FRA-Erhebung zu Diskriminierung und Hasskriminalität gegenüber Jüdinnen und Juden in Mitgliedstaaten der EU

Dies ist ein Überblick über einzelne Befragungsergebnisse der European Union Agancy for Fundamental Rights (FRA). Die gesamten Ergebnisse, Diagramme und Stellungnahmen finden Sie im Bericht über die Erhebung unter http://fra.europa.eu

1. Warum und wie wurde die Erhebung durchgeführt?

Antisemitismus entsteht aus alten und tief verwurzelten Vorurteilen gegenüber Jüdinnen und Juden, die bis zum heutigen Tag Bestand haben und zu antisemitischen Gewalttaten, Belästigungen und Hassreden führen können. Viele dieser Fälle werden nicht angezeigt. Nur 13 von 28 EU-Mitgliedstaaten erheben offizielle Daten zu antisemitischen Vorfällen, die bei der Polizei angezeigt oder strafrechtlich verfolgt wurden.

Die FRA hat diese Befragung durchgeführt, um erstmals in einer Reihe von EU- Mitgliedstaaten vergleichbare Daten zu Erfahrungen und Wahrnehmung der jüdischen Bevölkerung bezüglich antisemitischer Gewalttaten, Belästigungen und Hassreden zu sammeln und damit einen Beitrag zur Bekämpfung des heutigen Antisemitismus leisten zu können. Der Erhebungsbericht fasst die Daten aus acht EU-Mitgliedstaaten zusammen, in denen nach Schätzungen
90 % der jüdischen Bevölkerung der EU leben. Die Ergebnisse basieren auf den Antworten von 5 847 Befragten im Alter von 16 Jahren und älter, die sich selbst als Juden identifizieren und in einem der folgenden acht EU-Mitgliedstaaten leben: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Schweden, Ungarn und Vereinigtes Königreich. Die Befragung wurde auch in Rumänien durchgeführt, wobei diese Ergebnisse wegen der geringen Stichprobengröße nicht in die allgemeine Analyse der Befragungsergebnisse eingeflossen sind. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse aus Rumänien befindet sich im Anhang des Ergebnisberichtes.

Die Befragung wurde im September und Oktober 2012 (im Rahmen eines von der FRA nach öffentlicher Ausschreibung vergebenen Vertrags) online von Ipsos MORI in Zusammenarbeit mit dem im Vereinigten Königreich ansässigen Institute for Jewish Policy Research durchgeführt. Der Fragebogen war in den jeweiligen Sprachen der acht Länder sowie in Hebräisch und Russisch verfügbar.

Aufgrund der sensiblen Thematik wurde die Erhebung online durchgeführt, wozu Experten für Befragungen unter der jüdischen Bevölkerung in Europa geraten hatten. Das Online-Verfahren hat allen interessierten Jüdinnen und Juden in den Ländern der Befragung die Möglichkeit gegeben teilzunehmen und somit ihre Erfahrungen teilen zu können. Die Online-Befragung hat es auch möglich gemacht, dass alle ausgewählten Länder auf einfache und gleiche Weise erfasst werden konnten.

2. Welche Fragen wurden in der Erhebung gestellt?

Die Erhebung fragte die Teilnehmenden nach ihrer Meinung und Wahrnehmung zu antisemitischen Trends und Antisemitismus als Alltagsproblem. Die Befragten wurden auch gebeten zu beschreiben, welche Erfahrungen sie persönlich und als Zeugin oder Zeuge mit antisemitischen Vorfällen gemacht haben. Sie wurden auch gefragt, ob sie besorgt seien, Opfer eines antisemitischen Angriffs zu werden (der ihre persönliche Sicherheit, die Sicherheit ihrer Kinder oder anderer Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde beeinträchtigt). Weiterhin liefert die Erhebung auch Daten dazu, ob die Befragten antisemitische Übergriffe gegen die jüdische Gemeinschaft, etwa wie die mutwillige Beschädigung von jüdischen Stätten oder antisemitische Kommentare in audiovisuellen Medien oder im Internet, als Problem in den Befragungsländern sehen.

