Bankiers
von Dolores L. Augustine

Die Blüte jüdischer Bankhäuser im 19. Jahrhundert verdankte sich in besonderem Maß ihrer Beteiligung an der Emission von Staatsanleihen und Wertpapieren, insbesondere der Kapitalbeschaffung für den Bau von Eisenbahnen und des Managements von Auslandsinvestitionen. Mit ihren Finanzdienstleistungen und ihrem besonderen Anteil an der Entwicklung von Investmentgeschäften trugen sie zum enormen Wirtschaftswachstum ihrer Ära bei. Da Juden in der öffentlichen Meinung eng mit dem Aufstieg des Kapitalismus und der Hochfinanz verbunden waren, wurden sie häufig als Verursacher von Veränderungen und Krisen, die das moderne Wirtschaftssystem mit sich brachte, hingestellt.

1. Ursprünge

Bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es nach kirchlicher Rechtsetzung verboten, auf geliehenes Geld Zinsen zu verlangen. Vom »kanonischen Zinsverbot« ausgenommen waren Juden. Ausgestattet mit dem Zinsprivileg, wandten sich Juden nun dem Geldhandel zu und entwickelten die Kunst der Finanzierung. Als Hofjuden oder Hoffaktoren stellten jüdische Finanziers besonders in Mitteleuropa Monarchen und Aristokraten Geldmittel zur Verfügung und erhielten im Gegenzug besondere Privilegien. Die Umgebungskultur, in der sie als »Paria-Kapitalisten« (Max Weber) galten, erachtete ihr Wirken als dem puritanischchristlichen Wirtschaftsethos entgegengesetzt. Aufgrund ihres Reichtums waren Hofjuden oft verhasst, gelegentlich wurden sie für das Scheitern ihrer adligen und königlichen Herren verantwortlich gemacht [15. 181 f.].

Eine Reihe moderner Banken in jüdischem Besitz, die in besonderem Maß vom Aufschwung der Industrie und des Handels im 19. Jahrhundert profitierten, können mit früheren Generationen von Hofjuden in Verbindung gebracht werden. Bernhard Freiherr von Eskeles, Sohn eines Rabbiners und Enkel des Hofjuden Samson Wertheimer, gründete 1773 in Wien die Bank Arnstein & Eskeles und stieg zum Mitbegründer und Direktor der Oesterreichischen Nationalbank sowie zum Finanzberater der Habsburger auf. Der preußische Hoffaktor Daniel Itzig, der während des Siebenjährigen Kriegs (1756–1763) im Auftrag Friedrichs II. den Münzumlauf kontrolliert hatte und dabei zu einem erheblichen Vermögen gekommen war, gründete in Berlin das Bankhaus Itzig & Co. In Frankfurt am Main stieg Mayer Amschel Rothschild, der zunächst im Münzund Antiquitätenhandel tätig war, zum Oberhofagenten des Kurfürsten von Hessen-Kassel auf, für den er Finanzgeschäfte vermittelte. 1810 gründete er die Bank M. A. Rothschild & Söhne ( Rothschilds). In Berlin entwickelte Samuel Bleichröder, Sohn eines Hofparfümeurs der preußischen Königin, ein Geldwechselund Lotterieeinnahmengeschäft zu einer Bank weiter und erwirtschaftete als Agent für die Frankfurter Rothschilds hohe Erträge. Sein Sohn Gerson baute das Bankhaus S. Bleichröder aus und spezialisierte es auf das Außenhandelsgeschäft und die Industriefinanzierung. Bekannt wurde er vor allem als Bankier Otto von Bismarcks und des preußischen Monarchen, für die er Mittel zur Finanzierung des Preußisch-Österreichischen Kriegs 1866 bereitstellte (vgl. Abb. S. 289). 1872 wurde Gerson Bleichröder von Kaiser Wilhelm I. als erster Jude in den erblichen Adelsstand erhoben [13].

