Jüdischer Humor
von Rainer Spallek

Vor einiger Zeit ging der Autor in eine Jüdische Buchhandlung in Berlin. Er entschied sich für den Kauf eines Büchleins zum jüdischen Humor - voll jüdischer Witze. Weniger witzig war die Tatsache, dass vor der Buchhandlung zwei bewaffnete Uniformierte das Geschäft absichern mussten. Witz und Gewalt: Im jüdischen Humor nur ein scheinbarer Widerspruch… 

Es gibt einen jüdischen Humor und es gibt jüdische Witze von Juden über Juden. Und es gibt Witze von Nichtjuden über Juden – die allerdings sind mit Vorsicht zu erzählen … . Der jüdische Schriftsteller Joseph Roth lebte u. a. im Städtchen Brody in der heutigen Ukraine – und es war dieses osteuropäische Judentum, das den jüdischen Humor besonders prägte. In seinem Buch „Juden auf Wanderschaft“ schreibt Roth über sein Buch:

„Es wendet sich nicht an jene Westeuropäer, die aus der Tatsache, dass sie bei Lift und Wasserklosett aufgewachsen sind, das Recht ableiten, über rumänische Läuse, galizische Wanzen und russische Flöhe schlechte Witze vorzubringen… Der Verfasser hegt die törichte Hoffnung, dass es noch Leser gibt, die Achtung haben vor Schmerz, menschlicher Größe und vor dem Schmutz, der überall das Leid begleitet; dass es Westeuropäer gibt, die auf ihre sauberen Matratzen nicht stolz sind und die wissen, daß aus dem Osten große Menschen und große Ideen kommen; aber auch (in ihrem Sinne) nützliche, die das feste Gefüge westlicher Zivilisation stützen und ausbauen helfen…“.

Es ist schwer, „zu sejn a jid“

Das schrieb Roth 1927; es folgte die fast vollständige Ausrottung des osteuropäischen Judentums im deutschen Nazi-Terror. Heute schreibt der Deutsche Thilo Sarrazin: „Die osteuropäischen Juden sind nützliche Zuwanderer, die haben einen um 15 Prozent höheren IQ als die Deutschen“ (Jüdische Zeitung J.Z. v. Nov. 2009). Was sagt der Zentralrat der Juden dazu? „Sarrazin erweist mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels, Hitler große Ehre. Er steht in geistiger Reihe mit den Herren.“ (Eine Bemerkung, die wiederum von Juden in Deutschland „scharf attackiert“ wurde, so die J.Z.)

Wo bleibt da der jüdische Humor? Eine alte jüdische Redensart besagt: „Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, sag es auf Jiddisch!“ Da die Juden in Osteuropa wenig Nettes erlebt hatten, wurde dort viel Jiddisch gesprochen… Die andere Redensart, es sei „schwer zu sejn a jid“ bringt die Sache auf den Punkt. Und dennoch und deshalb haben die Juden der Welt einen Humor geschenkt, der sehr geschätzt wird und seinesgleichen sucht.

Ein Jude steht in seinem Garten, schmeißt eine Handvoll Münzen in die Luft und ruft: „Herr, mach, dass ich bei der Lotterie gewinne!“ Nichts geschieht. Das wiederholt sich einige Wochen… Plötzlich tut sich der Himmel auf und eine mächtige Stimme erschallt: „David, gib mir ´ne Chance – kauf dir ein Los!“ (J.Z. Nov.2009)

Auserwählt… aber wozu? 

