Urteil statt Vorurteil. Heute:
Alter Bund - Neuer Bund

von Klaus-Peter Lehmann

Der Begriff des Bundes
Als Bund umschreibt die Bibel das besondere Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk Israel. Der Bund wurzelt in der erwählenden Liebe Gottes und gründet auf der Verpflichtung gegenseitiger Treue. Deshalb erinnern die Propheten an ihn im Bild eines Ehebundes (Jer 2,3; Hos 2). Gott bindet sich im Bund an seine Verheißungen für Israel (1Mos 12,1-3: Gabe des Landes, Wohlergehen des Volkes, Völkerfriede), und Israel soll dem entsprechen, indem es das Leben wählt und den gerechten Geboten der Tora folgt (5Mos 4,1-8; 30,15-20).  (1)

Bund im Alten Testament
Das Alte Testament bezeugt die Geschichte Israels als eine von wiederholtem Bruch des Bundes, Abfall zu nichtigen Göttern und Missachtung der Gebote. Den barmherzigen Gott bewegen zwar Zorn und Eifersucht, aber die Treue zu seinem Volk verspricht er für ewig (Jer 31,35-37; Am 9,14f). Die Propheten klagen Israel der Untreue an und die Führer des Volkes als wortbrüchige Verführer. Sie verkünden ihnen Gericht, im Falle ihrer einsichtigen Umkehr aber eine segensreiche und friedvolle Zukunft. In ihr soll sogar mit dem Hause Israel und dem Hause Juda ein neuer Bund (Jer 31,31) geschlossen werden. D.h. Gott schafft dem Bund eine neue menschliche Grundlage: Die Tora wird nicht mehr nur äußerlich gelehrt, sondern das Innere jedes Israeliten wird so grundlegend erneuert, dass sie zu spontanem Gehorsam fähig sind (Jer 31,33f). Es geht um eine Herzensrevolution, die Beschneidung der Herzen (5Mos 10,16; 30,6; Jer 4,4; Röm 2,29; Kol 2,11). Auf diese innere Wandlung, die Verlegung der Tora ins Innere des Menschen, zielt auch das Gebet des Schma Jisrael: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. (5Mos 6,5). In der Wirklichkeit des neuen Bundes wird Israel unverbrüchlich treu sein.  (2) 
Das Alte Testament und die rabbinische Tradition verbinden mit dem neuen Bund nicht nur eine Vertiefung der Gotteserkenntnis und Toratreue in Israel, sondern auch den Beginn der Ausbreitung der Tora unter den Völkern (Jer 31,10f; Jes 11,9f; Ez 36,26.36).  (3)  So wird der ewige universale Friede heraufgeführt, die Versöhnung zwischen Israel und den Völkern, wo auch diese den Gott Israels loben.  (4) 

Bund im Neuen Testament
Das Neue Testament spricht nicht von einer Auflösung des Bundes und der Verheißungen für Israel, es unterstreicht vielmehr ihre bleibende Gültigkeit (Röm 3,1-3; 9,4; 11,1.29), ihre Inkraftsetzung durch das Werk Jesu Christi, mit dem er Israel, seinem (Gottes) Knecht aufhilft (Lk 1,54f). Als einzige Stelle der Bibel spricht Hebr 8,13 vom alten Bund. Das ist nicht als Herabstufung gemeint. Sondern der neue Bund sei dem alten durch dessen Reifung entsprungen.
Auch im Neuen Testament steht im Horizont der Geschichte das gemeinsame Lob des Gottes Israels durch Juden und Heiden (Röm 15, 9-11; Ps 117). Unter ihm kommen auch hier der neue Bund und die erhoffte Herzensrevolution zur Sprache. Die Betonung liegt auf dem messianischen Werk Jesu Christi, das den Völkerfrieden herbeiführen wird. Im Herrschaftsbereich Christi, seiner den universalen Frieden verkörpernden Liebe, werden beide, die den Verheißungen seit eh nahen Juden und die ihnen noch fernen Heiden, miteinander versöhnt werden (Eph (2,13-19). Diese sind Miterben der Verheißung (Eph 3,6). Das ist der geschichtliche Ausblick, unter dem Jesus seinen Jüngern den neuen Bund in meinem Blut (Lk 22,22), das als Blut für viele (Völker) vergossen wird (Mk 14,24), anbietet. In der Nachfolge Christi setzen die Apostel ihr Leben (= Blut) für die Versöhnung zwischen Juden und Heiden ein. Ihre Genossen sind die Gemeinden von Juden und Heiden, die am Herzen beschnitten sind und durch gemeinsames Gotteslob und Toragehorsam als die neue Menschheit den Frieden zwischen allen Völkern schon jetzt vorleben (Kol 3,5-11).

Antijudaismus in der Kirche
Davon abweichend verirrte sich die Kirche schon früh in antijudaistischen Stereotypen. Der neue Bund wurde allein für das Neue Testament und die Kirche reklamiert und dem alten Bund des Volkes Israel im Alten Testament entgegengestellt. Israel sei in formalisiertem Gesetzesgehorsam und äußerlichem Buchstabendienst befangen geblieben und habe es an der inneren Gesinnung fehlen lassen. Der Bund des Gesetzes sei überboten durch das Evangelium, veraltet und minderwertig. Die Verheißungen des alten Bundes seien nur fleischlicher, irdisch-politischer Natur und auf Israel beschränkt. Der neue Bund habe spirituellen Charakter, gelte ewig und allen Menschen. Manche unterschieden alten und neuen Bund nicht inhaltlich, im Blick auf die Verheißung des ewigen Lebens, sondern betonten nur den Wechsel des Bundespartners in einer neuen Zeit. Aber immer galt Israel als das verworfene, alte Bundesvolk. Wegen des angeblichen Christusmordes (> Gottesmordlüge) und nach dem angeblichen Gottesgericht, der Zerstörung Jerusalems, sei es durch das neue Bundesvolk, die Kirche, enterbt worden (>Enterbungslehre). Gerettet werden könnten die Juden allein durch die Taufe.
Einer der wenigen Theologen, der solche Lehren als Machenschaft des Teufels verwarf, war Johannes >Calvin. Ihm zufolge umfasst der Alte Bund die Verheißung des ewigen Lebens und bleiben die Juden seiner Zeit Erben und des Bundes Kinder (Apg. 3,25) – trotz Verwerfung des Evangeliums. Wenn dieser Geist der Unsterblichkeit in ähnlicher Weise auch in ihnen gewohnt hat – wie sollen wir es dann wagen, ihnen das Erbe des Lebens abzusprechen? (5)

