Adelmann: Nahostkonflikt belastet christlich-jüdischen Dialog 

Der Nahostkonflikt belastet auch den christlich-jüdischen Dialog - sagt die neue Generalsekretärin des Internationalen Rates der Christen und Juden. Anette Adelmann im DW-Interview

DW: Frau Adelmann, was verbindet, was trennt Christen und Juden heute theologisch?

Anette Adelmann: Uns verbindet die gemeinsame Tradition an die hebräische Bibel, die aber – und das ist ein trennender Aspekt, von christlicher Seite geachtet werden muss. Denn klar ist: die christliche Seite ist die kleinere und jüngere Schwester des älteren Judentums. Beide religiöse Traditionen haben unterschiedliche Lesarten und unterschiedliche Interpretationsansätze an den Text. Und daraus entwickeln sich dann eben auch unterschiedliche Traditionen.

Steht die Debatte über theologische Fragen auch im Mittelpunkt Ihrer Arbeit?

Ja und Nein. In der Theologie und auch in der Lesart, in dem Umgang mit den heiligen Texten ist noch einiges an Arbeit zu tun und auch noch einiges an Verständnisarbeit zu leisten. Damit sind theologische Fragestellungen nach wie vor wichtig. Aber die interreligiösen Begegnungen im Dialog sind mittlerweile vielfältiger und weiten sich auch aus auf gesellschaftspolitische Themen, Fragestellungen des alltäglichen Miteinanders bis hin zu gemeinsamen politische Leitlinien zu aktuellen politischen Fragestellungen.

Sie selbst sind von Haus aus evangelische Theologin und Judaistin. Der Internationale Rat der Christen und Juden hat sich den christlich-jüdischen Dialog auf die Fahnen geschrieben. Kann man diesen Dialog von der Diskussion über die israelische Haltung im Nahost-Konflikt trennen?

Nein, natürlich nicht. Israel ist ein wichtiges Thema im Dialog. Aber es kommt darauf an, aus welcher Perspektive und mit welcher Grundeinstellung man Israel mit in den Dialog hereinzieht. Aus meiner persönlicher Perspektive ist ein Reden über Israel und auch über die aktuelle israelische Politik wichtig, nötig und auch erwünscht, aber sie muss eben mit der Anerkennung und aus der Achtung heraus geschehen, dass Israel, so wie es heute existiert, auch als Heimatstatt anerkannt, geschätzt und geachtet wird als politische Grösse.

Würden Sie sagen, der israelisch-palästinensische Konflikt belastet das Verhältnis von Christen und Juden?

Dieser Konflikt ist ein aktueller Konflikt, der beide Seiten schwer belastet - existentiell, emotional und natürlich auch immer wieder im beiderseitigen Gespräch. Aber er ist ein Konflikt, der aus meiner Perspektive einen Dialog weder zwischen Juden und Christen, noch einen Trialog zwischen Juden, Christen und Moslems unmöglich macht: Es ist durchaus auch ein Motor, ein Motivator, dass die engagierten Gruppen miteinander im Gespräch bleiben.

Steckt hinter Kritik an Israel immer auch Antisemitismus ?

Nicht unbedingt, aber bei einem sorgfältigen Lesen kritischer Aussagen über Israel läßt sich doch relativ leicht feststellen, wer da Aussagen trifft mit einem antisemitischen Hintergrund oder zumindest mit einer gewissen Distanz, einem gewissen Unbehagen dem Judentum als solchem gegenüber trifft. ' Juden tun dieses oder jenes' - das ist gerade für Juden, die in der Diaspora leben, ein sehr deutliches Indiz, dass es gar nicht um die Politik Israels geht oder um eine aktuelle politische Situation in Israel, sondern dass es darum geht, eine Gruppe, die in der Diaspora als lebendige, große Gemeinschaft vorhanden ist, mit in die Kritik hinein zu ziehen. Ein zweiter Aspekt ist die Verknüpfung zwischen der jüdischen Geschichte und der Politik Israels: Dieses Schlagwort, die Juden, die Politiker Israels müssten sich aufgrund ihrer eigenen Geschichte – und damit ist meistens auf den Holocaust, auf die Shoa angespielt – anders verhalten. Das heißt: Das Anlegen eines moralischen Maßstabes an mein Gegenüber, an einen anderen Menschen aufgrund seiner persönlichen Geschichte ist normalerweise ein deutliches Signal dafür: Hier geht es nicht um eine sachliche Kritik, sondern um eine Wertung, letztlich um eine Abwertung.

Und das wäre dann Antisemitismus?

Das wäre zumindest eine Aussage und ein Urteil, das aus meiner Perspektive einem antisemischen Denken sehr nahe kommt, ja.

Ist das Judentum in Deutschland heute eine Glaubensgemeinschaft wie jede andere?

Von ihrem Status her und von ihrem praktizierten Gemeindeleben her, von den Einrichtungen und Institutionen, die die Gemeinden ihren Mitgliedern bieten – Gotteshäuser, Synagogen, Gemeindezentren, Kindergärten, Schulen, Jugendzenten – sind sie es auf jeden Fall.

Kommen jüdische Anliegen in Deutschland ausreichend zum Tragen? Man hört ja in letzter Zeit immer häufiger, an die Stelle der Auseinandersetzung mit dem Judentum in Deutschland sei die Auseinandersetzung mit dem Islam getreten?

Ja. Ich möchte aber vermeiden, da irgendwelche Wertungen vorzunehmen, denn das ist ja gerade eine große Chance, die wir haben, auch wenn wir Bestrebungen und den Willen zum Dialog auch in Gesellschaften, in Organisationen und Vereinen organisieren können. Je vielfältiger mein Lebensumfeld ist, desto vielfältiger kann ich auch die Gespräche führen. Das heißt: Jede Organisation und jede Gesellschaft, die auch den Trialog fördert, wie es etwa die abrahamischen Foren in Deutschland tun. Und es gibt mittlerweile viele jüdisch-christliche Gesellschaften, die einen intensiven Blick auf den Trialog und das Gespräch mit dem Islam werfen – ich halte das für eine große Bereicherung für den Dialog. Aber das heißt nicht, dass es nicht immer wieder Bereiche und Gespräche gibt, die eher in den jüdisch-christlichen Dialog einzuordnen sind. In Deutschland vielleicht aufgrund der deutschen Geschichte doch noch stärker als in manchen anderen Ländern.

++++Die Theologin Anette Adelmann ist neue Generalsekretärin des Internationalen Rates der Christen und Juden (ICCJ, der Dachorganisation von weltweit 38 nationalen christlich-jüdischen und interreligiösen Dialogvereinigungen. Anette Adelmann hat evangelische Theologie und Judaistik studiert und arbeitet u.a. als Dozentin an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.

http://www.dw.de/german/
7. März 2014

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