Jerusalem: Die Synagogen in der Altstadt von der Antike bis zum Beginn der Neuzeit
von Miriam Magall

Als am 15. März 2010 die Churva-Synagoge in der Altstadt von Jerusalem feierlich eingeweiht wird, ziehen arabische Demonstranten laut schreiend durch die Altstadt, werfen Steine und machen damit ihrer Empörung angesichts dieser „Usurpierung ihrer Stadt durch die Juden“, wie sie meinen, lauthals Luft. Das wird begleitet von Steinwürfen und dem Zerschlagen von Schaufenstern. Und auch der amerikanische Präsident Barack Obama kann nicht umhin, angesichts dieser Entwicklung seine Besorgnis zu äußern. Diese Besorgnis hätte er sich ersparen können, denn er hätte sich lediglich eine Beschreibung der Synagogen in der Altstadt von Jerusalem seit der Antike bis in die Moderne hinein anzuschauen brauchen. Dann wäre ihm klar geworden, dass die Juden hier keineswegs illegale Siedlungen errichten, sondern lediglich das wieder aufbauen, was ihnen in der Vergangenheit genommen und zerstört wurde. Der nun folgende Beitrag verfolgt die Entwicklung des Synagogenbaus in Jerusalem seit der Antike bis zum Beginn der Neuzeit. Damit dürfte ein für alle Mal klar sein, dass die Juden schon seit  langer Zeit in Jerusalem zu Hause sind und, wie sie es durch die Renovierung und Wiedererrichtung alter, zuletzt im israelischen Unabhängigkeitskrieg von der Arabischen Legion der Jordanier zerstörten Synagogen beweisen, auch beabsichtigen, dort zu bleiben.

Es wird gemeinhin angenommen, dass die Synagoge die Antwort auf die Zerstörung des Tempels im Jahr 70 d.Z. durch die Römer ist. Aber Synagogen existierten bereits zur Zeit des Zweiten Tempels. Über ihre Entstehung kursieren mehrere Vermutungen. So wird sie von einigen auf die Zeit des Babylonischen Exils (587–538 v.d.Z.) angesetzt. Andere legen den Beginn von Synagogen dagegen in die Zeit der Hasmonäer um ca. 150 v.d.Z., wiederum als Orte, an denen die Menschen zusammenkamen, um die Tora, die schriftliche Lehre, und die mündliche Lehre, die später ihren Niederschlag im Talmud fand, zu studieren. In diesem Fall lag der Grund darin, dass die Besatzungsmacht unter ihrem König Antiochus IV. Epiphanes den Tempel in Jerusalem durch das Aufstellen einer Zeus-Statue und das Opfern von Schweinen auf dem heili gen Altar entweiht hatte. Auch die Schriften von Flavius Josephus und Philo, teilweise die rabbinische Literatur und ebenso das Neue Testament berichten von Synagogen schon zur Zeit des Zweiten Tempels. Aber nur von drei Synagogen dieser frühen Epoche hat man konkrete Überreste in Israel entdeckt: in Jerusalem, in Gamla im Süden der Golanhöhen und auf Massada. Der Jerusalemer Talmud spricht von 480 Synagogen zur Zeit des römischen Feldherrn und späteren Kaisers Vespasian (69–79 d.Z.), also noch vor der Zerstörung des Tempels.

Die Synagoge des Theodotus

Die in Jerusalem gefundene Synagoge des Theodotus gilt als besonders bedeutungsvoll, weil, wie gerade erwähnt, viele mehr dieser Art in Jerusalem bestanden haben müssen. Sie wurden von Juden errichtet, die aus verschiedenen Ländern der Diaspora einreisten, um sich in der Stadt niederzulassen, und diese Synagogen bauten sie für sich sowie für die Pilger aus ihrem Herkunftsland.

