Macht Geld doch glücklich?
Geldwirtschaft und Antisemitismus
von Dietrich Neuhaus

Der Jude, der auf einem dicken Geldsack sitzt. Das ist der Inbegriff eines antisemitischen Bildmotivs. Es liegt nahe, dieses Motiv unter antisemitischen Karikaturen in der nationalsozialistischen Propagandazeitschrift „Der Stürmer“ zu suchen. Dort wird man es auch finden, aber dieser Weg ist zu einfach.

Bildnerisch durchgearbeitet worden ist dieses Bildmotiv in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich ab 1878 eine antisemitische Agitationswelle nach der anderen über Deutschland ergoss. Der evangelische Hofprediger Adolf Stoecker erfand die Formel für die Legierung von Antisemitismus und Nationalismus, die für Deutschland kennzeichnend werden sollte. 1879 schrieb der Historiker und Staatsrechtler Heinrich von Treitschke drei Aufsätze über Judentum, die mit dem Satz enden, der in die Geschichte eingehen sollte: Die Juden sind unser Unglück. Dieser Satz zierte die Kopfleiste des „Stürmer“. 1882 fand hier in Dresden der erste internationale antisemitische Kongress statt, in dem die christlichen Staaten zur Selbstverteidigung aufgefordert wurden. In dieser Zeit entstanden sprachlich die antisemitischen Argumentationszüge und das ikonographische Material und wurden in antisemitischen Katechismen bis in die abgelegensten Provinznester verbreitet. Der Ingenieur Theodor Fritsch veröffentlichte 1887 einen Antisemiten-Katechismus, der innerhalb von 6 Jahren 25 Auflagen erfuhr. Zur 30. Auflage schrieb Adolf Hitler ein Begleitwort.

Ebenfalls in diese Zeit fällt die Gründung des C.V., des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Er wurde im März 1893 gegründet, ein historisches Datum in der Geschichte des deutschen Judentums. Die anti-antisemitische Propaganda, die in Schriften entwickelt wurde, mit dem Begriff „Apologetik“ bezeichnet. Das Gegenstück zum Antisemiten-Katechismus war der Antisemiten-Spiegel, in dem mit Statistik gegen antisemitische Behauptungen gekämpft wurde. Man vertraute auf die Kraft der Worte und der Vernunft. Noch 1933 erschien der Anti-Anti, eine Broschüre mit Tatsachen zur Judenfrage in 7. Auflage, in der in 78 Kapiteln, stichwortartig geordnet, die antisemitischen Klischees mit Statistik widerlegt werden. Ein letztes, rührend aufklärerisches Buch an der Schwelle 1933. Die antisemitischen Klischees, Bilder und Vorstellungen waren dank einer massenmedial gestützten Propaganda über einen Zeitraum von 80 Jahren mit großer Flächenwirkung fest in den Köpfen der Menschen verankert.

Der Jude, der auf dem Geldsack sitzt. Von den antisemitischen Klischees, die sich seit Antike und MA herausgebildet haben, ist dieses Klischee besonders anpassungsfähig gewesen, weil es in die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse gut hineinpasst. Vom Juden als Brunnenvergifter konnte man in städtischen Gesellschaften nur noch metaphorisch sprechen. Juden als Ritualmörder oder Schänder von Hostien – das machte keinen Sinn in einer säkularisierten kapitalistischen Gesellschaft. Anderes aus dem weiten antisemitischen Motivkomplex passte da besser. Der rastlos umherwandernde ewige Jude – Ahasver, das passte zum international agierenden Kapitalismus, zu den Wanderungen und Bewegungen im Raum über Länder, Grenzen und Meere hinweg. Kosmopolitismus, Internationalität, Vernetzungen von Beziehungen, Transaktionen von Werten beim Kaufen-Verkaufen-Spiel, immer kompliziertere und filigranere Methoden und Techniken in der sich ausdifferenzierenden Geld-und Finanzwirtschaft seit dem 15. Jahrhundert, seit v.a. Dank der Portugiesen die Welt innerhalb von wenigen Jahren plötzlich sehr groß geworden war. Belem am Tejo, ein paar Kilometer stromab von Lissabon: das war das Cape Caneveral des

15. Jahrhunderts. Dann die Industrialisierung, die wunderbare Vermehrung des Kapitals, die volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Analyse der Wertschöpfung – da blieb Vieles im Dunkel und entlud sich in der antisemitisch imprägnierten Unterscheidung von schaffendem Kapital und raffendem Kapital. Beim Blick in die Geschichte der Zivilisation von Fernand Braudel, der dort u.a. die Entwicklung der Geldwirtschaft vom 15. bis zum 18. Jahrhundert nachzeichnet ist auffällig: Juden spielten in diesem revolutionären Prozess keine Rolle. Die Fugger, ja, die Thurn und Taxis, ja, die revolutionäre Gründung der Bank of England, ja, die Casa di San Giorgio in Genua, ja, die Monte di Pieta in Florenz, ja, die Juden, nein.

