Wir Christen und der Koran
von Klaus-Peter Lehmann

Das dialogische Prinzip von Martin Buber
Die Hauptvoraussetzung zur Entstehung eines echten Gesprächs ist, dass jeder seinen Partner als diesen, als eben diesen Menschen meint. Ich werde seiner inne, werde dessen inne, dass er anders, wesenhaft anders ist als ich, in dieser bestimmten ihm eigentümlichen einmaligen Weise wesenhaft anders als ich, und ich nehme den Menschen an, den ich wahrgenommen habe, so dass ich mein Wort in allem Ernst an ihn, eben Als ihn richten kann. Vielleicht muss ich seiner Ansicht über den Gegenstand unseres Gesprächs die meine Mal um Mal in aller Strenge entgegenhalten, um eine Auflockerung der Überzeugengen geht es ganz und gar nicht, aber diese Person, den personhaften Träger dieser Überzeugung nehme ich in seinem Sosein an, aus dem seine Überzeugung gewachsen ist, eben die Überzeugung, von ich etwa Stück um Stück zu zeigen versuchen muss, was da nicht stimmt. Ich sage ja zu der Person, die ich bekämpfe, partnerisch bekämpfe ich sie, ich bestätige sie als Kreatur und als Kreation, ich bestätige auch das mir entgegen Stehende als das mir gegenüber Stehende. Freilich hängt es nun von jenem ab, ob zwischen uns ein echtes Gespräch, die zu Sprache gewordene Gegenseitigkeit aufkommt. Aber ist es erst soweit, dass ich den andern, als einen Menschen, mit dem ich dialogisch umzugehn bereit bin, so mir gegenüber legitimiere, dann darf ich ihm zutrauen und zumuten, dass auch er partnerisch handle.  (1)

Positionen und ihre Probleme
Für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Christen und Muslimen scheint es auf christlicher Seite zurzeit vor allem zwei Positionen zu geben. Entweder Assimilation im bzw. vor dem Gespräch oder Konfrontation mit dem Bekenntnis. Eine dritte Position, der Versuch einer Begegnung im Dialog kann offenbar nur schwer Fuß fassen.   (2)  Nach Buber aber ist das die Voraussetzung zu wahrem Verstehen. Dabei sollte uns bewusst sein, dass Begegnungden Gegner, also die Konfrontation,deutlich sieht und liebevoll umschließt. So stellte Buber sich den Dialog vor. Die Mehrzahl derjenigen, die heute von Dialog oder interreligiösem Gespräch reden, wollen, wenn ich es richtig wahrnehme, sachliche Gegnerschaft oder grundsätzliche Unterschiedlichkeit theologischer Positionen aus der christlich-muslimischen Begegnung fernhalten.  (3)
Ein typisches Beispiel für das, was ich mit Assimilation meine, scheint mir der Beitrag von K.J. Kuschel zu sein. Neben die Bibel stellt er den Koran und sagt Mein Koran.  (4)  Mir kommt das übereilt vor. Handelt es sich wirklich um Übereinstimmung, wenn Mose im Koran als Prophet gegen den Pharao, also gegen cäsarische Machthaber auftritt, aber davon abgesehen wird, dass er in der Bibel vornehmlich der Bildner von Gottes ewigem Bundesvolk Israel ist, das sein Wort (Tora) in die Menschheitsgeschichte hineinträgt?  Was ich vermisse und was m.E. konstitutiv zu einem theologischen Dialog gehört, wäre ein Gegenüberstellen und Abwägen zwischen den verschiedenen Konzeptionen von Prophetentum in Bibel und Koran.
Was Kuschels Ausführungen zur Kreuzestheologie angeht, bleibt ihm seine Meinung unbenommen. Ist aber für das interreligiöse Gespräch geeignet, wer dem neutestamentlichen Christuszeugnis nicht glaubt und die Grundlage christlicher Lehre nicht teilt?  (5)  Meine weitergehende Frage ist, ob als dialogfähig gelten kann, wer sich der doppelten Bemühung, die nach Buber den wahren Dialog konstituiert, nicht unterzieht: menschliche Nachbarschaft mit sachlicher Klarheit zu verbinden.
Unter bekenntnishafter Konfrontation verstehe ich eine Position, die sich darauf beschränkt, den islamischen Glaubensanschauungen die christlichen Lehrsätze entgegenzuhalten. Diese werden zu Formeln, wenn der Versuch unterbleibt, sie diskursiv zu vermitteln. Ein Beispiel dafür ist die Erklärung der Lausanner Bewegung Christlicher Glaube und Islam, die zum Zeugnis unter Muslimen ermutigen will und dabei ohne das Wort Dialog auskommt.  (6)  
Problematisch sind die theologischen Voraussetzungen beider Positionen. Die erste geht oft von einem Gottesbegriff aus, der den Gott Israels und Allah umfasst bzw. beide gleichsetzt. Die zweite steht auf dem Standpunkt des christlichen Absolutheitsanspruches im Sinne einer objektiven Wahrheit. Was hier beide Male vorausgesetzt wird, kann allenfalls Ergebnis eines Dialoges sein. Es handelt es sich um Vorentscheidungen in der Wahrheitsfrage, die nicht vor dem Dialog, sondern bestenfalls - transparente gegenüberstellende Diskussion vorausgesetzt – durch ihn entschieden werden können.