Theodotus’ Synagoge lag direkt beim südlichen Eingang zum Tempel. Allerdings hat sich vom Gebäude selbst nichts erhalten, nur eine gut lesbare Inschrift, das ist alles, was die Jahrhunderte unbeschadet überstanden hat. Die Inschrift fand der französische Archäologe Kapitän Raymond Weill im ältesten bewohnten Stadtteil Jerusalems, dem sogenannten Ophel. Und selbst die Inschrift wurde nicht an ihrem ursprünglichen Standort gefunden, sondern in einer Zisterne, in die man sie anscheinend während oder nach der Zerstörung der Stadt geworfen hatte.

Ihr Text, auf Griechisch, wurde sauber in Jerusalemer Kalkstein gehauen und spricht von Theodotus, dem Sohn des Priesters Vetinus und Oberhaupt der Synagoge. Er ist der Sohn eines Synagogenoberhauptes und Enkel eines Synagogenoberhauptes, der die Synagoge baute, um das Lesen der Tora und das Studium der Gebote zu ermöglichen. Gelehrte haben die Inschrift auf die Zeit von König Herodes (37 bis 4 v.d.Z.) datiert. Indem sich die Inschrift auf den Bau der Synagoge mindestens zwei Generationen früher bezieht, verweist sie auf die Existenz einer Synagoge in Jerusalem bereits 150 Jahre vor der Zerstörung des Tempels durch die Römer! Schon damals, das erfahren wir dank der Inschrift, ist die Synagoge der Ort, an dem die Tora-Lesung stattfand und wo ihre Gebote studiert wurden. Das verweist auf die frühe Rolle der Synagoge als einer Bildungseinrichtung, und dieser Rolle verdankt sie sicher auch die Tatsache, dass sie neben dem Tempel existieren durfte.

Zur Synagoge gehörte auch eine Herberge, in der Reisende und Fremde übernachten und auch essen konnten. Vermutlich wurden diese Räume vor allem von Pilgern genutzt, die aus dem Ausland kamen, entweder zu den drei traditionellen Pilgerfesten (Pessach, Wochen- und Laubhüttenfest) oder aber, um den Tempel noch einmal zu sehen, bevor sie starben. Die Räume dürften recht bequem gewesen sein, enthielten sie doch Schlafstellen und auch Wasservorrichtungen.

Theodotus’ Synagoge wurde im Jahr 70 d.Z. zusammen mit dem Tempel und der Stadt Jerusalem vom römischen Feldherrn und späteren römischen Kaiser Titus (39–81 d.Z.) zerstört. Als Kaiser Hadrian (76–138 d.Z.) im Jahr 130 d.Z. die Stadt besuchte, besaß sie immerhin schon wieder sieben Synagogen.

Nachdem der Zweite Jüdische Krieg, auch bekannt als Bar-Kochba-Aufstand, 132 bis 135 d.Z., von den Römern blutig niedergeschlagen worden war, beschlossen sie, jede Erinnerung an die ursprünglichen Herren des Landes und der Stadt, den Judäern, auszulöschen. Jerusalem wurde umgepflügt und in die römische Garnisonsstadt Aelia Capitolina umbenannt, das Land Judäa in Provincia Syria palaestina. Jerusalem erhielt später seinen ursprünglichen Namen zurück, Juda/Judäa dagegen blieb fortan für Nichtjuden Palästina, während es für Juden Erez Israel, das „Land Israel“ hieß. Beschnittenen und damit allen Juden war das Betreten der römischen Stadt Aelia Capitolina untersagt. Auch als die Byzantiner die Römer ablösten, war Juden der Besuch ihrer ehemaligen Hauptstadt verwehrt. Nur am    9. Aw durften sie sie betreten, um am letzten Überrest ihres Tempels, der Westmauer, seine Zerstörung zu beklagen; von hier rührt ihr allgemein bekannter Name „Klagemauer“ her. Die jüdische Überlieferung erwähnt einen Ort beim heutigen Zionstor als Chugegej Zion, „die sich an Zion freuen“. Hierher kamen die Juden zum Gebet, bei dem sie auf den Tempelberg blicken konnten. Jüngste Grabungen legten Spuren einer Synagoge aus dem 4. Jh. frei. Seither heißt diese Anhöhe Zionsberg. Die wenigen Juden, die nach der Eroberung der Stadt im Jahr 637 durch die Araber in Jerusalem leben durften, wohnten auf eben diesem Zionsberg. Hier besaßen sie eine Synagoge und später auch eine Jeschiwa, also eine Talmud-/Tora-Schule. Später übten muslimische Kalifen Druck auf Juden und Christen aus, sich zum Islam zu bekehren. Reparaturen an Kirchen und Synagogen wurden untersagt, neue durften überhaupt nicht errichtet werden.

