Berthold Simonsohn – Ausgewählte Schriften
von Wilma Aden-Grossmann

Der jüdische Jurist und Sozialpädagoge Berthold Simonsohn veröffentlichte seine Aufsätze in verschiedenen Fachzeitschriften, die heute nur schwer zugänglich sind. Da dies für die Rezeption seiner Schriften bisher ein starkes Hindernis darstellte, habe ich mich entschlossen, eine Auswahl seiner Schriften herauszugeben. Seine Aufsätze zur Sozialpädagogik und zur Jugendkriminalität bilden einen deutlichen Schwerpunkt in diesem Band; aber man würde seiner Persönlichkeit nicht gerecht werden, wenn man nur seine im engeren Sinne sozialpädagogischen Schriften zur Kenntnis nehmen würde. Sein Schicksal als Verfolgter und Überlebender des nationalsozialistischen Regimes spiegelt sich insbesondere in seinen Beiträgen über das Ghetto Theresienstadt und über die politischen Konflikte im Nahen Osten, die hier ebenfalls aufgenommen wurden. Schließlich durfte auch seine rechtsgeschichtliche Dissertation, die in kleiner Auflage 1934 gedruckt wurde, in diesem Band nicht fehlen. So sollen durch die Auswahl der Schriften auch die Vielfalt der Themen und seine sozialpädagogischen und politischen Positionen zur Geltung kommen. Da eine umfangreiche Biographie vorliegt (Wilma Aden-Grossmann: Berthold Simonsohn - Biographie des jüdischen Sozialpädagogen und Juristen. Frankfurt: Campus Verlag, 2007), beschränke ich mich an dieser Stelle darauf, einen kurzen Abriss seines Lebens zu geben.

Berthold Simonsohn wurde am 24. April 1912 in Bernburg an der Saale als jüngstes von drei Kindern des Kaufmanns Alfred Simonsohn und seiner Frau Sidonie Fried geboren. Seine Mutter war eine Schwester des österreichischen Publizisten Alfred Fried, der 1911 den Friedensnobelpreis erhielt, und der für den jungen Berthold Simonsohn ein großes Vorbild war.

Als Hitler die Macht übernommen hatte, war Berthold Simonsohn knapp 21 Jahre alt, ein sehr begabter junger Mann, der an den Universitäten in Halle und Leipzig Jura und Staatswissenschaften studierte. Er wurde schon 1933 als Sozialist und Jude in eine gesellschaftliche Randposition gedrängt und verfolgt. Dennoch hatte er in dieser, wie auch in allen späteren Situationen, die Kraft zum Handeln, war nicht nur Opfer, sondern setzte sich zur Wehr. Er engagierte sich in der Widerstandsgruppe der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschland, die in Anhalt und an den Universitäten Halle und Leipzig aktiv war, die jedoch bereits im Sommer 1933 entdeckt wurde. Sein Bruder wurde in Bernburg verhaftet, verbrachte drei Monate im Gefängnis, ohne dass es zu einem Prozess kam und wurde mit der Auflage entlassen, Deutschland zu verlassen. Berthold Simonsohn konnte noch rechtzeitig vor der Durchsuchung seines Zimmers das Material, das auf seine Widerstandstätigkeit hinwies, beseitigen. so dass die Durchsuchung seines Zimmers durch die Gestapo ergebnislos verlief. Er wurde wegen des Verdachts des Hochverrats zwar ebenfalls verhaftet, da ihm aber nichts nachzuweisen war, nach drei Tagen wieder frei gelassen.

Als Jude wurde er zum juristischen Staatsexamen nicht zugelassen, dennoch war es ihm trotz großer finanzieller Schwierigkeiten noch möglich, das Studium mit der Promotion in Jura 1934 abzuschließen.

