Jüdische Gesetzlichkeit – Christliche Freiheit
Martin Luthers Aneignung der Jüdischen Bibel durch Enteignung
von Martin Stöhr

Für Michael Krupp in Dankbarkeit und Freundschaft

I

Der Vorwurf der Gesetzlichkeit als christliche Selbstrechtfertigung

Aus Luthers Erbe verfolge ich heute Abend nur eine doppelte Spur: was wurde aus dem biblischen Erbe der Freiheit und was wurde aus dem christlichen Umgang mit den biblischen Grundbegriffen „Gesetz, Gebot, Recht, Tora=Weisung“?

Gesetzlichkeit dem jüdischen Volk und seiner Bibel vorzuwerfen, macht aus dem Alten Testament ein veraltetes, starres Gesetzbuch. Entsprechend wird das Volk Israel mit seiner Geschichte zur alten überholten Vorgeschichte des Christentums. Das Neue verdrängt das Alte. Eine breite christliche Tradition bezeichnet das Judentum als reine Gesetzesreligion, als Religion der Werkgerechtigkeit und sein Glaubensleben als „gesetzlich“. Das Christentum, besonders der Protestantismus, versteht sich dagegen gern als Religion der Freiheit.

Der einflussreiche Kirchenhistoriker Adolf von Harnack, Gründer der Max-Planck-Gesellschaft (früher Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft) schreibt in „Das Wesen des Christentums“ (1900), dem Bestseller zur Jahrhundertwende,  von den religiösen Führern Israels zur Zeit Jesu: „Sie dachten sich Gott als Despoten, der über seiner Hausordnung wacht…Sie sahen in ihm nur Gesetze“. Er betont zugleich die „reiche und tiefe Ethik“ im Judentum. Da sich der christliche Glaube „im Gegensatz“ zum Judentum „gründen will, ist er genötigt, von diesem, was er braucht, zu entlehnen.“ Sich im Gegensatz zum Judentum zu entwickeln, führt nach Harnack zu einer „Christologie“, auf deren Boden „die Menschen ihre religiösen Lehren zu furchtbaren Waffen schmiedeten“. (So Harnack in seiner Dogmengeschichte). Ist dieses “Entlehnen“ ein „Enteignen“, das rechthaberisch eine christlich-dogmatistische Deutungshoheit allein gelten lässt? Wo geht das „Entlehnen“ über in ein „Aneignen“ im positiven Sinn, sodass das Alte Testament ganz zur Glaubensgrundlage des Christentums gehört, ohne es dem Judentum abzusprechen?

Weiter gefragt: Gibt es eigentlich christliche Gesetzlichkeit?

Viele Biografien, dazu die aktuellen Untersuchungen christlicher (und nichtchristlicher Heimerziehung sowie zB der Film von Michael Hannecke „Das weiße Band“ schildern eine repressive, christliche Erziehungspraxis. Hermann Hesse versieht in Erinnerung an Elternhaus und Schule solche Erfahrungen mit der Überschrift „Unterm Rad“. Das Rad war ein Folterinstrument.

Sofort höre ich Widerspruch: Jüdische Biografien erzählen doch nichts anderes! Ein Beispiel: Der Schriftsteller und Hesses Zeitgenosse Jakob Wassermann (1873-1934) notiert in seinen Lebenserinnerungen „Mein Weg als Deutscher und Jude“ (1921) einerseits, man könne sich kaum vorstellen, „wie primitiv Nichtjuden in der Beurteilung dessen sind, was jüdisch ist, und was sie für jüdisch halten.“ Aber dann erzählt er doch von seiner eigenen jüdischen Sozialisation: „Religion war eine Disziplin und keine erfreuliche.“ Seinen Religionsunterricht kennzeichnet er mit dem Worten „Unlebendiges, Mumien von Begriffen“. Das Kind erlebt den Gottesdienst als eine „geräuschvolle Übung eingefleischter Gebräuche“ (und Konfirmanden?). „Der jüdische Gott war für mich… in seiner alttestamentarischen wie in seiner liberal-modernen Gestalt ein unversöhnlicher Zürner und Züchtiger“. Begeistert ist er nur von den inspirierenden Predigten zu biblischen Geschichten des Rabbiners.

Also bestätigt die jüdische Selbstkritik mal wieder das christliche Rechthaben? Mit dem Tonfall: „Das haben wir doch schon immer gewusst!“  Das geht mit der Kritik des Juden Jesus an bestimmten jüdisch-pharisäischen Praktiken so. Nicht anders verweisen Nazis darauf, wie deutlich schon Hosea und Amos die üblen Gesetze Israels kritisierten. Heute berufen sich viele Kritiker des Staates Israel auf jüdische Kritik am israelischen Regierungshandeln.