Als die Kreuzfahrer unter dem Oberbefehl von Gottfried von Bouillon 1099 Jerusalem einnahmen, schlachteten sie seine muslimische und jüdische Bevölkerung ab. Der Blutstrom im Tal westlich des Tempelbergs soll bis an die Knöchel gereicht haben. 88 Jahre lang herrschten die Kreuzfahrer in Jerusalem. Selbstredend gab es während dieser Zeit keine Juden in der Stadt. Aber nicht für lange. Nach der Niederlage der Kreuzfahrer im Sommer 1187 in der Schlacht von Karnej-Hittim oberhalb des Sees Genezareth fiel Saladin auch die Stadt Jerusalem in die Hände. Im Gegensatz zum Einzug der Kreuzfahrer gab es, als Saladin mit seinem siegreichen Heer in die Stadt einzog, kein Abschlachten der Bevölkerung. Der Halbmond kehrte wieder auf die Spitze des Felsendoms auf dem Tempelberg zurück. Sein Betreten war fortan ausschließlich Muslimen vorbehalten. Aber den Juden stand die heilige Stadt wieder offen. Sie kamen, wie die Muslime, aus der Küstenebene. Schon bald schlossen sich ihnen Juden aus Nordafrika und dem Jemen an. Die Nachricht vom fehlgeschlagenen dritten Kreuzzug zur Eroberung der Heiligen Stadt löste eine lebhafte jüdische Einwanderungswelle aus, an deren Spitze 300 Rabbiner aus Frankreich und England standen. Sie ließen sich 1210 in Jerusalem nieder.

1244 eroberten Turkmenenstämme Jerusalem. Sie zerstörten alle nichtmuslimischen Schreine. Die noch in der Stadt verbliebenen Juden nahmen ihre Tora-Rollen und flohen nach Schchem, d.h. Nablus. Als Nachmanides, der Ramban, 1267 in Jerusalem eintraf (siehe unten), kehrten einige von ihnen wieder zurück.

Die Ramban-Synagoge

Nichts illustriert den Zustand des jüdischen Jerusalems wohl besser als ein Brief, den der Ramban an seinen Sohn schrieb, nachdem er 1267 in der Stadt eingetroffen war. Verwüstet und verlassen sei sie, berichtet er darin, und es gebe keine einzige Synagoge, in der gebetet würde. Der Ramban, der mit vollem Namen Rabbi Mosche ben Nachman hieß und 1194 in Gerona in Spanien geboren war (gestorben 1270 in Akko), konnte zu jenem Zeitpunkt nicht mehr in seine Heimat, Spanien, zurückkehren, denn in einer berühmt-berüchtigten Disputation mit dem zum Christentum übergetretenen Pablo Christiani und katholischen Priestern hatte er die Oberhand behalten und sich damit viele Feinde gemacht. Er setzte alles daran, um die Stadt zu einem für Juden wieder bewohnbaren Ort zu machen.

Mit der Erlaubnis der Mameluken-Behörden suchte er ein leer stehendes Gebäude, um darin eine Synagoge einzurichten. Es war bekrönt von einer Kuppel, die vier Pfeiler trugen. Hoffnungsfroh teilte er seinem Sohn in einem weiteren Brief mit, dass er nun, zusammen mit zwei weiteren Juden, die noch in der Stadt lebten, mit dem Zustrom von Neuankömmlingen rechne.

