Gottes Volk in Gottes Land
Die bleibende Erwählung Israels und die bleibende Verheißung des Landes
Gehört die Landverheißung für Israel in den christlichen Glauben?
von Klaus-Peter Lehmann

A.) Die Landverheißungen in den landeskirchlichen Erklärungen

1.) Das Novum: die bleibende Erwählung Israels
Die Erklärungen der evangelischen Landeskirchen zum Verhältnis von Kirche und Israel sprechen alle von der bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes. Darin liegt das theologisch tragende Element aller Neuformulierungen,  (1)  dieses Verhältnisses in den zurückliegenden Jahrzehnten. Angesichts des zweitausendjährigen ökumenischen Konsenses, für den die Substitution Israels durch die Kirche eisernes Dogma war, ist das ein kirchengeschichtliches Novum. Auch wenn es letztlich durch Auschwitz bewirkt wurde, auch wenn es noch Widersprüche und Widerstände gegen diese fundamentale Neuorientierung gibt,  (2)  was bei ihrem Gewicht beinahe wie natürlich anmuten muss, tut das ihrer Bedeutung keinen Abbruch, solange sie dem reformatorischen Prinzip sola scriptura verpflichtet bleibt.

 

2.) Das Problem mit den bleibenden Landverheißungen
Ein prekärer Punkt der Neuorientierung ist das Verhältnis zur Landverheißung für Israel. Das biblische Zeugnis revoziert diese Verheißung nicht, denn sie ist Teil der Erwählungszusage, also mit ihr von ewiger Gültigkeit. Das kirchliche Bekenntnis zur Erwählung Israels müsste demnach die Landverheißung einschließen. Wie verhält es sich damit?
Der rheinische Synodalbeschluss von 1980 spricht von der Einsicht, dass die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind.  (3)  Er geht damit über die Feststellung der EKD-Studie, auf die sich der Beschluss beruft, hinaus: Dennoch ist nach wie vor im jüdischen Glauben die Erwählung des Volkes mit der Erwählung des Landes unlösbar verbunden… Das ist auch für Christen von Bedeutung.   (4) 
Der Unterschied besteht darin, dass die Studie von einem für Christen zu akzeptierenden, bedeutungsvollen Sachverhalt des jüdischen Glaubens spricht, die Synodalerklärung aber von einer christlichen Einsicht. Hier wird die Verbundenheit Israels mit seinem Land zu einem Inhalt des christlichen Glaubens. Sie ist nicht nur Gegenstand des jüdischen Erwählungsbewusstseins, zu dem Christen äußerlich stehen, sondern Medium der christlichen Gotteserkenntnis. Für die rheinische Kirche stellt es sich wohl so dar: In der bleibenden Erwählung Israels, zu der die bleibende Beziehung Israels zu seinem Land gehört, erkennt der Christ die Treue Gottes, der durch Jesus Christus zu ihm gesprochen hat.
Das Problem lässt sich auch so formulieren. Stehen Christen zu den Landverheißungen Israels äußerlich und wohlwollend tolerant, weil sie einem anderen anzuerkennendem Glauben angehören, oder sind sie von der Verheißungsgeschichte Israels innerlich so ergriffen, dass auch die Landverheißung für Israel ihnen zur eigenen Sache geworden ist? Sind für Christen die Landverheißungen ein äußeres Thema der Religionsfreiheit oder ein inneres Thema der christlichen Theologie, Inhalt des eigenen Glaubens und Hoffens?

 