Wer hier nur theologische Gedankenspiele vermutet, vergisst, dass theologische Sätze und Glaubensaussagen auch politische Bedeutung haben. Einige Beispiele:

Der wackere Streiter der Bekennenden Kirche Hans Asmussen erklärt 1933, nachdem in Deutschland ein völkischer und rassistischer Judenhass an die Regierung gekommen war: Die „Zeit des Judentums und des Germanentums ist vorüber“. Der Satz zum Germanentum ist damals sehr tapfer, weil es die Grundlagen einer deutschen Herrenmenschenideologie attackiert. Dass das Judentum gleich mit in den germanischen Untergang geschickt wird, passt sich an die herrschende Macht an.

Der Münchener Kardinal Faulhaber verteidigt 1933 in seinen berühmten Adventpredigten das Alte Testament als alleinigen Besitz der Kirche gegen den deutsch-völkischen Vorwurf, es sei ein Judenbuch, voller Betrugs- und Lügengeschichten. Nein, sagt Faulhaber, es ist jetzt Teil der christlichen Bibel, es gehört nicht mehr den Juden, denn „Gott hat den Bund mit Israel gekündigt“. Das wahre Israel ist jetzt die Kirche.

Wenn manche Journalisten und Stammtische einen Lügner oder Heuchler „Pharisäer“ nennen oder Gegenschläge der israelischen Luftwaffe im Gazastreifen benennen wollen, dann greifen sie gern auf Reste ihres Bildungsmülls zurück. Sie reden von dem „alttestamentarischen“ Gesetz der Rache „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, ahnungslos, dass dieser biblische Text eine Regel für angemessene Entschädigungen bei Körperverletzungen enthält und damit die Blutrache überwindet.

Vor zwei Jahren veröffentlicht das Deutsche Pfarrerblatt einen Artikel, das die Geschichte Israels als einen Weg „Vom Nationalgott (Israels) Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker“ beschreibt. Der Verfasser will die christliche Theologie befreien von einem national-partikularen Denken, von einem nationalen Gott Israels und dem entsprechenden Nationalstaat Israel. Das alles sei durch den universalen Gott des Neuen Testamentes überwunden.

(In Klammern: Israels gegenwärtige Regierung zu kritisieren ist ein gutes Recht. Aber nicht mit abgestandenen Argumenten, die eine christliche Höherwertigkeit mit der universalen Berufung des Christentums begründen).

II

Reformation als Befreiung

Ehe ich diese Herabwürdigung des jüdischen Volkes und seiner hebräischen Bibel anhand biblischer Überlieferungen zu klären versuche, frage ich: Gibt es Gründe, den Protestantismus eine Religion der Freiheit zu nennen? Ja, sagen einige. Ich rufe einige Zeugen auf, die das gern bestätigen.

Gotthold Ephraim Lessing schreibt über Luther:

„Lutherus besteht bei mir in solcher Verehrung, dass es mir, alles wohl überlegt, recht lieb ist, einige kleine Mängel an ihm entdeckt zu haben, weil ich in der Tat der Gefahr sonst nahe war, ihn zu vergöttern.“ Für Lessing wählt Gott mit Luther nicht das „untadeligste“ Werkzeug der Freiheit.

Er kennt seinen Luther und dessen späte Hassausbrüche zB gegen die Juden. Doch für Lessing hat „die Reformation unendlich viel Gutes gestiftet“. „Das können selbst die Katholiken nicht leugnen.“ Es ist die Befreiung von einer erstarrten Hierarchie und Tradition. Wir alle sitzen „im Genusse ihrer Früchte.“ Das bestätigt auch Johann Gottfried Herder, Luther habe „ein System aus „sklavischer Ordnung und Unterordnung“ zerstört.  

Der Täufling in dieser Kirche, Johann Wolfgang Goethe, lobt an der Reformation den „Geist der Freiheit“, den „Geist der freien Überzeugung, Prüfung und Selbstbesinnung“, ohne den „alles Leichnam“ würde. Protestantisch singt er: „Freiheit erwacht in jeder Brust, / wir protestieren all mit Lust!“

Georg Wilhelm Friedrich Hegel lobt: „Erst mit Luther begann die Freiheit des Geistes.“

Für Heinrich Heine, der jüdische Lutheraner bzw lutherische Jude, dem auch die Taufe sein Judesein nie „abwaschbar“ war, steht Luther am Anfang der Befreiung des Geistes und der Gewissen. Die Freiheit der Völker steht für Heine zwar noch aus, noch geht es nach der Parole: „Der Obrigkeit gehorchen, ist / die erste Pflicht für Jud‘ und Christ!“ Dagegen glaubt er hoffnungsvoll, seit es Luthers Bibelübersetzung gibt: „Die Freiheit wird überall sprechen und ihre Sprache wird biblisch sein!“ Durch die von Luther initiierte Reformation entstand in Deutschland die „Geistesfreiheit“ und „Denkfreiheit“. Luther und Lessing - „diese beiden Namen sind unser Stolz und unsere Wonne.“ Beide brachten eine „heilsame Geisterbewegung“ zustande mit ihrer „lebendigen Kritik“ in ihrer Zeit.