Da haben wir schon ein wesentliches Merkmal jüdischen Humors: Die sehr spezielle Beziehung zu Gott. Ringen und Raufen, Hadern und Streiten, Schachern und Feilschen vor und mit dem Herrn gehören dazu: Moses kehrt vom Berg Sinai zurück. Den gespannt auf ihn Wartenden erzählt er vom harten Feilschen mit Gott: „Ich konnte ihn auf zehn runterhandeln, das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Ehebruch ist auch dabei.“   

Etwas das Jüdisch-Sein fundamental Prägendes steckt in diesem Witz: Die Akzeptanz als das von Gott auserwählte Volk via göttlicher Übergabe der Gesetzestafeln an Moses. Auserwählt – jedoch wozu? Galgenhumor ist eine fast zwingende Konsequenz aus den Erfahrungen des jüdischen Volkes. So der jüdische Buch-Autor David Rothkopf („Die Super-Klasse: Die Welt der internationalen Machtelite“) über die alte Theorie der jüdischen Weltverschwörung: „Hätten wir an den Schalthebeln der Macht gesessen, hätten wir sicherlich eine bessere Bilanz vorzuweisen“ – besseres als Pogrome, Vertreibungen, Hass und Holocaust… .

Auf der einen Seite Gottesauserwähltheit - auf der anderen Leiden und Tod: fast schon ein zen-buddhistisches Koan… . Doch wäre ein Jude kein Jude, würde er nicht das Beste daraus machen! Und zu seinem Besten gehört nun mal der Humor, der ihn vor Selbstverherrlichung und Selbstaufgabe bewahrte und zugleich in der Selbstironie ein genüssliches Bad nehmen lässt. Es heißt, der jüdische Humor sei der einzige, der nur seinesgleichen durch den Kakao zieht bzw. zog (mehr dazu: siehe unten). Beispiel gefällig?
Was ist ein jüdisches Dilemma? Schweinefleisch im Sonderangebot und Schinken umsonst!     

Über Dinge scherzen, die zum Heulen sind

Es wird Zeit, den Namen Sholem Alejchem ins Spiel zu bringen. Er schrieb große, jiddischsprachige Literatur mit einem Humor, der den Leser zugleich lachen und weinen machte, weil er es vermochte, bitterste Erfahrungen mit souveräner Distanz zu schildern. Seine populärsten Geschichten sind die von Tewje, dem Milchmann, dem unzählige Missgeschicke widerfahren, den aber Ironie und Entschlossenheit vor der Selbstaufgabe bewahren. Er ist ein tragikomischer Held, der auf herzzerreißende Weise  über Dinge scherzt, die zum Heulen sind.
So macht in einer Szene der Dorfälteste eines osteuropäischen Schtetls Tewje den Vorschlag, einem Pogrom zuvorzukommen: „Die Sache ist die, Tewje. Wir haben nichts gegen dich persönlich… aber ein Pogrom muss sein, der Gemeinderat hat das so beschlossen, da ist nichts zu machen. Wir werden dir wenigstens die Fenster einschlagen, denn sonst kommt vielleicht jemand durchs Dorf und sieht, dass es hier noch keinen Pogrom gegeben hat – und dann sind wir alle dran!“ Schließlich bekommt Tewje immerhin die Erlaubnis, seine Fenster selbst einschlagen zu dürfen… .

Genauso tragikomisch geht es in dem großartigen Film „Zug des Lebens“ (1999) von Radu Mihaileanu zu, selbst Kind von Holocaust-Überlebenden. Es geht um die Einwohner eines von den Deutschen bedrohten jüdischen Dorfes. Dorfnarr Schlomo hat die rettende Idee: Die Juden deportieren sich selbst! Man kauft einen abgewrackten Zug, möbelt ihn deportationsmäßig auf und kennt das Ziel: Palästina. Die benötigten SS-Uniformen stellen die Dorfschneiderinnen her. Einer muss den SS-Führer spielen, keiner will, doch einer muss es tun. Und dieser spielt die Rolle so gut, das man misstrauisch wird… .      

Hebräisch-jiddische Antiphonie

Wie erwähnt erhielt der jüdische Humor seine besondere Würze in dieser jiddischen Kultur Osteuropas. Er blühte auf vor allem innerhalb der Grenzen der Schtetl, in denen Juden i.d.R. die Bevölkerungsmehrheit bildeten. In diesem Milieu hielt sich auch Alejchem auf, ihm entnahm er die Gestalten und Themen für seine Literatur.

