Richard Wagner
von Klaus-Peter Lehmann

Das Problem
Bis heute ist Richard Wagner (1813-1883) wegen seines Antisemitismus und wegen seiner Beliebtheit unter dem NS-Regime heftig umstritten. In Israel wohnhafte Holocaustüberlebende verhindern unter öffentlichem Protest dort immer wieder Aufführungen seiner Werke.  (1)
Unumstritten sind zahlreiche verächtliche Äußerungen Wagners über Juden, ebenso der monströse Antisemitismus seiner Schrift Das Judenthum in der Musik. Umstritten ist, inwieweit seine Person, seine Weltanschauung und besonders seine Opernwerke als antisemitisch oder als Wegbereiter des Nationalsozialismus zu gelten haben.

Christlicher Antijudaismus
Wagner betrachtete die Kirche als entartet. Dazu habe maßgeblich ihr verfälschendes jüdisches Erbe beigetragen und das Judenzen ihrer Würdenträger. Er bezweifelte, ob Jesus selbst vom jüdischen Stamme war. Die universale Liebe des neutestamentlichen Heilands habe mit dem Stammesgott Israels und dem jüdischen Gesetz nichts gemein. Folgerichtig war Wagner für eine Entjudaisierung des Christentums. Trotzdem machte er aus Jesus keinen Arier.  (2)  Der Entwurf zu seinem Drama Jesus von Nazareth (1848) schließt so: Wer wollte frevelnd fragen, ob es (sein Blut) der weißen oder welchen Rasse sonst angehörte?.. Wer ihn hört, drängt sich hinzu und begehrt die Taufe.

Opernwerke
Im Parsifal verkündet Wagner eine pazifistische, am Ideal unverdorbenen Menschentums (reiner Tor) orientierte Mitleidsreligion. Mit diesem Bühnenweihfestspiel wollte er das Christentum reinigen und die Rassetheorie überwinden. Die Rassen haben ausgespielt, nun kann nur noch, wie ich es gewagt habe auszudrücken, das Blut Christi helfen.  (3)  sagte Wagner gegen Gobineaus Rassenlehre. Hier liegt der Grund, weshalb sich Wagner von der gegenwärtigen antisemitischen Bewegung entschieden distanziert.  (4)  Trotzdem tragen Wagners Verhalten und seine Werke antijüdische Charakterzüge, auch wenn die Operntexte solches nicht verbalisieren.
Die Figur der Kundry lässt sich leicht antijüdisch deuten. Wie Ahasver irrt sie zwischen dem Reich des Guten, der Gralsburg des Amfortas, und dem Reich des Bösen, der Zauberburg Klingsors, heimatlos hin und her. Die Taufe, nach der sie sich eigentlich sehnt, bringt ihr schließlich Erlösung im Untergang. Dazu passt Wagners Verhalten bei der Uraufführung des Parsifal am 26.7.1882. Dirigent war Hermann Levi, Sohn eines Rabbiners, Hofkapellmeister in München, der Wagner voll Unterwürfigkeit verehrte. Als Ludwig II. sich entschloss ihn zu verpflichten, erwog Wagner ernsthaft, ihn vorher taufen zu lassen. Sein allerchristlichstes Werk könne unmöglich von einem Juden dirigiert werden.  (5)  Doch schließlich stand Levi ungetauft am Pult. Während des letzten Aktes kam Wagner in den Orchesterraum, nahm Levi den Taktstock aus der Hand und dirigierte selber zuende.  (6)
Mit seinem Der Ring der Nibelungen wollte Wagner die Deutschen einen, dass der Deutsche anfinge durch seine Kunst wenigstens in einem höchst bedeutenden Kunstzweige national zu sein, dass er hierdurch original würde, ein Vorzug, den der Italiener und Franzose längst vor ihm voraus hat.  (7)  Hier im Siegfried bringt Wagner mit dessen Ziehvater Mime das Klischee von geld- und machtgierigen Juden ins Bild.  (8)  „Der achselzuckende, geschwätzige, von Selbstlob und Tücke überfließende Mime – all die Zurückgewiesenen in Wagners Werk sind Judenkarikaturen“ (Adorno). Zusammen mit seinem Bruder Alberich und dessen Sohn Hagen, deren ganzes Sinnen auf den Besitz des Ringes geht, erscheint hier das Wahnbild von der drohenden jüdischen Weltherrschaft. Denn mit dem aus dem aus dem Rheingold geschmiedeten Ring gewinnt sein Besitzer die höchste Macht oder der Welt Erbe.  (9)
Die Meistersinger von Nürnberg lesen sich wie ein Grundtext der politischen Weltanschauung Wagners. Im Handlungsverlauf, der gesellschaftlichen Wandel darstellt, erhalten zwei Außenseiter eine neue Stellung. Der Feudaljunker Stolzing, ein schöpferischer Geist, wird ins anständige Bürgertum integriert. Der antisemitisch gezeichnete Beckmesser, ein emanzipierter und assimilierter Musikkritiker, erweist sich als zersetzender Geist und wird vom bürgerlichen Kollektiv erbarmungslos ausgestoßen.  (10)