Die Erhebung erfasste auch soziodemografische Daten wie Geschlecht und Alter der Befragten, Bildungshintergrund, Beschäftigungsstatus und Einkommen.

3. Für wie verbreitet halten die Befragten Antisemitismus?

Eine Mehrheit der Befragten (66 %) sehen Antisemitismus innerhalb der untersuchten EU-Mitgliedstaaten als ein Problem an. Durchschnittlich glauben drei von vier Befragten (76 %), dass sich die Lage zugespitzt und der Antisemitismus in ihrem Land im Laufe der vergangenen fünf Jahre zugenommen habe. Insgesamt halten 75 % der Befragten Antisemitismus im Internet für ein Problem.

4. Wie verbreitet ist antisemitische Hasskriminalität in der EU?

In den 12 Monaten vor der Erhebung hat eine/r von fünf Befragten (21 %) mindestens einen Vorfall von verbalen Beleidigungen oder Belästigungen und/oder antisemitisch motivierter körperlicher Gewalt erfahren. Die Erhebung erkundigte sich auch nach Vorfällen, die die Befragten indirekt – etwa als Zeuginnen oder Zeugen – erlebt haben, wenn andere Jüdinnen oder Juden verbal beleidigt, belästigt oder körperlich angegriffen wurden. Die höchsten Quoten antisemitischer Vorfälle, die die Befragten indirekt betrafen, wurden in Ungarn (43 %), Belgien (35 %) und Frankreich (30 %) ermittelt. Gefragt wurde auch, welchen Formen von Belästigungen die Befragten ausgesetzt waren. Beleidigende Bemerkungen – persönlich oder über das Internet – erwiesen sich als die am weitesten verbreitete Form der Belästigung.

Als Urheberinnen und Urheber der schwersten Vorfälle antisemitischer Belästigung nahmen die Befragten Personen mit der Gesinnung muslimischer Extremisten (27 %), mit politisch linker Gesinnung (22 %) oder mit politisch rechter Gesinnung (19 %) war.

Vier Prozent der Befragten erfuhren im Jahr vor der Erhebung körperliche Gewalt oder Androhungen von körperlicher Gewalt, weil sie Juden waren. Den Ergebnissen nach haben 76 % der Befragten, die in den vergangenen fünf Jahren belästigt wurden, 64 % derjenigen, die körperlich angegriffen oder mit Gewalt bedroht wurden, und 53 % derjenigen, deren persönliches Eigentum mutwillig beschädigt wurde, diese Vorfälle weder der Polizei noch einer anderen Organisation gemeldet. Dies schließt auch die Länder ein, die solche Zahlen amtlich erfassen. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch bei FRA-Befragungen anderer Gruppen (wie z. B. LGBT-Personen, Minderheiten und Migranten).

Die in den vergangenen Jahren durchgeführten Datenerhebungen der FRA zum Antisemitismus zeigen auch, dass nur 13 EU-Mitgliedstaaten über offizielle Daten und Statistiken zu antisemitischen Vorfällen verfügen. Wo Daten existieren, sind diese nicht vergleichbar, da bei ihrer Erhebung unterschiedliche Definitionen und Methoden zugrunde liegen. In vielen EU-Mitgliedstaaten gibt es keine jüdischen oder andere Organisationen der Zivilgesellschaft, die systematisch Daten zu antisemitischen Vorfällen sammeln.

5. Wie sicher fühlen sich Jüdinnen und Juden?

Knapp die Hälfte der Befragten (46 %) befürchtet, sie könne selbst Opfer verbaler Beleidigungen oder Belästigungen in der Öffentlichkeit werden, während ein Drittel (33 %) sich vor körperlichen Angriffen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Judentum fürchtet. Die Furcht, dass solche Angriffe Familienmitglieder oder nahestehende Menschen treffen könnten, ist etwas stärker ausgeprägt als die um die eigene Viktimisierung. So sind 66 % der Eltern oder Großeltern von Kindern im Schulalter besorgt, dass die Kinder in der Schule oder auf dem Schulweg antisemitischen verbalen Beleidigungen oder Belästigungen ausgesetzt sein könnten, und 52 % sind besorgt, dass die Kinder aus antisemitischen Motiven körperlich angegriffen werden könnten.

