Urteil statt Vorurteil.
Heute:
Reformation und Antijudaismus. Johannes Reuchlin
von Klaus-Peter Lehmann

Die Bedeutung Reuchlins
Johannes Reuchlin (1455-1522) war ein berühmter Humanist, der sich durch die Erforschung der hebräischen Sprache einen Namen machte. Er fuhr mehrere Male nach Italien, um bei berühmten Persönlichkeiten seine Sprachkenntnisse zu vertiefen (Pico de Mirandola, Obadia Sforno). 1506 gab er die erste von einem Christen ausgearbeitete hebräische Grammatik heraus. Trotz ihrer Mängel hatte sie eine erhebliche Wirkung auf die Humanisten und die Reformation. Sie verstärkte die Bemühungen, die Bibel in ihrer hebräischen Sprachgestalt zu verstehen und führte bei den Reformatoren dazu, dieser den grundsätzlichen Vorrang bei der Auslegung der Schrift einzuräumen.
Melanchthon lobte das Werk Reuchlins: Die für die Kirche unverzichtbare hebräische Sprache machte er weithin bekannt.

Hebraisten und Antijudaismus
Reuchlins Werk hatte für die Reformatoren eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung: Daher lässt Gott es nicht zu, dass die hebräische und griechische Sprache ganz und gar zugrunde gehen. Und so sind wir der Auffassung, dass das Studium dieser Sprachen durch den einzigartigen Ratschluss Gottes angeregt wird und sind denen dankbar, durch deren Mühen viele von ihnen unterwiesen werden.  (1)  Der Antijudaismus, die Verschlossenheit der damaligen Zeit gegenüber dem Judentum, lässt sich daran ermessen, dass nicht zu erkennen ist, ob bei diesem Satz an die reale Gemeinschaft der Hebräisch Sprechenden, das Judentum, überhaupt gedacht worden ist. Obwohl christliche Bibelausleger, wie der damals weithin benutzte Kommentar des Franziskaners Nicolaus von Lyra, aus rabbinischen Quellen schöpften, war der Gedanke vom Judentum als der Wurzel der Kirche anscheinend undenkbar, auch wenn er sich nahezulegen scheint.  (2) 
Reuchlin sah im Hebräischen die heilige Sprache, in der Gott mit den Menschen und die Menschen mit den Engeln unmittelbar und ohne Dolmetsch von Angesicht zu Angesicht verkehren. Trotzdem betrachtete er das Elend, in dem die Juden lebten, als Folge ihres verblendeten Unglaubens und unterstellte ihnen, sie würden in ihren Schriften und Gebeten über Jesus, Maria und die Christen lästern. Auch für ihn war die Kenntnis des Hebräischen ein Werkzeug zur erfolgreicheren Bekehrung der Juden (>Martin Luther).

Johannes Pfefferkorn kontra Johannes Reuchlin
Anfang des 16. Jh. griffen Kölner Dominikaner, angetrieben von dem jüdischen Apostaten Johannes Pfefferkorn, den Gedanken der Talmud-Verbrennung wegen angeblicher Schmähung des Christentums auf. 1509 erwirkte Pfefferkorn von Kaiser Maximilian einen Erlass zur Konfiszierung der jüdischen Schriften. Allerdings bestand der Kaiser auf der Einholung von sachverständigen Gutachten, u.a. von Johannes Reuchlin. Dieser riet von einer Beschlagnahme oder gar Verbrennung des Talmuds ab, weil er vieles enthalte, was den Wahrheitsanspruch der christlichen Kirche bestätige. Insbesondere die Kabbala enthalte geheime christliche Lehren. Man solle an den Universitäten vielmehr die hebräische Sprache lehren. Sie sei ein Wunderding. Keine Übersetzung der Bibel komme dem Original gleich. Man solle auf dem sanften Weg der Überzeugung die Juden zum Christentum bekehren. Auf reichsrechtliche Aspekte eingehend legte Reuchlin dar, dass Judentum und Christentum nach antikem römischem Recht als zwei Sekten gelten. Die Juden seien Mitbürger des Reiches (concives imperii) und hätten dem kaiserlichen Gesetz zufolge Anspruch auf Schutz. Da sie von Anfang an außerhalb der Kirche standen, dürfe man sie auch nicht als Ketzer behandeln. Damit stellte er sich der herrschenden Ansicht entgegen, die Juden seien seit der Eroberung Jerusalems durch Titus dem Kaiser mit Gut und Leben verfallen.
In der Folge entspann sich eine scharfe Kontroverse zwischen den deutschen Humanisten und den Dominikanern, in deren Verlauf die sog. Dunkelmännerbriefe erschienen. In ihnen machten sich die Humanisten über ihre Gegner lustig und persiflierten ihre erbärmlichen Lateinkenntnisse. Auch >Luther wurde um eine Stellungnahme zu einem Verbot des Talmuds gebeten. Ein gegen Reuchlin angestrengter Häresie-Prozess ging zu seinen Gunsten aus. Seine Schriften würden keine Ketzereien enthalten. Das 5. Laterankonzil (1512-1517) votierte zu seinen Gunsten, während Papst Leo X. seine Auffassungen als häretisch verurteilte. Zu einer Talmud-Verbrennung kam es nicht. Die Juden bewahrten Johannes Reuchlin für seinen Einsatz, der mit vielen Anfeindungen verbunden war, ein ehrendes Andenken.

(1) Ph. Melanchthon, Rede über Johannes Reuchlin aus Pforzheim, Melanchthon deutsch I, Hrg. M. Beyer, Leipzig 1997, S. 193. 199
(2) Man sagte damals: Si Lyra non lyrasset, Lutherus non saltasset / Hätte Lyra nicht gespielt, hätte Luther nicht getanzt.

 

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