In Israel wird man Mursi vermissen
Von Inge Günther

Die Beziehung zu dem Muslimbruder war unterkühlt, doch nun fürchtet Jerusalem Instabilität beim Nachbarn.
Jahrelang war Israel gewohnt, dass die Nachbarstaaten nicht gerade wohlgesinnt, aber kalkulierbar waren. Seit dem „arabischen Frühling“ ist alles im Fluss. Selbst auf die skeptische Lesart, dass es sich dabei eh um einen „islamistischen Winter“ handele, ist nun, nach dem Sturz Mursis, kein Verlass mehr.

„Niemand weiß“, so der Kommentator Herb Keinon in der „Jerusalem Post“, was für Kräfte sich entfalten und wohin sie führen werden.“ Israels Premier Benjamin Netanjahu wies denn auch das Kabinett an, sich Wertung zu den Ereignissen in Ägypten zu enthalten.

Stabile Beziehungen zu Mursi
Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass einige in der Jerusalemer Regierung insgeheim Mursi wohl noch vermissen werden. Bei ihm wussten die Israelis zumindest, woran sie sind. Die Beziehungen mit seiner Regierung waren zwar höchst unterkühlt – so soll Mursi, wie es im Jerusalemer Außenamt heißt, nicht mal das Wort Israel in den Mund genommen haben. Aber sie waren stabil. Entgegen der Befürchtungen, die israelische Politiker und Strategen noch vor einem Jahr hegten, hatte Mursi genau wie zuvor Husni Mubarak den Friedensvertrag von Camp David aus dem Jahre 1979 respektiert.

Noch erstaunlicher: Unter Mursi verbesserte sich die Kooperation zwischen ägyptischen und israelischen Sicherheitsbehörden. Kairo verstärkte seine Truppen im Sinai, um effektiver gegen die dort um sich greifende Gesetzlosigkeit durchzugreifen und zwar mit Israels Zustimmung.

Sie ist erforderlich, da die ägyptische Halbinsel laut der Friedensvereinbarung demilitarisiert ist. Aktuell hingegen kursiert in Israel wieder die Sorge, dass bewaffnete Dschihadisten das politische Chaos in Kairo ausnutzen könnten, um vom Sinai aus grenzübergreifende Anschläge auszuführen.

Auch ging Ägyptens Militär unter Mursi entschieden gegen die Schmuggeltunnel in Rafah vor. Die Hoffnungen der palästinensischen Islamisten, in Mursi einen rückhaltlosen Verbündeten zu haben, erfüllten sich nur ansatzweise.

Als etwa im November 2012 ein Raketenkrieg zwischen Israel und der Hamas in Gaza eskalierte, hielt sich Kairo zunächst raus, um dann jedoch eine sehr erfolgreiche Vermittlerrolle zu übernehmen. Die ausgehandelten Waffenstillstandsbedingungen trugen erheblich zur Beruhigung der Lage in Israels Süden bei.

Auf der Verliererseite
Die Hamas, ein Ableger der Muslimbruderschaft, findet sich dennoch nach dem erzwungenen Abgang von Mursi auf der Verliererseite wieder. Erst habe sie mit ihrer Parteinahme für die syrischen Rebellen die iranische Unterstützung verloren, so der Sicherheitsexperte Alex Fishman in „Yedioth Achronoth“. Jetzt könne sie auch nicht mehr auf die „großen Brüder“ in Kairo zählen.

Der moderaten Palästinenserführung scheint diese unerwartete Wendung zu gefallen. Am Vorabend hatte Präsident Mahmud Abbas noch ausdrücklich vor jeglicher Einmischung in Angelegenheiten arabischer Staaten gewarnt. Am Donnerstag pries er die Revolution des ägyptischen Volkes und gratulierte dem neuen Präsidenten Adly Mansour. Dabei haben die Palästinenser selbst die bittere Erfahrung gemacht, wie schnell eine politische Spaltung in einen Bruderkrieg umschlagen kann.

Diese Gefahr sieht auch der ehemalige israelische Botschafter in Kairo, Ben Zvi. Man solle die Islamisten mal lieber nicht abschreiben, lautet seine Prognose. „Ihr Kampf um eine Rückkehr an die Macht wird jetzt beginnen.“

Frankfurter Rundschau, 5.7.2013

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