüchternheit Maßstäbe setzt. Von Synagogenbauten wird dagegen landläufig erwartet, dass sie der Tradition gemäß unauffällig seien. Dafür gibt es, soweit nicht zerstört, in Deutschland zahlreiche geschichtliche und geschichtlich bedingte Beispiele. Die Synagoge dominiert nicht, das durfte sie nicht. Sie griff im Mittelalter wie in der Neuzeit die Formensprache ihrer Umgebung auf, blieb aber bescheiden im Äußeren und in der zweiten Reihe des Ortsbildes stehen. Kathedralen bauen andere (aber sie bauen sie eben schon lange nicht mehr). Übersehen wird in dieser Wahrnehmung freilich, dass es neben der Synagoge in der Berliner Oranienburger Straße mit ihrem orientalisierenden äußeren Gepräge und der weithin sichtbaren goldenen Kuppel – was seinerzeit den Zorn des deutschnationalen Historikers Heinrich Treitschke hervorrief – zwischen 1860 und 1914 in Deutschland eine ganze Reihe markanter, stadtbildprägender Synagogenbauten gegeben hat. Obendrein ließen sich gerade jüdische Architekten nicht allesamt auf den distanzierend-orientalisierenden Stil festlegen, den christliche Architekten nur zu gerne für Synagogen festlegten. Edwin Oppler etwa, der in den frühen 1860er Jahren als Mitarbeiter Viollet-le-Ducs an der Restaurierung von Notre Dame in Paris mitgewirkt hatte und für neugotische Schlossbauten verantwortlich zeichnete (Braunfels, Marienburg/Leine), verarbeitete bei seinen Synagogenbauten für Hannover (1863-70) und Breslau (1866-72) ganz direkt christliche Vorbilder, vor allem die spätromanische St. Quirinus-Basilika in Neuss. Ähnliches gilt für die 1887 geweihte Synagoge Herzog-Max-Straße in München, die als neoromanische Basilika mit ihren gedrungenen Türmen und der Kuppel dazwischen subtil mit den gotischen Zwillingstürmen der wenige hundert Meter entfernten Frauenkirche korrespondierte. Neuromanik, Neugotik, Neorenaissance – die Synagogenbauten der Moderne haben keinen Stil ausgelassen, dabei aber stets den Kontrapunkt gesucht und sich eben nicht unverbindlich neben das Andere gerückt. Gerade in Berlin, wo die Nachwehen des Kulturkampfes auf christlicher Seite nicht zuletzt über Platz- und Stilfragen von Kirchen-bauten ausgetragen wurden — man denke nur an die wenige hundert Meter von der „neo-bambergischen” Kaiser Wilhelm-Gedächtnis-Kirche entfernte neugotische Wilmersdorfer katholische St. Ludwig (-Windhorst!) Kirche – war für jüdische Bauten architektonische Selbständigkeit nur schwer zu gewinnen. Die Synagogen in der Fasanenstraße (1912) und der Prinzregentenstraße (1930), 1938 zerstört und anschließend abgetragen, zeugen vom Anspruch, das Eigene zu wahren. Lebhaften Anteil nahm das jüdische Bauen dann am „Neuen Bauen” der 20er Jahre. Dem an sich offenen Charakter der Synagoge als purem Gebetsraum kam die Formenstrenge der Zeit besonders entgegen; zumindest zeigen sich die Synagogenbauten der Zeit im Vergleich auf der Höhe der Zeit. Erinnert sei an die Synagogen-bauten in Hamburg („Tempel" von 1931 in der Oberstraße, heute NDR), Plauen im Vogtland und Dieburg (Landkreis Offenbach). Von alledem hat sich bestenfalls eine Fassade erhalten.

Die Synagogenbauten der ersten Nachkriegsjahrzehnte waren unauffällig im Äußeren, ganz im funktional-abgeklärten Stil der sonstigen Sakralarchitektur der Zeit gehalten. Die Bauten der letzten Jahre sind dagegen weitgehend vorbildlos und experimentieren mit der Standortbestimmung, die sie nach außen und nach innen vornehmen. Damit greifen sie konsequent den 193,8 zerstörten Anspruch der Synagogenbauten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an und rücken sich markant in den öffentlichen Raum.

Prof. Dr. Johannes Heil ist Erster Prorektor der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg
aus: Mussaf. Das Magazin der Hochschule für jüdische Studien 2/2010

zur Titelseite

zum Seitenanfang

ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
Robert-Schneider-Str. 13a, 64289 Darmstadt
Tel 06151-423900 Fax 06151-424111 email