Göttliche Auserwähltheit und gleichzeitige Verfolgung und Verelendung der Ostjuden führten als „hebräisch-jiddische Antiphonie“ (Peter L. Berger: „Erlösendes Lachen“) zu einer existentiellen Komik immer am Rande des Abgrunds. Wie auch bei Alejchem „diente das Jiddische als ironischer Kommentar zu den großartigen Versprechungen des Hebräischen (in den heiligen jüdischen Schriften, d. Verf.). So entstand eine zutiefst ironische Weltsicht; ein Beispiel: Auf Hebräisch wird gesagt ´Du hast uns auserwählt unter den Völkern` (eine in täglichen Gebeten wiederkehrende Formulierung). Dann aber folgt auf Jiddisch: `Warum hast du dir ausgerechnet die Juden aussuchen müssen?`“ (Berger)

„Die Juden sind ein Volk, das – man könnte fast sagen: das aus der Verfolgung eine Berufung gemacht hat. Es war ihr vorbestimmtes Schicksal.“ (Yehudi Menuhin) 

Luftmenschen

Das trotz seiner religiösen Exklusivität leidende Volk brachte gezwungener Maßen den Typus des „Luftmenschen“ hervor, eine besondere Spezies der hoffnungslosen Schtetl-Existenzen im Osten Europas; Menschen, die sich von allen Katastrophen nicht entmutigen ließen und
phantastisch-grotesken Geschäften nachjagten…
- Wie geht´s, Herr Stern? , fragt ein alter Bekannter auf der Straße.  – Schlecht! – Wie verdienen sie jetzt ihren Lebensunterhalt? – Ich vermiete Fenster. – Fenster?! Wofür? – Für Paraden oder öffentlichen Begräbnisse – Und wo wohnen sie? – In der Kleingasse. – Aber dort gehen doch keine Paraden! – Ich sag ihnen doch, dass es mir schlecht geht.

Ein Luftmensch hatte keinen Beruf, kein Geld und lebte doch irgendwie, ohne zu schnorren oder gar zu stehlen. Er verdiente ein wenig z. B. durch Kiebitzen beim Kartenspiel: der Gewinner ließ ihm etwas zukommen. Oder er half feinen Herrschaften aus der Pferdedroschke oder bürstete am Eingang von Kaffeehäusern im Wínter denSchnee von Jacken und Mänteln oder er brachte Müttern ihre weggelaufenen Kinder zurück. All das gehört zum sozialen Milieu, das den unvergleichlichen jüdischen Humor hervorbrachte…

Warten auf den Messias

Ein Reisender trifft aus der Ferne  kommend in einem osteuropäisches Schtetl ein. Es ist Winter. Vor der Synagoge trifft er auf einen alten Mann, der zitternd vor Kälte auf einer Bank sitzt. – Was macht ihr hier? – Ich warte auf den Messias. – Wahrhaftig ein wichtiger Beruf! Ich nehme an, dass euch die Gemeinde dafür gut entlohnt? – Nein, die zahlt gar nichts; manchmal gibt es etwas  zu essen. – Aber sicherlich genießt eure Arbeit hohes Ansehen? – Überhaupt nicht; alle halten mich für verrückt! – Das verstehe ich nicht: kein Geld, kein Ansehen, ihr friert und hungert hier… wo ist der Vorteil ihrer Arbeit? – Nun, es ist ein Posten auf Dauer…

Der Jude Joseph Roth selbstironisch über das ostjüdische Proletariat: „Der arme Jude ist der konservativste Mensch unter allen Armen dieser Welt. Er ist geradezu eine Garantie für die Erhaltung der alten Gesellschaftsordnung.“ Warum? Er wehrt sich nicht! Stattdessen, so Roth, „lebt er bürgerlich. Er hungert und darbt mehr geregelt als der christliche Proletarier. Man kann sagen: Er nimmt täglich zu bestimmten Stunden seine Mahlzeiten nicht ein…“

