Rembrandts Jakobssegen und Genesis 48,14
von Reinhard Brand

Manch bibelfester Besucher der Alten Meister im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel wundert sich über die nicht gekreuzte Handhaltung Jakobs, wenn er vor Rembrandts berühmten Alterswerk seine Bibel aufschlägt und liest: „Aber Israel streckte seine rechte Hand aus und legte sie auf Ephraims, des Jüngeren, Haupt und seine Linke auf Manasses Haupt und kreuzte seine Arme, obwohl Manasse der Erstgeborene war“ (Gen 48,14 in der Lutherübersetzung von 1984, hier textgleich mit LÜ 1964/75).

Die Sache ist eindeutig: Jakob segnet mit seiner rechten, der würdigeren Hand Ephraim, den jüngeren der beiden Brüder, und mit seiner linken, Manasse, den älteren, dem, wie der biblische Zusammenhang zeigt, nach Meinung seines Vaters Josef der Segen eigentlich gebührt. Doch Jakob wehrt die Intervention Josefs ab und segnet den Jüngeren vor dem Älteren.

Anders als in der LÜ steht in der niederländischen Statenbijbel, die Rembrandt benutzte, nichts davon, dass Jakob beim Segen seine Hände über Kreuz gehalten habe. Vielmehr habe Jakob seine Hände „verstandelick“ gelenkt. Nicht wenige sehen in dem Wort „kreuzen“ in Luthers Übersetzung einen Antijudaismus in den Bibeltext eingetragen – entsprechend einer Theologie, die in der Kreuzigung Christi die Bevorzugung des Jüngeren (die Kirche) gegenüber dem Älteren (Israel) begründet sieht.

Der hebräische Text an sich ist unproblematisch; doch ausgerechnet das Lexem, das in der LÜ mit „kreuzen“ übersetzt wird, bereitet einigen Verdruss: śkl (I) heißt in der Grundbedeutung „verstehen“ und ist im biblischen Hebräisch gut belegt. Daneben postulieren die einschlägigen Wörterbücher allerdings auch ein Lexem śkl (II) mit der Grundbedeutung „über Kreuz legen“. Das Dumme daran ist nur, dass dieses Lexem śkl (II) ein Hapaxlegomenon ist, das nur hier in Gen 48,14 vorkommen soll. Das ist natürlich höchst verdächtig und unterstützt die These vom Wort gewordenen Antijudaismus in der LÜ.

Die Statenbijbel kennt in ihrer Übersetzung ein śkl (II) nicht und übersetzt śkl folgerichtig mit: „hy bestierde sijne handen verstandelick“ – „er lenkte seine Hände mit Verstand“, also in dem Sinn, dass Jakob sich nicht aufgrund seiner Altersgebrechlichkeit irrte, sondern sich durchaus bewusst war, was er da tat, als er Ephraim mit seiner Rechten und Manasse mit seiner Linken segnete.

Doch leider ist es nicht ganz so einfach. Denn schaut man sich die antiken Übersetzungen des hebräischen Textes an, so findet sich in der Septuaginta enalláx, was ziemlich eindeutig „in entgegengesetzter Richtung“ heißt. Und in der Vulgata steht das Partizip von „commutare“, „verändern“ oder auch „tauschen“. Beide Übersetzungen verstehen das hebräische Wort an dieser Stelle so, dass Jakob seine Hände vertauscht habe. Die Annahme eines śkl (II) mit der Bedeutung „überkreuzen“ für das biblische Hebräisch ist also nicht ganz von der Hand zu weisen; hinzu kommen ältere akkadische und jüngere arabische Belege des Wortstammes mit ähnlicher Bedeutung. Als Ergebnis kann man festhalten: Die Übersetzung mit „und kreuzte seine Arme“, wie ihn die LÜ bietet, ist vom hebräischen Text her möglich.

Wann aber ist „kreuzen“ als deutsche Übersetzung für hebräisch śkl überhaupt aufgetaucht? Die niederländische Statenbijbel weiß nichts davon, dass Jakob seine Hände „gekreuzt“ habe, als er Ephraim und Manasse segnete. Überraschenderweise übersetzt aber auch Luther selbst anders. In der ersten, 1534 von Hans Lufft gedruckten Bibelübersetzung, steht: „Und thet wissend also mit seinen henden“ – „und tat [das ganz] bewusst mit seinen Händen“. Diese Übersetzung ist alle Revisionen der Lutherbibel hindurch beibehalten worden und findet sich auch noch in der stilbildenden LÜ von 1912: „und tat wissend also mit seinen Händen“. Erst in der LÜ von 1964/1975 und in der LÜ von 1984, die an dieser Stelle den Text der LÜ 1964/1975 übernimmt, kommt überhaupt das Wort „kreuzen“ vor.

Ich fasse die Beobachtungen zusammen:

Das hebräische Lexem śkl wird entweder als śkl (I) mit „verstehen“ oder als śkl (II) im Wortfeld „vertauschen“ übersetzt.
Die antiken Übersetzungen Seputaginta und Vulgata übersetzen im semantischen Feld von „vertauschen“, „entgegensetzen“ „überkreuzen“.
Martin Luther entscheidet sich 1534 in seiner Übersetzung für „verstehen“. Gleiches macht die Statenbijbel von 1637.
Diese Übersetzung übernehmen alle Revisionen der Lutherbibel, einschließlich LÜ 1912.
„Kreuzen“ taucht in der Lutherbibel zum ersten Mal überhaupt in der Revision von 1964/75 auf.
Das aber bedeutet, dass die Übersetzung „und kreuzte seine Arme“ in Gen 48,14 kein Beleg für eine antijudaistische Rezeption des Bibeltextes durch die Lutherübersetzung ist.

Drei ergänzende Beobachtungen:

In der wahrscheinlich einzigen Stelle, in der im Talmud auf Gen 48,14 Bezug genommen wird, ist an eine besondere Handhaltung gedacht (bMen93b).

Buber/Rosenzweig übersetzen śkl mit „queren“; sie gehen also ebenfalls von śkl (II) aus.

Wer einen theologischen Antijudaismus finden will, wird ihn nicht in den gekreuzten Händen Jakobs der Lutherübersetzung finden können. Wohl aber lassen sich die ehrfürchtig gekreuzten Hände Ephraims auf Rembrandts Bild in diesem Sinne verstehen und liefern ein weiteres Argument in der gegenwärtigen Auseinandersetzung darum, wie judenfreundlich Rembrandt wirklich war.

Zur Übersetzungssynopse

zur Titelseite

zum Seitenanfang

ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
Robert-Schneider-Str. 13a, 64289 Darmstadt
Tel 06151-423900 Fax 06151-424111 email