Brit Mila – Der Bund der Beschneidung
von Daniel Neumann

Uns Juden ergeht es mit den Antisemiten wie den Meeren mit dem Mond. Schon seit Jahrtausen-den gibt es ein untrennbares Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich die Antisemiten in einer schon paranoiden Beziehung zwischen Anziehung und Ablehnung wiederfinden. In regelmäßig wieder-kehrenden, rhythmischen Zeitabständen tauchen sie auf und überschwemmen die Gesellschaft mit ihren abstrusen antijüdischen Thesen und Ideen, um sich anschließend wieder zeitweilig zu-rückzuziehen, stets wissend, dass die nächste Hass-Welle bald folgen wird.

Die im Laufe der Zeit aufgegriffenen Themen weisen dabei einen beeindruckenden Varianten-reichtum auf: Christusmörder und Brunnenvergifter, wahlweise gierige Kapitalisten oder skrupel-lose Bolschewisten, Weltverschwörer und Imperialisten, Heuschrecken und Kolonialisten, Ras-sisten und Barbaren.

Ein Dauerbrenner in den Top-Ten antijüdischer Propaganda ist das Thema Beschneidung. Und tatsächlich: seit einiger Zeit ist es mal wieder soweit: die Anziehungskraft dieses Themas ist ein-fach unwiderstehlich und führt zu einer Ballung von Zeitungsartikeln, in denen sich die Autoren, ihrer Profession nach Journalisten und Juristen, mit der strafrechtlichen Relevanz der Beschnei-dung befassen und eine gesetzliche Beschränkung oder gar Strafbarkeit der Beschneidungspraxis propagieren.

Der Vorteil dieser Themenauswahl liegt für den jeweiligen Verfasser vor allem darin, dass sich auch der vermeintlich aufgeklärte, nur leider meist uninformierte Bürger sowohl mit dem Feldzug gegen althergebrachte Traditionen und vermeintlichem religiösen Fanatismus als auch in seinem engagierten Eintreten für Recht und Gerechtigkeit mit den eifernden Autoren identifizieren kann.

Und da ja fast jeder auch schon mal von der vorwiegend in Afrika praktizierten brutalen und ver-stümmelnden Frauenbeschneidung gehört hat, für deren Abschaffung - völlig zu Recht - auch zahlreiche Prominente werben und die perfider weise und absolut fälschlich mit dem jüdischen Ritual in Verbindung gebracht wird, wähnt man sich bei der Ablehnung eben jener Praktiken in bester Gesellschaft und zieht aus Unwissenheit oder Bösartigkeit unzulässige Parallelen zur hie-sigen Beschneidungspraxis. Denn immerhin: der Begriff ist ja der gleiche. Das war es dann aber auch schon wieder mit den Gemeinsamkeiten. Ansonsten hat die Beschneidung jüdischer Knaben mit derjenigen afrikanischer Mädchen auch nicht das Geringste zu tun.

Doch was hat es denn nun mit der Beschneidung nach jüdischem Ritus auf sich: Die Brit Mila, was übersetzt soviel bedeutet wie „Bund der Beschneidung“ ist die vor ca. 3500 Jahren vollzogene Besiegelung des Bundes zwischen Abraham und dem Schöpfer. Ein unwider-rufliches Zeichen im Fleisch, ein spirituelles und identitätsstiftendes Bekenntnis.

Sie ist einer der drei in der Torah erwähnten Bunde zwischen Mensch und G“tt, als da wären Shabbat, Gebet und eben Beschneidung und findet ihren Niederschlag im 17. Kapitel des 1. Bu-ches Moses, wo es heißt: „Dies ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, be-schnitten werden in jeder eurer Generationen. So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein.“

Und auch heute wie zu jeder Zeit, folgen Juden diesem uralten biblischen Gebot und erneuern und bekräftigen den Bund von Generation zu Generation. So wie einst Abraham seinen Sohn Isaak am achten Tag nach der Geburt beschnitten hat, so wer-den auch heute männliche Nachkommen am achten Tag an ihrer Vorhaut beschnitten. Und ob-wohl die Brit Mila einen so hohen Stellenwert hat, dass sie sogar am Shabbat oder an unserem höchsten Feiertag, dem Yom Kippur, erfolgen darf, wird eine Ausnahme zum Wohle des Kindes in den Fällen gemacht, in denen das Kind noch zu schwach oder kränklich ist. Unsere Kritiker werden es nur mit Widerwillen zur Kenntnis nehmen, aber die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Kinder hat unbedingten Vorrang.

Vorgenommen wird die Beschneidung von einem professionellen Beschneider, einem Mohel, der einem Chirurgen aufgrund seiner Ausbildung, der Praxis und der Routine gewiss nicht nachsteht und unter sorgfältiger Einhaltung hygienischer Vorkehrungen. Das Kind selbst bekommt unmit-telbar nach dem Schnitt einen Tropfen Wein zu trinken und schlummert schnell ein. Die Wunde selbst ist bereits nach wenigen Tagen verheilt.