Woher kommt diese urwitzige Kraft und Fähigkeit, sich von seinem Schicksal so weit zu distanzieren, dass man sich und seine Situation zum Gegenstand von feinem Spott und gnadenloser Selbstironie machen konnte? Bevor ich diese Frage zu beantworten versuche (mit Hilfe von P. L. Berger – s.o.)  noch eine Anmerkung zu den bevorzugten Themen des jüdischen Humors – es sind dies:
Das Essen (koscher…) – Familie – Geschäfte und Geld – Reichtum und Armut – Religion – Gesundheit und Krankheit – Tod und Antisemitismus. Bis auf den letzten Punkt sind diese Themen auch in nichtjüdischen Kulturen beliebte Humorfelder.

Auf den Spuren des jüdischen Humors

Was macht also das eigentliche „Geheimnis“ des jüdischen Humors aus? Vier Spuren sollte man dabei verfolgen: die psychologische - die soziologische - die theologische und die - die intellektuelle

psychologisch: Wenn für die Angehörigen eines bedrängten Volkes/Religionsgemeinschaft die Anwendung von Gewalt und politischer Macht als Kampfmittel ausgeschlossen sind und Konversion und Suizid als Fluchtmittel ausscheiden, man aber bleiben möchte, obwohl Gefahr droht – dann braucht es ein Ventil, ein Werkzeug, um mächtiges Leid zu entmachten, zu mildern, zu zähmen. Diese Funktion übernimmt der Humor. Die jüdischen Witze sind oft so spitz formuliert, so raffiniert gewunden, so intellektuell gewitzt und treffsicher angesetzt, dass sie ihre Ziele (vor allem die Juden selbst!) kaum verfehlen. Selbstironie ist eine mächtige psychologische Waffe  in der Hand der Machtlosen, die sie Leid mindernd gegen sich selbst richten können

soziologisch: Jahrhunderte lang standen Juden zugleich inner- wie außerhalb europäischer Gesellschaften, waren sie zugleich Zugehörige und Außenseiter. Eher jedoch Fremdkörper, versuchten sie Nähe und Distanz zu Angehörigen jeweiliger Mehrheiten mit feinem Gespür auszutarieren: Aus der Distanz erhält man i. d. R. einen genaueren – u. U. lebenswichtigen- Überblick. Außerdem „ergeben gesellschaftliche Randpositionen immer eine komische Perspektive“, die Einheimische gar nicht einnehmen können (Berger). Juden gelang es sogar Distanz zu gewinnen zu Ereignissen, die zu Millionen Opfern im Laufe von Jahrhunderten führten – wie auch sonst hätten sie überleben sollen? (Galgen-) Humor hilft das Leid zu sublimieren und bewahrt davor, es völlig zu verdrängen.

Aber auch jenseits von Pogromen und Holocaust führten Juden ein unstetes Leben in Bedrängnis und Schikane. In osteuropäischen Ansiedlungsgebieten wurde ihnen die Herausbildung eines Bauerntums fast unmöglich gemacht. Viele andere Berufe (z.B. in der Industrie) wurden ihnen verwehrt, sodass nur noch Händler- und Handwerkerberufe möglich waren – und auch hier gab es Einschränkungen. Die durch diese übermäßige Konzentration entstehende Konkurrenz sowie die fehlende Landwirtschaft führten zu einer Verelendung großen Ausmaßes. Solch eine Entwicklung weckt Schwindel erregende Phantasien in Bezug auf Überlebenskunst und bringt eine unfreiwillige Komik hervor (s. o. „Luftmenschen“).

