Die Hep-Hep-Krawalle
Zum Hintergrund

Im Jahr 1819 kam es in mehreren deutschen Städten zu pogromartigen Unruhen, die sich gegen die jüdische Bevölkerung richteten. Dem zerstörerischen Hass, der sich hier ungezügelt entlud, musste teils durch militärisches Eingreifen Einhalt geboten werden. Charakter und Wucht ihrer Gewalt stellen diese Krawalle in eine Reihe mit den judenfeindlichen Pogromen des Mittelalters. Sie gingen insofern über sie hinaus, als in ihnen auch Vernichtungsdrohungen laut wurden. Der seit dem Mittelalter in der Bevölkerung tief verwurzelte Antisemitismus sah sich durch die Gesetzgebung der Judenemanzipation bestätigt. Die Juden würden immer mächtiger und bald über die Christen herrschen (freie Berufswahl, freies Wohnrecht, wirtschaftliche Konkurrenz). Wie im Mittelalter stand die christliche Bevölkerung mit ihrem Judenhass quer zur Obrigkeit, die aus politischem und wirtschaftlichem Interesse und gemäß den Beschlüssen des Wiener Kongresses die jüdische Bevölkerung, wenn auch nur halbherzig und unzureichend, schützte. Ideologisch kleidete sich der Judenhass in eine mehr oder weniger christlich garnierte Deutschtümelei (>Romantik).
Für den Hep-Hep-Hetzruf gibt es mehrere Erklärungen. Viele sehen ihn als Kürzel für: Hierosolyma est perdita, andere für: Hebräer. Es könnte aber auch eine Nachahmung des Meckerns von Ziegenböcken sein, das auf die Juden übertragen wurde. Manche verweisen auf den in Zirkussen gelegentlich verwendeten Hep-Ruf, mit dem man Tiere auf die Sprünge hilft. Juden sollen auf den Hetzruf Hep-Hep mit Jep-Jep geantwortet haben: Jesus est perditus.

Das antijüdische Klima um die Zeit des Wiener Kongresses
Der Wiener Kongress (1815) versuchte so weit wie möglich den Status quo vor der napoleonischen Ära wiederherzustellen. In der Frage der rechtlichen Gleichstellung der Juden gingen die Meinungen weit auseinander. Zwischen denen, die sich am preußischen Emanzipationsedikt von 1812 orientierten, und denen, die das mittelalterliche Ghetto beibehalten wollten, fand sich keine Brücke. Der abschließende Kompromiss war mehrdeutig.  (1)  So blieb die politische Entscheidung bei den Einzelstaaten.
Nach dem Sieg über Napoleon (1813) entstand plötzlich viel antisemitische Literatur. In der Öffentlichkeit mehrten sich judenfeindliche Stimmen. Friedrich Rühs publizierte Über die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht (1816). Er hielt es für unmöglich, dass die Juden mit der ihnen als solchen anhaftenden materialistischen Gesinnung den hohen Werten einer christlichen Nation je würden entsprechen können und lehnte ihre Rechtsansprüche kategorisch ab. Erst ihre in fernen Zeiten zu erwartende Konversion, mache sie zu Gleichen. Der Heidelberger Philosoph Jakob Friedrich Fries schrieb Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden (1816). Er dachte ganz säkular. Das uralte Unwesen der jüdischen Ausbeutung und Betrügerei kann nicht ohne schreckliche Gewalt zu Ende gehen, wenn unsere Regierungen nicht schnell und mit hoher Kraft dem Übel steuern. Ludolph Holst veröffentlichte Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den deutschen Handelsstädten (1818). Auch ihn treibt der Wahn, die Juden könnten den Christen ihre Verdienstmöglichkeiten nehmen und Deutschland zum zweiten Canaan machen. Dem jüdischen Herrschaftsstreben sollten die Regierungen dadurch entgegentreten, dass sie den Christen bei Fragen von Recht und Wohlergehen immer den Vorrang geben. Auch Garlieb Helwig Merkel warnte vor einer angeblich drohenden jüdischen Übermacht. In seinem Buch Über Deutschland, wie ich es nach einer zehnjährigen Entfernung wiederfand (1818) schrieb er, dass die Juden ihren Wohlstand ungeheuer vergrößert hätten und dabei seien, ihre Gleichheit zu Vorrechten auszubauen. Nur wegen solchen Missbrauchs der ihnen gewährten Freiheiten hätten sie sich in der Vergangenheit Verfolgungen zugezogen. Da sie im christlichen Staat immer Fremde bleiben würden, könnten ihnen zwar bestimmte Freiheiten zugestanden werden, aber keine Rechte.
Solcherlei Stimmen dominierten das öffentliche Klima. Die Juden fühlten sich alles andere als sicher. Konnte doch die ständige ideologische Aufheizung in Gewalt ausschlagen, wie Rahel Varnhagen zu Recht befürchtete.  (2)  Dieser Antijudaismus in der Zeit nach Napoleon hatte wie der christliche des Mittelalters eine innere Neigung zum Pogrom.