Die Bilder und Vorstellungen sitzen tief in unser aller Köpfe. Wie tief? Um das ein wenig zu beleuchten, habe ich eine kleine Befragung unternommen unter Freunden und Bekannten. Ich komme aus Frankfurt, der Stadt der Banken und Finanzen. Die Menschen, die ich befragt habe, sind im Banken-und Finanzsektor tätig, und zwar in Positionen des Topmanagements, weil ich einen Eindruck bekommen wollte, wie und was denn die Finanz-Elite zu dem Thema denkt. Und gibt es vielleicht noch ganz verdünnt Sedimente von antisemitischen Klischees bei denen, die mitten drin sind im Geschäft? Da ich die befragten Menschen seit längerem kenne, ihnen zum Teil freundschaftlich verbunden bin, schätze ich den Vertrauensfaktor hoch und den Verzerrfaktor eher gering ein. Meine Eröffnungsfrage: Meinst Du, dass es eine besondere Beziehung von Judentum und Geld gibt und weißt du, ob es in der heutigen Banken-und Finanzwelt besonders viele Juden gibt? Ich wusste wirklich nicht, was mich erwarten würde, ich war gespannt und ein wenig ängstlich.

Die Antworten waren allesamt sehr differenziert, Länder-und Konzern-und Bereichsspezifisch. In Europa spielen Juden im Finanzsektor keine besondere Rolle. In den USA ist das nur in einem Bankensektor anders, dem Investment-Banking. Bei Goldman-Sachs gibt es oder gab es überdurchschnittlich viele Juden, bei Lehman gab es sie auch, bei Meryll Lynch nicht. Offensichtlich scheinen aber viele Juden selber das Vorurteil zu haben, dass Juden viel vom Geld verstünden. Das sei beim Skandal um den Investor Bernard L. Madoff 2008 deutlich geworden. Der größte Anlagebetrug in der bisherigen Geschichte im Umfang von 65 Milliarden Dollar. Die Betrogenen überdurchschnittlich viele vermögende Juden round the world, darunter viele jüdische Wohltätigkeitsorganisationen, die Elie Wiesel Foundation verlor ihr gesamtes Vermögen. Um einige Einschätzungen der Befragten zu verstehen, muss man wissen, dass banker nicht gleich banker ist, und überhaupt, dass man unterscheiden muss zwischen banker und Bankier. Ein richtiger Vollblut-Bankier alter Schule verachtet nämlich nichts so sehr wie Investmentbanker. Er hält sie für geldgierig und verantwortungslos, sie arbeiten Seilschaften-orientiert, treten im Rudel an und ziehen so auch wieder ab, und wehe wenn einer ausbricht. Man braucht sie, hält aber gepflegt Distanz. Keiner weiß oder meint, dass Juden hier eine besondere Rolle spielen mit Ausnahme der angesprochenen Investment-Bank in den USA. Dass viele Menschen auf die Idee von Judentum und Geld kommen, sagt mir einer, hängt wahrscheinlich mit der Namensfalle zusammen, will sagen, dass Juden oder Menschen jüdischer Abstammung öfter an ihrem Namen erkennbar sind und so besonders registriert werden. Da fällt dann einem ein Witz dazu ein zur Illustration – überhaupt bin ich um einige wirklich kultivierte Judenwitze reicher aus den Gesprächen gegangen. Also: zwei Juden stehen im Museum vor einem Gemälde und streiten, was es darstellen soll – es ist ein modernes Gemälde. Der eine meint, es sei eine Landschaft, der andere, es sei eine Person. Nachdem sie lange genug gestritten und keiner den andern überzeugt hatte, einigen sie sich, doch mal ans Gemälde heranzutreten und zu schauen, wie es denn heißt. Einer geht hin, kommt zurück und sagt: Wir hatten beide recht, es heißt Mandelbaum in der Toskana.