3.) Überblick zu den landeskirchlichen Erklärungen
Der Großteil der landeskirchlichen Erklärungen konstatiert die bleibende Erwählung Israels und verbindet damit gemeinsame ethische Verpflichtungen, die gemeinsame messianische Hoffnung oder eine besondere kirchliche Verantwortung, wie das Eintreten gegen Antisemitismus.  Die Bejahung des Staates Israel wird, wo überhaupt erwähnt, mit der Erwählung nicht verbunden.  (5)  Allerdings muss der Autor aus eigener Kenntnis der Diskussionslage hinzufügen, dass s. E. alle ev. Landeskirchen die Existenz des Staates Israel vorbehaltlos bejahen. In den Erklärungen geht es aber um ein öffentliches Wort bzw. verbindliche kirchliche Lehre. Für ihre Mehrheit scheint die biblische Landzusage an Israel für Christen keine mit der Erwählung Israels zusammenhängende Bedeutung zu haben.
Zwei Erklärungen formulieren, ähnlich dem rheinischen Beschluss, einen inneren Zusammenhang zwischen Landverheißung und christlichem Glauben. Eine sieht ein Zeichen der Treue Gottes, dessen Verheißungen weiterwirken auch in der Gründung des Staates Israel ein Zeichen des Weges Gottes mit Israel.  (6)  Die andere konstatieret einen unlösbaren Zusammenhang zwischen der Rückkehr von Juden in das Land Israel… mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift und der Geschichte Gottes mit seinem Volk.  (7)
Neben der Rede vom Zeichen der Treue Gottes wagen sich diese Worte am weitesten vor. Das erste sieht in der Bundesgeschichte Israels einschließlich der Landverheißung einen Ort der christlichen Gotteserkenntnis, letztere stellt einen inneren Zusammenhang mit dem gesamten biblischen Gotteszeugnis fest.  (8)  Daraus würde folgen, dass christliche Rede von Gott Rede von Israel, seinem Bund und seinen Verheißungen ist. Oder auch, dass die kirchliche Verkündigung von Jesus Christus Hoffnungsrede für Israel, seinen Bund und die Erfüllung seiner Verheißungen, auch der Landverheißung, ist.

 

4.) Die Erklärung der Bayrischen Landeskirche
Die Erklärung der Bayrischen Landeskirche (1998) formuliert das Problem, das Kirchen und Christen mit den Landverheißungen haben, treffend. Sie konstatiert in einem ersten Teil (Kirchlicher Konsens): Der christliche Glaube hält an der bleibenden Erwählung Israels fest. In einem späteren Abschnitt (Themen der Weiterarbeit) heißt es: Der Glaube, dass Gott das jüdische Volk erwählt hat, steht in einem engen Zusammenhang mit dem Glauben, dass Gott dem jüdischen Volk das Land zugesagt hat. Anders als bei Christen, für die sich die Heilserweisung Gottes nicht mit einem bestimmten Land verbindet, hat das Land Israel für das Judentum religiöse Bedeutung.
Demnach hätten die Landverheißungen für Christen keine eigene theologische oder religiöse Bedeutung. Das gelte nur für das Judentum. Ist  diese klare Unterscheidung das letzte Wort?

 

5.) Kann die Landverheißung Inhalt christlichen Glaubens sein?
Kann das Hineingenommensein der Christen in die Verheißungsgeschichte Israels  (9)  meinen, dass auch die Landverheißungen für sie religiöse Bedeutung haben? Warum sollten ausgerechnet diese davon ausgenommen sein? Weil wir es uns nicht vorstellen können?
Unsere Heilsvorstellung geht oft nur von dem aus, was uns unmittelbar angeht. Es scheint offensichtlich, dass die Landzusage für Christen keine unmittelbare Bedeutung hat. Aber könnte sie eine mittelbare, indirekte Heilsbedeutung für Christen haben? Christen würden dann nicht für sich auf das Land hoffen, aber sie hoffen mit den Juden, die auf Rückkehr in ihr Land hoffen.
Einem individualistischen Heilsegoismus bleibt diese gleichwohl biblische Differenzierung der Mitfreude und des Mithoffens (Röm 15,10; Eph 3,6) schwer nachvollziehbar. Für ihn haben Zusagen nur dann Heilsbedeutung, wo sie direkt an eigene die Person gerichtet sind. Es könnte aber sein, dass Zusagen eine Heilsbedeutung für uns haben, die nicht unmittelbar uns, sondern einem Anderen gesagt sind. Das gilt, wenn das dem Anderen zugesagte Heilsgeschehen in seiner Folge auch für uns heilvoll wäre.
So sieht das Alte Testament die durch die Erwählung Israels zum Bundesvolk und seine Rückkehr ins Land in Gang gesetzte Friedensgeschichte als eine, die Israel zugesagt ist und sich für alle Völker zum universalen Schalom auswirken wird. Was dem Zionsvolk zugesagt ist, geht auch die Völkerwelt an, wird die grundlegend verändern. In die Verheißungen an Israel sind die Völker miteinbezogen.
Christen wären dann Menschen aus den Völkern, die durch Jesus Christus zur Hoffnung auf den mit Israels Erwählung für alle Menschen gemeinten Schalom erweckt worden sind. Sie engagieren sich im Geist der Tora für die Verwirklichung der Verheißungen Israels in der Völkerwelt. Ihr Blick geht auf den messianischen Horizont, der zweierlei enthält, den universalen Völkerfrieden und das von Feinden befreite Leben Israels in seinem Land. Ist das exegetisch haltbar?