Bezüge zu Höfen weisen auch die Bankgründungen von Karoline (Chaile) Kaulla, geb. Raphael in Württemberg, Salomon Haber in Baden und Salomon Oppenheim in Köln auf [14. 78–87]. Die auf Oppenheim zurückgehende Bank Sal. Oppenheim Jr. & Cie. war vor allem an der Finanzierung des Eisenbahnbaus und der Industrie im Rheinland und an der Ruhr beteiligt. In der Buchhaltung des Berliner Bankhauses Itzig & Co. begann Joseph Mendelssohn, der älteste Sohn des Philosophen und Aufklärers Moses Mendelssohn, seine Laufbahn. Zusammen mit Moses Friedländer gründete er 1795 das Bankhaus Mendelssohn & Co. Sein Bruder Abraham Mendelssohn Bartholdy, der 1804–1821 sein Partner war, hatte Itzigs Enkelin geheiratet. Das Bankhaus Mendelssohn entwickelte sich aufgrund guter Kontakte zu den Frankfurter Rothschilds, der Zusammenarbeit mit dem preußischen Staat und der Seehandlung (Preußische Staatsbank) während der Napoleonischen Kriege sowie des Geschäfts mit russischen Eisenbahnaktien und Staatsanleihen in den 1850er und 1860er Jahren zu einer der erfolgreichsten Privatbanken [6. 67]. Nicht alle jüdischen Bankgründungen gehen auf engere oder weitläufigere Beziehungen zu regionalen und höchsten Herrschern zurück. Die Anfänge vieler jüdischer Bankiersfamilien in Deutschland lagen im Handel und in kleinen Finanzunternehmen. Der Breslauer Bankier Jacob Landau war Sohn eines Pferdehändlers. Wolf Hajum Ladenburg, der Gründer des Bankhauses W. H. Ladenburg & Söhne in Mannheim, entstammte einer Kaufmannsfamilie. Die Ursprünge der großen Hamburger Bank M. M. Warburg & CO gehen bis auf das »Geldwechselund Pfandleihergeschäft« von Gumprich Marcus Warburg im 18. Jahrhundert zurück [5. 18].

2. Jüdische Privatbankiers
2.1 Europa

Der Aufstieg jüdischer Finanzhäuser vollzog sich vor allem in Form von Privatbanken, die sich durch die Finanzierung von Handel und Eisenbahnbau, durch das Management von Auslandsinvestitionen sowie durch Staatsanleihenhandel einen Namen machten. In Deutschland stellten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert jüdische Bankiers einen Anteil von 79 Prozent der Privatbankiers. Führende Wiener Banken (die meisten davon Privatunternehmen) wurden in den Jahren 1898–1914 Schätzungen zufolge zu 80 Prozent von jüdischen Direktoren geleitet. In Frankreich befanden sich 1895 etwa ein Fünftel der Banken in jüdischem Besitz. Im Unterschied dazu waren in Großbritannien im späten 19. und 20. Jahrhundert nur ungefähr sieben Prozent der Bankiers jüdisch [4].

In Russland traten jüdische Bankhäuser in der Hochphase der Privatbanken in den 1860er bis 1880er Jahren in Erscheinung. Wie in anderen Ländern waren sie besonders in der Finanzierung des Eisenbahnbaus, im Investmentgeschäft und in Handel von Staatsanleihen aktiv; von traditionell nichtjüdischen Bereichen des Finanzgewerbes waren sie dagegen weitgehend ausgeschlossen, insbesondere von der Industriefinanzierung (Textilherstellung und Metallverarbeitung) und dem Immobiliensektor. Viele russisch-jüdische Bankiers begannen ihre Karriere als Steuerpächter. Später machten sich jüdische Bankiersfamilien in der Finanzierung des russischen Staats unentbehrlich. So war einer der Hauptklienten des Bankhauses von Evzel Gintsburg (Joseph Günzburg) der russische Staat. Die Gintsburgs investierten u. a. in den russischen Eisenbahnbau und waren an der Finanzierung des russischen Eisenbahnnetzes beteiligt. Die drei Polyakov-Brüder Yakov, Samuil und Lazar errichteten ein Unternehmensimperium: Yakov und Samuil Polyakov begannen ihre Laufbahn im Alkoholgeschäft, Samuil wechselte später zum Straßenbau und gewann die Unterstützung des russischen Postund Telegraphieministers, der ihm staatliche Verträge für den Eisenbahnbau zusprach; im Lauf seiner Karriere finanzierte er den Bau eines Viertels des russischen Eisenbahnnetzes. Yakov, der zeitweise im Eisenbahnunternehmen des Bruders tätig war, wandte sich dem Bankwesen und Fernhandel zu; er gründete zwei Bankhäuser in St. Petersburg. Auch Lazar Polyakov arbeitete zunächst im Unternehmen seines Bruders Samuil und gründete später ein Finanzimperium, das fünf Bankhäuser einschloss.