Sodann werde ich darüber aufgeklärt, dass meine Frage nach den Juden im Bankensektor etwas altbacken sei, weil ich mir offensichtlich nicht vorstellen könne, wie knallhart das diversity-Konzept im Management der global agierenden Banken und Unternehmen durchgesetzt wird. Da wird eine Quoten-Mixtur von Indern, Japanern, Chinesen, LatinAmericans, Amerikanern und Europäern, Arabern, Muslimen, Juden und Christen und Buddhisten, von Hetero-und Homosexuellen gewollt und angestrebt und – nachdem man

dazugelernt hat, nun auch von Frauen. Egal was die Politiker reden und wie sie sich entscheiden, so was überlässt man nicht der politischen Debatte, das wird in der Deutschen Bank nun Top-Down durchgesetzt, weil es einfach richtig und überfällig ist. Und das kommt dann „kaskadierend“, wie man in diesen Kreisen sagt, nach unten hin in Bewegung. Diversity heißt: aus einer größtmöglichen Personenvielfalt will man sozusagen die rainmaker herausfiltern.

Mir ist aufgefallen, dass allen Gesprächspartnern die historischen Zusammenhänge der Vorstellung, Juden hätten viel mit Geld zu tun, bekannt sind, mittelalterliche Ständeordnung, geschlossene Handwerkergilden, Zinsverbot im Christentum, Kleinhandel. Auch dazu wieder ein Witz zur Illustration: der preußische Offizier von Zitzewitz kommt zum Juden Goldberg, um sich Geld für seine Spielschulden zu leihen. „Na, Herr Goldberg, oder soll ich lieber sagen Geldborg, hahaha prächtiger Witz, wie? Ich brauche wieder mal bisschen Geld von Ihnen“. Darauf Goldberg: „Ach wissen sie, Herr Oberleutnant, wenn sie nicht mehr zu versetzen haben als zwei Buchstaben, dann kann ich Ihnen leider nicht helfen.“

Der Jude, der auf dem Geldsack sitzt. Auch wenn meine Befragung natürlich nicht repräsentativ, sondern nur ein impressionistisches Tüpfelchen ist, bei meinen Gesprächspartnern aus der Banken-und Finanzelite Frankfurts konnte ich keine Residualbestände des antisemitischen Klischees feststellen. Das sagt freilich nichts über die öffentliche Wirkmächtigkeit des Klischees und seine instrumentalisierbare Funktionsweise.

Der Fall DSK, Dominique Strauss-Kahn. Einige Zeit vor dem Fall im Hotel Sofitel hat Strauss-Kahn ein Hintergrundgespräch mit einer Journalistin der linksliberalen französischen Zeitung Libération geführt. Es ging um seine Chancen als Herausforderer von Sarkozy, um seine Angreifbarkeit, um seine Position als einer der mächtigsten Männer der Welt. Strauss-Kahn sieht für die Angreifbarkeit seiner Person drei Gefahren, ich zitiere: „Das Geld, die Frauen und mein Judentum.“ Denn natürlich, führt er weiter aus, findet man für 500.000 oder eine Million – Geld spielt hier keine Rolle – immer ein Mädchen, das z.B. behauptet, er habe sie auf einem Parkplatz versucht zu vergewaltigen.

Ich neige sonst nicht zu Verschwörungstheorien, aber die Lektüre dieses Artikels im FAZ.net vom 18.Mai hat mich in diesem Fall doch stutzig gemacht. Ein Komplott von Geheimdiensten, eine gut durchdachte Choreographie, wie man jemanden medial inszeniert öffentlich erledigt, die Bilder haben ihre eigene Logik und sprechen ihre eigene Sprache, von Festnahme und Vorführung bei der Haftrichterin bis Rikers Island. Wie immer die Sache

juristisch ausgeht, selbst wenn sich seine Unschuld herausstellen sollte, Strauss-Kahn ist und bleibt erledigt. Hier sind Motivkreise öffentlich höchst effektiv zusammengeknüpft worden. Geld, Frauen, Judentum.

Damit so eine Verknüpfung funktioniert, muss ein Ideen-und Bildkomplex in den Köpfen der Menschen vorhanden sein über Länder-und Kulturgrenzen hinweg und einen hohen Grad von Verallgemeinerbarkeit aufweisen. Wie sieht es da mit dem stereotypen Komplex Jude und Geld aus?