Er kritisiert jedoch auch Luthers „göttliche Brutalität“ am Beispiel von Luthers brutalen Äußerungen zum Bauernaufstand, nicht am Beispiel von Luthers spätem Judenhass. Er klagt über die „Beschränktheit seiner Ansichten“.  Heines scharfe Religionskritik und sein Spott will diese Freiheit gegen verknöcherte Kirchen und Synagogen und ihre „Klerisei“ wieder gewinnen. Im Gegensatz zu Herrn Minister Goethe „protestiert er mit Lust“, wo er Unrecht und Unfreiheit sah.

Martin Walser schätzt diesen Befreiungsschlag der Reformation so: „Zur Ehre der Religion sei gesagt, dass sie von Paulus über Augustinus bis zu Calvin, Luther und Karl Barth die Frage, wie ein Mensch Rechtfertigung erreiche, nie hat aussterben lassen. Seit zweitausend Jahren wird gefragt, ob wir zu rechtfertigen seien durch das, was wir tun, oder durch das, was wir glauben.“ Er sieht uns Zeitgenossen gefangen in der Haltung der Selbstrechtfertigung, im Zwang und Willen, Recht zu haben. Diese Einstellungen seien zum „akzeptierten Ersatz für Rechtfertigung“ geworden. Sie bewirken „eine Domestizierung des Gewissens“. Und damit eine prinzipielle Unfreiheit.

Ich halte fest: Christliche Freiheit besteht für diese Zeugen erstens in der Freiheit des Gewissens von jedweder Bevormundung zugunsten der Mündigkeit des Verstandes und des Glaubens, zweitens in der Freiheit von der Unterordnung unter eine Hierarchie, die eine Zweiklassenreligion kennt: Klerus und Laien, zugunsten der Verantwortung einer/s jeden, drittens in der Freiheit vom Zwang zur Selbstrechtfertigung zugunsten einer von Gott geschenkten, praktizierbaren Liebe und Gerechtigkeit.

III

Ein Blick auf Martin Luthers freiheitlichen Grundimpuls

Martin Luther stellt 1520 das Reformprogramm für seine Kirche unter der Überschrift „Freiheit“ In dem schmalen Buch „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Er formuliert zwei Thesen: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Kurz und gut: Freiheit und Dienst.

Die erste These begründet die Freiheit des Menschen in Gottes Einzigkeit und Einheit. Der Mensch gehört zu ihm als Gottes einzigartiges Ebenbild und als sein vertrauter Mitarbeiter. Das befreit von den vielen Ansprüchen dieser oder jener Autorität, die wollen, dass man brav funktioniert. Die erste These lädt ein, eine „Freiheit wovon?“ in allen Lebensbezügen zu entdecken und zu praktizieren.   

Die zweite These spricht von der Beziehung der Menschen untereinander, damit ihr Leben, Zusammenleben und Überleben menschlich gelingt. Hier ist die Rede von der „Freiheit wozu“. Die Liebe ist das entscheidende Verhalten, gebündelt im Doppelgebot Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Die Spannweite dieser Liebe reicht von der Feindesliebe bis zur Gerechtigkeit, die den Anderen – wer es auch immer sei! - zu seinem Recht kommen lässt. Für Luther ist natürlich klar: Das Gesetz, die Gebote „lehren uns gute Werke.“

Luther liest die Heilige Schrift immer als eine Einheit. Die jüdische Bibel, das Alte Testament, ist der größte Teil der christlichen Bibel, völlig gleichwertig mit dem Neuen Testament. Die Einheit der Heiligen Schrift zeigt sich für Luther auch darin, dass das Alte Testament keineswegs nur Gesetz ist, sondern auch Evangelium. Genauso ist das Neue Testament Evangelium und Gesetz. Das Alte Testament ist nicht nur Hoffnung und Verheißung auf den Messias. Die neutestamentliche Botschaft vom gekommenen Messias ist sowohl ein Buch der Hoffnung wie der noch ausstehenden Verheißungen.

Warum beten wir sonst: „Dein Wille“ – also Dein Gesetz – „geschehe im Himmel wie auf Erden“ und „Dein Reich komme!“? So beten wir um die Stärkung und Realisierung unserer Hoffnungen und darum, dass unser irdisches Tun eine glaubwürdige Antwort auf das Gesetz Gottes und seines Messias ist.

Die Einheit der Heiligen Schrift verbürgt für Luther die Einheit der christlichen Botschaft. Sie findet sie für Luther auch in der jüdischen Bibel. Schließlich ist es die Bibel Jesu, aus der er und die Verfasser des Neuen Testamentes ihre Botschaft schöpfen. Jesus beglaubigt sie mit seinem Leben und Sterben. Er und seine Apostel haben gar keine andere Quelle für ihren Glauben und ihr Leben. Deswegen heißt es an vielen Stellen der Neuen Testamentes „nach der Schrift“ oder „Wie Mose und die Profeten sagen“ oder „wie geschrieben steht“. Unzählige Male wird das Alte Testament aufgenommen und zitiert.