 

B.) Die Landverheißungen im Alten Testament

6.) Gott, der Auslöser Israels aus dem Exil
Gott heißt der Erlöser Israels (Jes 49,7). Viele Stellen im Alten Testament, die von Gott, der Israel erlöst, sprechen, meinen mit Erlösung, die Rückkehr der exilierten Israeliten in ihr Land (Jes 41,14; 43,1; Jer 31,11; 50,34; Mi 4,10; Ex 6,6). Gelegentlich liest man den Gebetsabschluss: O Herr, mein Fels, mein Eröser (Ps 19,15). Immer ist mit Erlösung bzw. Erlöser (hebr.: גאל
= goel), die Befreiung aus einer sozialen Notlage gemeint. Dabei handelt es sich um eine Anweisung zur Solidarität. Man kann von einer Einlösungspflicht sprechen, die dem nächsten Angehörigen obliegt, wenn sein Verwandter als Sklave verkauft worden ist (Lev 25,48f), wenn er ein Stück Land verkaufen musste (Lev 25,25; Ru 4,4), wenn er eine kinderlose Witwe hinterließ (Dtn 25,5ff; Ru 3,1). Es ist aber auch das Amt des Königs in Israel, die Hilflosen zu beschützen: von Druck und Gewalttat erlöst er ihre Seele (Ps 72,14). So ist es einleuchtend, wenn Martin Buber in seiner Bibelübersetzung nicht vom Erlöser spricht, sondern vom Auslöser. Damit werden nicht nur spirituelle Missverständnisse umgangen. Es bleibt auch der Zusammenhang mit der sozialen Grundbedeutung erhalten, deren konkrete Bildhaftigkeit für die Heimkehr aus der Gefangenschaft in der feindlichen Fremde fraglos stimmig ist.

7.) Gottes Selbsterweis in der Heimführung Israels
Die biblische Rede von Gott ist unlösbar verbunden mit der Rede von seinem Bund mit Israel. Inhalt des Bundes ist das Versprechen der Treue Gottes zu seinem Volk, die Gabe der Tora, die Zusage des Landes und die Verheißung des Völkerfriedens. Das alles umfasst die Erwählung Israels. Eine Rede von Gott außerhalb dieser Koordinaten, die die Geschichte Israels konstituieren, ist keine biblische Rede von Gott. Von Gott zu reden, ohne alle seine Verheißungen im Blick zu haben, wäre eine willkürliche Amputation, eine Zerstörung des biblischen Gottesbegriffes. Nach biblischem Zeugnis erweist sich Gott in der in der Einlösung oder Verwirklichung seiner Verheißungen: Gottes Volk in Gottes Land.
Mit der Heimholung Israels geht es um die Wahrhaftigkeit von Gottes Namen als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Ex 3,13-15), der den Vätern Land und Völkerfrieden versprochen hat (Gen 12,1-3; 26,22-24; 28,13f).
Mir tut es leid um meinen heiligen Namen, den das Haus Israel entweihte unter den Völkern, zu denen es gekommen ist. Darum sprich nun zum Hause Israel: Ich werde meinen großen Namen wieder zu Ehren bringen, der bei den Völkern entweiht ist, den ihr unter ihnen entweiht habt, und die Völker sollen erkennen, dass ich der Herr bin,  wenn ich mich an euch als heilig erweise vor ihren Augen. Ich werde euch aus den Völkern herausholen und aus allen Ländern sammeln und euch heimbringen in euer Land (Ez 36,21-24).
Man könnte auch sagen, die Heimholung Israels ist das zentrale, das Herzensanliegen des in seinem Erwählungshandeln liebenden Gottes: Sieh, auf beide Hände habe ich dich eingezeichnet, deine Gemäuer sind vor mir immerdar (Jes 49,16). Mit ewiger Liebe liebe ich dich, deshalb ziehe ich dich zu mir aus Güte; wieder erbaue ich dich, und du wirst auferbaut sein, Maid Jisrael (Jer 31,2f).
Mit der Rückführung Israels geht es gleichzeitig auch um mehr. Die Heimholung seines Volkes allein ist Gott nicht genug. In dem Gott Israel aus der Gefangenschaft in der Völkerwelt auslöst und die Stämme Jakobs in ihr Land zurückbringt, stößt er die Tür zum verheißenen Völkerfrieden auf. Er macht Israel zum Licht der Völker, damit seine Befreiung die Weltgeschichte umgestalte (Jes 49,6).

