Herodes-Schau mit Funden aus dem Westjordanland
In Jerusalem ist eine Ausstellung über den berüchtigten jüdischen Herrscher zu sehen
von Inge Günther

Der Aufstieg durch das Tunnellabyrinth im Inneren des Berges verlangt gute Kondition. Die steilen, in Stein gehauenen Stufen, die von den unterirdischen, mehr als 2000 Jahre alten Zisternen hoch ans Tageslicht führen, bringen jeden ins Keuchen. Aber oben auf dem Bergplateau erwartet den Besucher flirrende Stille: pure Entspannung für die vom Jerusalemer Verkehrslärm gestressten Ohren. Am Hang zwischen dem Geröll rupft eine Schafherde am frisch sprießenden Gras. Fast fühlt sich man in biblische Zeiten zurückversetzt. Ganz im Hier und Jetzt ist nur der palästinensische Schäfer, der den Touristen keck zuruft, umsonst lasse er sich nicht fotografieren.

Zeitlos ist dagegen der grandiose Blick vom Herodion, einer von israelischen Archäologen freigelegten Ausgrabungsstätte. In der Ferne ist bei klarer Sicht die jordanische Bergkette auszumachen, die hinter dem Toten Meer aufragt. König Herodes, der hier auf dem freistehenden, von einem lauen Lüftchen umwehten Berg vor mehr als 2000 Jahren seinen Sommerpalast errichten ließ, hatte Sinn für spezielle Orte.

15 Burgen und Schlösser hat er, der kühnste Bauherr seiner Zeit, in die Wüste gestellt. Das Herodion, der einzige Palast, der nach ihm benannt ist, war sein Lieblingsplatz. Hier genoss der ungeliebte, da vom römischen Senat ernannte König der Juden seine Distanz zum heiligen Jerusalem und zum niederen Volk. Hier lebte er seine Extravaganz aus. Wenn man durch die Ruinen des Palastrondells wandelt, kann man sich das Hofleben, die königlichen Partys auf dem Säulenplatz, die Darbietungen im Amphitheater noch heute vorstellen.

Das fällt besonders leicht, wenn man zuvor im Israel-Museum in Jerusalem war, wo gerade eine einzigartige Ausstellung zu Herodes zu sehen ist. Es ist ein weltweit erstmaliges Unterfangen, sich mit jenem König näher zu befassen, der sowohl unter den Juden wie unter den Christen einen denkbar schlechten Ruf genießt.

Die Mutter von Herodes war Nabataerin. Jüdisch war er nur, weil sein Vater zum Judentum konvertiert war. So einer gehörte nie ganz dazu, auch wenn Herodes dafür sorgte, dass der zweite jüdische Tempel wieder aufgebaut wurde. Nach christlichem, neutestamentarischem Glauben handelt es sich bei ihm auch um den blutrünstigen König, der die Tötung aller männlichen Neugeborenen befahl: Unter ihnen sollte sich derjenige befinden, der seine Herrschaft gefährden würde – so die Prognose für Jesus, dem letztlich diese Mordaktion galt. Eine Geschichte, an der Historiker einige Zweifel hegen. Aber gewalttätig und rücksichtslos war Herodes allemal. Nicht nur seine Ehefrau Mariamme ließ er hinrichten, sondern auch drei seiner Söhne.

Um die bis in den Oktober geöffnete Jerusalemer Ausstellung gibt es eine heftige Kontroverse – nicht der Geschichte wegen, sondern ausgelöst durch die gegenwärtige Politik. 30 Tonnen archäologischer Funde, darunter Fresken, Keramiken, Säulen, aber vor allem der wieder zusammengesetzte Sarkophag, der mutmaßlich einst die Gebeine von Herodes geborgen hat, bis jüdische Rebellen ihn zertrümmerten, wurden eigens ins Museum geschafft. Das Allermeiste davon stammt aus besetzten Teilen des Westjordanlandes, aus Jericho und eben vom Herodion, das südöstlich von Bethlehem liegt. Nach internationalem Gesetz ist das nicht gerade koscher – auch wenn Israel laut den Osloer Abkommen die Oberaufsicht über antike Stätten in der Westbank bis zum Abschluss eines Friedensvertrages genießt.