Der Pogrom in Würzburg
Die Hep-Hep-Krawalle begannen am 2. August 1819 in Würzburg. Ihnen war eine heftige Auseinandersetzung über die Forderung nach vollkommener bürgerlicher Gleichberechtigung der Juden unmittelbar vorausgegangen. Aktueller politischer Anlass waren die Verhandlungen der bayrischen Ständeversammlung über eine Revision des Emanzipationsediktes von 1813, das den Juden Gleichberechtigung zugesprochen hatte. Ein diesbezügliches Memorandum im Namen von Salomon Hirsch, einem geadelten jüdischen Kapitalisten, wurde von dem christlichen Anwalt Theodor A. Scheuring mit harter Polemik angegriffen.  (3)  Er behauptete, die Erfahrung zeige, dass jene Menschen am glücklichsten seien, die noch nicht mit dem Geist jüdischer Gewalt und Verderbtheit in Berührung waren. Ihm entgegnete der Jurist Sebald Brendel. Er warf ihm Inkompetenz, Intoleranz, Unmenschlichkeit und unchristliche Ansichten vor. Dann entluden sich die aufgestachelten Emotionen in pogromhaften Gewaltausbrüchen. Juden wurden unter Hep-Hep-Gejohle durch die Straßen getrieben. Jüdische Häuser und Läden wurden mit Steinen beworfen, Türen demoliert, Fensterscheiben zerschlagen und Waren auf die Straße geworfen. Besonders auf jüdische Firmenschilder hatte der Mob es abgesehen, königliche wurden verschont. Das Haus von Salomon Hirsch wurde beschädigt. Juden, die sich zur Wehr setzten, wurden zusammengeschlagen. Viele flohen aus der Stadt. Erst nach drei Tagen sorgten verstärkte Armeeverbände für Ruhe. Die Anführer kamen vor Gericht. Aber die Unruhen schwelten weiter. Anonyme Aufrufe forderten die Beschränkung jüdischer Geschäftsaktivitäten oder die Ausweisung der Juden. Brendel wurde bezichtigt, von den Juden bestochen worden zu sein; es gab mehrere Mordanschläge gegen ihn. Brandbriefe drohten Hausbesitzern mit Einäscherung ihres Anwesens, wenn den bei ihnen wohnenden Juden nicht gekündigt werde. Angriffe mit Hep-Hep-Gebrüll auf jüdische Häuser gab es in den folgenden Jahren  wiederholt. 1821 kamen Ritualmordgerüchte auf, 1826 wurde eine als Jude ausstaffierte Puppe aufgehängt.