 

C.) Die Landverheißungen im Neuen Testament

8.) Jesus Christus, der Auslöser Israels aus der Hand seiner Feinde
Die messianischen Lobgesänge der Maria (Lk 1,46-55) und des Zacharias (Lk 1,67-79), werden angestimmt in dem Glauben, dass der Auslöser Israels durch Jesus von Nazareth aktuell handelt, und seine Verheißungen ihrer Verwirklichung entgegenführt. Dabei fallen die wörtlichen Übereinstimmungen mit Passagen von der Auslösung Israels im Buch Micha in der Septuaginta auf.

Mi 4,10 lesen wir:
Von dort wird er dich erretten, von dort wird er dich auslösen,
der Herr, dein Gott, aus der Hand deiner Feinde
ἐκεῖθεν ῥύσεται σε καὶ ἐκεῖθεν λυτρώσεται σε
κύριος ὁ θεὸς σου ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν σου

Lk 1,68.74 lesen wir:
Gepriesen sei Herr, der Gott Israels,
denn er hat (es) aufgesucht und Auslösung erwirkt seinem Volk …
errettet aus der Hand der Feinde
Εὐλογητὸς κύριος ὁ θεὸς τοῦ ̓̓Ισραήλ,
ὁτι ἐπεσκέψατο καὶ ἐποίησεν λύτρωσιν τῶ λαῶ αὐτοῦ …
ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ῥυσθέντας

Das Neue Testament spricht vom Messias Jesus als von dem, der die alte Hoffnung Israels auf Befreiung von den Feinden und Heimführung ins Land erneut in die Wege leitet (Apg 1,6; 13,23; 15,16; 28,20). Im Gesang des Zacharias ist der Messias derjenige, der die mit Abraham und David verbundenen Hoffnungen auf Völkerfrieden und sicheres Wohnen Israels in seinem Land der Verwirklichung entgegenführt. Zudem besteht das Werk des immer wieder mit Ps 2 eingeführten Sohnes Gottes darin, dass er den Zion gegen die tobenden Völker als Sitz seines Königs bewahrt (Mt 3,17; Apg 13,33) und sie beerbt (Ps 2,8).
Auch im neutestamentlichen Zeugnis vom Werk des Messias Jesus geht es um die zwiefältige Verheißung. Er wird Israel aus der Hand seiner Feinde erretten (Lk 1,71) und den ewigen Schalom für die Völkerwelt herbeiführen (Lk 2,14).