Es trafen denn auch wieder Juden ein, die Gemeinde wuchs, und sie kam für Gebet und Tora-Studium in Rambans Synagoge zusammen. Im 15. Jahrhundert mussten die Juden der Stadt diese Synagoge allerdings wieder räumen, und sie suchten ein anderes Gebäude, in dem sie einen neuen Betraum einrichten konnten. Lang und schmal ist er, fünf Säulen teilen ihn in zwei Schiffe. Das Fundament besteht aus romanischen Gewölben, die auf Säulen mit römischen und byzantinischen Kapitellen ruhen. Da es keinerlei gotische oder muslimische Elemente aufweist, ist anzunehmen, dass das Gebäude aus der Zeit noch vor Ankunft der Kreuzfahrer datiert. Und dieses Gebäude gilt bis zum heutigen Tag als die traditionelle Ramban-Synagoge im Jüdischen Viertel der Altstadt von Jerusalem.

Aber selbst nach dem Umzug in ihr neues Gebäude können die Juden sich nicht lange daran erfreuen. 1589 beschlagnahmen es die osmanischen Behörden und wandeln es in eine Werkstatt um. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts dient es als Käsefabrik. Von 1949 bis 1967, das heißt, während der jordanischen Besatzung der Jerusalemer Altstadt, nutzen die Bewohner es als Schaf- und Ziegenstall.

Erst nach dem für Israel siegreichen Sechstage-Krieg 1967 wird das Gebäude wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Nach einer gründlichen Renovierung ersetzt es die benachbarte Churva-Synagoge, die von den Jordaniern zerstört worden war, als die Hauptsynagoge der Jerusalemer Altstadt – genau 700 Jahre, nachdem der Ramban in das alte Gebäude eingezogen war.

Die Synagogen der Neuzeit

Als die Ramban-Synagoge von den osmanischen Behörden unter dem Vorwand geschlossen wird, sie sei hundert Jahre zuvor als Moschee eingeweiht worden, spalten sich die Juden in Jerusalem in zwei getrennte Gemeinden. Die aschkenasischen Juden errichten nördlich der alten Synagoge das später als Churva-Synagoge von Rabbi Jehuda he-Chassid bekannte Bethaus. Die Sefardim bauen eine eigene, die Jochanan-Ben-Sakkai-Synagoge. Diese Synagoge enthält jedoch nicht nur einen einzigen Betraum, sondern umfasst insgesamt vier Synagogen, entstanden im Laufe der Jahre entsprechend den Bedürfnissen einer wachsenden Gemeinde.

Über die frühe Geschichte der Synagogen ist wenig bekannt. Es gibt kaum Dokumente, die sich auf den Ort beziehen. Die älteste Beschreibung der Synagogen datiert aus dem Jahr 1625. Ein unbekannter Reisender spricht von damals noch zwei Synagogen an diesem Ort. Das übrige Material über die Synagogen datiert aus einer späteren Zeit, beginnend mit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Eine Tradition unter den Juden Jerusalems führt die Heiligkeit des Ortes auf die Zeit des Zweiten Tempels zurück, als, wie der Talmud berichtet, der Talmud-Gelehrte Jochanan Ben Sakkai an dem Ort lehrte, an dem die Hauptsynagoge, die Kahal Kadosch Gadol, „die Große Gemeinde“, jetzt steht. Möglicherweise verdankt sich diese Tradition der Größe und Pracht dieser Synagoge sowie ihrer Bedeutung.