Im russischen Teil Polens begründete der Kaufmann Shmul (Szmul Jakubowicz) Zbytkower (gest. 1801) eine Bankiersdynastie, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Finanzierung von Manufaktur und Industrie von Bedeutung war. Einige seiner Enkel wanderten nach St. Petersburg oder in andere europäische Hauptstädte aus, wo die Gewinnerwartung größer war; einige konvertierten zum Christentum. Die bedeutendste Figur in der Wirtschaftsgeschichte Polens im 19. Jahrhundert war der polnisch-jüdische Bankier Leopold Kronenberg, der in großem Stil in zahlreiche lukrative Industrie-, Finanzund Handelsunternehmen investierte [8. 75–77].

2.2 Vereinigte Staaten von Amerika

Mehrere Banken in den Vereinigten Staaten wurden von Juden gegründet, die im 19. Jahrhundert aus Deutschland eingewandert waren. Diese begannen ihre Karrieren häufig als Hausierer, Büroangestellte oder kleine Einzelhandelsoder Großhandelskaufleute. Einige von ihnen waren mittellos in die Vereinigten Staaten gekommen, andere brachten genügend Startkapital mit.

Zu den aus Deutschland stammenden jüdischen Bankiers zählt Joseph Seligman. Gebürtig aus Bayern, verließ er als Siebzehnjähriger wegen der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage seine Heimat und wanderte in die Vereinigten Staaten ein, wo er zunächst als Hausierer arbeitete; seine sieben Brüder folgten ihm sukzessiv nach. Die Seligmans fassten in der Konfektionsbranche Fuß und waren dort so erfolgreich, dass Joseph 1862 in New York das Imperium J. & W. Seligman & Co. mit Zweigstellen in San Francisco, New Orleans, Paris, London und Frankfurt gründete. Die Bank finanzierte den Bau von Eisenbahnen und handelte mit Auslandsanleihen und Anleihen der amerikanischen Regierung, die den Nordstaaten im Bürgerkrieg das dringend benötigte Kapital verschafften. Nach dem Krieg trug Präsident Ulysses S. Grant Seligman das Amt des Finanzministers an, das dieser allerdings ablehnte.

Die Investmentbank Kuhn, Loeb & Co. wurde 1867 von den deutsch-amerikanischen Juden Abraham Kuhn (1819–1892) und Salomon Loeb (1828–1903) gegründet. Beide hatten bescheiden begonnen, dann aber in der Bekleidungsindustrie in Ohio und Indiana ein Vermögen erworben. Sie siedelten nach New York über und wurden als Privatbankiers im Finanzviertel tätig. Unter der Leitung ihres späteren Partners Jacob H. Schiff (1847–1920) wurde Kuhn, Loeb & Co. eine der führenden Investmentbanken Amerikas, die sich vor allem mit der Finanzierung des expandierenden amerikanischen Eisenbahnbaus einen Namen machte [3. 208–214]. Marcus Goldman (1821–1904) aus Unterfranken wanderte 1848 in die Vereinigten Staaten aus, wo er zunächst als Hausierer tätig war. 1869 gründete er in New York ein kleines Unternehmen, das mit Geldmarktpapieren handelte. Daraus entstand das Haus Goldman, Sachs & Co., das bereits im 19. Jahrhundert zu einer der großen Investmentbanken zählte. Lehman Brothers wurde von dem deutsch-jüdischen Einwanderer Henry Lehman (ca. 1822–1855) gegründet, der mit einer Kurzwarenhandlung in Alabama seine Karriere begann. Seine Brüder und er wurden Baumwollhändler und eröffneten 1858 eine Zweigstelle in New York. Bis 1906 gelang ihnen der Sprung von Warenhändlern zu Bankiers im Investmentgeschäft.