9.) Gottes Selbsterweis im apostolischen Dienst
Apostolische Berufung ist Berufung in die Fortführung des Werkes Jesu Christi. Seine Zwiefältigkeit setzt sich fort in der doppelten Gestalt des apostolischen Dienstes.
Wozu war Paulus unermüdlich auf Reisen? Um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Kette (Apg 28,20). Das meint die Herstellung alles dessen, was Gott durch den Mund seiner Propheten geredet hat (Apg 3,21: ἀποκατάστασις πάντων). Es umfasst Völkerfrieden und Landverheißung. Also gehört die Hoffnung Israels mitsamt der Landverheißung in die eschatologische Perspektive christlichen Mithoffens. Ist der Inhalt des Apostolats die Hoffnung Israels, dann ist sein Dienst an Israel gebunden und an die Völker gerichtet.
Wir befragen für die zwei Seiten des apostolischen Dienstes das Evangelium des Matthäus. Hier gibt es zwei Aufträge Jesu an seine Jünger, einen für Israel (Mt 10,1-8), einen für die Völker (Mt 28,16-20). Der erste gilt den verlorenen Schafen des Hauses Israel, ihnen die Nähe des Himmelreiches anzukündigen, unter ihnen Kranke zu heilen, Tote zu erwecken und Aussätzige zu reinigen. Er zielt darauf, in Israel Heilung zu stiften, es aufzurichten. Dieser Auftrag ist direkter Dienst an Israel.  Anders der Auftrag an die Heidenvölker. Hier handelt es sich um einen Bekehrungsauftrag, sie durch Lehre und Taufe zu Jüngern des Messias Jesus zu machen. Gibt es eine Beziehung zwischen beiden Aufträgen?
Die von Christi Aposteln Belehrten und Bekehrten (Mt 28,19f) aus den Völkern werden wie diese zu Aposteln des Reiches Gottes, zu Gesandten dessen, der zur Rechten Gottes sitzend die Bundesgeschichte mit Israel ihrer Vollendung (V. 20: συντελεία), ihrem die Völker umspannenden Schalom entgegenführt. Das geschieht durch die Versöhnung der kriegerischen Heidenvölker mit dem Gerechtigkeitssinn der Tora Israels, die Heiden zum Gehorsam zu bringen durch Wort und Tat (Röm 15,18). Inmitten einer Völkerwelt lebend, die sich im Geist der Tora zum Frieden bekehrt, wird die Hoffnung Israels, sicher und von Feinden befreit in seinem Land wohnen und Gott dienen zu können (Lk 1,75), wachsen, weil ihre Verwirklichung immer realistischer erscheint. Das Wachsen der Hoffnung in Israel auf die nahende Erfüllung seiner Verheißungen will Gott durch die Sendung der Apostel unter die Völker voranbringen. Ihr Bekehrungsauftrag an die Völker ist indirekter Dienst an Israel: Gottes Volk in Gottes Land.
Dieser doppelte Auftrag der Apostel steht in der Spur der Selbstverherrlichung des Gottes Israels, in der er seine Treue zu seinem Volk und allem, was er ihm verheißen hat, erweist. Apostolisches Wirken ist Dienst an den Beschnittenen (Röm 15,8) durch Erzeugung einer Sympathie für Israel unter den Gojim.: Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk (Röm 15,10). Christen freuen sich mit Israel an der nahenden Verwirklichung der Landzusage und des verheißenen Völkerfriedens, an dem sie durch ihr Leben im Leibe Christi Anteil bekommen haben.

 

D.) Die Landverheißungen im christlichen Glauben

10.) Unmittelbare und mittelbare Hoffnung auf die Heimführung Israels
Juden vertrauen in der Zuversicht der eigenen Erwählung auf die mit ihr gegebenen Verheißungen. Christen vertrauen dem Zeugnis von Jesus Christus, dessen Kommen die Erwählung Israels bestätigt (Lk 1,54) und hoffen mit Israel auf seine Verheißungen als Miterben in Mitgenossenschaft (Eph 3,6).
Juden glauben an den universalen Frieden gemäß den Worten ihrer Propheten: sie hoffen auf ihre Rückkehr ins verheißene Land (Jes 61; Jer 31,15ff). Denn ihre Rückkehr ins Land ist dem biblischen Wort zufolge ein entscheidender weltgeschichtlicher Schritt auf diesen ewigen Frieden zu (Jes 2).
Christen hoffen dasselbe anders. Sie glauben an den universalen Frieden gemäß der Prophetie Israels: im Vertrauen auf den Auslöser Israels von seinen Feinden (Lk 1,74) hoffen sie für Israel. Auch sie glauben, dass sich in der Heimkehr von Rahels Kindern Gottes Bundestreue zeigt und ein Signal für den ewigen Schalom enthalten ist. Der Messias Jesus wirkt durch seine Apostel weltgeschichtlich für Schalom, indem er gemäß dem Prophetenwort, den Heiden das Recht verkündigt, sodass sie auf seinen Namen hoffen. Wo der Gerechtigkeitssinn der Tora sich unter den Völkern verbreitet, wird der glimmende Docht Israel  nicht verlöschen (Mt 12,18ff), sondern aufleben.  (10)  Der ökumenische Friedensdienst der Apostel geschieht in der Hoffnung auf die Aufrichtung Israels in seinem Land. Die Sendung der Kirche Jesu Christi ist Dienst am Selbsterweis des Gottes Israels: Gottes Volk in Gottes Land.