Aber es gibt bei Luther auch eine Tendenz zur Enteignung. Dann sagt Gottes Wort an Israel nichts anderes, als was Christen vom Neuen Testament her schon wissen. Dann wird Gottes besonders Wort an seinen ersten Adressaten Israel genauso wenig als eine eigene Stimme gehört wie Israels Antworten, die nicht immer mit den christlichen identisch sind. In Luther Bibelauslegung ist zu beobachten: Wo Gott redet und handelt, da redet und handelt Christus. Da ist es zB Christus, der das Volk Israel aus Ägypten befreit, da sind die drei Besucher in Abrahams Zelt die Vorabbildung der Dreieinigkeit. Da ist Christus der Leidende Gottesknecht aus Jes. 53, „durch dessen Wunden wir geheilt sind, auf dem die Strafe liegt, damit wir Frieden hätten.“ Und nicht Israels König Hiskia oder Israel selber, wie in unterschiedlichen jüdischen Interpretationen.

Christenmenschen eignen sich zu Recht die jüdische Bibel an, haben aber weder ein Monopol noch einen Absolutheitsanspruch, dass ihre Lesart die einzig richtige ist. In beiden Testamenten lebt eine einzige, gemeinsame messianische Hoffnung als Gottes Wort an Israel und an die Völker. Christenmenschen sehen aber in Jesus von Nazaret den, in dem Gottes Wort Mensch wurde. Er eröffnet und beginnt das „Reich Gottes“, die messianische Zeit mit Wort und Tat. „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Kehrt um!“ Vollendet ist es noch nicht, noch sind die Messianischen, übersetzt also: die ChristInnen auf dem Weg der Umkehr und Nachfolge. Sie hören die jüdische Frage, wie es denn mit der christlichen Verwirklichung der messianischen Hoffnungen auf der Erde steht? Friede auf Erden? Gerechtigkeit für die Armen? Schwerter zu Pflugscharen? Ein Ende von Hunger und Tod, Angstgeschrei und Leid? Es ist eine biblische Rückfrage. Sie speist sich aus den großen Hoffnungen der biblischen Profeten auf die messianische Veränderung und Erneuerung der Welt. Sie ist die biblische Messlatte für die Christenmenschen. Das Rechttun, nicht das Rechthaben zeichnet sie aus.

Als Luther sein Lied „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ dichtet, da findet er ganz selbstverständlich die reformatorische Neuentdeckung auch in Psalm 130: „Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst die Sünde zu vergeben“. Gott hat vor allem menschlichen Tun sich längst vertrauensvoll seinen Geschöpfen zugewandt. Das Lied geht aber weiter: „Es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben!“

Genau hier widerspricht der Lutheraner Dietrich Bonhoeffer Martin Luther und einer weitverbreiteten christlichen Einstellung. Bonhoeffer kann und will diesen Vers „Es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben“ nicht mehr singen. Mehr Tun wäre in seiner Zeit nicht umsonst gewesen. Mehr Tun hätte nicht nur die jüdischen Mitmenschen in Deutschland aus Angst, Verfolgung und Lebensgefahr gerettet. Das Lied wendet sich 1524 zu Recht gegen eine Leistungsreligion, die aus Gott einen kleinkarierten Buchhalter macht, der menschliche Leistungen anerkennend registriert. (Übrigens damals mit einem prächtigen Kollateralgewinn für den Bau des Petersdoms und für die Wahlkampfkasse des Mainzer Erzbischofs.)

Bonhoeffer kritisiert nicht nur eine gewisse christliche Gesetzlichkeit, die das Christsein an Äußerlichkeiten festmacht – an scheinbar bürgerlichen Sitten, daran, wie es früher war oder an einem engen Denken iu bequemer Unmündigkeit. Er sieht aber auch sehr klar: Ein gesellschaftlich folgenlos gehörtes Evangelium kann wie das Gesetz ins Gegenteil pervertiert werden. Es wird dann „billige Gnade“, das sich die „Kosten der Nachfolge“ spart. Jesus spricht vom Salz der Erde, das seine Salzkraft verliert, vom Licht der Welt, das ängstlich gedeckelt wird.  

Der falsche Satz aus Luthers Lied hat zu viele Christenmenschen passiv gemacht. Was 1524 eine Christenheit aufweckte, war 1933 zur Beruhigungspille geworden, die sagt: Ich kann doch nichts machen, mitlaufen ist besser. Was 1520 zur notwendigen Absage an eine falsche Ablass- und Buß-Lehre dient, wird später zur unterscheidenden Abwertung des Katholizismus und erst recht des Judentums. Mit dem Islam gerieten sie auf die Bank der Werkgerechtigkeit und die Protestanten auf die Bank der Freiheit.