 

Voraussetzungen für einen Dialog
Zum Dialog als Begegnung gehört, wenn ich Buber recht verstehe, dreierlei.

  • Die unbedingte Bereitschaft, den Anderen, ein Geschöpf Gottes wie ich, als solches zu respektieren und deshalb, worum es thematisch auch immer gehen mag, zu ihm als Person zu sprechen und nicht zu bekämpfen.
  • Die unablässige Bemühung, den Anderen so zu verstehen, wie er sich selber versteht, denn jede Religion ist ein unverwechselbares, einmaliges Ineinander verschiedener Elemente, die nur von diesen Zusammenhang her ihren Sinn haben.
  • Meine Sicht des Gesprächsgegenstandes als Wahrheit zu vertreten und in sachlicher Strenge für sie zu argumentieren und zu kämpfen.
  • Die Anerkennung der prinzipiellen Ergebnisoffenheit des Dialoges.

Dabei ist entscheidend: Der subjektive Wille, die eigene Überzeugung als Wahrheit zu vertreten, muss sich synchron verbinden mit der Unterwerfung unter die prinzipielle Offenheit des Dialoges, was seinen Ausgang betrifft. Die theologische Voraussetzung dieser Position liegt darin, dass sie von der Wahrheitsfähigkeit jedes Menschen ausgeht, was direkte Konsequenzen für das Verständnis des Dialoges hat: Jeder Mensch geht davon aus, dass seine Überzeugung wahr ist. Aufgrund der Wahrheitsfähigkeit jedes Menschen darf er sie auch als solche vertreten. Weil aber auch jeder irren kann, gilt für den Dialog gleichzeitig die prinzipielle Ergebnisoffenheit.
„Der Gedanke der Menschenwürde scheint mir zu stehen und zu fallen mit der wenn auch noch so eingeschränkten Wahrheitsfähigkeit und der wenn auch noch so eingeschränkten Liebesfähigkeit des Menschen.“  (7)
Ich bin mir nicht sicher, ob sich das heutige interreligiöse Gespräch, besonders wo es um theologische Positionen geht, diese Kriterien angeeignet hat. Ohne sie sind keine Ergebnisse zu erwarten, außer Banales und Frustration. Mit Sicherheit ist der Gang auf den Pfaden Bubers der einer respektvollen Selbstdisziplin, sowohl dem Gesprächspartner als auch der eigenen Lehrtradition gegenüber. Schnelle Ergebnisse verspricht auch dieser Weg nicht. Trotzdem einige Beispiele, die Mut machen könnten.

Auf dem Weg zum Dialog – Beispiele

  • Das erste Beispiel ist Martin Buber selbst. Auch wenn er in seiner Zeit kaum Resonanz und Erfolg hatte, so erschließen seine Schriften doch ein Verständnis des Dialoges, das es immer wieder neu zu belebt werden sollte.
  • Dann die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf dem Evangelischen Kirchentag. Trotz deren tief verwurzelter Judenfeindschaft ist es ihr gelungen, die evangelischen Kirchen wenigstens teilweise für einen wirklichen Dialog mit Juden zu öffnen und ein Umdenken einzuleiten.
  • Der Augsburger Religionsfriede war ein Reichsfriede unter Ausschluss der religiösen Wahrheitsfrage. Sein Verdienst lag darin, ihre Lösung einer friedlichen Einigung der Konfessionen anheimzustellen.  (8)  Das entsprach dem Prinzip der evangelischen Bekenntnisschriften: sine vi sed verbo. Was damals für das Verhältnis der Konfessionen erzwungen wurde, ist heute zwischen den Religionen quasi selbstverständlich.
  • Die Handreichung der EKD Klarheit und gute Nachbarschaft   (2)  hat das Verdienst unbequeme Themen wie Mission und Demokratie direkt angesprochen zu haben. Das Anliegen dieser Handreichung, das soziale Zusammenleben mit den Muslimen mit einem deutlichen Austausch über theologische Streitfragen zu verbinden, ist m. E. nicht verstanden worden.

