Neues Buch Avi PrimorSterben fürs Vaterland 
 von Inge Günther

Nach einem halben Dutzend Sachbüchern hat Avi Primor einen Roman geschrieben. Der ehemalige israelische Botschafter schreibt über jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg.

Ein Deutscher und ein Franzose, beide Juden, beide Soldaten, treffen im Ersten Weltkrieg irgendwo in einem Wald, nahe der Front, aufeinander. Der Schreck ist groß. „Schma Israel“, stößt der eine aus, ein Gebet in Angst und Not, das auch der andere versteht. „Schma Israel“, murmelt der ebenfalls, „warum sollen wir aufeinander schießen?“ – „Weil dein Kaiser ein Schwein ist.“ – „Was, dein Präsident ist das Schwein.“

So gehen die Vorwürfe hin und her, auf Schma Israel – höre Israel – folgt die nächste Beleidigung. Am Ende fallen zwei Schüsse und die beiden Kontrahenten tot um.

Die bitterböse Szene war parodistisch inszeniert. Avi Primor hat sie irgendwann in seiner Jugend in einem Tel Aviver Theater gesehen und seitdem im Hinterkopf behalten. Der Erste Weltkrieg, in den vor bald hundert Jahren auch Juden auf allen Seiten begeistert zogen, um sich als gute Patrioten zu beweisen, beschäftigt Primor schon lange. „Das ist ein präzedenzloser Fall“, sagt er, „dass Juden gegeneinander gekämpft haben, weil sie darin eine Chance ihrer gesellschaftlichen Emanzipation sahen.“

Tragische Illusion 

Darüber hat Avi Primor, ehemals Israels Botschafter in Brüssel, Bonn und Berlin, jetzt einen Roman geschrieben, seinen ersten nach einem halben Dutzend Sachbücher. Das literarische Debüt heißt „Süß und ehrenvoll“ und unausgesprochen hängt da noch ein Nachsatz in der Luft: „... ist es, für das Vaterland zu sterben“.

Welch tragische Illusion diese Losung gerade für die Juden war, offenbarte sich in den Schützengräben, in der Soldaten auf beiden Seiten der Westfront zu Abertausenden krepierten, und manche, ob als gemeiner Soldat oder im Offizierkorps, ihre antisemitische Gesinnung noch im Angesicht des Todes pflegten. Endgültig zerschellten die großen jüdischen Hoffnungen, Assimilation sowie Heldentum würden sie zu rundum gleichberechtigten Bürgern machen, nach der Machtübernahme Hitlers. Auch das Eiserne Verdienstkreuz, das vielen deutschen Juden wegen ihrer Tapferkeit vor dem Feind an die Brust geheftet worden war, schützte sie nicht vor der NS-Verfolgung und schließlich der Deportation in die Vernichtungslager.

Der Holocaust bleibt in Primors Buch unerwähnt, denn die Zeitspanne, die er gewählt hat und dank umfangreicher Recherchen einfängt, beschränkt sich auf die Kriegsjahre 1914–18. Primors handlungsorientierte Erzählweise verknüpft zwei verschiedene, zugleich parallele Perspektiven, um eine Ahnung von der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts zu geben, die 16 Millionen Menschenleben kostete.

Sie kommen in zwei Handlungssträngen zum Ausdruck: Hier der junge Ludwig Kronheim, Sprössling einer großbürgerlichen jüdischen Familie aus Frankfurt; dort Louis Naquet, Sohn einer jüdischen Bäckerfamilie aus Bordeaux. Beide zieht es an die Front. Beide träumen von einem Leben danach mit ihren Verlobten, denen sie in glühenden Liebesbriefen von schrecklichen Kriegserlebnissen berichten, Schrecken, die sie auf eine Weise schildern, dass man ahnt, dass ein Aufeinandertreffen kann nur tödlich enden kann.

„Unglaubliche Schätze “

Erstaunlicherweise in Jerusalem stieß Primor auf Berge an deutscher Feldpost aus jener Zeit. Im dortigen Leo-Baeck-Institut lagerten ungezählte Akten und Materialien, die Anfang der dreißiger Jahre eingewanderte Juden aus Deutschland hatten mitnehmen können. Deren Kinder wussten damit nichts anzufangen und gaben die aufbewahrten Papiere ab. Primor war der Erste, der sich für die verstaubte Rohstoffsammlung näher interessierte und „unglaubliche Schätze“ entdeckte.

Viele Soldaten hatten im Ersten Weltkrieg nahezu täglich nach Hause geschrieben. „In den Schützengräben“, so Primor, „passierte ja mitunter wochenlang nichts. Die Briefe waren wichtig, um die Moral der Truppe aufrecht zu erhalten.“ Auch in Archiven in Bordeaux fand Primor jahrzehntelang unangerührte Dokumente, galten die Juden der dortigen Gemeinde ebenso wie die Frankfurter Juden als besonders integriert – ein Grund, warum Primor die Hauptpersonen seines Buches dort ansiedelt.

Seine Forschung zum Ersten Weltkrieg förderte zudem in Vergessenheit geratene oder zwar bekannte, aber nach wie vor unwahrscheinlich wirkende Geschehnisse zutage, die er in die Handlung webt: Etwa die Szene, dass während einer Waffenpause an Heiligabend verdreckte deutsche und französische Soldaten in das Lied „Stille Nacht“ einfallen. Oder die Schilderung jenes Feldrabbiners, der zu einem sterbenden katholischen Soldaten auf das Schlachtfeld kriecht, um ihm das Kruzifix zu reichen und dabei erschossen wird.

Historisch belegt ist ebenso die „Judenzählung“ mitten im Stellungskrieg, bei der jüdische Soldaten der 4. Armee von der Front abgezogen wurden – offenbar, um ihren Kampfbeitrag in der Statistik zu manipulieren. Dass die Hauptpersonen all das zufällig miterleben, vergegenwärtigt und verdichtet das Geschehen, ähnlich wie ein gut gemachter, dokumentarischer Spielfilm.

Avi Primor: Süß und ehrenvoll. Roman. Quadriga, Köln 2013. 384 Seiten, 19,99 Euro.

Frankfurter Rundschau, 20.9.2013

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