Gelobtes Land
Eine theologische Annäherung

von Wolfgang Raupach-Rudnick

Die Entstehung des Staates Israel 1948 traf die Kirchen unvorbereitet und löste in Kirche und Theologie zunächst Irritation und Verwirrung aus. Es fehlten die Kategorien, um die Ansiedlung von Juden in einem eigenen Staat erfassen zu können. Ja die traditionelle kirchliche Lehre schien ein solches Ereignis geradezu auszuschließen. War es doch über die Jahrhunderte Konsens, dass die Juden – weil sie Jesu von Nazareth nicht als ihren Messias angenommen hatten – den Anspruch auf ihre Existenz als Volk verwirkt hätten, in der Diaspora als Strafe Gottes zerstreut zu leben hatten und der Titel „Israel“ als Volk Gottes auf die Kirche übergegangen sei. Die Vertreibung der Juden aus dem Heiligen Land schien dies theologische Urteil Jahrhunderte lang historisch zu bestätigen. Plötzlich aber war dies Urteil nicht mehr in der Geschichte abgebildet. Die Kirchen waren sprachlos.

DER STAAT ISRAEL AUF DEM WEG INS BEWUSSTSEIN DER KIRCHEN

Die erste protestantische Stellungnahme, die ich gefunden habe und die auf die Ansiedlung von Juden im Land der Bibel eingeht, stammt aus einer Konsultation der Abteilung Weltmission des Lutherischen Weltbundes vom Mai 1964 – 16 Jahre nach der Staatsgründung:
Die Sammlung der Juden im Land der Väter kann in Gottes Heilsplan besondere Bedeutung haben. Wir stehen jedoch diesem Tatbestand zu nahe, um jetzt schon ein Urteil über dessen religiöse Bedeutung zu haben: Gottes Handeln in der Geschichte mögen wir nicht zu durchschauen.

Drei Jahre später erklärt die Kommission Glaube und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen ÖRK im Juli/ August 1967:
Wir finden es unmöglich, der Staatsgründung und allem, was damit zusammenhängt, eine einmütige Bewertung zuteil werden zu lassen, und darum erwähnen wir in diesem Bericht diese Fragen nicht weiter.

Eine erste theologische Deutung findet sich 1970 – 22 Jahre (!) nach der Staatsgründung – in der Handreichung „Israel: Volk, Land und Staat“ der niederländisch-reformierten Kirche. Die Handreichung spricht von der Treue Gottes und fährt dann fort:
Wir wollen aber mit dieser Rückkehr nicht den Gedanken verbinden, als sei damit die letzte Etappe der Endzeit angebrochen und als könne dieses Volk nie wieder aus dem Land vertrieben werden. Zwar ist in der Rückkehr die fortdauernde Erwählung Gottes sichtbar geworden, aber diese Rückkehr schließt auch eine besondere Bedrohung in sich. Es könnte ja sein, dass die anderen Völker dem jüdischen Volk keinen Platz in ihrer Mitte gönnen. Es könnte auch sein, dass Israel die neue Möglichkeit, seine Bestimmung im Land zu verwirklichen, nicht nutzen wird. Aber diese beiden Gefahren dürfen uns nicht hindern, diese Rückkehr positiv zu verstehen als die Bekräftigung der bleibenden Absichten Gottes mit diesem Volk.

Die Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD „Juden und Christen I“ von 1975 hat wohl einen eigenen Abschnitt „Der Staat Israel“, erwähnt den Staat Israel aber ausschließlich unter friedenspolitischen Gesichtspunkten und spricht von einem „gesicherten Leben in einen eigenen Staat“ und davon dass Christen sich „für einen Ausgleich zwischen den berechtigten Ansprüchen beider, der palästinensischen Araber und der Juden, einzusetzen“ haben.
Am häufigsten wird der Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland aus dem Jahr 1980 zitiert. Er spricht von der
Einsicht, dass die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind.
Diese Formulierung findet sich zuvor schon nahezu wortgleich bei den reformierten Kirchen der Niederlande und in Deutschland.