Die Kritiker der Beschneidung befinden sich historisch gesehen in guter oder genauer, schlechter Gesellschaft: Denn immer wieder im Lauf der Geschichte wurde den Juden, die unter nichtjüdi-scher Herrschaft etwa der Römer, der Christen oder der Kommunisten standen, die Ausübung der Beschneidung verboten, um dadurch ihre Abwendung vom Judentum zu erzwingen. Schon An-tiochus Epiphanes, der Bösewicht aus der Chanukka-Erzählung, den die Makkabäer im zweiten Jahrhundert vor der Zeitrechnung bekämpften und der die Hellenisierung der Juden im Sinne hat-te, also die Abkehr vom Glauben, verbot die Beschneidung unter Androhung der Todesstrafe.

Doch all diese Versuche - und waren sie auch mit noch so hohen Strafen verbunden - halfen schlussendlich nicht, die Juden von ihrem Glauben, ihrem G“tt und ihren Geboten zu entfremden. Der jüdische Philosoph Baruch Spinoza bemerkte dazu : „Ich halte dieses Zeichen für so wichtig, dass es meiner festen Überzeugung nach an sich schon genügt, um die gesonderte Existenz der Nation für immer zu behaupten.“. Dies sahen die Juden zu allen Zeiten offenbar genauso.

Nun interessieren sich die Beschneidungsgegner wahrscheinlich wenig für Spinoza und halten allerlei wilde Theorien bereit, weshalb die bisherige Praxis gesetzlich verboten werden sollte. Da wird das Strafgesetzbuch und der Tatbestand der Körperverletzung bemüht. Es wird auf Trauma-tisierungen verwiesen, die Babys angeblich bei der Beschneidung erleiden sollen und die sie ihr ganzes Leben lang begleiten. Und es werden Einzelfälle, in denen der ansonsten harmlose und risikolose Eingriff missglückt ist und tatsächlich einmal Komplikationen entstanden, zum Nor-malfall hochstilisiert. Stichhaltige und überprüfbare Untersuchungen gibt es keine. Aussagekräftige Belege? Fehlanzeige. Woher denn auch, wenn man berücksichtigt, dass die Beschneidungs-praxis nicht nur bei Juden praktiziert wird, sondern nach offiziellen Schätzungen jede dritte männliche Person, also 33 % der Weltbevölkerung, inzwischen beschnitten ist. Die Gründe sind vielfältig. Während Muslime, die ihre Kinder mit 13 Jahren beschneiden ebenfalls religiöse Tra-ditionen wahren, sind es etwa in Amerika, wo ca. 65 % der Neugeborenen meist noch in der Kli-nik beschnitten werden, heute gesundheitspolitische, hygienische oder ästhetische Motive. Diese Praxis wird in vielen Ländern der Welt befürwortet und durch die Weltgesundheitsorganisation zur Bekämpfung der HIV-Infektionen besonders in Afrika empfohlen, da die Gefahr einer HIV-Infektion durch die Beschneidung um bis zu 50 % gesenkt werden soll. Nun ist es für uns Juden zwar eine Genugtuung zu beobachten, dass nach heutigem medizinischem Erkenntnisstand gar positive Wirkungen mit dem harmlosen Eingriff verbunden sind. Letztlich wussten wir dies aber auch schon vorher, denn von einem so lange bestehenden und inzwischen in weiten Teilen der Welt verbreiteten Eingriff kann man sicher sein, dass er nicht nur unschädlich sondern auch sinn-voll ist.

Wie dem auch sei. Uns Juden geht es bei der Erfüllung des Gebotes der Brit Mila weder um Hy-giene noch um gesundheitliche Vorteile sondern um die Erneuerung und Bekräftigung eines jahr-tausendealten Bundes mit unserem Schöpfer. Es ist das sichtbare Zeichen, dass uns mit unserem Volk verbindet. Es ist eine Manifestation des Glaubens. Ein Bekenntnis, dass jede Generation, jedes jüdische Elternpaar durch eine bewusste Entscheidung im Sinne G“ttes vollzieht.

Und wer sich heutzutage, wie magisch angezogen, aufmacht, die Juden wegen ihres Brauchs der Beschneidung per journalistischer Anklage das Fürchten zu lehren oder das Ritual gar zu krimi-nalisieren, der steht in der Beweispflicht. Es ist an ihm, nicht nur populistische Worthülsen abzu-feuern und unzureichende und unzulässige Vergleiche zu ziehen, sondern sich mit seriösen wis-senschaftlichen Untersuchungen im Gepäck durch das juristische Gestrüpp von sozialadäquatem, lange eingeübtem Verhalten, elterlicher Einwilligung und dem Grundrecht der Religionsfreiheit zu schlagen. Die Verteidigung jedenfalls verfügt über zig Millionen aussagewilliger und kampf-bereiter Zeugen...

Übrigens: Das nächste Thema stets funktionierender übler Nachrede ist das Schächten. Wetten, dass wir auf dessen Neuauflage nicht lange warten müssen?

Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Autor ist Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen.
Aus der Jüdischen Welt. Eine Sendung des Hessischen Rundfunks vom März 2011

zur Titelseite

zum Seitenanfang

ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
Robert-Schneider-Str. 13a, 64289 Darmstadt
Tel 06151-423900 Fax 06151-424111 email