Hinter den Rauchwolken
von Inge Günther

Nach dem Brand ist nichts wie zuvor in Israel. Feindliche Nachbarn haben ihre Solidarität bewiesen. Und für die Feuerwehr wird etwas mehr Geld übrig sein.

Was der Jom-Kippur-Krieg für die israelische Armee bedeutete, war der Großbrand im Karmel-Gebirge für die nationale Feuerwehr. Ein Vergleich, der in diesen Tagen immer wieder von Israelis zu hören ist. Der ägyptisch-syrische Angriffskrieg traf 1973 die Armee ähnlich unvorbereitet wie das vier Tage lang wütende Inferno in einem der größten Waldgebiete Israels. Beides besaß ein vernichtendes Potenzial, das aus eigener Kraft schier unbeherrschbar schien. Und so wie seinerzeit die USA mit Waffennachschub Israel vor der drohenden Niederlage retteten, waren es diesmal Löschflugzeuge und beherzte Feuerwehrmänner aus über zehn Staaten, die den Flammen Einhalt geboten.

Für den jüdischen Staat, der seit dem Amtsantritt der Regierung Benjamin Netanjahu mehr und mehr in die Isolation abrutscht, ist dies eine durchaus wohltuende Erfahrung. Das erlebte Desaster wird dadurch nicht geringer. Die Bilanz der Zerstörung ist gewaltig: 42 Tote, 74 niedergebrannte Häuser, Brandschäden an hundert weiteren Gebäuden, dazu fünf Millionen Bäume, die der Feuerwalze zum Opfer fielen. Doch so banal es klingt, Katastrophen haben mitunter ein Gutes. Dass die halbe Welt, inklusive der Mittelmeer-Anrainer von der Türkei bis Zypern und selbst arabischer Nachbarn wie Ägypter, Jordanier oder Palästinenser, Israel in der Stunde der Not beigesprungen ist, könnte gar zu einem politischen Umdenken beitragen.

Die Israelis haben sich oft mokiert über die „Vision eines neuen Nahen Ostens“, die ihr Staatspräsident Schimon Peres in Zeiten des Osloer Friedensprozesses oft bemühte. Doch in den Fernsehbildern von palästinensischen und israelischen Feuerwehrleuten, die Seite an Seite den Buschbrand bekämpften und sich nach tagelanger Arbeit verrußt und verschwitzt in den Armen lagen, blitzte sie auf – zumindest als Möglichkeit, wie es sein könnte, gäbe es Frieden.

Mag sein, dass das alles im politischen Tagesgeschäft bald wieder vergessen ist. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, der die Entsendung von Löschzügen aus Dschenin zum Karmel als selbstverständliche humanitäre Hilfe deklarierte, wird deshalb noch nicht Netanjahu den Gefallen tun, auf die Forderung nach Siedlungsstopp zu verzichten. Wie könnte er auch? Ost-Jerusalem und Westbank sind nach internationalem Recht besetztes Gebiet, das den Palästinensern zusteht. Aber die israelische Psyche, die sich sonst so schnell von der Welt im Stich gelassen oder missverstanden fühlt, reagiert auf menschliche Gesten eher als auf Druck von außen. Erinnert sei an den Besuch von Anwar al-Sadat 1977 in Jerusalem, der Frieden mit Ägypten erst möglich machte.

Wie auch immer, der schwarze Riesenfleck, den der Brand auf dem Karmel hinterlassen hat, zwingt die Regierung zu einer politischen Kurskorrektur. Das Feuer ist gelöscht, aber den Schrecken hat Israel noch nicht verdaut. Hinter den abziehenden Rauchwolken wird klar, dass die regionale Militärmacht in Nahost trotz aller Hightech-Power für Naturkatastrophen miserabel ausgerüstet ist. Das gilt für die Gefahr schwerster Erdbeben, die hier, entlang des afrikanischen Bruchs, fast alle hundert Jahre zu verzeichnen sind, genauso wie für Großbrände. Gegen die muss ein Land gewappnet sein, das über zu wenig Wasser verfügt und dem Meteorologen zu alldem Dürrejahre prognostizieren. Umso mehr, wenn seine Militärs in künftigen Kriegsszenarios mit Raketenangriffen aus Syrien oder Libanon rechnen, die Ziele im ganzen Land treffen könnten.

Noch ist Israel hauptsächlich mit der Suche nach den Sündenböcken beschäftigt, die für den Flächenbrand verantwortlich gemacht werden können. Der geballte Zorn richtet sich gegen Innenminister Eli Jischai, der sich weit mehr für neue Religionsschulen ins Zeug legte als für eine Modernisierung der Feuerwehr. Doch allein schuldig dürften weder er noch die beiden Teenager aus dem Drusendorf Isfjija sein, die der Brandstiftung verdächtigt werden, weil sie angeblich die Glut ihrer Wasserpfeifen im Gebüsch auskippten. Weit mehr sind falsche nationale Prioritäten das Problem. Israels säkulare gemäßigte Mehrheit hat die Nase voll davon, dass die rechtskonservative Koalition viel Rücksicht auf die Siedlerlobby und die religiöse Klientel nimmt, aber sich bislang wenig ums profane Allgemeinwohl wie Bürgerschutz und Brandbekämpfung scherte. Die Mängel der Feuerwehr sind in unzähligen Regierungspapieren dokumentiert. Dass die Leitern der veralteten Löschzüge höchstens bis zum fünften Stock reichen, weiß jedes Kind, seitdem es kürzlich in einem der ältesten Hochhäuser in Tel Aviv brannte – zum Glück nur in einer unteren Etage. Konsequenzen wurden nicht gezogen.

Doch nach dem erlebten Desaster auf dem Karmel gibt es kein schnelles Zurück zur Tagesordnung. „Der Job eines Feuerwehrmanns“, hat ein dort eingesetzter Palästinenser gesagt, „ist es, Leben zu retten, unabhängig von Religion, Nation und Ideologie.“ Ein Leitsatz, den man gern sämtlichen Politikern in Nahost empfehlen möchte.

Frankfurter Rundschau, 7.12.2010

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