Die Sozial-und Wirtschaftsentwicklung im MA engte den Handlungsspielraum der Juden immer mehr ein und machte sie zu Außenseitern. Es blieb die Rolle als Kaufleute unter dem besonderen Schutz des Königs seit den Karolingern, dann seit Friedrich II. der status als servi camerales, als Eigentum und Schutzverpflichtung der Kaiserlichen Kammer. Das Erstarken der Städte bedeutete das Ende des jüdischen Handels, es blieb der Kleinsthandel aus dem Bauchladen auf dem Dorf. In der Gewerbeproduktion war die Entstehung des Zunftwesens das Ende der jüdischen handwerklichen Produktion jenseits des Eigenbedarfs. Es blieb der Geldhandel, den Christen verboten, weil Zinsnehmen von der Kirche seit Augustin als Wucher mit Kirchenstrafen belegt. Leihen auf Pfand wurde bis an die Grenze der Neuzeit ein jüdisches Monopol und wurde von den kleinen Leuten und den Fürsten und Königen in Anspruch genommen. Der Jude als Wucherer stand aber im MA nicht im Zentrum der antijüdischen Stereotype. Das waren vielmehr die Komplexe, die durch die Passionsgeschichte imprägniert waren: Gottesmörder, Ritualmordfabel, Hostienschänder und im Zusammenhang mit der Pestwelle Mitte des 14. Jahrhunderts Brunnenvergifter. Auch wenn Könige und Päpste und die offizielle Kirchenhierarchie gegen diese Stereotypen zu Felde gezogen sind, es hat nichts genutzt. Sie wurden flächendeckend von Predigern und Bettelmönchen verbreitet und sickerten in die Volksfrömmigkeit ein.

Die Neuregelung des Kreditwesens an der Schwelle der Neuzeit, die Lockerung der Wuchervorschriften für Christen und Ermöglichung der Pfandleihe ausgehend von Norditalien, es schränkte den Spielraum für Juden auch im Geldgeschäft ein. Sie blieben Geldgeber des kleinen Mannes, der den Mini-Kredit brauchte und über den Judenwucher schimpfte.

Nach der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 gab es zwei jüdische Gruppen, die sphardischen und ashkenasischen. Die sphardischen, die vor der reconquista eine bedeutende Oberschicht von Wirtschaftsführern, Bankiers, Gelehrten, Ärzten waren konnten auch nach der Vertreibung sich zum Teil in der mittleren und oberen Gesellschaftsschicht erhalten, in Städten wie Amsterdam und Hamburg, während die ashkenasischen Juden im

16. Jahrhundert eher eine absteigende Außenseitergruppe war, wenige Berufe mit wenig Achtung: Trödel mit Altwaren, Hausieren, Landfahren, Pfandleihe. Einige Ausnahmen unter den Ashkenasim wie Josel von Rosheim als Berater Karls V. oder Glückel von Hameln oder ein paar Hofjuden bestätigen die Regel.

Betrachtet man die Entwicklung der Geldwirtschaft ab dem 15. Jahrhundert, also weg von den am Materialwert fixierten Münzen Gold, Silber, Kupfer und hin zum Papiergeld (eine Erfindung aus China) oder gar zum nicht mal mehr papierenen Buchgeld, mit dem bargeldloser Zahlungsverkehr erst möglich wird, so ist für den nicht alphabetisierten Normalmenschen – erst recht auf dem Lande, und das war der Normalfall, nicht verständlich, was da vor sich geht. Geld hatte schon immer etwas Geheimnisvolles und Beunruhigendes, aber erst im Fernhandel treibenden Kapitalismus wurde es vollends rätselhaft. In der Volkswirtschaftslehre ab dem 18. Jahrhundert geht es immer darum, den Schleier des Geldes zu zerreißen und die dahinter stehenden Realitäten sichtbar zu machen, den Austausch von Waren und Dienstleistungen, den Ausgaben-und Einnahmefluss. Mit dem Wechsel werden erst Zahlungen über große Entfernungen und die Abwicklung großer

Handelsgeschäfte möglich. Das wurde von der Kirche nicht verboten. Wechselgeschäfte waren zwar auch wucherisch, wurden von der Kirche wegen des hohen Risikos (der Zeitfaktor) aber nicht verboten.

Das Geld, so lesen wir im Jahr 1620, ist das Blut und die Seele des Menschen, und wer kein Geld hat, wandelt als Toter unter Lebenden. Scipion de Gramont, 1620. Mit dieser Entwicklung der Geldwirtschaft im großen Stil in der Herausbildung des Kapitalismus hatte das Judentum nichts zu tun.