Jüngere Untersuchungen des Gebäudes zeigen, dass die Elijahu ha-Nawi, auch bekannt als die „Synagoge der Talmud-Tora-Gemeinde“, als erste gebaut wurde, während die Jochanan-Ben-Sakkai später dazukam. Die zwei weiteren Synagogen, die Istanbuli und die Emza’i (Mittlere) bzw. „Zions-Gemeinde“, kamen hinzu, nachdem die Gemeinde in Jerusalem gewachsen war. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wächst die jüdische Gemeinschaft in Jerusalem schnell. Nach einem arabischen Aufruhr gegen den osmanischen Gouverneur der Stadt verschlechtert sich die Lage allerdings in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Da die Gemeinde verarmt,  wird auch der Unterhalt aller Synagogen, nicht nur der vier, vernachlässigt, und sie verfallen zusehends. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verbessern sich die Lebensbedingungen in Jerusalem dann aber wieder, sodass die Synagogen eigentlich hätten renoviert werden können. Dem steht jedoch ein altes muslimisches Gesetz entgegen, das sowohl den Bau als auch Reparaturen an nichtmuslimischen religiösen Bauten untersagt. Nur der Sultan in Istanbul kann für Abhilfe sorgen. 1835 erhält die jüdische Gemeinde schließlich die Erlaubnis des Gouverneurs von Palästina für die Renovierung der Synagogen. Die Gebäude müssen teilweise abgerissen und neu aufgebaut werden, so schlecht ist ihr Zustand. Am Ende aber haben die Synagogen wieder ihre alte Pracht zurückerhalten. Dank eines höheren Lebensstandards in Jerusalem sowie der Zuwanderung von Juden aus Galiläa, nach einem Erdbeben dort, wächst sowohl die aschkenasische als auch die sefardische Bevölkerung an. Für beide Bevölkerungsgruppen spielen die Synagogen eine wesentliche Rolle, ja, insbesondere die Jochanan-Ben-Sakkai steigt nunmehr zum gesellschaftlichen und geistigen Zentrum nicht nur für Sefardim, sondern für alle Juden Jerusalems auf.

Hier feiert man große Empfänge wie den für Kaiser Franz Josef II. von Österreich im Jahr 1870 oder die Einsetzung des Rischon le-Zion, dem von den Osmanen anerkannten Präsidenten der jüdischen Gemeinschaft im Jahr 1893. Hier betrauert man seine Toten, und hier kommt man zu den jüdischen Feiertagen zusammen. Zum letzten Mal versammeln sich die Menschen im Jahr 1948 in den alten Synagogen, als die Araber die Altstadt angreifen. Weil die Synagogen unterhalb des Straßenniveaus liegen, flüchten die nicht kämpfenden Bewohner des jüdischen Stadtviertels, ungefähr 1500 Menschen, während der Kämpfe in die Synagogen. Am Freitag, dem 28. Mai 1948, ergibt sich die jüdische Seite. Für die kommenden neunzehn Jahre, bis zum 7. Juni 1967, bleibt die Altstadt von Jerusalem in arabischer Hand, und die Juden dürfen sie nicht betreten. In dieser Zeit werden die Synagogen stark beschädigt, sämtliche Möbel, die zum Teil noch von den Ausgewiesenen aus Spanien mitgebracht worden waren, sowie Ritualgegenstände verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Aber zumindest die Gebäude bleiben erhalten.

Die Churva-Synagoge

Schon vor 1700 treffen die ersten Gruppen mit zwischen 300 und 1000 aschkenasischen Juden aus Polen im Land Israel und zum Teil auch in Jerusalem ein. Unter der Leitung von Rabbi Jehuda he-Chassid beginnen sie im Jahr 1700 mit dem Bau einer Synagoge in nächster Nähe zur 1589 von den osmanischen Behörden geschlossenen Ramban-Synagoge. Als Rabbi Jehuda stirbt, geht die Zahl der Gemeindemitglieder drastisch zurück, sodass sie ihren Verbindlichkeiten nicht nachkommen können. Das führt zu Unruhen, 1720 zu einem Baustopp und schließlich zur Vertreibung der Gemeinde aus Jerusalem. 1721 legen die arabischen Geldgeber Feuer an das Gebäude, das zusammen mit 40 Tora-Rollen verbrennt. 140 Jahre lang liegt das Gebäude zerstört da und wird als Churva, d.h. „Ruine“, bezeichnet.