3. Von Privat- zu Aktienbanken

Die herausragende Stellung der Juden im Bankenwesen gründete vor allem auf Privatbanken. Die jüdische Dominanz in diesem Sektor verblasste in der Gründerzeit im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts mit dem Aufstieg von Aktienbanken, bei denen Besitz und Management getrennt waren. Mit ihrem größeren Kapitalaufkommen waren die Aktienbanken eher in der Lage, den steigenden Kapitalbedarf der Industrie zu bedienen. Der Anteil jüdischer Bankiers in Deutschland im Jahr 1912 wird auf 45 Prozent geschätzt, während 1877 noch zwei Drittel der führenden deutschen Bankiers jüdisch gewesen waren.

Doch auch eine Reihe von Aktienbanken wurde in ihren Anfängen stark von jüdischen Bankiers mitbestimmt. Fast die Hälfte von ihnen stammte aus Kaufmannsfamilien [12. 168]. Aufgrund ihrer Teilhaberschaft erhielten die jüdischen Bankiers, die in Aktienbanken tätig waren, Direktorenposten; sie konzentrierten sich auf den Aktienmarkt und entwickelten neue Geschäftsmodelle.

Ein Beispiel für den Übergang von der Privatzur Aktienbank ist die Dresdner Bank. Das private Bankhaus Michael Kaskel, gegründet 1771 vom jüdischen Hoffaktor Jakob Kaskel in Dresden, war ein Familienunternehmen, bis es 1872 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Der Anstoß dazu kam von Eugen Gutmann; der Sohn eines Dresdner jüdischen Bankiers, der eine Banklehre im Haus Günther & Palmié in Dresden absolviert hatte, war Teilhaber im Bankhaus Kaskel. Die Gründungsmitglieder der neuen Aktienbank waren neben dem Inhaber Carl Freiherr von Kaskel und seinem Sohn Felix sowie Gutmann eine Reihe weiterer Bankiers. Mit Gutmann als Vorstandsvorsitzendem nahm das Geldinstitut den Namen Dresdner Bank an und entwickelte sich zu einem der größten deutschen Geldinstitute. Unter seiner Führung wurde beträchtliches Kapital in die Schwerindustrie investiert. Auf Gutmann geht auch der systematische Ausbau des deutschen Bankfilialnetzes zurück, mit dem die Banken einen möglichst breiten Kundenkreis erreichen wollten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts besaß die Dresdner Bank das größte Filialsystem unter den deutschen Aktienbanken.

Jüdische Bankiers trugen in vielen weiteren Fällen zum Übergang von der Privatzur Aktienbank bei. Der Berliner Bankier Wilhelm Kopetzky, Gründer und Eigentümer der Privatbank Kopetzky & Co., spielte eine bedeutende Rolle beim Ausbau der Berliner Börse. In Köln organisierte der Privatbankier Louis Hagen (ursprünglich Levy) zahlreiche Fusionen im Industrieund im Bankensektor. In Polen gründete Leopold Kronenberg die erste polnische Aktienbank [8. 83].

Jüdische Bankiers arbeiteten eher börsenorientiert und überließen die Pflege des Industriegeschäfts, insbesondere der Schwerindustrie, aufgrund des unter Industriellen verbreiteten Antisemitismus lieber nichtjüdischen Mitarbeitern [12. 171]. Mit dem Aufstieg der Aktienbanken wurden jedoch alte Barrieren überwunden. Wilhelm (ursprünglich William) Merton, dessen Familie aus Großbritannien nach Deutschland übergesiedelt war, saß der Bergund Metallbank, der Metallgesellschaft und der Metallurgischen Gesellschaft vor und betätigte sich im Handel mit Nichteisenmetallen und in der Bergbaufinanzierung. Juden wie der Berliner Bankier Adolf Jarislowsky und der Industrielle Oskar Huldschinsky waren in der schlesischen Schwerindustrie aktiv. Der Aufstieg von Aktienunternehmen hob auch jüdische Bankiers wie Marcus Kappel in die Vorstände von rheinländischwestfälischen Schwerindustrieunternehmen. Unter Führung von Carl Fürstenberg, einer der überragenden Gestalten im deutschen Bankwesen, wurde die Berliner Handels-Gesellschaft, die 1856 von den bedeutendsten Privatbankiers Berlins gegründet worden war, zu einer sogenannten »Industriebank«. Sie trug insbesondere zur Finanzierung der Schwerindustrie im Ruhrgebiet bei.