In der Welt des MA repräsentierte der Jude exemplarisch das Fremde, in das gesamte Lebens-und Denksystem Uneingepasste, rätselhaft, warum noch immer existent, da seine Existenz heilsgeschichtlich überholt und überboten war. Eine kollektive widergöttliche Verstocktheit war die Chiffre des MA. Die antisemitischen Stereotype waren theologisch und heilsgeschichtlich durch die Passionsgeschichte imprägniert. In diesen Bahnen denkt noch Luther in seinen antisemitischen Schriften: empört über die unverständliche Verstocktheit, darüber, dass die Juden jetzt nicht zu Christus finden, nachdem die Reformation die Missstände in Glauben und Kirche doch nun abgeschafft habe.

Das Rätselhafte der jüdischen Existenz muss anderes Rätselhaftes und Unverstandenes wie ein Magnet angezogen haben. Insbesondere alles, was mit der Herausbildung einer differenzierten Geldwirtschaft und des globalen Fernhandel treibenden Kapitalismus zu tun hat. Die neuen Stereotypen mussten sich nur einklinken können in seit dem MA bereit stehende Muster, die Jude und Geld zusammen brachten, wie Wuchern und Raffen und Blut aussaugen.

Der Jude, der auf dem Geldsack sitzt. in der Antisemitismusforschung gibt es, grob eingeteilt, zwei Erklärungsansätze: einen sozialgeschichtlich, sozialpolitisch orientierten und einen ideen-, mentalitäts-, kulturgeschichtlich orientierten Ansatz. Der sozialgeschichtliche Ansatz sucht nach Gründen für Antisemitismus in wirtschaftlichen, politischen Krisen, gleichgültig, wie durch Soziologie, Psychoanalyse und Sozialpsychologie angereichert, steht im Hintergrund eine Sündenbock-Theorie und eine Frustrations-/ Aggressionshypothese. Der ideen-/kulturgeschichtliche Ansatz orientiert sich an Mythen, Bildern, Vorstellungen, betont deren Kontinuität durch die historischen Zeiten und beachtet deren Transformationen. Beide Ansätze haben ihre Schwäche. Der erste Ansatz erklärt nicht, warum gerade die Juden zu Sündenböcken werden, der zweite erklärt nicht, warum Antisemitismus in einer bestimmten Krisensituation als solcher ausbricht in einer anderen Krisensituation nicht.

In der Theologie sollten wir uns auf die Ideen, Vorstellungen, Bilder konzentrieren, durch die wir die Kultur-und Mentalitätsgeschichte durch Symbole, Theologie, Predigten und kirchliches Handeln geprägt haben. Eine Theologie, die kritisch auf ihre Traditionsbestände reflektiert kann nur so tun, „als ob“ sie für deren Folgen auch in den noch so säkularisierten Transformationen ursächlich verantwortlich wäre – als Traditionsgemeinschaft. Und zu den biblischen Quellen zurückkehren.

Warum gerade die Juden? Man kommt nicht darum herum, sich mit jüdischer Geschichte und Theologie, mit der jüdischen Bibel und dem christlichen Alten Testament im Vergleich mit dem NT zu beschäftigen. Man kommt nicht um den Zusammenhang herum, was Gott und Kultus mit Geld zu tun haben könnten. Der Sozialwissenschaftler Gunnar Heinsohn hat die Frage: Warum die Juden? so beantwortet: Weil die Völker den Juden nicht verziehen haben und verzeihen, dass sie das Opfern abgeschafft haben, diese faszinierende, emotional aufwühlende und vor Spannung bebende bunte Erlebniswelt, ein Prozess, der für ihn im babylonischen Exil beginnt und nach der Zerstörung des Tempels 70 nach Chr. konsequent fortgeführt wird.