Museumskurator David Mevorah hört die Kritik nicht gerne. Es gehe doch um Historie, um Kultur, um Kunst. "Unser Thema ist nicht die Politik", sagt er genervt. Mevorah, um den Hals einen vielfach geschlungenen Künstlerschal, ist ein Feingeist. Beinahe tut es den Journalisten ein wenig leid, ihn mit unliebsamen Fragen zu behelligen. Schließlich haben er und viele andere Hände, wie Mevorah betont, "eine enorme Arbeit in die Rekonstruktion des kulturellen Erbes gesteckt".

Mühen wurden tatsächlich nicht gescheut. Um den mächtigen Herodes-Sarkophag samt Säulenkranz im Museum aufzustellen, musste dessen Bodenfundament teilweise verstärkt werden. Der Sarg aus rötlichem Gestein, den der israelische Archäologieprofessor Ehud Netzer 2007 bei Ausgrabungen auf der Nordseite des Herodions entdeckt hat, ist das Prunkstück der Ausstellung. Nicht umsonst heißt sie "Die letzte Reise des Königs".

Höchst anschaulich bringt das Israel-Museum den Besuchern nahe, wie die Leiche des Herodes von Jericho, wo er den Überlieferungen zufolge im Alter von 69 Jahren nach schauderhaften Todesqualen starb, in einer Prozession zum Herodion überführt wurde. Dort, so hatte er zuvor verfügt, wolle er bestattet werden. Seine Grabstätte in einem 25 Meter hohen Mausoleum hatte er selber entworfen. "Herodes wusste", erzählt Kurator Mevorah, "dass er nie richtig als König akzeptiert war. Bevor er starb, erteilte er deshalb den Befehl, alle wichtigen Juden in Jericho umzubringen. Er wollte vermeiden, dass die Leute nach seinem Tod in Jubel ausbrechen." Der Befehl wurde missachtet, ein Blutbad vermieden.

Zugleich war Herodes ein Mann für das Neue. Die Herodes-Ausstellung deckt auch diese Seite des tyrannischen Königs auf. Er führte die Badewanne ein, importierte Schiffsladungen mit Äpfeln, Fischsauce, Marmor und Wein aus Europa und war dazu ein architektonisches Genie. Trotz seines Größenwahnsinns führte er in den 33 Jahren seiner Herrschaft keine Kriege. "Er sorgte für Stabilität und war in seinem Verständnis für die Beziehung von Landschaft und Architektur seiner Zeit weit voraus", sagt Mevorah.

Israelische Museumskuratoren verstehen sich besser als viele andere darauf, Geschichte lebendig werden zu lassen. Aber rechtfertigt das, antike Scherben und Schätze aus Gebieten abzuschleppen, die Israel zwar kontrolliert, die aber nicht zu seinem Staatsgebiet gehören? Nicht nur palästinensische Archäologen verneinen dies. Ein Artikel, der 1999 der internationalen Konvention zu Kriegs- und Konfliktzonen angefügt worden ist, legt fest, dass keinerlei Kunstgegenstände von besetztem Boden entfernt werden dürfen. Die alte Konvention von 1954, die allgemeiner gehalten war, hat auch Israel unterzeichnet. "In legaler Hinsicht gibt es nicht viel zu deuteln", findet daher Jonathan Misrahi. "Mit internationalem Recht ist die Herodes-Ausstellung schwer vereinbar."

Misrahi, ein unkonventioneller Lockenkopf in Jeans und Lederstiefeln, hat selber früher lange Zeit für die israelische Altertumsbehörde gearbeitet. Bis er 2007 Emek Shaveh gründete, eine Organisation kritischer Archäologen, die sich auf die Problematik von Ausgrabungen in Ost-Jerusalem und der Westbank konzentrieren. Israel unterhält inzwischen sechs archäologische Nationalparks auf besetztem Gebiet, Projekte, die die Regierung Benjamin Netanjahu fördert. Alle befassen sich mit dem "jüdischen kulturellen Erbe in Judäa und Samaria".