Ich halte fest: Es dauerte mindestens bis in die 1970 Jahre, bis die Wirklichkeit des Staates Israel in den evangelischen Kirchen Deutschlands angekommen war.
Und weiter: Damit war gleichzeitig aber auch der fortdauernde Konflikt um diesen Staat in den Kirchen angekommen. Das zeigen die EKD Studie I aus dem Jahr 1975 und ein Memorandum einer Konsultation des ÖRK „Zur Lage im Nahen Osten“ aus dem gleichen Jahr, die ausschließlich auf die politische Situation eingeht.
Wenn ich sage: Die Wirklichkeit des Staates ist in den Kirchen angekommen, dann bedeutet dies nicht, dass sie bereits– gar im Konsens – eine theologische Deutung der Ansiedlung und der Staatsgründung gefunden hätten. Noch im November 1988 konstatiert die Konsultation des ÖRK „Kirche und Jüdisches Volk“:
Die Kirchen quälen sich noch immer […] mit der Frage des Zusammenhangs von Bund und Land, besonders bezüglich des Staates Israel.

Zwei wichtige kirchliche Gremien, die versucht haben, eine Antwort auf diese Fragen zu finden, sind nach mehrjährigen Diskussionen an der Aufgabe gescheitert. Entweder fanden sie keinen Konsens oder sie konnten die offenen Fragen lediglich etwas wortreicher wiederholen – so in den Jahren 1982 – 1985 die „Evangelische Mittelostkommission“ der EKD, der Zusammenschluss aller im Nahen Osten arbeitenden kirchlichen Werke und Organisationen, und die „Lutherische Europäische Kommission Kirche und Judentum“ in den Jahren 1991 – 1995. Inzwischen arbeitet der Ausschuss Kirche und Judentum seit 2008 an diesen Fragen und hat einen Entwurf für eine Orientierungshilfe ‚Gelobtes Land?‘ erarbeitet, der in einem ersten Durchgang ein positives Echo bei den entsendenden Gremien, Rat der EKD, Kirchenleitung der VELKD und Präsidium der UEK, gefunden.

LEITLINIEN

Auf dem Weg zu einer theologischen Deutung von Land und Staat liegen mehrere Stolpersteine.

  • Jeder theologische Versuch wird sofort vor dem Hintergrund des politischen Konfliktes gelesen und, bewusst oder unbewusst, als Parteinahme verstanden. Wenn ich also theologisch über das Land und die Staatsgründung Israels spreche, dann haben meine theologischen Aussagen auch politische Auswirkungen. Dessen muss ich mir bewusst sein.

  • Die Sorge vor einer Geschichtstheologie, also einer Theologie, die dem geschichtlichen Verlauf und dem geschichtlichen Handeln von Menschen, abschließend den Willen oder die Absichten Gottes herausliest und ihnen die Qualität einer öffentlichen Offenbarung zuschreibt. Diese Sorge ist in Deutschland begründet im Irrweg der sog. Deutschen Christen und ihrer Deutung des Nationalsozialismus. Die gegen diese Irrlehre gerichtete Barmer Theologische Erklärung vom Mai 1934 ist in einer Reihe deutscher Kirchen in die Grundordnungen und Verfassungen aufgenommen worden:

Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen. (These 1)

  • Nach reformatorischem Verständnis haben äußere Gegebenheiten keine theologische Qualität: „Gott allein ist heilig.“ Dinge können nur insofern heilig genannt werden, als sie Mittel der Gegenwart Gottes sind, der sich durch diese Mittel dem Menschen schenkt. Das trifft in erster Linie auf Wort und Sakrament zu, die durchaus mit Bedacht als „Heilige“ Schrift oder „Heiliges“ Abendmahl bezeichnet werden. Gott vergegenwärtigt sich durch sie und schaffte eine Gemeinschaft der „Heiligen“, wo und wann sein Geist Glauben weckt. Dabei ist die Selbstmitteilung Gottes nicht auf bestimmte Orte begrenzt oder konzentriert. Jesus Christus kann überall gegenwärtig werden, wo er verkündigt wird, „auff dem Felde, inn den Kirchen, oder auff dem meer“, wie Martin Luther sagt.“ – Damit scheint aber alles Nachdenken über eine theologische Bedeutung eines Landes, auch des Landes Israel, oder gar eines Staates zunächst obsolet geworden zu sein: der Staat Israel, die Sicherheit seiner Bewohner und seine Rolle als Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden werden zu ausschließlich ethischen Fragen.