Interessant ist die These Heinsohns, weil man sie mit den Anfängen der Geldwirtschaft zusammen bringen kann. In der Tat, mit dem babylonischen Exil waren Tempel-und Opferkult erstmal zu Ende. Im Exil hat sich eine andere Theologie herausgebildet, die man religionsgeschichtlich als monotheistischen Schub bezeichnen kann. Die Logik, die hinter dem Opfern steht, ist beendet. Opfern heißt: Kommunikation mit Gott gleichsam auf Augenhöhe. Gabe und Gegengabe. Ich gebe, Du gibst. Kommunikation mit Gott ist in ökonomischen Kategorien gedacht. Das Opfer ist das Kommunikationsmittel mit Gott. Im Exil fällt das alles weg, Gott rückt ferner. Gleichzeitig wird das Exil theologisch als Strafe für Schuld interpretiert. Weil das Volk Gottes abgefallen ist, kam das Exil. Im Sinne der prophetischen Kritik findet im Exil eine Ethisierung des Gottesverhältnisses statt. Recht und Gerechtigkeit, Tora statt Opfer und Tempelkult. Dies lässt sich auch mit dem Neubau des Tempels und Wiedereinführung des Opferkults nicht mehr rückgängig machen. Der nachexilische Tempelkult ist ein andrer als der vorexilische. Der AT-ler Noth hat in diesem Zusammenhang von einer Rationalisierung und Merkantilisierung des Kults gesprochen.

Wichtigster Mosaikstein dabei: die Einführung des Geldes. Opfergaben mussten nicht mehr als Naturalien-Gabe dargebracht, sondern konnten durch eine Geldsumme ersetzt werden. Dann die Einführung der Tempelsteuer. Manche Wissenschaftler halten diese kultischen Zusammenhänge für den eigentlichen Ursprungsort der Erfindung des Geldes. Das verändert das Gottesverhältnis. Ich bringe keine Gabe mehr dar, sondern eine Ware bzw. das Äquivalent, einen abstrakten Wertträger. Mit Geld kann man nun das Gottesverhältnis regeln, d.h.: Geld hat religiöse, ethische Potenz. Und von seinem kultisch-theologischen Ursprung her eignet ihm das Mystische und Geheimnisvolle. Das Opfer ist in ihm verborgen inhärent. Das geht bis ins Neue Testament, der auf dem Apostelkonzil vereinbarten Kollekte für Jerusalem, mit dem die paulinisch heidenchristlichen Gemeinden sich ihre Anerkennung erkaufen. Dankopfer heißt das dann, bis auf den heutigen Tag im Gottesdienstablauf als Kollekte während oder nach dem Gottesdienst präsent. Man könnte auch frech „heilige Geldwäsche“ sagen. Man muss den Schleier lüften, die dahinter liegenden Tauschprozesse mit der Macht des Lebens sichtbar machen, wie das die Volkswirtschaftslehren seit dem 16. Jahrhundert tun oder auch Karl Marx, wenn er analysiert, wie und wo, in welchen verborgenen Tiefen des Warentausches denn der kapitalbildende Mehrwert eigentlich entsteht: durch Analyse der Ware Arbeitskraft.

Zu verzeichnen ist dann der Rückfall des jüdisch geprägten frühen Christentums in das Opferdenken der heidnischen Antike, speziell mit der Ausprägung des Sühnopfergedankens. JX wird als Zahlungsmittel für Sünden interpretiert. Das ist kein biblisches Denken, schon weil es extrem täterorientiert ist.

Die Restituierung und Radikalisierung des Opfergedankens in verschiedenen sakramentalistischen Schüben im MA wird der Anlass für vielfältigen Antisemitismus und endet in den Kreuzzugspogromen. Speziell die Transsubstantiationslehre führt zu der absurden Vorstellung, dass ein materieller, greifbarer Gegenstand in Raum und Zeit Gott wird. Diese materialistische Fixierung auf die Elemente des Abendmahls findet sich noch bei Luther. Darauf konnten dann die antisemitischen Phantasien aufbauen. Wenn die Juden Gott getötet haben, schon damals, 30 n. Chr. dann tun sie es immer wieder, bis in der Gegenwart – und das ist ihnen möglich dank der Transsubstantiationslehre.

Christliches Symbol des gesamten Opferkomplexes wird das Kreuz. Darum lässt sich die radikale Frage am Ende nicht vermeiden: Wie ist im Zusammenhang von Glück und Geld zu bewerten, dass zumindest in der Christentumsgeschichte des Westens das Kreuz, das Symbol von Leiden, Sterben und Scheitern und Unglück zur entscheidenden und fast alles beherrschenden Kulturchiffre für das Christentum geworden ist? Wie tief prägt das Mentalitäten seit 1600 Jahren? Welche möglichen Glücksfelder wurden damit vermint und welche möglichen Glücksgelder wurden damit kontaminiert?

Vortrag auf dem Deutschen Evang. Kirchentag in Dresden 2011. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

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