Nach Abschluss seines Studiums kehrte Simonsohn in seine Heimatstadt zurück. Dort stand er sowohl infolge der früheren Verhaftung wie auch als Jude unter ständiger Beobachtung durch die Gestapo. Er übernahm die Geschäftsführung der Kunstblumenfabrik des schon alten und kranken Vaters, deren Niedergang jedoch aufgrund des Boykotts jüdischer Geschäfte und Unternehmen nicht aufzuhalten war.

1938 wurde er in Hamburg Bezirksfürsorger für Nordwestdeutschland bei der Reichsvereinigung der deutschen Juden, um zu helfen, bis er schließlich selbst 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Auch im Ghetto Theresienstadt war er politisch im jüdischen Jugendverband, dem Hechaluz, tätig, hielt im Rahmen des illegalen Bildungswesens zahlreiche Vorträge für Jugendliche und arbeitete als stellvertretender Leiter der Jugendfürsorge in der jüdischen Selbstverwaltung des Ghettos.

Berthold Simonsohn wurde am 19. Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Bereits nach wenigen Tagen wurde er weiter deportiert in das Lager Kaufering. Trotz schwerster Zwangsarbeit bei völlig unzureichender Ernährung und großer Kälte in den kaum beheizten Unterkünften überlebte er. Bei dem Herannahen der amerikanischen Truppen mussten die Häftlinge einen dreitägigen Marsch nach Dachau-Allach antreten und wurden dort am 30. April befreit.

Simonsohn kehrte zunächst nach Theresienstadt zurück und organisierte die Auflösung des Ghettos, arbeitete danach ein halbes Jahr lang im Innenministerium in Prag, um die aus aller Welt kommenden Fragen nach dem Verbleib der nach Theresienstadt deportierten Juden, zu beantworten. Im März 1946 ging er in die Schweiz und übernahm für ein Jahr die Leitung eines jüdischen Sanatoriums. Ab 1947 studierte er in Zürich, um sich auf eine wissenschaftliche Laufbahn vorzubereiten. Da seine Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz befristet war, beabsichtigte er 1950 nach Deutschland zurückzukehren.

Er hoffte eine Anstellung an einer Universität zu finden und bewarb sich an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig auf eine Hochschuldozentur. Jedoch scheiterte seine Bewerbung wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der SAP (Sozialistischen Arbeiterpartei). Auch seine Bemühungen an einer westdeutschen Universität eine Stelle zu finden, blieben erfolglos. Seine finanzielle Lage war schwierig, denn das Stipendium war ausgelaufen und die befristete Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz konnte nicht mehr verlängert werden.

Als in dieser schwierigen Situation ihm der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Hamburg die Stelle des Rechtsdezernenten anbot, nahm er die Stelle an. Er kehrte also 1950 nach Hamburg zurück, an den Ort, wo er bis zu seiner Deportation gewirkt hatte.

1951 hatte der „Zentralrat der Juden in Deutschland“ beschlossen, die „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ (ZWST) wieder zu gründen und berief Berthold Simonsohn als geschäftsführenden Direktor. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren Simonsohns Erfahrungen in der sozialen Arbeit als Bezirksfürsorger für Nordwestdeutschland in Verbindung mit seinen soliden juristischen Kenntnissen. Unter seiner Leitung entwickelte sich die neue Zentralwohlfahrtsstelle im ersten Jahrzehnt seit ihrer Neugründung von dem «Ein-Mann-Betrieb» zu einem ausgebauten Wohlfahrtsverband, der Anerkennung fand durch die Aufnahme in die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege. Damit gehörte die Zentralwohlfahrtsstelle wieder zu den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege.

Simonsohns von Jugend an gehegter Wunsch, als Wissenschaftler und Hochschullehrer zu arbeiten, erfüllte sich, als er 1962 auf eine Professur für Sozialpädagogik und Jugendrecht an die Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main berufen wurde. Durch seinen psychoanalytischen und gesellschaftskritischen Ansatz, mit dem er Sozialisationsverläufe von Kindern und Jugendlichen mit deviantem Verhalten analysierte, gab er dem Fach Sozialpädagogik an der Frankfurter Universität ein besonderes Profil.