Umkehr in den Kirchen nach Auschwitz
Erst der in den 60er Jahren begonnene Dialog zwischen Christen und Juden hat die antijüdische Sicht überwunden. Wegweisend waren die Erklärung des 2. Vatikanischen Konzils und die Wirkung des theologischen Dialoges der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen auf den evangelischen Kirchentagen. Die EKD veröffentlichte drei Studien „Christen und Juden“ und alle evangelischen Landeskirchen in Deutschland erklärten die Erwählung Israels zum ewigen Bundesvolk Gottes als zum Bestand des christlichen Glaubens gehörig. Gleichzeitig erteilten sie jeder Form von Antijudaismus eine grundsätzliche Absage.  Sogar die Bezeichnung der Kirche Jesu Christi als Bundesvolk wird als unbiblisch erkannt, weil Gottes Wesen sich im Bund mit Israel zeigt.  (6)

    • Die Bibel schildert die Geschichte des Bundes Gottes mit Israel als eine Folge von Erneuerungen des Bundes und Bekräftigungen der Verheißungen. Dabei kann die dreiteilige Verheißung an Abraham (1Mos 12,1-3) als Urform betrachtet werden, die als ganze oder in Teilen späteren Generationen Israels neu zugesagt wird: Abraham (1Mos 17), Jakob (1Mos 28,13ff), Mose (2Mos 24), Josua (Jos 24), David (2Sam 7). Diese sind als Aktualisierungen in einer neuen geschichtlichen Situation zu hören, so z.B. die Verheißung für David, in der sich alle drei Zusagen an Abraham wiederfinden, Landgabe, Völkerfriede und Wohlergehen Israels: ich will meinem Volk eine Stätte bereiten... ihm Ruhe schaffen vor seinen Feinden. Dich will der Herr groß machen (2Sam 7,10f).

    • „So erst (d.h. durch den neuen Bund) kann das Wort des ersten Bundes zu vollkommener Wirklichkeit werden“ (M. Buber, Der Glaube der Propheten, S. 216). Das trifft mit der Ansicht aller jüdischen Ausleger zusammen, denen zufolge der neue Bund ein erneuerter Bund ist, der nicht gebrochen wird, weil er auf der Verinnerlichung der Tora beruht. „Es gibt keinen neuen Bund, sondern nur das Einhalten des alten“ (R. D. Kimchi, s. R. Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Bd. 2, S. 298).

    • „In jenen Tagen werden die Erkenntnis, die Weisheit und die Wahrheit sich mehren, wie es heißt: ‘denn voll ist die Erde vom Erkennen des Herrn’ (Jes 11,9), ferner: ‘es lehrt nicht mehr ein Mann seinen Nächsten und ein Mann seinen Bruder’ (Jer 31,34), ferner: ‘und ich entferne das Herz aus Stein aus eurem Fleische’ (Ez 36,26)“ (Maimonides, Hilchot t’schuwa, IX,2). „Einen neuen Bund wird Gott mit Israel schließen, indem er ihnen die Thora ins Herz schreibt: in jener Zukunft wird die Erkenntnis Gottes ein Gemeingut aller sein... Jeremia verkündet es für alle Nachbarvölker: ‘Und es wird sein, wenn sie lernen werden die Wege meines Volkes, zu schwören bei meinem Namen, so wahr der Ewige lebt, - so sollen sie aufgebaut werden inmitten meines Volkes’ (Jer 12,15f)“ (H. Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Wiesbaden, 3. Aufl. 1995, S. 324).

    • Weil der Weltfriede in der Bibel nicht ohne Versöhnung mit dem Gott Israels und seiner Tora denkbar ist, geht es in ihr immer um den Frieden zwischen Israel und den Völkern.

    • Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis, II,10,23

    • Das 2. Vatikanum verlässt die traditionelle, negativ abgrenzende antijüdische Rhetorik und spricht von den „Juden“ als „immer noch von Gott geliebt.“ Dennoch bleibt die alte Sicht, wonach die Katholische Kirche „Volk des neuen Bundes“ und das „neue Israel“ ist (Lumen gentium 2.9; Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen 4). Dagegen spiegeln die Studien der EKD und die landeskirchlichen Erklärungen einen Lernprozess. Die dritte Studie kommt zu dem Schluss, dass die Judenmission „kritisch in Frage zu stellen“ ist, denn „dass jüdische Menschen sich dem Glauben an Jesus verschlossen haben“ gilt es „als im Willen Gottes beschlossene Tatsache zu respektieren, als in einem unmittelbaren Zusammenhang stehend mit der Zulassung der Heiden zu der Gemeinschaft mit dem Gott Israels“ und „der Bund mit Israel ist ein Identitätsmerkmal Gottes selbst“ (Christen und Juden III, 2000, S. 54f; 44).

     

     

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