In Großbritannien war der deutschstämmige Felix Schuster der einzige jüdische Vorsitzende einer Aktienbank (der Union Bank); auch in den Vorständen größerer Banken waren in England nur wenige Juden vertreten. In Frankreich investierten die Brüder Émile und Isaac Péreire aus Bordeaux, Gründer der Crédit Mobilier, in Eisenbahnbau, Versicherung und öffentlichen Verkehr. Isaacs Sohn Eugène gründete die Banque Transatlantique, die gewaltige öffentliche Bauprojekte, insbesondere Gasund Elektrizitätswerke in Frankreich und Nordafrika, finanzierte. In Frankreich spielten jüdische Bankiers eine zentrale Rolle bei Finanztransaktionen im internationalen Handel.

4. Ehen, Allianzen und Assimilation

Wie die deutsche Geschäftselite im Allgemeinen, nutzten auch deutsch-jüdische Bankiers im späten 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Familienbindungen und Freundschaften, um Geschäftsbeziehungen anzubahnen oder zu festigen. Von Söhnen wurde erwartet, dass sie in das Familienunternehmen eintraten. Die Rothschilds sind die berühmteste Familie, die die Strategie der Eheschließung von Cousins und Cousinen verfolgte. Die Verwandtenehe war in jüdischen Bankiersfamilien anfangs ein häufig anzutreffendes Muster. In späteren Generationen wurde zur Eheschließung zwischen untereinander nicht verwandten jüdischen Familien übergegangen. Mit wachsendem Prestige wurde es Usus, in jüdische oder konvertierte jüdische Familien aus anderen Ländern einzuheiraten, deren Nachkommen sich wiederum häufig mit Christen verheirateten [9. 161–185].

Die starke Bindung an Familienstrukturen erleichterte den Aufbau von Geschäftsallianzen über nationale Grenzen hinweg. Auch hier sind die Rothschilds das bekannteste Beispiel: Die Söhne des Frankfurter Mayer Amschel Rothschild etablierten Bankhäuser in London, Paris, Wien und Neapel; ihr familiäres und geschäftliches Netzwerk war die Voraussetzung für den Aufstieg zur bedeutendsten Finanzmacht Europas. New Yorker Bankiers unterhielten enge Geschäftsbeziehungen zu jüdischen Bankhäusern in Deutschland. So erschloss sich die Hamburger Bankiersdynastie Warburg wichtige Verbindungen, als Paul und Felix Warburg in amerikanische Bankiersfamilien einheirateten und in New York ansässig wurden.

Im späten 19. Jahrhundert kam es vermehrt zu Eheschließungen mit Adligen. Mit ihnen verband sich die soziale Anerkennung durch die Oberschicht, wenn nicht gar die Einführung an den Königshof. Etwa ein Viertel der Söhne und Töchter der wohlhabendsten deutsch-jüdischen Geschäftsleute der Vorkriegszeit heirateten in die Aristokratie, den Landadel oder andere traditionelle Segmente der hohen Gesellschaft ein. Doch erschwerte der Antisemitismus im deutschen Adel Eheschließungen zwischen jüdischen Bankiersfamilien (selbst, wenn sie konvertiert waren) und Aristokraten. Deshalb lehnten viele jüdische Bankiersfamilien solche Verbindungen von vornherein ab. Häufig wurde auch der Erwerb eines Adelstitels angestrebt – 18 Prozent der wohlhabendsten jüdischen Geschäftsleute gingen diesen Weg [2. 79–85].