IV

Vom Vorrang des Evangeliums in der biblischen Tradition

Luthers reformatorischer Grundimpuls „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan“ spricht von einem leistungslosen Grundeinkommen, das dem Menschen von Gott zukommt, nämlich die Gerechtigkeit. Luther entdeckt Gottes vorrangiges Handeln im Alten wie im Neuen Testament. Im Psalm 31,2 elektrisiert ihn der Satz: „Gott, auf dich traue ich. Du befreist mich durch deine Gerechtigkeit!“ Und im Brief nach Rom: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben!“ (Rö 3,28). Gottes Vertrauen in den Menschen führt zu des Menschen Vertrauen in Gott – im Dienst an Jedermann.

Dieses Gottvertrauen aktiviert den Menschen, macht ihn frei von aller Angst, von aller Unterwerfungs- und Anpassungsbereitschaft gegenüber Trends und Autoritäten. Es befreit den Menschen vor allem von jedem Leistungsdruck, vor Gott und der Welt sich dauernd selber zu rechtfertigen, durch das was man leistet: Kurz und gut: Niemandem untertan!

Der Vorrang von Gottes Gnade mit seiner welt- und menschenfreundlichen Einstellung und Praxis ist bei Christen nicht anders als bei Juden. Das lernen sie schon in den Teilen der Bibel, die beide gemeinsam haben.

Der 119. Psalm zB hat alles versammelt, was Gottes Orientierung für ein richtiges Leben bedeutet: Gebot, Gesetz, Tora, Weisung, Vorschriften Gottes, Mahnungen, Wege, Pfade, Befehle, Ordnungen der Gerechtigkeit, Worte Gottes, Recht, Lehre, Saatzungen, Ratgeber, Wort der Wahrheit, Gnade, Trost, Weisheit, Unterweisung Führung, Zeugnisse von Gott. Alle diese Worte meinen die gesamte Willensoffenbarung des biblischen Gottes, die ins Leben zu ziehen ist. Sie sind „unsres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg“, wie wir für den Alltag am Sonntag nach der Schriftlesung hören.

Das Wort Tora bedeutet Wegweisung ins Leben und im Leben. Tora kann im Judentum die ganze Heilige Schrift bedeuten, also Gottes Wort, aber auch nur die fünf Bücher Mose. Die Übersetzung „Gesetz“ gibt den biblischen Reichtum nur sehr unvollkommen wieder.

Christus bekräftigt diese Auffassung, das Gottes Wort getan werden will ausdrücklich in der Bergpredigt (Mt 5,17ff): „Denkt nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen, sondern es zu erfüllen.“ Bis zum Ende von Himmel und Erde „wird nicht vergehen der kleinste Buchstube noch ein Tüpfelchen vom Gesetz!“ Daraus folgt am Ende der Predigt: „Wer diese meine Worte hört und tut, hat sein Leben auf Fels und nicht auf Sand gebaut“.

Die biblische Vielfalt erlaubt keinen negativen Gesetzesbegriff, obwohl sie weiß, dass das Gesetz auch starr und das Evangelium hohl werden kann. All die vielen Begriffe sind „Formen des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist“ (so Karl Barth 1935).

Der jüdische Wissenschaftler Michael Wyschogrod hat den ersten Lehrstuhl für jüdisch-christlichen Dialog in New York inne. Er lobt den Erneuerer den protestantischen Theologen Karl Barth mit der Bemerkung, Barth habe seine innovative Theologie wie die jüdische Theologie 1. auf dem absoluten Vorrang des göttlichen Gnadenhandelns und 2. auf der Heiligung des Lebens durch eine damit gegebene biblische Ethik aufgebaut. (Dass die Christologie beide trennt, sagen beide).  

Das kürzeste Bekenntnis zu Gottes vorauslaufender Zuwendung steckt im ersten Gebot; „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, denn da heißt es „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägypten, aus der Sklaverei befreit hat“. Diesen Halbsatz mit dem Evangelium der Befreiung lässt Luther in seinen Katechismus wie die katholische Kirche einfach weg. Dabei begründet diese frohe Botschaft der Befreiung die Möglichkeit und Ermutigung, Gott und seinem messianischem Willen nachzufolgen.

Der Primat der Gnade bestätigt sich in den biblischen Berichten. Das zeigt die Wohltat der Schöpfung, die Rettung der Welt nach Noah, die Befreiung aus Ägypten, die Gabe der Tora, die Bewahrung in der babylonischen Gefangenschaft, die Rückkehr nach Jerusalem und die Treue Gottes trotz der Treulosigkeit seines Volkes und das trotz der jahrhundertelangen Verfolgungen.

