„Sie sollen nicht vergessen werden“
Gedenkstein für zwangsdeportierte Frankfurter Juden in Minsk eingeweiht

Am Donnerstag, den 22. März 2012, wurde in Minsk, Weißrussland (Belarus), im Bereich des ehemaligen jüdischen Ghettos ein Gedenkstein für die im November 1941 zwangsdeportierten Frankfurter Juden der Öffentlichkeit übergeben. Aus Frankfurt am Main war dafür eine kleine Delegation angereist:
Dr. Michael Fleiter vom Institut für Stadtgeschichte als Vertreter der Stadt Frankfurt am Main, Dekanin Dr. Ursula Schoen, Evangelisches Dekanat Frankfurt Mitte-Ost und Pfarrer Friedhelm Pieper, Europabeauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). An der Gedenkfeier wirkten außerdem mit: Vertreter des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerkes Düsseldorf und Minsk (IBB), Vertreter der jüdischen Gemeinden und Organisationen in Belarus, darunter Rabbiner Abramovitsch, Frida Reismann, Vorsitzende des Verbandes ehemaliger Häftlinge des Minsker Ghettos, Peter Dettmar, der Gesandte der Deutschen Botschaftin der RepublikBelarus mit einem Vertreter des Militärattaché-Stabes.

Der Stein erinnert an die über eintausend jüdischen Opfer, die am frühen Morgen des 12. November 1941 vom Bahnhof Frankfurt-Ost nach Minsk zwangsdeportiert wurden. Am 17. November trafen sie in Minsk ein. Sie wurden ins Ghetto verschleppt, mitten in die brutale Schreckensherrschaft der deutschen Besatzung mit Zwangsarbeit, Hunger, Krankheiten und ständigen Erschießungen.

Pfarrer Pieper betonte bei der Kranzniederlegung: „Wir sind hierher nach Minsk gekommen, damit die Opfer der menschenverachtenden Verfolgung und Unterdrückung durch die Nazis und die deutschen Wehrmachtsverbände nicht vergessen werden, die Opfer des barbarischen Mordens hier im Bereich des ehemaligen Ghettos und an all den Stätten des Leidens in und um Minsk.“ Er hoffe, dass diese Erinnerung das Engagement für Verständigung und Versöhnung in Europa stärke wie auch den Einsatz zur Überwindung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.

Dr. Michael Fleiter brachte in seiner Ansprache bei der Gedenkfeier seine Freude darüber zum Ausdruck, dass so viele Minsker zur ehrenden Erinnerung an die Deportierten gekommen waren. Er beschrieb den langen und schwierigen Prozess der persönlichen Erinnerung an die NS-Verbrechen durch Zeitzeugen in Deutschland. Zwar sei die Deportation nach Minsk in einer Ausstellung des Jüdischen Museums dokumentiert worden, doch fehle bei vielen die Kenntnis der konkreten Umstände. Was mit den Frankfurter Deportierten in Weißrussland geschah, sei ein gleichsam ein „blinder Fleck“ im stadtgeschichtlichen Bewusstsein. Das Institut für Stadtgeschichte werde die von der Minsker Geschichtswerkstatt erarbeiteten Informationen für die wissenschaftliche Dokumentation der Deportationen aus Frankfurt am Main nutzen.

Dekanin Dr. Ursula Schoen gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass „Gedenksteine Menschen einen Platz zurückgeben unter denen, mit denen sie gelebt haben - als Nachbarn und Mitbürger“. Sie erinnerte an die in Frankfurt verlegten „Stolpersteine“. Vor ehemaligen Wohnhäusern jüdischer Mitbürger eingelassen, nennen sie Namen und Lebensdaten. „Damit wird diesem Menschen Wert und Würde zurückgegeben, ein Lebensrecht, das ihm unter den Nationalsozialisten gewaltsam genommen wurde.“ Die Teilnehmenden der Gedenkfeier wies sie darauf hin, dass „in den nächsten Wochen Frankfurter Schüler die Namen der 1000 Frankfurter Deportierten verlesen werden“. Mit Blick auf die Gräueltaten der Vergangenheit betonte Dekanin Schoen: „Für das Vergangene können wir nur demütig um Vergebung bitten. Die Zukunft aber liegt in unseren Händen“; dabei verwies sie insbesondere auf das Eintreten gegen Rassismus und auf die Bildungsarbeit mit jungen Menschen.

