„Das ist Dummheit“
Interview mit Henryk Fridmann, Jüd. Gemeinde Offenbach

Die jüdische Gemeinde in Offenbach ist klein und dennoch in der Stadt sehr präsent. In den vergangenen Monaten machten Pöbeleien gegen den Gemeinderabbiner bundesweit Schlagzeilen. Vorstandsmitglied Henryk Fridmann spricht über alltäglichen Antisemitismus und das Verhältnis zur großen Nachbargemeinde in Frankfurt.

Herr Fridman, wie offen können Sie in einer Stadt wie Offenbach ihr Judentum ausleben?

Ich würde sagen, so offen wie in jeder anderen deutschen Stadt auch. Nehmen Sie unseren Rabbiner Mendel Gurewitz als Beispiel. Der ist schon aufgrund seines Äußeren immer als Rabbi erkennbar. Und so bewegt er sich auch durch Offenbach. An bestimmten Feiertagen, an Rosch ha-Schana etwa, wenn wir als Gemeinde zum Main ziehen mit den Kippas auf dem Kopf, dann sind wir auch als Juden erkennbar. Bei den meisten Gemeindemitgliedern ist das im Alltag ja nicht der Fall. Aber wenn man sich als Jude zu erkennen gibt, gibt es in der Regel keine Probleme.

Sie sagen in der Regel. Aber erst vor wenigen Monaten sorgte ein Vorfall für bundesweite Schlagzeilen. Ihr Rabbiner wurde von einer Gruppe Jugendlicher im KOMM-Einkaufszentrum angepöbelt.

Richtig. Er hat mich damals angerufen, als das passierte. Ich konnte den Vorfall quasi am Telefon mithören. Das war in zweierlei Hinsicht sehr unschön. Da waren die Jugendlichen, die ihm „Jude, Jude“ hinterhergerufen haben. Später hat einer von denen noch erklärt, er hätte gar nicht den Rabbi gemeint, sondern seinen Kumpel, weil der ja so geizig ist. Als ob das besser wäre! Und dann war da noch der Sicherheitsdienst, der den Rabbi aufgefordert hat, die Aufnahmen, die er von den Jugendlichen gemacht hat, zu löschen, obwohl er dazu gar nicht verpflichtet war.

„Unschön“ klingt in diesem Zusammenhang fast zu harmlos...

Das Positive war der Zuspruch und die Anteilnahme, die wir aus der Stadt erfahren haben. Die christlichen und muslimischen Gemeinden etwa waren erschüttert und haben nur wenige Tage später zusammen mit uns eine Mahnwache organisiert. Das war ein Zeichen, dass man solches Verhalten hier in Offenbach nicht tolerieren möchte.

Nun waren es muslimische Jugendliche, die den Rabbiner angepöbelt haben. Ist muslimischer Antisemitismus inzwischen die gängigste Form von Judenhass in Offenbach?

Wissen Sie, wenn ich mit unserem Rabbi in Offenbach unterwegs bin, kommt es schon vor, dass einer das Fenster runterkurbelt und „Scheiß Juden!“ oder „Juden, lasst euch vergasen!“ schreit. Aber sind das nur muslimische Mitbürger? Keinesfalls. Ich würde das nicht an der Religion festmachen.

Wie reagieren muslimische Gemeinden, wenn sie dieses Thema ansprechen?

Wenn ich mit Imamen spreche, wird so etwas nie gebilligt. Die sagen dann: Wir wissen nicht, was das soll. Der Koran sagt klar, dass wir Juden und Christen respektieren sollen. Aber Antisemitismus ist eine Sache, die man früh eingetrichtert bekommt. Und je jünger man ist, umso eher kann man verbogen werden.

Das zeigt sich am klassisch deutschen Antisemitismus, oder?

Natürlich. Es ist erschreckend wie viele Menschen noch an Vorurteilen, die aus dem Dritten Reich stammen, festhalten, obwohl sie damals noch gar nicht gelebt haben und daher nicht indoktriniert werden konnten. Die Leute würden anders denken, wenn sie sich ein wenig mit Geschichte auskennen würden.

Was macht es eigentlich ganz persönlich mit Ihnen, wenn, wie vor einigen Wochen beim Spiel Offenbacher Kickers gegen Eintracht Frankfurt II, ein Teil der OFC-Fans „Zyklon B für die SGE“ skandiert?

Das ist für uns ganz, ganz schlimm. Das ist in keiner Weise mehr tolerierbar. Das ist Ignoranz. Das ist Dummheit ohne Ende. Ich war entsetzt, als ich diese Videos gesehen habe. Ich finde gar keine Worte mehr dafür.