Das Judentum in der Musik
Unter dem Pseudonym ‚Karl Freigedank‘ veröffentlichte R. Wagner seine Schrift Das Judenthum in der Musik (1850). Sie steht im Kontext eines antisemitisch durchzogenen Streits um Giacomo Meyerbeers Opern und gilt als zentraler Text des europäischen Antisemitismus. Drei Gedanken sind hervorzuheben, die Beherrschung von Politik und Kultur durch das Judentum, ihre Verjüdung, die gleichzeitige Unfähigkeit der Juden zu wahrer Kunst und die Rechtfertigung des antisemitischen Hasses:
Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird so lange herrschen, als das Geld an der Macht bleibt, vor der all unser Tun und Treiben seine Kraft verliert.
Der Jude, der an sich unfähig ist, weder durch seine äußere Erscheinung, noch durch seine Sprache, am allerwenigstens aber durch seinen Gesang, sich uns künstlerisch kundzugeben,, hat nichtsdestoweniger es vermocht, in der verbreitetsten der modernen Kunstarten, zur Beherrschung des öffentlichen Geschmacks zu gelangen.
Wer hat nicht Gelegenheit gehabt, von der Fratze des gottesdienstlichen Gesanges in einer eigentlichen Volks-Synagoge sich zu überzeugen? Wer ist nicht von der widerwärtigsten Empfindung, gemischt von Grauenhaftigkeit und Lächerlichkeit, ergriffen worden beim Anhören jenes Sinn und Geist verwirrenden Gegurgels, Gejodels und Geplappers?   (11)
Wir haben uns das unwillkürlich Abstoßende, welches die Persönlichkeit und das Wesen der Juden für uns hat, zu erklären, um diese instinktmäßige Abneigung zu rechtfertigen,… wenn wir sie ganz unumwunden eigestehen, muß es uns deutlich werden, was wir an jenem Wesen hassen, was wir dann bestimmt kennen, dem können wir die Spitze bieten,… den Dämon aus dem Felde schlagen, auf dem er sich nur im Schutze eines Halbdunkels zu halten vermag, das wir gutmütigen Humanisten selbst über ihn werfen, um uns seinen Anblick minder widerwärtig zu machen.

Vernichtungsantisemitismus?
Zentrale Denkschablonen des weltanschaulichen Antisemitismus, wie er sich im 19. Jh. immer weiter verbreitete und auf die auch der Nationalsozialismus zurückgriff, werden hier fassbar: die Weltherrschaft des Finanzjudentums, das die Volkskräfte aussaugt und lähmt; das Vorurteil vom falschen und abstoßenden Charakter der Juden, seine Wesensfremdheit gegenüber der deutschen Kultur; der Gedanke des notwendigen Kampfes gegen alles Jüdische. Diese Vorurteile lassen sich bis in Wagners spätere Jahre verfolgen.
Cosima Wagner schreibt am 11.10.1879 in ihr Tagebuch: Ich lese eine sehr gute Rede des Pfarrers Stoecker  (12)  über das Judentum. R. ist für völlige Ausweisung, wir lachen darüber, daß wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz über die Juden den Anfang dieses Kampfes gemacht hat.  (13)  Später blitzt immer wieder die Phantasie von der Vertilgung aller Juden auf. In heftigem Scherz, so Cosima bemerkt er gesprächsweise, es sollten alle Juden in einer Aufführung des Nathan verbrennen. In seinem Aufsatz Erkenne dich selbst heißt es: Wenn das deutsche Volk endlich sich selbst erkennt, wird es keine Juden mehr geben. Uns Deutschen könnte… diese große Lösung eher als jeder anderen Nation ermöglicht sein… Daß wir, dringen wir hiermit nur tief genug vor, nach der Überwindung aller falschen Scham, die letzte Erkenntnis nicht zu scheuen haben, sollte… dem Ahnungsvollen angedeutet sein.  (14)  Spricht Wagner das hier noch leicht Verschleierte durch die Figur des neuen Menschen Siegfried deutlich aus? Diese Oper steht zu Beginn im Zeichen des unbändigen Hohngelächters von Siegfried, dem germanischen Idealmenschen, gegen seinen antisemitisch gezeichneten Ziehvater Mime. Siegfrieds unwillkürliche Abneigung: Ich kann dich ja nicht leiden, vergiß das nicht so leicht, lässt Mordlust durchblitzen: Seh ich dich stehn, gangeln und gehen, knicken und nicken, mit den Augen zwicken: beim Genick möchte ich den Nicker packen, den Garaus geben, dem garst’gen Zwicker. Siegfried ist in der Konzeption des Ringes der neue, der natürliche Mensch. Seine quasi instinktmäßige Abneigung gegen den „abscheulichen Juden“ Mime lässt den Mord an ihm unschuldig, wie jenseits von Gut und Böse, erscheinen. Für Wagners neue Welt scheint die Beseitigung alles Jüdischen unabdingbar.