Mit dem Aufstieg der Aktienbanken im letzten Drittel des 19. Jahrhundert ging eine Zunahme des sozialen Umgangs christlicher und jüdischer Bankiers miteinander einher. Da Aktienbanken nicht mehr in der Hand von Familien lagen, war die Frage konfessioneller Zugehörigkeit ihrer Eigner und Angestellten wenig relevant [2. 197–201]. Vor dem Ersten Weltkrieg konvertierte etwa ein Drittel der 80 vermögendsten jüdisch geborenen Geschäftsleute zum christlichen Glauben [1. 348].

5. Politisches Engagement

Jüdische Bankiers waren in Europa während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vereinzelt in der Politik aktiv. Nur wenige saßen in Parlamenten oder amtierten in Regierungen [7. 228]. Bemerkenswerte Ausnahmen sind der französische Bankier Achille Fould, ein Gegner des Freihandels und Finanzminister unter Napoleon III., und der italienische Finanzund Staatsmann Luigi Luzzatti, der sich um die Entwicklung und Verbreitung der banche popolari (Volksbanken) in Italien verdient machte.

Deutsch-jüdische Bankiers hingen, wie deutsche Juden generell, vorwiegend dem politischen Liberalismus an [11. 82–88]. Wenige jüdische Bankiers, die enge Verbindungen zu den deutschen Regierungen unterhielten, waren konservativ, monarchistisch und protektionistisch eingestellt. Zu ihnen gehörten verschiedene Rothschilds, Gerson Bleichröder und Paul (von) Schwabach, seit 1898 Leiter der BleichröderBank.

Einzelnen jüdischen Bankiers kam wesentliche Bedeutung für die staatliche Politik und Geldwirtschaft zu. Bleichröder hatte aufgrund seiner Beteiligung an der Finanzierung des Preußisch-Österreichischen Kriegs 1866 Anteil am Prozess der deutschen Nationalstaatsgründung. Der liberale Politiker und Bankier Ludwig Bamberger (1823–1899) setzte sich für eine Währungsreform ein, die zwischen 1872 und 1875 umgesetzt wurde und dem neu gegründeten Reich die Einheitswährung »Deutsche Mark« brachte [9. 240]. Seine Forderung, die über dreißig bestehenden Notenbanken aufzulösen und eine zentrale Notenbank für ganz Deutschland zu etablieren, führte zur Gründung der Deutschen Reichsbank. In den Vereinigten Staaten waren Paul und Felix Warburg bedeutende Befürworter des Zentralbanksystems der Federal Reserve. In Russland setzte sich die Familie Gintsburg für den Liberalismus und die jüdische Akkulturation ein, während die Poliakovs die reaktionäre Haltung der zaristischen Elite teilten.

Die internationale jüdische Bankiersgemeinschaft war zerstritten in der Frage, ob der Regierung des Zaren angesichts der ihr zugeschriebenen Pogrome gegen Juden Kredite zu gewähren seien. Mehrere jüdische Bankhäuser lehnten die Bereitstellung von Krediten ab, unter anderen das Bankhaus S. Bleichröder und die Berliner Handels-Gesellschaft unter Carl Fürstenberg. Die französischen Rothschilds gewährten dem Zaren Kredite und festigten damit das Bündnis zwischen Frankreich und Russland. Im Ersten Weltkrieg lehnten deutsch-jüdische Bankiers im Vorstand der New Yorker Banken Kuhn, Loeb & Co. und Goldman, Sachs & Co. zunächst die Absicherung eines Kredits an England und Frankreich ab. Jacob Schiff beharrte darauf, dass seine Bank keine Gelder zur Verfügung stellte, die letztendlich nach Russland fließen könnten. Kuhn, Loeb & Co. lenkte schließlich ein, gewährte Kredite an England und Frankreich aber erst, nachdem Russland nach der Revolution 1917 aus dem Krieg ausgeschieden war [3. 219 f.].