Krawalle in anderen Städten
In Bayern griffen die Unruhen auf Bamberg, Bayreuth und einige Dörfer über. In den ländlichen Regionen gab es keine politischen Forderungen, sie wurden alleine durch religiöse Vorstellungen ausgelöst. In zwei Dörfern wurden die Synagogen gestürmt und die Thora-Rollen sowie andere Ritualien zerstört.  (4)
In Frankfurt kam es am 10.8.1819 zu dreitägigen Unruhen. Eine Signalwirkung befürchtend, die von der Metropole ausgehen könnte, befahl der Präsident der Karlsbader Versammlung Fürst Metternich, dem Frankfurter Senat bei der Niederschlagung der Unruhen mit Bundestruppen zu helfen.
In Heidelberg nutzte eine aufgehetzte Meute die Abwesenheit der Polizei am Prinz-Ludwig-Fest, um in jüdische Häuser einzudringen und ihre Einrichtungen zu verwüsten. Studenten und Professoren, die den Opfern zu Hilfe kamen, boten dem Terror Einhalt. Sie wurden von den Behörden belobigt, von der Bevölkerung und in der Universität aber beschimpft. Daraufhin erklärten sie, nur ihre menschliche Pflicht getan zu haben, was aber nicht bedeute, sie hätten sich auf die Seite der Juden gestellt.
In Hamburg gab es vom 20.-26.8.1819 Unruhen. Sie begannen mit der Belästigung jüdischer Passanten auf dem Jungfernstieg. Juden wurden aus Kaffeehäusern gejagt, Steine flogen gegen jüdische Häuser. Die Gegenwehr war so heftig, dass die Krawallmacher behaupteten angegriffen worden zu sein. Die Warnung des Senats Ruhe zu bewahren richtete sich deshalb an beide Seiten. Viele Juden verließen die Stadt und suchten im dänischen Altona Zuflucht.
Auch in anderen deutschen Städten kam es zu Krawallen, z.B. in Marburg, Düsseldorf und Karlsruhe, aber auch in Kopenhagen und anderen dänischen Orten.

Die Haltung der Regierungen
Die in Karlsbad versammelten Vertreter der deutschen Staaten befürchteten umstürzlerische Aktivitäten. Sie berieten unter der Regie von Fürst Metternich über Maßnahmen zur Unterdrückung aller Opposition, wie verschärfte Zensur und strenge Polizeiüberwachungen. Die Karlsbader Versammlung war einberufen worden, nachdem der Dichter Karl Ludwig Sand den Diplomaten und Schriftsteller August von Kotzebue am 23.3.1819 erstochen hatte. Der Mörder war Mitglied einer radikalen Studentenorganisation und überspannter Anhänger christlich-romantischer Deutschtümelei. Sein Opfer war ein bekannter Repräsentant des reaktionären Regimes. Im Schatten dieses politischen Mordes war die Karlsbader Versammlung geneigt, die Hep-Hep-Krawalle als Aufruhr gegen die Regierung Metternichs und seiner Verbündeten zu deuten.
Das traf allenfalls indirekt zu. Die politische Bewegung gegen die herrschende Reaktion ging von subversiven studentischen Zellen aus, die an den antijüdischen Krawallen nirgendwo beteiligt waren. Diese rekrutierten sich vielmehr aus den Kreisen, die sich durch die jüdische Gleichberechtigung unliebsamer wirtschaftlicher Konkurrenz gegenüber sahen. In diesem  Zusammenhang sind die auffällig gezielten Zerstörungen von jüdischen Firmenschildern bei dem Würzburger Pogrom zu verstehen.  (5)  Die Krawallmacher waren der Meinung das zu tun, was eigentlich Aufgabe der Regierung sei, nämlich die Juden zum Schutz der christlichen Bevölkerung in den Grenzen des Ghettos zu halten. Die antijüdischen Gewaltausbrüche richteten sich gegen ein angebliches Versäumnis der Regierungen, nicht aber grundsätzlich gegen sie und ihre Politik.

Der mörderische Überschuss des Antisemitismus
Eine verbreitete Deutung sieht in den Hep-Hep-Krawallen einen fehlgeleiteten sozialen Protest gegen die neu erwachsene wirtschaftliche Konkurrenz durch Juden und ihren gesellschaftlichen Aufstieg. Diese Krawalle sind aber komplexer als eine Entgleisung. Die Gewaltausbrüche, die gezielten Zerstörungen, die persönlichen Angriffe bedrohen die Existenz. Sie enthalten mehr als einen Protest gegen eine angebliche soziale Zurücksetzung, dessen Ziel nur die Restauration des eigenen Status wäre, nicht aber die Zerstörung der Existenz des Anderen. Es handelt sich um  Hass gegen die Juden als Gruppe, gegen sie als solche. Dieser Hass kommt nicht von dem Missmut gegen politische Entscheidungen wie den Emanzipationsedikten. Er nimmt sie aber zum Anlass, um sich zu artikulieren. Seine Herkunft ist die christliche Religion. Die Motive des viele Jahrhunderte alten, dem christlichen Volk gepredigten Judenhasses sind auch in der säkularen Moderne weiter lebendig. Die Juden galten als die Verworfenen und wurden mit dem Teufel gleichgesetzt, sie würden durch wiederholten Gottesmord (>Hostienfrevel), Brunnenvergiftung und Wucher die Grundlagen der christlichen Gesellschaft zerstören wollen. Wie sollte das so schnell vergessen sein? Doch nicht, weil ein paar Philosophen und ein paar Könige die Aufklärung ausgerufen hatten.
Dem entspricht ein Überschuss an Hass in den antijüdischen Pamphleten und Gewaltausbrüchen, der auf die Beseitigung der Juden zielt. Ihnen ist Folgendes zu entnehmen:

  • Die Juden werden grundsätzlich als Fremde betrachtet, als nicht oder nur sehr schwer integrierbar in die deutsch-christliche Kultur.
  • Die Juden haben grundsätzlich keine Rechte oder Ansprüche, ihnen können allenfalls Freiheiten gewährt werden.
  • Die Juden müssen unterdrückt oder vertrieben werden, weil ihr angebliches Herrschaftsstreben für die Christen bedrohlich sei.
  • Hier wird das innere Gefälle des Antisemitismus zur Vernichtung sichtbar. Zwei Aufrufe während der Hep-Hep-Krawalle seien als Beispiel angeführt. Ihre ideologische Einkleidung versucht den vernichtenden Hass nicht zu verbergen, sondern als berechtigte Drohung zu legitimieren.

In Düsseldorf wurden am 22.8.1819 Plakate an das Haus des Rabbiners und an andere Wohnhäuser geschlagen: Schon zu lange hat die Herrschaft der Juden über den Betrieb des Handels gedauert… Sind bis 26ten dieses Monats dem Handel und Moral verderbenden Volke,… nicht Schranken gesetzt, so soll ein Blutbad entstehen, das anstatt Bartholomäusnacht Salomoni-Nacht heißen soll.
In Würzburg war auf einer Bekanntmachung zu lesen: …wenn binnen 14 Tagen keine solche Beschlüsse erscheinen, die den jüdischen Betrügereyen Einhalt thun und beweisen, daß die Kreis- und Landesregierung nicht mehr mit den Juden verspeckt, von solchen bestochen und geleydet seyen… wird diese Sache mit gänzlicher Plünderung, Beraubung und totaler Vernichtung des Judenvolkes von neuem beginnen, und sich auch so endigen.  (6) 
Eine Proklamation in Danzig drohte an: Diese Juden, die hier unter uns leben, die sich wie verzehrende Heuschrecken unter uns verbreiten und die das ganze preußische Christentum dem Umsturz drohen, das sind die Kinder derer, die da schreien: Kreuzige, kreuzige! Nun auf zur Rache! Unser Kampfgeschrei sei: Hepp! Hepp! Hepp! Aller Juden Tod und Verderben. Ihr müßt fliehen oder sterben!

 

  1. Die ursprüngliche Formulierung, die Juden sollten die Rechte haben, die ihnen in den Staaten der napoleonischen Zeit verliehen wurden, wurde geändert in von den Staaten, was viele auf die Staaten bezogen, die vor Napoleon geherrscht hatten und vom Wiener Kongress wieder eingesetzt wurden. Siehe J. Katz, Vom Vorurteil bis zur Vernichtung, Der Antisemitismus 1700-1933, Berlin 1990, S. 79. Für die folgende Darstellung s. ders. und  R. Erb, W. Bergmann, Die Nachtseite der Judenemanzipation, Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland, Berlin 1989 sowie H. Graetz, Geschichte der Juden, Bd. 11.
  2. K. A. Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, die Karlsruher Jahre 1816-1819, hrg. v. H. Hering, Baden 1924, S. 370f
  3. T. A. Scheuring, Das Staatsbürgerrecht der Juden, Würzburg 1819
  4. Erb, Bergmann, S. 236
  5.  a.a.O., S. 220
  6.  a.a.O., S. 231

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