Sie halten auch vor Schulklassen Vorträge über das Judentum und Antisemitismus. Ich möchte Sie mit drei besonders hartnäckigen Vorurteilen konfrontieren. Und Sie antworten, wie Sie auchden Schülern antworten würden.

Ja, gerne!

Erstens: Alle Juden sind reich...

Lustig, dass sie das raus kramen. Letzte Woche erst hat ein Schüler dieses Vorurteil angesprochen. Ich habe geantwortet: Bin ich reich? An Geist? Vielleicht. An Familie? Ganz sicher. Gesundheit? Ja. Aber an Geld? Nein. Das ist ein altes Vorurteil, das noch aus dem Mittelalter stammt. Ich muss mir nur die Struktur unserer Gemeinde angucken, um zu sehen, dass da nichts dran ist. Da gibt es Viele, die aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen und nun auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind.

Zweitens: Ich habe ja gar nichts gegen Juden, aber sie haben einfach zu viel Einfluss...

Was soll man dazu sagen? Wenn ich Schüler frage, wie viele Juden es in Deutschland gibt, höre ich Schätzungen die zwischen drei Millionen und zehn Millionen liegen. Ich sage dann immer: Euer Wort in Gottes Ohr! Aber es sind nur 120.000 von 84 Millionen Einwohnern. Gibt es berühmte Juden in Deutschland? Ja, gewiss. Haben die großen Einfluss? Alleine bestimmt nicht. Immer nur im Zusammenhang mit einer Partei, einer Gruppierung oder einem Verband.

Drittens: Was die Juden mit den Palästinensern machen, ist auch nicht besser, als was die Nazis mit den Juden gemacht haben...

Da könnte ich zwei Stunden darüber reden. Solche Aussagen sind der absoluten Unkenntnis von Menschen, die so etwas sagen geschuldet. Zum einen über Israel. Zum zweiten über das, was in der Shoa passiert ist. Ich weiß das genau. Nicht aus persönlicher Erfahrung, Gott sei Dank! Aber durch meinen Vater, der Auschwitz überlebt hat. Er hat nie viel erzählt. Aber schon das war einfach unerträglich. Solche Sprüche sind zutiefst verletzend. Sie entsprechen nicht ansatzweise den Tatsachen und zeigen die Unkenntnis derer, die sie von sich geben.

In Berlin war unlängst von No-Go-Areas für Juden die Rede. Gibt es so etwas in Offenbach?

Nein. Bislang konnten ich mich in Offenbach überall bewegen. Ich weiß jetzt nicht, wie das wäre, wenn man deutlich als Jude erkennbar rumliefe, aber bislang ist mir davon nichts bekannt. Obwohl es bei uns durchaus Gemeindemitglieder gibt, die ihre Kippa unter Baseballmützen verstecken, um nicht gleich als Juden erkannt zu werden.

Beim Thema Integration könnte der Rest der deutschen Gesellschaft vielleicht noch etwas von den jüdischen Gemeinden lernen. Immerhin integrieren sie seit über zwei Jahrzehnten Zehntausende Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.

In der Tat. Das war ein hartes Stück Arbeit. Das schwierigste ist erstmal der Zugang zu den Menschen. Wir haben glücklicherweise eine Sekretärin, die Russisch spricht, und auch russischsprachige Vorstandsmitglieder. Hinzu kam, dass die Menschen aus der UdSSR erstmal wenig mit der jüdischen Religion anfangen konnten, weil sie sie in ihrer Heimat nicht ausüben konnten. Dann die demokratische Struktur in unseren Gemeindegremien. Auch das kannten sie so nicht. Natürlich haben diese Menschen auch Ansprüche. Sie wollen weiter Russisch sprechen können, ihren 1. Mai feiern oder die Tatsache, dass Russen Auschwitz befreit haben. Alles in allem braucht es also Geduld, Organisation und auch finanzielle Mittel.

Zum Abschluss: Gibt es eigentlich zwischen den Gemeinden in Offenbach und Frankfurt eine ähnliche Rivalität wie zwischen beiden Städten?

Schon. Frankfurt ist eine selbstständige Gemeinde, sehr groß mit 6000 oder 7000 Mitgliedern. Wir sind mit knapp 850 Mitgliedern klein und im Landesverband der jüdischen Gemeinden Hessen organisiert. Natürlich kann Frankfurt ganz anders auftreten. Dafür sind wir stolz, dass unsere Gemeinde schon über 300 Jahre alt ist und wir das dokumentieren können. Aber wir arbeiten auch mit den Frankfurtern zusammen. Es ist nicht so, dass da gegenseitig Schmähgesange auf die andere Gemeinde angestimmt werden.

Frankfurter Rundschau, fr-online, November 2013

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