Knapp 100 Jahre später, 1816, kommt Rabbi Menachem Mendel ha-Shklov von Safed nach Jerusalem. Ihm gelingt es in langwierigen Verhandlungen mit den osmanischen Behörden, die aschkenasische Gemeinde von allen noch existierenden Schulden auszulösen. Eigentlich hätte man jetzt die Synagoge weiterbauen können. Dem steht aber das bereits weiter oben erwähnte Gesetz der osmanischen Behörden entgegen, das den Bau religiöser, nichtmuslimischer Bauten untersagt. Als Muhammad Ali aus Ägypten 1832 die Herrschaft über Jerusalem übernimmt, lockert er die Bestimmungen, sodass wenigstens bestehende Synagogen repariert werden dürfen.

Dank der finanziellen Unterstützung wichtiger Sponsoren wie der Familie Rothschild und auch Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen (1840–1861), kann der Grundstein für die Synagoge im Jahr 1856 gelegt werden. 14 Jahre später wird sie im neobyzantinischen Stil vollendet und feierlich eingeweiht.

Die Kuppel der Churva-Synagoge gilt fortan als richtungweisend für andere Synagogenbauten. Ihre Deckenhöhe von 25 Metern macht sie zu einem der größten und weithin sichtbaren Gebäude in der Altstadt von Jerusalem.

Offiziell heißt die neue Synagoge Beth-Ja’akow, „Jakobs Haus“, nach dem Vater der beiden wichtigsten Sponsoren, der Rothschild-Brüder Alphonse und Edmond. Im Volksmund heißt sie jedoch weiterhin Churva, „Ruine“.  84 Jahre lang dient die Churva als die Hauptsynagoge nicht nur der Jerusalemer Altstadt, sondern des Jischuw. Hier wurden die Oberrabbiner von Jerusalem und dem damaligen Erez Israel, dem „Land Israel“ eingesetzt, und hier fanden wichtige Ereignisse statt wie der Gedenkg’ttesdienst für Königin Victoria im Februar 1901.

Als der israelische Unabhängigkeitskrieg gleich nach der Ausrufung des Staates Israel im Mai 1948 ausbricht, kommt der Churva dank ihrer Größe und Lage eine wichtige strategische Bedeutung zu. Die Haganna bezieht in der Synagoge Stellung. Als sie die Aufforderung zur Kapitulation der jordanischen Arabischen Legion ablehnt, sprengt diese ein Loch in die Umfassungsmauer der Synagoge. Innerhalb von 45 Minuten ist der Kampf vorbei. Jordanische Soldaten hissen die jordanische Flagge auf der Kuppelspitze und sprengen zwei Tage später den gesamten Komplex. Der jordanische Kommandant macht seiner Erleichterung mit den folgenden Worten Luft: „Zum ersten Mal seit 1000 Jahren verbleibt kein einziger Jude im Jüdischen Viertel. Kein einziges Gebäude verbleibt intakt. Das macht eine Rückkehr der Juden unmöglich.“ Allerdings nicht für lange. Denn nach dem Sechstage-Krieg 1967 kommt die Jerusalemer Altstadt wieder unter israelische Herrschaft. 1977 errichtet man den 16 Meter hohen Bogen der Synagoge. Die Ruine dient als Mahnmal.

Im Sommer 2003 führt das Archäologische Institut der Hebräischen Universität gründliche Ausgrabungen auf dem Areal der Ruine auf einer Fläche von 300 Quadratmetern durch. Dabei kommen greifbare Beweise aus der Zeit des Ersten Tempels (1000–600 v.d.Z.) ans Licht ebenso wie aus der Zeit des Zweiten Tempels (515 v.–70 d.Z.) sowie aus der byzantinischen wie osmanischen Zeit. 2005 wird beschlossen, die Synagoge nach den alten Plänen des ursprünglichen Architekten, Assad Effendi, wieder aufzubauen. Der ausführende Architekt heißt Nahum Meltzer aus Jerusalem. Die neu errichtete Churva-Synagoge wird am 15. März 2010 feierlich eingeweiht. Die Juden sind wieder in die Jerusalemer Altstadt zurückgekehrt.