 

11.) Zur Besonderheit der biblischen Friedenshoffnung
Sowohl die Welt der Bibel als auch die säkulare Aufklärung kennen Idee und Hoffnung auf einen universalen Frieden. Ihr Unterschied liegt darin, dass die biblische Vision immer mit der Landverheißung für Israel verbunden ist, ja in ihr das tragende Fundament hat.
Biblische Theologie erkennt den Ursprung der Friedensidee im Geheimnis der Erwählung Israels, darin, dass ohne erkennbare Ursache ein Volk erstand, das die universale Menschenwürde (Gottesebenbildlichkeit) verkündete im schreienden Gegensatz zu den Idealen der sie umgebenden Kulturen. Die Treue zu diesem Volk und seinem unangefeindeten Leben in seinem Land ist Grundlage der biblischen Friedenshoffnung. Es handelt es sich nicht um museales Beiwerk, nostalgische Anhänglichkeit oder fundamentalistischem Biblizismus. Denn in der Treue zu Israel und seinen Verheißungen wird Zeugnis abgelegt für den göttlichen Ursprung der Friedensidee, der sich in den Konkreta seines Erwählungshandelns zeigt (Volk, Tora, Land).
Biblisch ist die Friedensidee offenbartes Wort Gottes an Israel. Sie ist nicht Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung der menschlichen Vernunft, der zur Aufklärung führte, sondern sie war schon im antiken Israel plötzlich da. Sie hat sich in der religiösen und kulturellen Überlieferung des Judentums in unvergleichlicher Güte tradiert.
Deshalb verfehlt die christliche Rede vom Frieden ihr göttliches Gegenüber, wenn sie nicht gleichzeitig den Geist des Gottesvolkes und das Wohl in seinem Land bedenkt.

 

12.) Folgerungen
Die Treue Gottes zu Israel und seinen Verheißungen, incl. der Landverheißung, ist integraler Teil des Christusbekenntnisses, der Christologie und der Ekklesioogie. Das sollte neu herausgearbeitet und betont werden.
Die Anerkennung der ewigen Erwählung Israels ist mehr als ein religiöses Bekenntnis. Sie ist die kirchliche Selbstverpflichtung in der Spur des messianischen Werkes Jesu Christi und der Apostel für internationalen Frieden im Geist der Tora einzutreten. Dabei gilt es, vor aller Welt die christliche Gebundenheit an Israel und seine Verheißungen, einschließlich der Landverheißung, deutlich zu machen. Erst die politische Treue zum erwählten Trägervolk der menschheitlichen Friedensidee ist praktisches Bekenntnis zum Gott Israels.
Der Bezugspunkt christlichen Glaubens ist nicht das eigene Heil, sondern Israels Heil (=Auslösung). Gott erweist sich uns in seiner Treue zu Israel, wie er sich in der messianischen Sendung seines Sohnes seines Knechtes Israel angenommen hat (Lk 1,54). Das Bekenntnis zu Jesus Christus ist nicht zu trennen von der politischen Treue zu Israel, denn der Messias wird Gottes Volk aus der Hand ihrer Feinde befreien (Lk 1,71). Der Heilige Geist ist ein unmittelbarer Feind des Antisemitismus. Er kämpft für die Ruhe, mit der Israel in seinem Land zu leben verheißen ist (2Sam 7,11; Am 9,15; Lk 1,74f).
Die Treue Gottes zu Israel und seinen Verheißungen sollte Achse der Ekklesiologie werden, weil diese Treue das Herzstück der Sendung Christi ist. Die Imitatio Dei der Kirche Jesu Christi hat diese Gestalt: Sie ist Israel treu wie Gott Israel treu ist.
Im Blick auf die landeskirchlichen Erklärungen stellt sich die Frage, ob in ihnen mit der Anerkennung der Erwählung Israels auch Konsequenzen für die Christologie oder Ekklesiologie gezogen wurden. Eine Christologie ohne Antijudaismus ist weithin Konsens. Ist bei der Zustimmung zu dieser Formel aber klar, dass es positiv um die Hineinnahme des Gottes Israels mit allen seinen promissiones in den christlichen Glauben geht? Gottes Landverheißung für Israel also als Integral christlicher Hoffnung zu verstehen ist? Die christliche Friedenshoffnung ist von dem Frieden für Israel in seinem Land nicht zu trennen. Warum?
Der Friede für Israel in seinem Land ist mehr als der damit verbundene politische Friede. Er ist die Rechtfertigung von Israels Leidens- und Verheißungsgeschichte. Israel und seine Hoffnungen werden durch die Erfüllung der Landverheißung  vor aller Welt ins Recht gesetzt. Mit dem Recht, das Israel durch seine Heimführung geschieht, kommt auch der Gott Israels ins rechte Licht als der barmherzige Herr aller Völker. Gottes Volk in Gottes Land: darin liegt – neben dem Selbsterweis - auch die Rechtfertigung Gottes vor aller Welt. Der apostolische Dienst Jesu Christi an Israel und für seine Hoffnungen, die mit dem Land verbunden sind,  ist Gottesdienst.