Der aus Mitteln der Stadt Frankfurt und der Jüdischen Gemeinde Frankfurt finanzierte Gedenkstein steht neben weiteren Steinen zum Gedenken an zwangsdeportierte Juden aus Bremen, Köln-Bonn, Hamburg, Berlin, Düsseldorf sowie aus Österreich.

Die Frankfurter Delegation besuchte während des Aufenthalts auch Chatyn und Maly Trostinez, weitere Gedenkstätten des Leidens der weißrussischen Bevölkerung unter der brutalen deutschen Besatzung. „Diese Leidensgeschichte muss uns bewusst sein in den Begegnungen mit den Menschen aus Belarus“, betonten die Delegationsteilnehmer nach ihrer Rückkehr. Sie hoffen zugleich, dass die ebenfalls während des Aufenthalts in Belarus besuchten Förderprojekte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau nicht durch die aktuellen Spannungen zwischen der EU und Belarus beeinträchtigt würden.

Hintergrund:
Aus den inzwischen erhältlichen Unterlagen über den zweiten Weltkrieg und die deutschen Besetzungen in Minsk, Belarus, sind nun Dokumente über die Zwangstransporte von Juden in das Ghetto in Minsk einsehbar. Eine Kopie der Liste des Zwangstransports aus Frankfurt a.M. am 12. November 1941 liegt im Zentrum Ökumene der Ev. Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Frankfurt (Adresse s.u.): 50 Seiten mit den Namen jüdischer Bürgerinnen und Bürger aus Frankfurt. Jeder Name verkörpert ein unfassbares Schicksal! Eine Kopie der Liste hat Pfr. Friedhelm Pieper vom Zentrum Ökumene der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt übergeben.

In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund (www.ibb-d.de) werden seit einigen Jahren Gedenksteine aus den Städten, aus denen Juden nach Minsk deportiert wurden, in Minsk im Bereich des ehemaligen Ghettos errichtet, so zum Beispiel in 2009 ein Gedenkstein aus Berlin.

Die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, Petra Roth, unterstützt die Errichtung eines Gedenksteins für die nach Minsk deportierten Frankfurter Juden. Zur Finanzierung des Frankfurter Gedenksteins in Höhe von 5.000,- € wurde von Seiten der Oberbürgermeisterin ein Zuschuss von 3.000,- € zugesagt. Die restlichen 2.000,- € wurden von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt übernommen.

Die Gestaltung und Aufstellung der Steine wurde koordiniert vom Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk, Dortmund (IBB), das in Kooperation mit IBB Minsk auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos in Minsk eine „Geschichtswerkstatt“ unterhält.

Ein Text für den Frankfurter Gedenkstein wurde vom Institut für Stadtgeschichte und vom Jüdischen Museum Frankfurt erstellt und nach Minsk übermittelt, wo eine weiß-russische und eine hebräische Übersetzung vorgenommen wurde. Der Text lautet: Verwaltung und Bürger der Stadt Frankfurt am Main beteiligten sich im Nationalsozialismus an der Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung jüdischer Frankfurter. Allein nach Minsk wurden im November 1941 über eintausend deportiert, wovon nur zehn überlebten. - Die Erinnerung bewahre vor neuem Unrecht.

Die Koordination des Projekts mit Vertretern der Stadt Frankfurt a.M., der EKHN, der Propstei Rhein-Main, des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks, Dortmund, sowie weiterer Projektpartner lag bei Pfarrer Friedhelm Pieper, über den auch weitere Auskünfte erhältlich sind:

Pfr. Friedhelm Pieper, Europabeauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Zentrum Oekumene, Praunheimer Landstr. 206, 60488 Frankfurt am Main
Tel. 069 - 97 65 18 32, Fax. 069 - 97 65 18 59, mail: friedhelm.pieper@zoe-ekhn.de,
www.zentrum-oekumene-ekhn.de

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