6. Wie verbreitet ist antisemitische Diskriminierung in der EU?

Insgesamt berichten 23 % der Befragten, dass sie in den zwölf Monaten vor der Erhebung aufgrund ihrer Religion oder ihrer ethnischen Herkunft irgendeine Form von Diskriminierung erfahren haben. In allen teilnehmenden Ländern trat antisemitische Diskriminierung am häufigsten am Arbeitsplatz (11 %), bei der Arbeitssuche (10 %) oder in der Schule/Ausbildungsstätte (8 %) auf.

Die meisten Befragten, die sich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Judentum diskriminiert fühlten, haben den schlimmsten Fall von Diskriminierung weder einer Behörde noch einer Organisation gemeldet (82 %). Auf die Frage, warum sie dies unterlassen hätten, erklärten 57 % der Befragten, dass sich durch eine Meldung nichts geändert hätte. Dieses Ergebnis ist denen anderer FRA- Erhebungen ähnlich.

 

Beinahe ein Viertel (23 %) der Befragten gaben an, zumindest gelegentlich auf den Besuch jüdischer Veranstaltungen oder Orte zu verzichten, da sie/er sich dort oder auf dem Weg dorthin als Jüdin oder Jude nicht sicher fühlen. Mehr als ein Viertel (27 %) der Befragten meiden bestimmte Orte oder Gegenden in ihrer Umgebung zumindest gelegentlich, da sie/er sich dort als Jüdin oder Jude nicht sicher fühlen, mit den höchsten Anteilen an Befragten in Belgien (42 %), Ungarn (41 %) und Frankreich (35 %).

Eine/einer von zehn Befragten (11 %) ist in den letzten fünf Jahren aus der bisherigen Nachbarschaft weggezogen oder hat dies erwogen, weil sie/er sich dort als Jüdin oder Jude nicht sicher fühlt. Solche Bedenken führen dazu, dass nahezu ein Drittel (29 %) der Befragten schon einmal an Auswanderung gedacht hat. Dies gilt insbesondere für Befragte in Ungarn, Frankreich und Belgien (48 %, 46 % bzw. 40 %).

Das Verbot traditioneller jüdischer Bräuche stellt für die Mehrheit der Befragten ein großes Problem dar (76 % sahen ein Beschneidungsverbot als Problem, 58 % erklärten dasselbe in Bezug auf das traditionelle Schächten von Tieren).

8. Was kann gegen den Antisemitismus getan werden?

•                 Antisemitisch-motivierte Diskriminierung und Hasskriminalität sollten systematisch und koordiniert angegangen werden. Um dies sicherzustellen, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus in relevante nationale Strategien und Aktionspläne integriert werden. Dies gilt für Strategien und Aktionspläne unterschiedlicher Bereiche und Ebenen, wie zum Beispiel solchen, die auf Menschenrechte, Gleichbehandlung, Verbrechensverhütung, Gewaltprävention und die lokale Ebene abzielen.

•                Die EU-Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die absichtliche öffentliche Duldung, Leugnung oder gröbliche Verharmlosung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen strafbar sind.

•                Politikerinnen, Politiker und Meinungsführende sollten antisemitische Äußerungen unterlassen und solche Äußerungen anderer zurückweisen und verurteilen.

•                 Die EU-Mitgliedstaaten werden auch dazu angehalten, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dabei zu unterstützen, Richtlinien für Vielfalt und Nichtdiskriminierung festzulegen. Die Richtlinien sollten Maßnahmen enthalten, die die Bedürfnisse jüdischer Personen am Arbeitsplatz berücksichtigen, wie beispielsweise (sofern möglich) flexible Arbeitszeitvereinbarungen in Bezug auf Feiertage.