In der rabbinischen Bibelauslegung findet sich selbstverständlich dieser Charakter der frohen Botschaft. Wieder ein paar Beispiele: Ich lese da: „Wie Gott, der Allgegenwärtige Barmherzigkeit ist, sei auch du barmherzig. Wie der Allgegenwärtige gnädig genannt wird, so sei auch du gnädig…so wie der Allgegenwärtige gerecht genannt wird, so sei auch du gerecht!“ (Siphre Dtn 49). Der kluge Rabbi Akiba lehrt: „Geliebt ist der Mensch, denn er ist zum Ebenbild Gottes geschaffen…darum verlasst meine Weisung nicht!“ (Pirque Abot 3,14). Und aus diesen „Sprüchen der Väter“ noch ein „reformatorisches“ Wort: „Mit Güte wird die Welt gerichtet und nicht nach der Menge der Werke!“ (3,19)

Ein wenig spiegelt sich bei Luther die Vielgestaltigkeit des göttlichen Willens wieder. Die Situationen, in denen er predigt und unterrichtet, sind sehr unterschiedlich. Entsprechend liest der Bibellehrer und Prediger die Heilige Schrift immer wieder neu, um sie in das sich ändernde Leben hinein auszulegen und unterschiedlichen Menschen zu verdeutlichen. Das kann nicht ohne Widersprüche bleiben.  

Ich unterscheide grob fünf Varianten in Luthers Verständnis von Gesetz/Gebot/Tora:

1. Einmal zeigt mir das Gesetz an, dass ich es nicht erfüllen kann. Es schlägt mich nieder. Es zeigt mir meine Ohnmacht – gerade am Vorbild von Christus, der allein es erfüllt. Was er kann, getreu bis in den Tod Gottes Willen zu tun, das kann ich doch nicht. Zum Kronzeugen für diese Auffassung wird Paulus. Er aber stellt keineswegs das Gesetz infrage. Er weiß:, das Gesetz ist zum Leben gegeben. Es ist „heilig, gerecht und gut“ (Rö 7,12) , weil von Gott als Spielregeln der Freiheit veröffentlicht. Dann aber fragt Paulus radikal weiter: Bringt es bloß Scheitern und Tod? „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich!“ In diesen Zusammenhängen ermahnt Paulus die Gemeinde, „Diener der Gerechtigkeit zu sein.

2. In einer zweiten Bedeutung sieht Luther das Gesetz sehr positiv: Es ist die universale Ethik der Menschenwelt. Sie sei allen Menschen ins Herz geschrieben. So legt er auch die zehn Gebote aus, nicht nur in seinem Katechismus. Für eine zivile Ordnung der Gesellschaft braucht es solche Regeln. Als bei der Einführung der Weimarer Verfassung gestritten wird, ob christlicher Religionsunterricht an öffentlichen Schulen stattfinden solle, plädiert der preußische Kultusminister Hoffmann, es reiche völlig, wenn alle Kinder nur die 10 Gebote lernten. Damit hatte er den Spitznamen „Zehn-Gebote-Hoffmann“ weg. Obwohl Atheist, ist er mit der Hochschätzung der 10 Gebote an Luthers Seite.

3. Aber Luther betont aus dem biblischen Reichtum der Gesetze noch eine dritte Seite. Was machen die Christen eigentlich mit den Geboten, die speziell dem Volk Israel gegeben sind, zB die Gesetze der Beschneidung, der Feiertage und der Speisevorschriften? Sie sind Bekenntniszeichen, dass Gott mit diesem Volk einen Bund geschlossen hat. Die gelten nur im jüdischen Volk. Wir aus den anderen Völkern sind frei davon.

Um diese Frage wird es zwischen Petrus und Paulus, zwischen der Jerusalemer Urgemeinde und Paulus einen heftigen Streit geben. (Übrigens streiten parallel zwei jüdische Gelehrte Schammai und Hillel genau um die gleiche Frage). Der Streit zwischen Christen jüdischer Herkunft ist eine klare Quelle. Trotzdem sickert aus ihr ein trüber, vergiftender Strom in die Christenheit hinein im Blick auf das Verständnis von Freiheit und von Gesetz .

Eine Spätfolge als Beispiel: Eine jüdisch-christliche Tagung in der Ev. Akademie Arnoldshain findet parallel zu einem Fortbildungsseminar statt. Den Sonntagsgottesdienst feiern beide gemeinsam. Von der Dialogtagung gehen auch einige jüdische Gesprächspartner mit in den Gottesdienst. Die andere Tagung stellt den Prediger. Sein Predigttext ist „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Gal 5,1). Der Prediger spricht von „typisch jüdischer Gesetzlichkeit“, von der Luther mit Paulus die christlichen Gemeinden befreit habe.

