Rathausscheiben mit Stolpersteinen eingeworfen
Der Schaden wird auf rund 1500 Euro geschätzt – Polizei vermutet Täter im rechten Umfeld 

Unbekannte haben in der Nacht zum Freitag Fensterscheiben am Rathaus in Seeheim-Jugenheim eingeworfen – mit Stolpersteinen, die an verschleppte und ermordete Juden erinnern. Die Ermittler vermuten die Täter im rechten Spektrum.

Die Täter verwendeten Stolpersteine, die im November 2012 in Griesheim gestohlen worden waren, um kurz vor dem 9. November – dem Tag, an dem 1938 die Pogrome gegen Juden begannen – Fensterscheiben am Rathaus von Seeheim-Jugenheim zu zerstören. An einen Zufall oder Dumme-Jungen-Streich glaubt da niemand.

„Wir haben in den vergangenen Jahren öfter Aktionen, die mit Sicherheit einen rechtsradikalen Hintergrund haben“, sagt Bürgermeister Olaf Kühn im Gespräch mit dem ECHO. Das vermutet er auch jetzt. Vor kurzem sei im Rathaus der Gemeinde die Ausstellung „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ eröffnet worden. Kühn nimmt an, dass die Steinwürfe auf die Rathausfenster eine Reaktion darauf sind.

Das würde dem Muster entsprechen, das man in den vergangenen Jahren beobachten konnte. Schmierereien oder in Briefkästen geworfene Flugblätter mit rechtem Inhalt tauchten oft genau dann auf, wenn es Veranstaltungen in der Reihe „Wider das Vergessen“ gab.

Kurz bevor im April Stolpersteine verlegt wurden, sei an die dafür ausgesuchte Stelle „Stolpersteine der Lüge“ gesprüht worden, sagt Kühn. Der Bürgermeister hat auch schon Drohbriefe bekommen, mit Hakenkreuzen und Sätzen wie „Kühn nach Auschwitz“.

Wie in diesen Fällen hat die Kriminalpolizei am Freitag die Ermittlungen übernommen. Konkrete Hinweise zu den Tätern gebe es nicht, auch kein Bekennerschreiben, man vermute sie aber im rechten Spektrum, heißt es in einer Mitteilung. „Wir gehen in diesem konkreten Fall nicht von einer Nachahmertat aus“, sagt Andrea Löb, Sprecherin des Polizeipräsidiums Südhessen.

Die Bemerkung bezieht sich auf eine andere Tat, die erst kurz zurückliegt. Im Weiterstädter Stadtteil Gräfenhausen wurden in der Nacht zum Donnerstag Stolpersteine ausgegraben und gestohlen, die erst einen Tag zuvor verlegt worden waren. Ob die Taten in einem Zusammenhang stehen, kann zurzeit niemand sagen, die Polizei prüft. In der Vergangenheit waren die Ermittlungen zu Fällen in Seeheim-Jugenheim stets ergebnislos verlaufen, die Täter sind nach wie vor unbekannt.

„Erschütternd“ nennt Manfred Forell von der „Initiative gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Kreis Bergstraße“ das Geschehen in Seeheim-Jugenheim kurz vor dem 9. November. Die Initiative ist Mitglied im Beratungsnetzwerk Hessen, das unter anderem Kommunen beim richtigen Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus berät.

Auch Seeheim-Jugenheim arbeitet mit dem Netzwerk zusammen. Forells Rat: „Offensiv mit der Sache umgehen, nicht unter den Tisch kehren.“ Das tun manche Kommunen, aus Angst, rechten Gruppen eine Plattform zu bieten oder selbst in die Nazi-Ecke gestellt zu werden. „Wo das totgeschwiegen wird, sehen die Täter das als Ermutigung“, warnt dagegen Forell. Bürgermeister Kühn sieht das auch so: „Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen.“

Echo Online, 9.11.2013

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