Was wäre aus diesen Beispielen zu lernen? Bei Buber lernen wir die hohen persönlichen und sachlichen Anforderungen an jeden, der sich auf einen Dialog einlässt. Der Weg und die Wirkungsgeschichte der AG Juden und Christen lehren uns, dass theologisches Umlernen möglich ist. Man darf heute wohl davon ausgehen, dass die Zeiten, als evangelische Christen glaubten, das jüdische Volk sei verworfen, definitiv vorbei sind. Der Augsburger Religionsfrieden lehrt uns, dass eine Konfession gelernt hat, für die Durchsetzung ihres Glaubens auf politische Macht zu verzichten. Ich meine die katholische Kirche, auch wenn sie den Westfälischen Frieden bis heute nicht anerkannt hat. Die Handreichung der EKD lehrt, gerade weil sie das Thema der Mission anspricht, wie der Abschied vom Triumphalismus aussehen könnte. Der besteht nämlich nicht darin, den Glauben an die eigene, die absolute Wahrheit aufzugeben, sondern im Eintreten für sie auf jede Form von Gewalt zu verzichten. Zudem trägt die Bereitschaft sich im Dialog der seinerseits für absolut gehaltenen Wahrheit des Gegenübers auszusetzen, d.h. der rein verbale Streit um die Wahrheit, zum gesellschaftlichen Frieden bei. Denn das reformatorische Prinzip sine vi sed verbo / ohne Gewalt, allein durch das Wort führt in ein Modell gesellschaftlicher Toleranz, das die Antwort auf die Wahrheitsfrage nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben hat.

 

  1. M. Buber, Das dialogische Prinzip, Heidelberg, 1979, S. 183f
  2. Ich denke an das vielfach ablehnende Echo auf die Handreichung des Rates der EKD Klarheit und gute Nachbarschaft (2006), die mit dem Anliegen, das der Titel zum Ausdruck bringt, nicht angenommen wurde. Aber auch an eine Ausarbeitung, wie die von C.J. Braun, dem damaligen Islam-Beauftragten der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Antijudaismus im christlich-muslimischen Dialog in Deutschland, 2000.
  3. Dafür gibt es m.E. zwei Motive, einmal das pragmatische, um das Gespräch nicht zu strapazieren, dann das grundsätzliche, nach dem unüberbrückbare theologische Differenzen von vornherein ausgeschlossen oder für unerheblich erklärt werden.
  4. Karl-Josef Kuschel, Mein Koran, Blickpunkt.e, Nr. 6, Dezember 2010, S. 32-35
  5. Kuschel bezweifelt die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Christi. Damit stellt er implizit das Osterzeugnis von der Offenbarung des Gekreuzigten als des Auferstandenen infrage. Kuschels Unglaube führt vermutlich auch dazu, dass er gegenüber der Meinung des Koran, Jesus sei von Gott dem Kreuzestode enthoben worden, nicht die christliche Lehre von der Himmelfahrt des Gekreuzigten und Auferstanden und seiner Teilhabe an der Weltregierung Gottes zur Sprache bringt.
  6. Erklärung der Lausanner Bewegung, Deutscher Zweig in Verbindung mit der Deutschen Evangelischen Allianz und der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionen, Wetzlar, 1997. In ihr finden sich zweideutige Sätze wie u.a. diese: ‚Sozialer Friede ist kein letzter Wert für das ewige Heil des Menschen. Deshalb hat die Verkündigung des Evangeliums an Muslime grundsätzlich Vorrang vor der Sicherung des sozialen Friedens’ (a.a.O., S. 29). Mit diesem Satz ließen sich genau genommen auch Kreuzzüge rechtfertigen.
  7. R. Spaemann, Schritte über uns hinaus,  Stuttgart 2010, S. 7
  8. Es soll die dtrittige Religion nicht anders als durch christliche, freundliche und friedliche Mittel und Wege zu einhelligem, christlichen Verständnis und Vergleich gebracht werden (Augsburger Religionsfrieden § 15).

 

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ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
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