Kaum ist der Gottesdienst zu Ende, kommt es zu einer mehr als lebhaften Diskussion. Der Pfarrer entschuldigt sich: „Hätte ich gewusst, dass Juden im Gottesdienst sitzen, hätte ich so etwas nicht gesagt.“ Hätte ich gewusst, dass Juden da sind…….So spricht eine weitverbreitete Israelvergessenheit. Sie nimmt – im Gegensatz zu Paulus - das zeitgenössische, lebendige Judentum nicht wahr. Luther auch nicht. Er hat keinen Kontakt mit  Juden. Er redet über sie, nicht mit ihnen. Die Nichtwahrnehmung von Mitmenschen aus dem jüdischen Volk war und ist fatal. Dahinter steht der Gedanke: Volk Gottes ist jetzt die Kirche. Wir sind das neue, das wahre Israel.

Aber was bedeutet denn der Satz des Paulus, dass Christus uns zur Freiheit befreit hat? Paulus trägt die christliche Botschaft zu den anderen Völkern – wie es die Psalmen, die Profeten und der Missionsbefehl Jesu erwarten: „Bis an die Enden der Erde. Soweit die Wolken reichen“. Dieser Paulus warnt die nicht jüdisch geprägten Gemeinden in Galatien, in der heutigen Türkei, sich den speziell jüdischen Gesetzen der Beschneidung, der Feiertage und der Speisevorschriften zu unterwerfen. Davon sind die Völker frei. Diese Freiheit hat auch das Apostelkonzil ca 48 nChr einhellig beschlossen (ApGech.15).

Paulus bekennt sich als Jude persönlich zu dem Bekenntniszeichen seiner Beschneidung und der Kaschrut.

4. In einer kleinen Schrift, wie Christen sich zu Mose, dh zum mosaischen Gesetz verhalten sollen, vertritt Luther noch eine andere Deutung des Gesetzes: Er nennt die Tora „Der Juden Sachsenspiegel“. Der Sachsenspiegel war sozusagen das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner Heimat Sachsen. Dann erklärt er diesen Vergleich: Wenn ich Kaiser von Deutschland wäre, dann würde ich den Mose, die Tora als das kaiserliche Gesetz für ganze Land einführen, einfach weil es gut ist. Denn es verdankt sich der „ersten öffentlichen Predigt des biblischen Gottes am Sinai“. Luther gefällt an der Tora vor allem: Die Abgabe des Zehnten, eine gerechte Steuerordnung, die Einrichtung des Jobel- oder Halljahres, wonach alle sieben Jahre gegen eine Anhäufung von Reichtum bei wenigen die Eigentumsordnung wieder gerecht werden soll. Schuldenerlass und Sklavenbefreiung gehören dazu.

5. Aber Luther hat noch ein fünftes Verständnis vom Gesetz: Es ist der Gebrauch der Gesetze im Dienst des Evangeliums. Mit dem biblischen Bild ausgedrückt. Ein guter Baum trägt gute Früchte. Das Gleichnis vom Weinstock und den Reben rechnet bei den Jesusnachfolgern mit guten Konsequenzen. Der Winzer erwartet gute Trauben. (In Klammern: zu diesem Gleichnis schrieb der Protestant Karl Marx seine evangelische Abiturarbeit. Bewertet mit „gut“! Er weiß später, was er am Christentum seiner Zeit vermisst). Das christliche Evangelium findet Luther vorbildhaft in allen Geschichten und Personen des Alten Testamentes. Christus sagt nichts anderes als was der Sinn der ganzen Tora ist: „Willst du selig werden, so halte die Gebote!“

V

Ein christlich-jüdisches Gespräch ist zuerst profetische Selbstkritik in der Gegenwart Israels

Die Dichter und Denker zur christlichen Freiheitsgeschichte am Anfang meines Berichtes weisen kritisch darauf hin, dass es bei Luther neben den Freiheitsimpulsen hinein in Kirche und Gesellschaft widerliche Worte und Taten gibt. Sie schufen Unfreiheit für Andersgläubige, vor allem für Juden. Lessing spricht von „kleinen Mängeln“ und davon, dass Luther keineswegs „untadelig“ war. Heine verschweigt weder die „Beschränktheit seiner Ansichten“ noch seine „göttliche Brutalität“. Martin Walser stellt  kirchenkritisch eine „Domestizierung des Gewissens“ trotz aller Befreiungen gibt.  

Auch das biblische Personal zeigt eindrucksvolle Beispiele an Unfreiheiten und Versagen. Sie nicht zu verschweigen, das gehört zur biblischen Selbstkritik.