Richard Wagner – der Täufer des Nationalsozialismus?
Die Meinungen darüber, ob die Werke Wagners als Geburtshilfe für den Nationalsozialismus zu betrachten sind oder nicht, gehen bis heute auseinander.  (15)  Für Adolf Hitler war klar, Bayreuth habe „das geistige Schwert geschmiedet, mit dem wir fechten.“  (16)
Wagners Das Judenthum in der Musik schließt mit folgendem Ausblick: Ob der Verfall unserer Kulturdurch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist. Es ist ein Buchexemplar mit folgender Randbemerkung erhalten: „Ist inzwischen geschehen durch die nationale Revolution – Adolf Hitler – April 1933.“  (17)
Thomas Mann sagte über Wagners Werk, dass es „aus der bürgerlich-humanistischen Epoche auf dieselbe Weise heraustritt wie der Hitlerismus; daß es mit seiner Mischung aus Urtümlichkeit und Zukünftigkeit, seinen Appell an die klassenlose Volklichkeit, seinen mythisch-reaktionären Revolutionarismus die genaue geistige Vorform der metapolitischen Bewegung ist, die heute den Schrecken der Welt bildet.“  (18)  Andere meinen, Mythen seien keine Handlungsanweisung. Indem die Faschisten sie wörtlich nähmen, würden sie sie zerschlagen.  (19)
Doch nicht erst Zeitgenossen des NS-Regimes, sondern schon Zeitgenossen Wagners erblickten in der Konsequenz seiner Gedanken die Vernichtung der Juden. In seiner prompten Rezension von Das Judenthum in der Musik schreibt der Musiktheoretiker Johann Christian Lobe sehr hellsichtig: „Was K. Freigedank unter ‚Aufhören Jude zu sein‘ versteht, ist einfach und deutlich ausgesprochen: Wir können wahrhafte Menschen werden… ‚erstens: durch Schweiß; zweitens: durch Noth; drittens: durch Fülle des Leidens und der Schmerzen; viertens: durch selbstvernichtenden blutigen Kampf; fünftens: durch Erlösung Ahasvers; sechstens: durch Untergang.‘ Also weg mit allen Juden. Wenn dann… alle Juden erschlagen vor uns liegen und wir übriggebliebenen Christen als triumphierende Mörder mit blutigen Fäusten dastehen, dann sind wir wahrhaftige Menschen und dann sind wir einig und untrennbar verbunden – untereinander und mit den Juden.“  (20) 

