Brith Milah - Die Entfernung der Blockade
von Michael Rosenkranz

Rabbiner Meir Lau wies darauf hin, dass es in der Thorah drei Gebote gibt, die „Zeichen” (hebräisch „oth”) genannt werden in der Bedeutung „kennzeichnend für das Judentum”: Der „Schabbath”, das ist der wöchentliche Ruhetag (2. BM 31, 17), die Worte des „Schma"`, mit denen der eine, einzige Gott bezeugt wird (5. BM 6, 8) und die „Brith Milah”, der Bund der Beschneidung (1. BM 17, 11). Die Beschneidung der Vorhaut am Glied des Mannes ist die körperliche Entsprechung für den Bund (Brith), den der Ewige mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossen hat. In diesem Zusammenhang erhielt Abraham die Verheißung, Vater zahlreicher Nachkommen zu werden. Voraussetzung hierfür war aber die Beschneidung. Die Vorhaut des männlichen Gliedes, die, nicht selten, verengt sein kann, wird im Judentum wahrgenommen als ein Organ der Verstocktheit, der Blockade und Behinderung des Lebensflusses, — eine mögliche Ursache für Unfruchtbarkeit. In diesem Sinn, — Organ der Blockade —, ist das Wort „Vorhaut” in der jüdischen Bibel durchgehend verwendet. Auch im übertragenen Sinn ist damit eine Störung lebenswichtiger Beziehungsströme gemeint: Moses bezeichnet seine Lippen als vorhäutig, weshalb seine Rede blockiert war (2. BM 6, 12). Im 5. Buch Moses heißt es „beschneidet die Vorhaut eures Herzens” (5. BM 10, 16), auf dass es nicht mehr so verstockt sei. Und Jeremiah klagt „vorhäutig sind ihre Ohren, daher können sie nicht hören” (Jer 6, 10). Der unbeschnittene Mensch, der durch das Blockiertsein nicht in der Lage ist, mit dem Heiligen in Verbindung zu treten, gilt als unrein. Dieser Zustand ist aber mit dem Heiligkeitsgebot des Ewigen (3. BM 19, 2) nicht vereinbar. Erst die Entfernung der Blockade gewährt rituelle Reinheit. Sie ist die Voraussetzung für die Erfüllung des Heiligkeitsgebots, für die Teilnahme am Pessach-Mahl (2. BM 12, 48), das die Befreiung von der Sklaverei zur Freiheit feiert, für den Zugang zur Thorah und das Betreten des Heiligen Landes (Jos 5, 2-12). Es ist die rituelle Reinheit, die für Israel so bedeutsam ist, um Partner des Ewigen im Bund sein zu können.

Wenn irgend möglich wird die Beschneidung am B. Lebenstag des männlichen Neugeborenen durchgeführt, auch wenn dieser auf einen Schabbath fällt. Falls es am B. Tag nicht möglich ist, kann es auch danach geschehen, — jedoch nicht davor. Der B. Lebenstag ist ein sehr guter Zeitpunkt: Eine Woche benötigt das Neugeborene, um den Geburtsvorgang abzuschließen und sich auf die Lebensbedingungen außerhalb des Mutterleibes einzustellen. Dann erst beginnt im eigentlichen Sinn sein Leben in dieser Welt. Das Kind hat dann sein Geburtsgewicht wieder erreicht, die Neugeborenengelbsucht ist weitgehend vorbei, die Leber arbeitet jetzt gut, die Blutgerinnung ist intakt, die Wundheilung in gutem Aktivitätszustand. Auch wenn das neugeborene Kind die Beschneidung bereits als schmerzhaft empfindet, ist das Erinnerungsvermögen doch noch unreif, und der Schmerz schon nach kurzer Zeit vergessen. Da auch Betäubungsmethoden Schmerzen verursachen, die nicht geringer zu sein scheinen als die Beschneidung ohne Betäubung, wird bei Neugeborenen die Beschneidung in der Regel ohne Anästhesie durchgeführt. Erst bei älteren Kindern ist eine solche erforderlich.