  • Der biblische Befund ist nicht eindeutig. Bevor ich aber etwas zu den biblischen Texten sage, muss ich einen Satz zu meiner Weise, die Bibel zu lesen, sagen. Als lutherischer Christ weiß ich mich der Überzeugung verpflichtet, dass die Bibel des Alten und Neuen Testaments Quelle und Richtschnur allen theologischen Nachdenkens und kirchlichen Handelns ist. Ich bin überzeugt davon, dass beide Teile unserer Heiligen Schrift einander „legitimieren“ (G. v. Rad). Im Alten und Neuen Testament handelt derselbe Gott, der sich zugleich als „Gott für Israel“ und „Gott für die Welt“ erweist. Bei der Auslegung der Schrift lasse ich mich von der historischen Methode leiten, die den geschichtlichen Charakter der bezeugten Offenbarung ernst nimmt. Mit ihrer Hilfe kann ich den historischen Sinn einzelner Texte verstehen und in einen Zusammenhang einordnen. Biblische Texte sind Deutung und Glaubensaussage; sie sind keine historisch objektiven Darstellungen im neuzeitlichen Sinn. Die Schrift so zu lesen – und das deutlich zu machen – ist die Voraussetzung dafür, dass ich fundamentalistischen Lesarten der Bibel widersprechen und etwa die Deutungen der sog. christlichen Zionisten zurückweisen kann.

 

DER BIBLISCHE BEFUND

Bereits ein oberflächlicher Blick in das Alte Testament lässt erkennen, dass wir unterschiedlichen Konzeptionen über das Land begegnen. In der Erzelternerzählung, in der Berufung Abrahams, gehören die Segenszusage für die Nachkommenschaft und die Landverheißung unmittelbar zusammen. Wir lesen von „Friedensschlüssen“ mit den Bewohnern des Landes (Gen 21,27.32) und in Spannung dazu von der Aufforderung, die Bewohner des Landes zu beseitigen (Ex 23,31-33; Dtn 7). Das Land ist und bleibt Gabe Gottes; es kann nicht erworben oder verkauft werden.
Vor allem im Deuteronomium verbindet sich die Vorstellung vom Land als „Gabe Gottes“ mit der historischen Konstruktion einer „Landnahme“ (Dtn 7; Jos). Gleichzeitig wird das Wohlergehen im Land mit dem Gehorsam des Volkes gegenüber den Geboten Gottes verbunden, und die Propheten sprechen davon, dass der Verlust des Landes eine Folge des Ungehorsams des Volkes gegen seinen Gott sei ( Jes 1,7; Jer 5,19).
Die Rückführung der in der Diaspora Zerstreuten in das Land und das sichere Wohnen im Land verbindet sich mit der durch die Propheten angekündigten Zukunft Gottes.
Manche Landverheißungen reflektieren die Beziehung zwischen Israeliten und den anderen Bewohnern des Landes, die es zu allen Zeiten gab. Einige spiegeln die Auseinandersetzungen mit den übermächtigen Nachbarn, andere Geben den Wunsch wieder, das Land zu beherrschen. Daneben gibt es auch die Vorstellung einer gewaltsamen Landnahme, in deren Zusammenhang die kanaanäischen Bewohner zu vertreiben oder mit dem Bann zu belegen sind [...] In den spät entstandenen Chronikbücher wird das Bild einer ununterbrochenen Besiedlung des Landes seit den Tagen der Erzeltern entworfen. […] Die in den alttestamentlichen Schriften ausgesprochene (eschatologische) Zukunftshoffnung verbindet das endgültige Wohnen des Volks im Land und die Wiederherstellung Jerusalems mit der Schaffung eines neuen Himmels und einer neuen Erde (Jes 65,17)