Ungereimtheiten
Viele sehen eine Widersprüchlichkeit bei Wagner bei seiner antisemitischen Weltanschauung einerseits und der Tatsache, dass er seinen Bayreuther Kreis nie „gesäubert“ hatte, andererseits. Auch seine Suche nach dem wahren Deutschtum, das er als Metaphysicum mit dem Judentum vergleicht, scheint widersprüchlich. M. Gregor-Dellin resümiert: „Es war eine Hassliebe.“
Das bleibt fraglich. Denn antijüdische Neigungen artikuliert Wagner zeitlebens, Sympathiegefühle sind unbekannt. In seinem späten Aufsatz „Erkenne dich selbst“ (1881) meint er, die Juden seien die allervornehmsten, eines Tages werde man mit ihnen leben können.  (21)  Einen gewissen Respekt scheinen sie dem Kulturkarrieristen abgezwungen zu haben. Außerdem haben die Juden seines Kreises, Hermann Levi, Karl Tausig, Samuel Lehrs für seinen Ruhm gearbeitet. Und trotzdem war ihm Eduard Hanslick, der als bekannter Musikkritiker sein Werk ablehnend kommentierte, der „Musikjude“.
Vielleicht bleibt zu bedenken, dass Wagner einen neuen Mythos schaffen wollte. Sein Interesse war weniger aufklärend analytisch, sondern er neigte zur Plakatierung und Verallgemeinerung von Phänomenen. Dabei kann die Unterscheidung von Wirklichkeit und ideologischem Konstrukt auf der Strecke bleiben. Wagner wollte das deutsche Wesen ergründen, vor den Juden warnen und den Mythos eines neuen Menschen aufrichten. Ohne sich mit der substantiellen Wirklichkeit dieser Phänomene und der eigenen Motive zu befassen, konnte er der Falle der Ideologisierung kaum entkommen.

 

(1) Zuletzt hatten im Juni 2012 sowohl die Universität Tel Aviv und das dortige Hilton-Hotel aufgrund heftiger Proteste die Aufführung eines Wagner-Konzertes abgesagt.
(2) Der Gedanke, Jesus sei rassisch kein Jude, kam in der ersten Hälfte des 19.Jh. auf, in der zweiten Hälfte erweiterte er sich zu der Vorstellung von Jesus als Arier.
(3) Äußerung am 17.12.1881, s. SZ 5.7.95
(4) Brief an Angelo Neumann, 23.2.1881; Arthur de Gobineau begründete mit seinem Essay über die Ungleichheit der menschlichen Rassen (1855) die Theorie von der Überlegenheit der arischen Rasse, die Cosimas Schwiegersohn H. S. Chamberlain antisemitisch ausbaute.
(5) Eine andere Äußerung zu Cosima: Ich möchte nicht als Orchestermitglied von einem Juden dirigiert werden (S. Bergler, R. Wagner und die Juden, Jerusalem-Gemeindebrief Nr. 153, 2002). Vgl. a. St. Mösch, Wagner noch antisemitischer als bisher angenommen, Deutschlandradio Kultur, 31.7.2009.
(6) M. Gregor-Dellin, Richard Wagner,  Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert,  4. Aufl. München 2001, S. 825
(7) R. Wagner, Vorwort zur Herausgabe der Dichtung des Bühnenweihfestspiels „Der Ring der Nibelungen“.
(8) Zuvor aber auch schon mit Alberich, der aller Liebe absagt, um die Weltmacht zu erringen (Rheingold)
(9) Rheingold, 1. und 2. Szene
(10) Nach verbreiteter Ansicht steht Beckmesser für den antiwagnerianischen Musikkritiker Eduard Hanslick, den Wagner als Musikjuden schimpfte.
(11) Alberich zeichnet sich durch seiner Stimme Gekrächz und durch grauenhafte Behendigkeit aus (Rheingold, 1. Szene).
(12) Adolf Stoecker gründete 1878 die Christlichsoziale Arbeiterpartei (CSAP) mit rückwärtsgewandten politischen Zielen. Mit scharfem Antisemitismus propagierte er einen christlichen Ständestaat gegen verjudeten Kapitalismus, verjudeten Sozialismus und jüdische Weltverschwörung.
(13) Wagners Welten, Münchner Stadtmuseum 2003, S. 230
(14) R. Safranski, Romantik, 2007, S. 270
(15) Th. Adorno, Th. Mann, L. Marcuse, H. Zelinsky bejahen das, U. Bermbach, P. Boulez und B. Brock verneinen. R. Safranski bejaht, nimmt aber die Kunst Wagners davon aus. M. Gregor-Dellin sieht eine Hassliebe Wagners (.s.u.).
(16) Der Spiegel, 1.3.1976, S. 134
(17) Wagners Welten, S. 232
(18) Th. Mann, 1940, taz, 11.3.1983, S. 10
(19) So B. Brock, taz, 11.3.1983, S. 11
(20) J. C. Lobe, Illustrierte Zeitung, Leipzig 25.1.1851; s. Fischer, R. Wagners Das Judentum in der Musik, S. 225
(21) Gregor-Dellin, S, 768

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