Die Beschneidung ist eingebettet in eine Zeremonie, die mit der Begrüßung des Neugeborenen beginnt. Da-nach erfolgt die Bereitwilligkeitserklärung der Eltern, das Gebot der Beschneidung erfüllen zu wollen. Denn es ist ihre religiöse Pflicht, die Beschneidung ihres neugeborenen Sohnes zu besorgen. In der Regel wird mit der Ausführung ein Mohel, ein ritueller Beschneider, beauftragt, der es gelernt hat und darin erfahren ist. Als Zeuge für die Durchführung der Beschneidung wird dann der Prophet Eliyahu (Elias) eingeladen, der ein engagierter Kämpfer für den Bund des Ewigen war (1 Kön 19, 10). Er ist es, der dermaleinst das Kommen des Maschiach (Messias) verkünden wird und dann wird bezeugen können, dass Israel den Bund der Beschneidung eingehalten hat (Mal 3, 23-24). Für ihn ist ein besonders geschmückter Stuhl als Ehrenstuhl bereitet. Die nun folgende Beschneidung wird mit einem Segensspruch (Berakhah) eingeleitet. Die Durchführung besteht aus drei Schritten: „Chithukh” — die Abtrennung der Vorhaut, „Peri'ah” — die Freilegung der Eichel, und „Metzitzah” — die Aussaugung der Wunde, um ein rascheres Kollabieren der Blutgefäße zu erreichen. Gefäßunterbindungen und Wundnaht sind beim Neugeborenen nicht notwendig. Die Wunde wird verbunden und heilt rasch. Die Beschneidung wird beendet mit einem zweiten Segensspruch, in dem für die Aufnahme des Kindes in den Bund gedankt wird. Mit einem dritten Segensspruch wird für das Leben, den Erhalt und das Erreichen des Augenblicks gedankt. Dann folgt der Segen über den Wein, das Symbol alles Guten, das der Ewige gibt. Alle trinken davon, und auch dem Neugeborenen werden davon einige Tropfen auf die Lippen gegeben. Das dient nicht der Betäubung, wie manche unsinnigerweise behaupten, — vielmehr soll auch das Neugeborene teilhaben an dem Guten, das der Ewige gibt. Der erste Teil der Zeremonie wird mit der Bitte abgeschlossen, der Ewige möge Sein Volk erretten, und dem Lobpreis, dass Er den Bund einhält.

Im nun folgenden zweiten Teil der Zeremonie erhält der soeben Beschnittene den Namen, den er ab jetzt in der Gemeinschaft Israels tragen wird. Wenn die Eltern mit dem beschnittenen Neugeborenen am Schabbath danach den Gottesdienst besuchen, wird der Vater zur Thorah aufgerufen. Es wird über ihn, über das Neugeborene und über die Mutter ein Segensspruch gesagt, und die Gemeinde erfährt bei dieser Gelegenheit, dass ein neues Mitglied in die Gemeinschaft eingetreten ist. Weibliche Neugeborene erhalten in eben diesem Rahmen, wenn die Eltern nach der Geburt des Mädchens das erste Mal den Gottesdienst besuchen, ihren Namen.

Das körperliche Zeichen des Bundes zwischen dem Ewigen und dem Volk Israel ist also die Beschneidung der Vorhaut des männlichen Glieds. Warum wird das Bundeszeichen an diesen Körperteil gesetzt und warum nur beim Mann, nicht auch bei der Frau? Der Ewige schuf den Menschen in seinem Ebenbild. Er ist Einer und Er schuf einen Menschen (I. BM 1, 27;1. BM 5, 2). Danach trennte Er ihn auf in Mann und Frau (I. BM 2, 21f). Erst in der Vereinigung sind die beiden wieder das eine Ebenbild des Ewigen (bT, Jevamoth 63a). Und so ist das Bundeszeichen, stellvertretend für Mann und Frau, gesetzt an das Glied des Mannes, mit dem er die Vereinigung mit seiner Frau vollzieht, wie es heißt „und sie werden sein ein Fleisch” (I. BM 2, 24). Eine Beschneidung der Frau gibt es im Judentum nicht.

Unabhängig von der religiösen Bedeutung und Begründung hat die Beschneidung der männlichen Vorhaut auch gesundheitliche Vorteile, was immer wieder zur Propagierung dieser Maßnahme auch in nichtjüdischen Kreisen führt.

Quellenangaben:
TeNaKh (= Jüdische Bibel = Altes Testament nach der protestantischen Ordnung): Im Text aufgeführte Zitate aus folgenden Büchern:
1 BM = 1. Buch Moses = Genesis .= Bereschith
2 BM = 2. Buch Moses = Numeri = Schemoth
3 BM = 3. Buch Moses = Leviticus = WaYiqra
5 BM = 5. Buch Moses = Deuteronomium = Devarim
Jos = Buch Josua = Yehoschua'
1 Kön = 1. Buch Könige
Jer = Buch Prophet Jeremias = Yirmiyahu
Mal = Buch Prophet Maleachi = Maleachi
bT, Jevamoth 63a = Babylonischer Talmud, Traktat Jevamoth („Von der Schwager-ehe"), Folium (= Blatt) 63a (a = Blattvorderseite)

Beilage zum Rundbrief 1/2013 „Jüdisches Leben im Kraichgau e.V.“

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