Die Tif’eret-Jisrael-Synagoge

Die Tif’eret-Jisrael-Synagoge stand am Churva-Platz an der Ostseite neben der heutigen Jeschiwat ha-Kotel. Sie war die größte Synagoge in der Altstadt von Jerusalem, und sie wurde im Unabhängigkeitskrieg 1948 von den Jordaniern zerstört. Sie trägt den Namen von Rabbi Israel Friedman aus Ruschin. Bekannt ist sie auch als „Nissan-Bek-Schul“, nach Rabbi Nissan Beck, der sie gründete.

Die Chassidim treffen 1747 in Jerusalem ein. Anfangs beten sie in kleinen Privaträumen, so auch im Haus von Rabbi Israel Beck. Erst 1839 fasst Rabbi Nissan Beck dann Pläne für den Bau einer chassidischen Synagoge. Mit dem Baubeginn muss er allerdings noch bis 1857 warten. Denn anfangs verweigern die osmanischen Behörden die Erlaubnis, die Fundamente auszuheben, und als dann endlich die Genehmigung eintrifft, stellen sich weitere Schwierigkeiten in den Weg, denn bei den Grabungsarbeiten stößt man auf ein muslimisches Grab. Schließlich darf dieses Grab an einen Ort außerhalb der Stadtmauern verlegt werden. Dann stellt sich heraus, dass die Behörden in der Türkei eine Baugenehmigung ausstellen müssen, die anfangs keineswegs dazu gewillt sind. Rabbi Beck ist Österreicher, und es gelingt ihm, Franz Joseph I. von Österreich dazu zu überreden zu intervenieren, sodass die gewünschte Genehmigung 1858 erteilt wird. Während der Bau in die Höhe wächst, werden die Mittel dafür gesammelt. Das nimmt rund zehn Jahre in Anspruch.

Auf seiner Reise zur Einweihung des Suezkanals kommt Franz Joseph I. von Österreich 1869 auch durch Jerusalem und besichtigt die halbfertige Synagoge. Da er bemüht ist, die Rechte seiner Untertanen im Heiligen Land zu schützen und zu fördern, schenkt er 1000 Franken, damit der Bau seine Kuppel bekommt.

Die drei Stockwerke hohe Synagoge wird 1871 vollendet und im August 1872 feierlich eingeweiht. 75 Jahre lang dient die Tif’eret-Jisrael-Synagoge der chassidischen Gemeinschaft in Jerusalem als ihr Zentrum. Diese Synagoge wird von Soldaten der Arabischen Legion im Unabhängigkeitskrieg in die Luft gesprengt. Nach dem Sechstage-Krieg wird beschlossen, die Ruinen der Synagoge so stehen zu lassen, wie sie sind.

Dieser kurze Exkurs über das Schicksal der wichtigsten Synagogen in der Altstadt in Jerusalem sollte auch die letzten Zweifel daran ausgeräumt haben, dass die Juden nur etwas fordern, auf das sie einen Anspruch haben. Denn im Gegensatz zum Ersten und Zweiten Tempel, von dem lediglich kleinere Funde aus dem Schutt geborgen wurden, den der Waqf, die für den Tempelberg zuständige Behörde, aus dem Inneren des Tempelbergs ins Kidrontal beförderte, haben sich von den alten Synagogen greifbare Reste erhalten. 

Aus Miriam Magall: „Jerusalem. Heilige Stätten der Juden.“ Paderborn 2010. 190 Seiten. 66 Abbildungen.
Quelle: Jüdisches Leben in Bayern Nr. 113, September 2010

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