Misrahi sagt, dass fast ausschließlich nach Hinweisen auf frühzeitliche Synagogen und andere jüdische Hinterlassenschaften gegraben werde. "Im Endeffekt dienen solche Stätten den Siedlern, um ihre Ansprüche auf das palästinensische Land zu stärken." Dass ausgerechnet das unter Wissenschaftlern renommierte Israel-Museum dieses Problem nicht zur Kenntnis nimmt, regt Misrahi auf. Für ihn wäre das "eher akzeptabel, wenn die Kuratoren wenigstens zugeben würden, dass die Herodes-Ausstellung eine umstrittene Sache ist".

Zumal es im israelisch-palästinensischen Konflikt Schlimmeres gibt als den Streit um Altertümer. Anders als im Fall zerstörter Häuser oder gefällter Olivenbäume geht bei Israels Grabungsarbeiten im Westjordanland nichts zu Bruch. Vieles wurde entdeckt und restauriert, was sonst weiter verfallen würde. Eine mühselige, mitunter riskante Arbeit. Ehud Netzer bezahlte seine passionierte Suche nach dem Königsgrab von Herodes am Ende mit seinem eigenen Tod. Er stürzte vor drei Jahren auf dem Herodion ab, just als die ersten antiken Trümmer verladen werden sollten.

Zumindest Museumskurator Mevorah ist überzeugt, dass man mit der Rettung der Herodion-Ruine der Menschheit einen Dienst erwiesen habe. Erstens könne jetzt alle Welt eine unschätzbare Sammlung bestaunen. Und zweitens erhebe das Museum keine Besitzansprüche. "Irgendwann", verkündet Mevorah, "können wir hoffentlich die Funde an ihre Originalstätte zurückbringen." Vorausgesetzt, dort sei für angemessene Aufbewahrung gesorgt.

Ganz ähnlich wird in europäischen Museen argumentiert. In Berlin geht es dabei um eine eventuelle Rückgabe der Nofretete an Kairo oder in London um in der Kolonialzeit geraubte Buddha-Statuen, die Indien gerne wiederhätte. "Aber Israel vermeidet selbst die Diskussion, wem die Funde auf besetztem Gebiet gehören", klagt Misrahi. Das stimmt freilich nicht ganz. Auf eigene Initiative haben israelische und palästinensische Archäologen 2004 ein inoffizielles Statut vereinbart. "Punkt eins besagt", erklärt Nasmi Jubeh, Historiker der Birzeit-Universität bei Ramallah, "dass alle aus der Westbank stammenden Stücke zurückgegeben werden müssen". Manches ließe sich auch über Leihgaben regeln. Nur, sagt Jubeh selbstbewusst, "müssen das künftig die beiden Staaten aushandeln, Israel kann das nicht einfach für sich entscheiden".

Israelische und palästinensische Antikenhändler kooperieren da effizienter, wenngleich in der legalen Grauzone. Die Läden in der Jerusalemer Altstadt sind gut gefüllt mit alten Münzen, Mosaiken, Ornamenten, Öllichtern und Vasen. Woran es mangele, glaubt Jubeh, ein Palästinenser, der in Tübingen studiert und nebenbei schwäbische Gründlichkeit schätzen gelernt hat, sei ein archäologischer Schutzplan, um das alles wissenschaftlich aufzuarbeiten. "Sonst machen weitere Ausgrabungen keinen Sinn."

Doch bei der Archäologie im Westjordanland geht es immer auch um Ideologie, Identität und nationale Interessen. Oben auf dem Herodion lässt sich der Konflikt zwar ausblenden. In der milden Abendsonne wirken die über die Hügellandschaft verstreuten Ansiedlungen ringsum wie nette Spielzeugklötzchen. Erst bei näherem Hinschauen blitzen zwischen palästinensischen Dörfern die Aluminiumdächer der Siedlervorposten auf. Nicht nur Herodes hatte eine Vorliebe für schöne Plätze.

Badische Zeitung, 28.3.2013

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