 

(1) Christen und Juden III, S. 11
(2) In den ev. Kirchen gibt es Reibungen bei der Frage der Judenmission. Die palästinensischen Christen haben wegen der Art, ihre Erfahrungen mit der israelischen Staatspolitik zu verarbeiten, große Schwierigkeiten. Die orthodoxen Kirchen scheinen sich dieser Thematik zu verschließen.
(3) Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden, Handreichung der ev. Kirche im Rheinland, 1980, S. 9
(4) Christen und Juden, Studie der EKD, 1975, S. 27,.29
(5) Die EKD-Studie von 1975 weist auf die bleibende Erwählung Israels hin (S.13) und auf die Verpflichtung, den völkerrechtlich gültigen Beschluss der Vereinten Nationen von 1947 anzuerkennen (S. 29). Die Ev. Kirche Berlin-Brandenburg sieht das christliche Verhältnis zum jüdischen Volk  im Zeichen von 2.) Israel als Volk Gottes und 6.)der Existenz des Staates Israel (1984). Die Ev. Kirche in Baden (1984),  die Ev. Ref. Kirche in NW-Deutschland (1984), die Pommersche Ev. Kirche (1985), die Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg (1993), die Ev. Kirche von Westfalen (1994), die Ev.-Luth. Kirche Hannovers (1995), die Ev.-Luth. Kirche Mecklenburgs (1998) und die Lippische Landeskirche (1998) befassen sich nicht mit der biblischen Landzusage bzw. dem Staat Israel.
(6) Ev. Kirche in Baden (1988)
(7) Ev. Reformierte Kirchen in Bayern und NW-Deutschland (1992)
(8) Dieser Aufsatz stellt sich nicht die Frage nach der Relevanz der verschiedenen Sprachformen der Erklärungen, Bekenntnisrede oder Feststellung, vor allem die Frage, welche Redeform die angemessene ist.
(9) Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium (Eph 3,6)
(10) Mt 12,1-21 spricht vom Weg Jesu Christi zu en Völkern. Die Einführung des Jesaja-Wortes deutet den Weggang Jesu aus Israel zu den Völkern als göttliche Zuwendung zu Israel aus der Völkerwelt, die schließlich entsprechend der Prophetie Jesajas zur Auslösung und Heimkehr Israels führt (K.P. Lehmann, Messianische Barmherzigkeit für Israel, Exegetisches zum Sabbatstreit Mt 12,1-21, Blickpunkt.e Nr. 5/ Okt. 2009, S. 15-19).

zur Titelseite

zum Seitenanfang

ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
Robert-Schneider-Str. 13a, 64289 Darmstadt
Tel 06151-423900 Fax 06151-424111 email