Die Grenzen und Begrenzungen des Landes […] werden in der Bibel unterschiedlich bestimmt: Nach Dtn 1,7 liegt die Nordgrenze am Euphrat, für Jos 15,4.47; 1Kön 8,65 ist die Südgrenze der „Bach Ägyptens“, also der Nil. Damit werden aber nicht historische Gegebenheiten genannt, sondern es wird ein Ideal beschrieben.
Die Formel „von Dan bis Beerscheba“ (Ri 20,1 u.ö.) beschreibt nach heutigem Stand der Forschung in etwa das israelitische Siedlungsgebiet der frühen Königszeit, ohne dass sich aber aus der Benennung eines nördlichen und eines südlichen Grenzpunktes ein konkret zu fassendes und abgegrenztes „Staatsgebiet“ ableiten ließe.
Manche Texte sprechen von der Zugehörigkeit auch östlich des Jordan gelegener Gebiete zu Israel (2Sam 8,2.12; 1Kön 4,13f; Jos 1,12-14; 14,3); andere Texte dagegen sehen im Jordanfluss selbst und im Toten Meer die Ostgrenze (4Mose 34,12 u.a.).
Wir sehen, dass die in der Bibel beschriebenen Grenzen nicht eindeutig sind; auch sind Gebiete, die heute zum Staatsgebiet Israels gehören, wie der südliche Negev und die Arawa-Ebene, nicht eingeschlossen. Und wir sehen, wie in der literarischen Tradition die Größe des Herrschaftsgebietes Davids stetig gesteigert worden ist. Die deuteronomistische Literatur hat den Umfang so beschrieben: „Von der Wüste bis zum Libanon und vom großen Euphratstrom bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang.“ (Jos 1,4) Diese Ausdehnung hat zwar kein israelitisches Königtum auch nur annähernd erreicht, doch der hymnische Hofstil in Jerusalem rezitierte, je weiter vom Ereignis entfernt, desto überschwänglicher: „Und er [der König] wird herrschen von einem Meer zum anderen, vom Strom bis an die Enden der Erde.“ (Ps 72,8)7)

Ich halte fest: Die Bibel bezeugt die enge Verbindung des Volkes mit dem Land im Bundesschluss Gottes, ohne dass aus der Bibel Details wie die Grenzen des Landes abzuleiten wären. Und ziehe mit Markus Barth als Fazit aus diesem alttestamentlichen Befund den Schluss:
Wichtiger als der Staat ist das Land und wichtiger als das Land ist das Volk. Die drei Dinge, Volk, Land und Staat, hängen gewiss untereinander zusammen und sie sind in je eigener Weise unter Gottes Erwählung, Gericht und Gnade gestellt. Sie können aber nicht einfach sachlich oder in ihrer Würde miteinander identifiziert werden.

THEOLOGISCHE NEUORIENTIERUNG GEGENÜBER DEM JUDENTUM

Um mich weiter dem Thema Land nähern zu können, muss ich nun an die Ergebnisse der theologischen Neuorientierung in Bezug auf das Judentum erinnern.
Das jüdische Volk steht auch nach Christus in der Bundesbeziehung zu Gott: Gott hat seinen Bund mit dem ersterwählten Volk nicht aufgekündigt und hat das Volk nicht verworfen. Ihm gehören – nach wie vor – der Bund, die Verheißungen, die Tora usw., wie Paulus im Römerbrief 9,1-3, festhält. Der Grund, auf den Paulus sich hier beruft, ist die Treue Gottes. Damit aber ist der christliche Glaube bleibend mit dem Judentum verbunden.
Diese Einsicht ist in unseren Kirchen wiederentdeckt worden und inzwischen Konsens. Das Umdenken ist wesentlich durch das Erschrecken über die Schoa befördert worden, war aber seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch Einsichten der biblischen Theologie, vor allem der alttestamentlichen Wissenschaft vorbereitet worden. Damit stellen sich in Hinsicht auf das Land wichtige Fragen: Wie sind vor dem Hintergrund dieses Konsenses die Israel gegebenen Verheißungen, vor allem die Landverheißung, die für die Bundeszusage Gottes zentral ist, zu beurteilen? Wenn ja, wie ist sie zu verstehen? Wenn ein Teil des religiösen Judentums sagt, in der Besiedlung und der Staatsgründung erfüllten sich diese Verheißungen, bedeutet das dann, dass wir Christen diese Glaubenserfahrung anderer auch als Aussagen unseres Glaubens übernehmen müssten?

THEOLOGISCHE ANNÄHERUNGEN

Nach diesen Vormerkungen skizziere ich meine eigene „Annäherung an das Thema „Gelobtes Land“.

  • Die völkerrechtliche Basis für den Staat Israel liegt in der UN-Resolution 181 vom 29. November 1947, die das britische Mandatsgebiet in einen „jüdischen“ und in einen „arabischen“ Staat aufgeteilt hat.

Mit theologischen Einsichten oder religiös geprägten Perspektiven hat das gar nichts zu tun. Das moderne Israel ist ein säkularer Staat, dessen Existenzberechtigung durch einen demokratischen Beschluss der Völkergemeinschaft und nicht durch eine theologische Interpretation entschieden worden ist. Wie jeder andere Staat auch, hat der moderne Staat Israel zunächst eine völkerrechtliche und keine theologische Qualität.

