Gefährliche Lähmung in Israel
von Inge Günther

Die israelische Regierung reagiert nicht auf die Veränderungen in der arabischen Welt. Damit vergibt sie eine große Chance im Friedensprozess.

Jeder zweite Israeli äußert in Umfragen Sympathien für die neuen Demokratiebewegungen in der arabischen Welt. Doch die revolutionären Prozesse dort erschüttern auch vertraute Gewissheiten und damit die politische Stabilität, auf die Israel so viel Wert legt. Die Ängste sind groß, am Ende von Staaten umzingelt zu sein, in denen die Moslembrüder das Sagen haben.

Da lag es nahe, dass die Regierung von Benjamin Netanjahu im Fall Ägypten bis zuletzt auf Husni Mubarak gesetzt hatte. Der galt als Garant des Friedensabkommens von Camp David, dessen Bedeutung für die Sicherheitsstrategie des jüdischen Staates kaum zu überschätzen ist.

Verwirrender ist schon, dass Israel selbst Baschar al-Assad, den Herrscher im verfeindeten Syrien, nicht wirklich loswerden will. Im Gegensatz zu Kairo hat das Regime in Damaskus eine Menge unternommen, um den Friedensprozess mit den Palästinensern zu hintertreiben und arabischen Hass auf Israel zu schüren. Auch in seiner paranoid klingenden Rede an sein aufmüpfig werdendes Volk beschwor Assad ein „israelisch-amerikanisches Komplott“, um die syrischen Proteste zu diskreditieren.

Doch zieht Israel allemal den Feind, den es kennt, dem großen Unbekannten vor. „Wir haben ein Interesse an einem schwachen Assad“, gibt Schlomo Harari vom Herzlija-Institut für Counter-Terrorismus die vorherrschende Meinung wieder, aber „nicht unbedingt an seinem Sturz.“

Assad junior hat zwar wie sein Vater Hafes al-Assad stets „Widerstand gegen die Zionisten“ gepredigt. So dient Damaskus den radikalen Palästinenser-Organisationen, angefangen von der Exil-Hamas über Islamischen Dschihad bis hin zu Splitterfraktionen, als sicheres Refugium. Auch erlaubt Syrien der libanesischen Hisbollah, sich über seine Landwege mit Waffennachschub aus Iran zu versorgen. Doch auf den 1967 eroberten Golanhöhen, die Israel annektiert hat und die Syrien zurückhaben will, herrscht Ruhe. Seit Jahrzehnten hat es keine ernsten Zwischenfälle im israelisch-syrischen Grenzgebiet gegeben.

Bedrohlicher schon ist aus israelischer Sicht das enge Verhältnis, das Assad zu den Mullahs in Teheran unterhält. Nicht von ungefähr argumentieren Befürworter eines Verhandlungsfriedens mit Damaskus damit, man müsse Syrien aus der iranischen Achse lösen. Umgekehrt fürchtet Israel, die iranische Einflusssphäre werde nur wachsen, sollte Assad straucheln. So warnt Sicherheitsexperte Schmuel Bar, die im syrischen Norden lebende alawitische Minderheit, aus der Assad stammt, werde sich in diesem Fall noch stärker mit den benachbarten iranischen Schiiten liieren.

Auch die Machtverhältnisse im Libanon, bislang von Damaskus per Fernkontrolle gesteuert, könnten sich zugunsten Teherans verschieben. „Falls Assad geht, hätte die Hisbollah mehr freies Spiel“, sagt etwa Mosche Maoz, Politologe an der Hebräischen Universität. Dabei nimmt die Gottespartei in der Regierung in Beirut schon jetzt eine Schlüsselrolle ein. Der Zedernstaat ist auf bestem Wege, der Brückenkopf Irans zu werden.

Umso wichtiger ist für Israel, dass es wenigstens im Osten ruhig bleibt, in Jordanien. Dort vermochte König Abdullah mit seinen Reformversprechen bislang die Protestbewegung in Schach zu halten. Doch auch im haschemitischen Königreich gärt es. Die Menschen wollen volle Bürgerrechte, Demokratie, die den Namen verdient, und eine konstitutionelle Monarchie, nicht nur vom Namen her.

Die „gesamte politische Architektur in Nahost, kann in zwei, drei Monaten komplett anders aussehen“, sagt Politologe Hariri. Immerhin: Erstaunlich viele Israelis, die doch sonst eher darauf eingestellt sind, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen, knüpfen Hoffnungen an die politischen Veränderungsprozesse in den Nachbarländern. 47 Prozent finden, dass Israel davon profitieren könnte. Die ganz große Mehrheit, rund siebzig Prozent, ist allerdings genauso dafür, erst mal abzuwarten, was bei den Umwälzungen in Nahost am Ende rauskommt.

Für Netanjahu ist das bequem. Die öffentliche Meinung erlaubt ihm, sich mit eigenen Friedensvorschlägen Zeit zu lassen. Auf die drängt nur der Westen, freilich mit halber Kraft, da USA und Europa mit dem Sonderfall Libyen beschäftigt sind. In Israel sind nur vereinzelt mahnende Stimmen zu hören, man hätte längst die arabische Friedensinitiative von 2002 akzeptieren sollen, die auf der Formel normale Beziehungen im Gegenzug für Verzicht auf besetztes Land beruht. „Eine Chance für Israel“, sagt Mosche Maoz, „sich in die Region besser zu integrieren.“ Doch die werde vertan.

Angesichts der arabischen Turbulenzen verhalte sich die Regierung wie paralysiert, klagt Yoel Marcus, Kommentator der Zeitung Haaretz. Dabei müsse man nur ins Internet schauen, um zu sehen, wie sich eine palästinensische Protestbewegung im Facebook-Stil zusammenfinde. „Was werden wir tun, wenn Zehntausende Palästinenser auf die Checkpoints zumarschieren?“ Es ist nicht die einzige Frage, vor deren Antwort sich die nationalrechte Koalition drückt.

FR-online, 5.4.2011

zur Titelseite

zum Seitenanfang

ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
Robert-Schneider-Str. 13a, 64289 Darmstadt
Tel 06151-423900 Fax 06151-424111 email