Doch die jüdische Religion bot „ideale Möglichkeiten, sich in eine erhöhte Spiritualität zu begeben, um der Erbärmlichkeit und Mühsal des Alltags zu entfliehen: Der Rhythmus des gemeinschaftlichen religiösen Lebens wurde vom täglichen Gebet und Studium in der Synagoge, dem Schabbat und den Feiertagen beherrscht“ (Joel Rubin: „Klezmer-Musik)

Ein junger, reformierter Jude muss seine Freundin im Kaffeehaus treffen, weil ihr orthodoxer Vater ihm den Zugang in sein Haus nicht erlaubt. Eines Tages treffen sich die beiden wieder und er sagt: „Heute habe ich deinen Vater auf der Straße gesehen, aber er hat mich nicht gesehen.“ – „Ich weiß“, antwortet sie, „er hat´s mir erzählt.“

Theologisch: Das Verhältnis der Ausgewählten zu ihrem Auswähler entbehrt für Außenstehende nicht der Komik. Kaum ein anderer Gott wird es mit seinen Gläubigen so schwer haben wie der jüdische. Fast möchte man ihm zu Hilfe eilen, so sehr streiten seine Juden mit ihm – dabei kennt man sich schon so lange… . Und ihr Beten wirkt oft hastig, als wollten sie Zeit sparen.  Doch sind sie „bei Gott nicht seltene Gäste, sondern zu Hause… Im Gebet empören sie sich gegen ihn, schreien zum Himmel, klagen über seine Strenge und führen bei Gott Prozess gegen Gott, um dann einzugestehen, daß sie gesündigt haben, daß alle Strafen gerecht waren und dass sie sich bessern wollen. Es gibt kein Volk, das dieses Verhältnis zu Gott hätte.“ (Joseph Roth – s.o.). Der jüdische Gott ist ein Gott vollkommener moralischer Integrität und Autorität. Und so reiben sich die Juden ihre moralischen Verfehlungen an der Klagemauer Gottes zuerst wund und dann ab.

Ein Dialog am Berg Sinai zwischen Gott und Moses: - Und merke dir, Moses, die koschere Küche verbietet es, ein Kalb in der Milch seiner Mutter zu kochen. – Ich verstehe. Du willst sagen, wir sollten nie Milch und Fleisch zusammen essen. – Nein, ich sage, koche nie ein Kalb in der Milch seiner Mutter. – Entschuldige meine Ignoranz. Was du meinst ist, dass wir 6 Stunden nach einem Fleischessen warten, bevor wir Milchiges zu uns nehmen dürfen. – Nein, Moses, ich sage, koche nie ein Kalb in der Milch seiner Mutter. – Bitte, werfe mich nicht vom Berg wegen meiner Dummheit, aber was du meinst ist, …
Gott, entnervt: Mach, was du willst, Moses!“
(Bemerkenswert übrigens, dass eine so wichtige biblische Figur wie die des Sohnes Abrahams, der dem Opfertod so nahe war, den Namen Isaak erhielt, was heißt: „Der, der lacht“ bzw. der Lachende)    

Intellektuell: Schon ab dem Alter von 3-5 Jahren lernten die Knaben in der religiösen Grundschule die Thora mit Hilfe einer besonderen, über Jahrhunderte entstandenen melodischen Singweise auswendig. Zugleich gewöhnten sich die Kinder daran, täglich in der Synagoge mitzubeten und Gebetsverse zu rezitieren. „Aus tief religiösen Gründen ist die jüdische Kultur wohl die verbalste der Menschheit“ und somit gut gerüstet, „Witze kunstvoll zu erzählen“. (P. L. Berger).
In den Synagogen, die Gebets- und Bildungsstätte sind, erlernten Juden recht bald auch Lese- und Schreibfähigkeiten; Kulturechniken, die sie i. Vgl. m. der nichtjüdischen Bevölkerung  kulturell überlegen sein ließen: Ein Grund, warum es zu keiner echten Annäherung zu ihren (christlichen) Nachbarn in Osteuropa kam, die häufig „wegen ihres Analphabetismus geistig verrohten.“ (Joel Rubin, s. o.)