•                 Weiterhin sollten die EU-Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit zwischen nationalen Gleichbehandlungsstellen und jüdischen Gemeinschaftsorganisationen fördern, damit Jüdinnen und Juden, die Beschwerdeverfahren aufgeklärt werden.

•                 Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten wirksame Vorgehensweisen und bewährte Praktiken identifizieren, um der wachsenden Sorge des Antisemitismus im Internet Rechnung zu tragen. Die Mitgliedstaaten sollten die Einrichtung von Polizei-Fachdienststellen erwägen, die Hasskriminalität im Internet überwachen und entsprechende Ermittlungen aufnehmen. Zudem sollten Maßnahmen ergriffen werden, um Internetnutzer zur Meldung von antisemitischen Inhalten zu ermutigen.

•                Damit antisemitische Vorfälle oder durch Hass motivierte Straftaten und Diskriminierung bei der Polizei oder anderen spezialisierten Organisationen zur Anzeige gebracht werden, müssen Opfer ermutigt und unterstützt werden. Dafür sollten EU, Mitgliedstaaten und örtliche Behörden konkrete Sensibilisierungsmaßnahmen entwickeln bzw. weiter ausbauen.

•                 Die EU-Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass das Motiv antisemitisch motivierter Straftaten erfasst und im Urteil berücksichtigt wird, wie durch verschärfte Strafen. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten Schulungsmaßnahmen einführen, um zu gewährleisten, dass solche Vorfälle systematisch erfasst werden. Zu diesem Zweck sollte die Berichterstattung durch Drittparteien in Erwägung gezogen werden, das heißt zivilgesellschaftliche Organisationen sollten in der Lage sein, Vorfälle bei der Polizei zur Anzeige zu bringen oder die Anzeige zumindest erleichtern.

9. Weitere Aktivitäten der FRA

Die FRA befasst sich seit 2007 mit Antisemitismus:

•                 Jährlich aktualisierte Fassung der Veröffentlichung „Antisemitismus: Zusammenfassender Überblick über die Situation in der Europäischen Union 2002–2012“ (Antisemitism: Summary overview of the situation in the EU 2002–2012), neueste Fassung: November 2013
•                 „Pädagogisches Toolkit Holocaust und Menschenrechte“ (Educators’ Toolkit on the Holocaust and Human Rights), November 2011
•                 „Menschenrechtsbildung in Holocaust-Gedenkstätten der Europäischen
Union: verschiedene Praktiken im Überblick“ (Human rights education at
Holocaust memorial sites across the European Union: An overview of practices), Oktober 2011
•                 Reise indie VergangenheitLehren für dieZukunft: EinHandbuchr
Lehrer, November 2010
•                 Die Vergangenheit fürdie Zukunft entdecken: Die Rolle historischerStätten und Museen in der Holocaust- und Menschenrechtsbildung in der EU, Januar 2010

Die Befragungsergebnisse finden Sie im Online-Visualisierungstool und in den Berichten auf der FRA-Website:

- FRA-Bericht zu den Erfahrungen von Jüdinnen und Juden mit
Diskriminierung und Hasskriminalität in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten (Discrimination and hate crime against Jews in EU Member States: experiences and perceptions of anisemitism)
– Technischer Bericht zur Erhebung (Technical report)
– „Antisemitismus: Zusammenfassender Überblick über die Situation in der Europäischen Union 2002–2012“ (Antisemitism: Summary overviewof the situation in the EU 2002–2012)

Informationen zur Arbeit der FRA im Bereich Rassismus und der damit zusammenhängenden Intoleranz sowie einschlägige Veröffentlichungen finden Sie unter: http://fra.europa.eu/de/theme/rassismus-und-damit-zusammenhangende-intoleranz

Sollten Sie weitere Fragen haben, setzen Sie sich bitte mit dem FRA- Medienteam in Verbindung:
E-Mail: media@fra.europa.eu / Tel.: +43 1 58030-858

Quelle: Pressemitteilung der FRA / 8. November 2013

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ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
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