6. Verschwörungsdenken und Niedergang

Jüdische Bankiers gaben Anlass für Verschwörungstheorien und antisemitische Propaganda ( Verschwörung). Die durch ökonomische Modernisierung verursachten Krisen und Verwerfungen wurden oft als Folge der Ausbeutung durch angeblich »parasitäre« jüdische Kapitalgeber erklärt. Als 1873 die Auswirkungen des Wiener Börsenkrachs auch Deutschland erreichten, schürte die rechte Agitation die judenfeindliche Stimmung gegen jüdische Bankiers, die für das finanzwirtschaftliche Fiasko verantwortlich gemacht wurden. In Frankreich wurden jüdische Finanziers zur Zeit der Dreyfus-Affäre von der antisemitischen Presse beschuldigt, hinter politischen Skandalen zu stecken, so etwa dem Zusammenbruch der Bank der L Union Générale oder dem Bestechungsskandal im Zusammenhang mit dem Bau des Panamakanals. In Europa war das Stereotyp des jüdischen Bankiers zentrales Agitationsmittel antisemitischer Parteien. Amerikanische Populisten des 19. Jahrhunderts wie Mary Elizabeth Lease (1853–1933) schoben die Verantwortung für die ökonomischen Probleme der Bauern auf international tätige jüdische Bankiers wie die Rothschilds. Der katholische Priester Charles Coughlin (1891–1979), bekannt geworden als Father Coughlin, machte besonders die jüdischen Bankiers zur Zielscheibe seiner antisemitischen Botschaften, die er während der Großen Depression in den 1930er Jahren über das Radio verbreitete.

Der spezifische Erfolg von Juden im Bankensektor war einhergegangen mit der Bedeutung von Privatbanken, die mit ihren familiären Verflechtungen und ihrer teilweisen Bindung an Staatsgeschäfte noch Spuren vormodernen Finanzwesens aufwiesen. Sie überschritten ihren Zenit, als sich ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Staaten und Unternehmen zur Deckung ihres Kapitalbedarfs stärker an die großen Aktienbanken wandten [10]. In diesen waren Juden zwar ebenfalls, aber nicht mehr signifikant vertreten. Die historisch bedingte Verbindung von religiöser Herkunft und Finanzberufen löste sich zunehmend auf.

[1] D. Augustine, Die wilhelminische Wirtschaftselite. Sozialverhalten, soziales Selbstbewußtsein und Familie, Diss., Freie Universität Berlin 1991.
[2] D. Augustine, Patricians and Parvenus. Wealth and High Society in Wilhelmine Germany, Oxford/Providence 1994.
[3] V. Carosso, A Financial Elite. New York s German-Jewish Investment Bankers, in: J. Gurock (Hg.), American Jewish History, Bd. 2: Central European Jews in America, 1840–1880. Migration and Advancement, New York 1998, 203–225.
[4] Y. Cassis, Aspects of the Jewish Business Elite in Britain and Germany, in: M. Brenner u. a. (Hg.), Two Nations. British and German Jews in Comparative Perspective, Tübingen 1999, 279–289.
[5] R. Chernow, Die Warburgs. Odyssee einer Familie, Berlin 1994.
[6] D. Krause, Die Commerzund Disconto-Bank 1870–1920/23. Bankgeschichte als Systemgeschichte, Berlin 2003.
[7] G. Kurgan-van Hentenryk, Jewish Private Banks, in: Y. Cassis / P. Cottrell (Hg.), The World of Private Banking, Aldershot 2009, 213–230.
[8] J. Marcus, Social and Political History of the Jews in Poland, 1919–1939, Berlin 1983.
[9] W. Mosse, The German-Jewish Economic Elite, 1820–1935. A Socio-Cultural Profile, Oxford/New York 1989.
[10] M. Pohl, Bankensysteme und Bankenkonzentration von den 1850er Jahren bis 1918. Allgemeine Entwicklungslinien, in: H. Pohl (Hg.), Europäische Bankengeschichte, Frankfurt a. M. 1993, 218–233.
[11] P. Pulzer, Jews and the German State. The Political History of a Minority, 1848–1933, Detroit 2003.
[12] M. Reitmayer, Bankiers im Kaiserreich. Sozialprofil und Habitus der deutschen Hochfinanz, Göttingen 1999.
[13] F. Stern, Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder, Frankfurt a. M. 1978.
[14] R. Walter, Jüdische Bankiers in Deutschland bis 1932, in: W. Mosse / H. Pohl (Hg.), Jüdische Unternehmer in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1992, 78–99.
[15] M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 1, Tübingen 1986, 17–206.

aus: Dan Diner (Hrsg.), Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Metzler Verlag 2011

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