In diesem Sinn hat bereits die EKD-Studie Juden und Christen II von 1991 festgehalten:
Eine religiöse Überhöhung des Staates Israel ist theologisch unzulässig und gefährdet die Bemühungen um einen friedlichen Interessenausgleich zwischen den Bürgern Israels und seinen arabischen Nachbarn.

Damit weise ich alle messianischen Deutungen der Staatsgründung, seien es die der christlichen Zionisten oder die in Teilen des ultra-orthodoxen Judentums vertretenen Deutungen zurück.
Damit ist der Staat Israel auf die geltenden Regeln des Völkerrechts verpflichtet – wie jeder andere Staat und jedes staatliche Gebilde auch. Die Handreichung der EKD „Gelobtes Land?“ wird einen eigenen Abschnitt zur Legitimität eines Staates enthalten und nennt als Kriterien seiner Legitimität Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit.

  • Dem widerspricht nicht, dass ich über diesen Staat auch Aussagen des Glaubens machen kann. Wie im privaten Leben, so kann ich auch im gesellschaftlich-öffentlichen Leben Ereignisse im Rückblick deuten und dankbar sein für die Führung und Bewahrung, die ich in diesem Ereignis sehe. Allerdings können diese theologischen Deutungen innerhalb der Völkergemeinschaft keine Anerkennung beanspruchen. (Dort gilt uneingeschränkt das im ersten Punkt Gesagte.)

Für uns Christinnen und Christen ist der Staat Israel nicht nur ein Staat wie jeder andere, und zwar weil er für Jüdinnen und Juden mehr ist als nur ein Staat unter vielen. Mit der Erkenntnis unserer besonderen Verbundenheit zum jüdischen Volk ist notwendigerweise auch der Staat Israel als eine besondere Größe qualifiziert, da das Land Israel von grundlegender Bedeutung für jüdisches Selbstverständnis und jüdische Identität ist.

Unter den heutigen politischen Bedingungen erscheint dabei die staatliche Verfasstheit Israels als die einzige realistische Möglichkeit für das jüdische Volk, seine Verbindung zum Land Israel selbstbestimmt verwirklichen zu können. Insofern kann ich dem Beschluss der Rheinischen Synode zustimmen, dass
die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel als Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk
 seien.

Bleibt ein eine offene Aufgabe: Eine solche theologische Deutung muss in den ökumenischen Dialog auch mit palästinensischen Christen eingebracht werden, ist dieses Land doch auch ihnen Heimat. Zwar wird die Orientierungshilfe der EKD auch jeweils eigene Abschnitte über unsere kirchlichen Verbindungen in das Land, zu den Lebensverhältnissen der Christen und Christinnen im Staat Israel, in Jerusalem und in den besetzten Gebieten und zur „kontextuellen“ Theologie palästinensischer Theologen enthalten, das aber ersetzt noch nicht den lebendigen Dialog über die theologische Bedeutung Israels.

Diskussionsbeitrag am Studientag ‚Nahost‘ der Evangelischen Kirchen A.B. und H.B. Österreichs am 4. Juni 2012 in Wien.

Rolf Rendtorff, Hans Hermann Henrix (Hg.), Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945 – 1985, Paderborn, München, 1988, S. 343.

A. a. O., S. 354.

A. a. O., S. 474.

A. a. O., S. 594.

Für die römisch-katholische Kirche vgl. den Beitrag von Hans-Hermann Henrix in diesem Heft, bes. S. XX

R. Rendtorff / H.H. Henrix, a. a. O., S.445.

Inzwischen ist der Text der Orientierungshilfe in den Gremien verabschiedet worden und liegt gedruckt vor: Gelobtes Land? Staat und Land Israel in der Diskussion. Eine Orientierungshilfe hg. im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2012.

Gelobtes Land, a. a. O., S. 23.

A. a. O., S. 25ff.

Markus Barth, Der Jude Jesus Israel und die Palästinenser, Zürich, 1975, S. 92.

Präses Nikolaus Schneider, Vortrag am 17. Januar 2012: „Ein schwieriges Verhältnis? Die evangelische Kirche und der Staat Israel“, www.ekd.de

A. a. O.

 

aus Begenungen Nr. 4 2012

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