Mose war in einen Mord verwickelt. Das Volk Gottes ist mit den göttlichen Geboten auf dem Weg aus der Unfreiheit in die Freiheit und fällt zurück. Man träumt nostalgisch zu den Fleischtöpfen Ägyptens, man hamstert nur für sich selbst das tägliche Brot, das Manna. Man tanzt um das Goldene Kalb und verehrt so das eigene Vermögen und die eigenen Leistungen. Abraham gibt im Ausland seine Frau Sara als seine Schwester aus, weil er von den Ausländern nur Schlechtes erwartet. Nachdem der andersgläubige Ägypter ihn beim Lügen erwischt hat, entdeckt Abraham selbst seinen fehlenden Respekt vor fremden Religionen mit dem erschrockenen Ausruf: „O, ich dachte, bei Euch gibt es keine Gottesfurcht!“ David lässt einen seiner Soldaten umbringen, um mit der hübschen, jungen Witwe Batseba ins Bett zu gehen. Jesu Jünger und Freunde schlafen in Getsemane, statt wachsam solidarisch zu Jesus zu stehen. der die menschliche Erfahrung macht: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Andere seiner Mitarbeiter verraten oder verleugnen ihn. Paulus verfolgt wütend die Jesus-Nachfolger „schnaubend mit Morden und Drohen“.

Und Luther? 1543 rät er der christlichen Obrigkeit, die Synagogen, Schulen und Gebetbücher zu verbrennen, den Rabbinern Berufsverbot zu erteilen, jüdische Häuser zu „zerbrechen“, ihnen das Eigentum zu rauben, das freie Geleit auf den Straßen zu verweigern und schließlich sie zur Zwangsarbeit zu zwingen. Luther kritisiert zugleich, dass eine christliche Gesellschaft durch ihre Regeln den Juden die meisten Berufe versperrt. Theologisch begründet Luther seinen Judenhass voller Selbstrechtfertigung und fettem Besitzerstolz: „Wir haben den Messias! Wir haben die Heilige Schrift!“ Sie gehört jetzt uns, gerade auch das Alte Testament. Die Juden haben an ihm kein Recht mehr. Denn sie haben Jesus gekreuzigt und abgelehnt.

Luther schreibt auf seine alten Tage voller Hass über die Juden. Er vergisst, dass die Christenheit gemeinsam mit der Mutter und Schwester Judentum - auf einem parallelen Weg - unterwegs ist zu Gottes Reich der Befreiung und Vollendung. Er verdrängt, dass alles, was wir wissen über Gott und seine Wege mit und zu den Menschen, über die messianische Hoffnung und die heilende Befreiung von Hunger und Schuld, von Krankheit und Unterdrückung, von Armut und Unrecht – dass wir das alles von Israel gelernt und übernommen haben.

Luther widerruft seine eigne positive Einstellung zum Judentum, die er 20 Jahre früher in seinem Buch „Dass unser Herr Jesus Christus ein geborener Jude ist“ publiziert. Da sagt er ehrlich und selbstkritisch: „Wenn man mich so behandelt hätte wie wir Christen die Juden behandelt haben, dann wäre ich eher eine Sau als ein Christ geworden!“

Luther belebt den ganzen uralten christlichen Hass auf die Juden. Der berühmte Bischof Ambrosius von Mailand, der Begründer der kirchlichen Musiktradition und Dichter des Adventliedes „Nun kommt der Heiden Heiland“, von Luther übersetzt, befahl schon einmal die Synagogen anzuzünden – die Gemeinde tut es.

Seine Begründung: man könne doch Orte des Unglaubens nicht dulden. Vor 75 Jahren wurden 1500 Synagogen niedergebrannt und geplündert, an Luthers Geburtstag lagen sie in Schutt und Asche, Tausende Juden verhaftet oder erschlagen, Tausende von Geschäfte geplündert. Eine Schnäppchenhaltung vieler nichtjüdischen Deutschen sah: da gab es Möbel und Teppiche zu holen, , Häuser und Firmen, Kunstwerke und Arbeitsplätze - 13% der wissenschaftlichen Arbeitsplätze zB für Physiker waren plötzlich zu haben. Jüdische Konkurrenten in den Industrie- und Handelskammern wie in den Ärzte- und Anwaltskammern waren ausgeschaltet.

Nationaler, wirtschaftlicher und rassischer Judenhass fanden einen Boden vor, der mit christlicher Judenverachtung kräftig gedüngt worden war. Noch arbeiten viele, die Kontaminierung des Bodens rückgängig zu machen. Wir sind noch am Anfang der Aufgabe, die Karl Barth nach einem Besuch beim Papst 1966 so beschrieb: „Es gibt tatsächlich nur eine große ökumenische Aufgabe: Unsere Beziehungen zum Judentum!“ Die Ausstellung zeigt, was zu lernen und was zu verlernen ist. Viele gute Synodalerklärungen zur Erneuerung der zerstörten Beziehungen zwischen Juden und Christen sind noch umzusetzen. Das gehört zum Dienst der Gerechtigkeit, damit niemand Klischees, Vorurteilen oder Feindbildern untertan wird.

Vortrag zur Ausstellung von ImDialog: „Luthers Sündenfall gegenüber den Juden“, St. Katharinen Frankfurt/M 5. 12. 2013

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ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
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