Eine sich aus dem kirchlichen Dogma ergebende antijüdische Haltung sowie befremdliches Aussehen und Rituale verstärkten noch das Misstrauen auf nichtjüdischer Seite. So grenzte man sich auch jüdischerseits voneinander ab und wandte sich umso mehr eigenen intellektuellen und theologischen Bedürfnissen zu. Es entwickelte sich in Jahrhunderten „die typische intellektuelle Tradition des Judentums, die im eigentlichen Wesen des rabbinischen Judentums und in der zentralen Bedeutung des Gesetzes wurzelt.“ (P. L. Berger). Kompliziertes Gesetzesdenken ging einher mit „endlos intellektuellen Anstrengungen, die Forderungen der Halacha zu begreifen“ und alltagsbezogen zu interpretieren. Diese Form hoher Gelehrsamkeit war sehr angesehen: Solche „traditionelle Gelehrsamkeit ist eine wesentliche Voraussetzung zur Erhaltung eines Volkes im Exil. Um diese Gelehrsamkeit kreisen viele Hunderte von jüdischen Redensarten.“ (Salcia Landmann) Für jüdische Witze waren dann auch Lichtgestalten wie die des Rabbi oder des Zaddik (im Chassidismus) als ebenso gelehrte wie verehrte Autoritäten unentbehrlich.   

Das alles war möglich aufgrund einer „religiösen Leidenschaft, die der hingebungsvollen Entschlossenheit entspringt, den Willen Gottes in sämtlichen Bereichen menschlicher Existenz zu erkennen und zu befolgen.“ (Landmann) Die typische, am Gottesgesetz-Lebensrealität-Dualismus geschärfte „dialektische Argumentationsweise führte zu einem einzigartigen Erkenntnisstil, der auch im jüdischen Witz zu beobachten ist“ (P. L. Berger) 

Schussbemerkung mit Witz

Nur weil Juden ihren eigenen Staat haben und sich heute sehr wohl gegen Gewalt zu wehren wissen ist der jüdische Witz nicht witzlos geworden. Neue jüdische Witze erreichen uns nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem aus den USA und Israel. Der US-amerikanische jüdische Humor hat sich thematisch allerdings säkularisiert; den religiösen Aspekt gibt es zwar noch im israelisch-jüdischen Humor, doch dieser zeigt sich nun verbal modernisiert.
Auffällig ist, dass nun auch Andere durch den Kakao gezogen werden: Witze über arabische Staaten und deren Armeen sind beliebt oder solche: „Es gibt nur kluge Juden, die dummen lassen wir gleich taufen.“ Während es früher zu gefährlich war, sich über andere lustig zu machen fühlt man sich heute stark genug für humorvolle Provokationen.

Woody Allen ist so ein Vertreter des modernen jüdischenWitzes; sein blitzschnelles Drehen einer Situation mit verblüffendem Effekt ist dabei Element der alten wie der neuen Witzkultur - bevorzugt wird dabei die Absurdität des eigenen Lebens aufs Korn genommen: „Das Leben ist voller Leiden und Probleme… und außerdem ist es viel zu kurz!:
Abschließend noch ein köstlicher Witz zum Zungeschnalzen:
Moishe ist gestorben und der Notar verliest seinen letzten Willen: „Meiner geliebten Frau Mirjam hinterlasse ich die Hälfte meines Vermögens. Mein Sohn Amos und meine Tochter Rebekka sollen zu gleichen Teilen die andere Hälfte meines Vermögens bekommen. Und mein Schwager, dem ich versprochen hatte, ihn in meinem Testament zu erwähnen: Hallo Jitzack – ich grüße Dich!“ 

Rainer Spallek, Sozialwissenschaftler, Referent (Reisen: Asien und Osteuropa, Buddhismus), Seminarleiter (Burnout, Meditation), Autor (Arbeitswelt, Lebenskunst) in Duisburg info@lernen-und-leben.de

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