Der jahrelange Stress durch nationalsozialistische Verfolgung, den Lebensbedingungen im Ghetto Theresienstadt und in den Konzentrationslagern waren für seine Gesundheit nicht folgenlos geblieben. Zu den schweren Migräneanfällen, an denen er bereits in Theresienstadt litt, kam später das Asthma hinzu. Stationäre Behandlungen und der Versuch, durch Kuren seine Leiden zu heilen, verliefen weitgehend ergebnislos. Im Herbst 1974 erkrankte er so schwer, dass er sich für das ganze Wintersemester beurlauben lassen musste, war aber in den darauf folgenden Semestern bis zu seiner Emeritierung 1977 wieder arbeitsfähig und plante, eine „Geschichte der jüdischen Wohlfahrt in Deutschland“ zu schreiben, worum ihn das Leo-Baeck-Institut in New York gebeten hatte. Dieses Vorhaben konnte er nicht mehr realisieren, denn er starb - ohne vorherige akute Erkrankung - am 8. Januar 1978 an Herzversagen.

Zur Auswahl seiner Schriften

In diesen Band wurden neben den in Fachzeitschriften veröffentlichten Aufsätzen auch unveröffentlichte Texte aufgenommen, die aus seinem Nachlass stammen, der sich im Bundesarchiv Koblenz (BA) befindet. Die hier veröffentlichten Schriften sind nicht chronologisch sondern thematisch geordnet und am Ende findet sich die jeweilige Jahreszahl ihrer Entstehung. Eine Liste der bibliographischen Nachweise steht am Schluss des Buches. Bei der Transskription der Schriften wurde die dort verwendete Rechtschreibung beibehalten.

In seinen Schriften über das Ghetto Theresienstadt schlagen sich seine unmittelbaren Erfahrungen nieder, obgleich es sich hierbei nicht um autobiographische Texte handelt. Bei den beiden Texten „Drei Jahre erst“ und „Fünf Jahre Befreiung“ handelt es sich um bislang unveröffentlichte Manuskripte, die er in der Schweiz schrieb. Der erste Text beginnt mit einer geradezu poetischen Landschaftsbeschreibung: „Mein Blick geht hinüber zum Zürichsee, wo jetzt tausende kleine Lichter aufflammen auf die Kette hoher Berge, die in der klaren Luft der September-Nächte sich am Horizont so greifbar nahe abzeichnen.“ Diese Schilderung steht in einem scharfen Kontrast zu der folgenden Darstellung des Ghettos Theresienstadt, wo sich die Maßnahmen der Gestapo ständig verschärften bis zu den Deportationen in das Vernichtungslager Auschwitz. Der Text bricht dann offensichtlich ab. Das legt die Vermutung nahe, dass dieser Text nur unvollständig erhalten ist. Dennoch beeindruckt er durch die verdichtete Darstellung des Lebens und Hoffens der Theresienstädter.

Der zweite Text, geschrieben fünf Jahre nach der Befreiung, thematisiert den Holocaust insgesamt und beklagt das unermessliche Leid der Judenheit. Aber im Unterschied zu dem 1948 geschriebenen Text, wendet er am Schluss den Blick in die Zukunft und endet mit dem Satz: „Nur dann, wenn in der Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit und der Zusammenarbeit der Nationen wir vorwärtskommen, hätte unser Leiden einen Sinn gehabt.“

aus Wilma Aden-Grossmann (Hrsg.), Berthold Simonsohn. Ausgewählte Schriften 1934-1977, Kassel 2012. Diesem Band wurden mit freundlicher Genehmigung der Herausgeberin die ersten beiden Texte „Drei Jahre erst“ und „Fünf Jahre Befreiung“ entnommen.

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