Sinkende Hemmschwelle bei Antisemiten
Ein Interview mit Micha Brumlik

Der Judaist Micha Brumlik spricht im Interview über den Nahost-Konflikt und sinkende Hemmschwellen bei Antisemiten. Gleichzeitig warnt er vor französischen Verhältnissen.

Herr Brumlik, gestern hat der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz erklärt, trotz der jüngsten Exzesse bei Demonstrationen könne er in Deutschland keinen wachsenden Antisemitismus erkennen. Sehen Sie das auch so?
Das sehe ich nicht ganz so. Richtig ist, dass sich die Summe antisemitischer Haltungen insgesamt nicht erhöht hat. Genau so richtig ist aber, dass der Krieg in Gaza Hemmschwellen hat sinken lassen, so dass nun aus Haltungen Handlungen geworden sind. Dass sich das so brutal öffentlich Bahn bricht, ist nun doch neu und ein qualitativer Sprung.

Wo sehen Sie die Ursache dafür?
Der Gaza-Krieg mit seinen im Fernsehen oft gezeigten zivilen Opfern unter den Palästinensern liefert denjenigen, die ohnehin antisemitisch gesonnen sind, jetzt einen Anlass, ihre antisemitischen Haltungen in Form von Israelfeindschaft auch offen zu zeigen.

Sehen Sie das Hauptproblem bei Migranten aus arabischen Ländern?
Nein, es ist eine ganz unheilige Allianz, die sich da zusammenfindet, aus linksradikalen Antiimperialisten, durchaus nicht wenigen Anhängern der radikalen Rechten, der NPD, migrantischen Jugendlichen, salafistischen Gruppen und nicht zuletzt einem neuen national-neutralistischen Bündnis, der so genannten Querfront, die versucht, links und rechts zusammenzuführen, um gegen Israel, die USA und den Westen zu agitieren. Bei den so genannten Montagsdemonstrationen der Querfront sind schon einmal 1000 bis 2000 Leute zusammengekommen.

Wenn wir uns einen Moment lang auf den Antisemitismus von Migranten aus arabisch-islamischen Herkunftsländern konzentrieren: Ist das tradierter Antisemitismus aus der Heimat oder Frust über mangelnde Integration in Deutschland?
Der Frust über mangelnde Integration in Deutschland ist letzten Endes die Ursache. Aber da man sich mit seinem prekären Aufenthaltsstatus ja nicht offen gegen das Gastland stellen kann, muss dafür der Nahost-Konflikt herhalten, wobei es – anders als hierzulande – in Frankreich so ist, dass die Migranten dort keinen prekären Aufenthaltsstatus haben. Es sind Franzosen. Aber sie sind sozial und beruflich nicht gut integriert.

Das heißt, offener Antisemitismus ist eine Ersatzhandlung.
Das ist so. Doch das macht es natürlich nicht besser.

Was lässt sich dagegen unternehmen?
Ich wünsche mir einen verstärkten interreligiösen Dialog zwischen Judentum, Christentum und Islam. Ich wünsche mir mehr Bildungsarbeit in jenen Stadtteilen mit Jugendlichen aus islamischen Ländern. Nötig ist aber auch eine unnachgiebige Verfolgung antisemitischer Handlungen. Insofern halte ich es für einen Fehler, dass die Berliner Staatsanwaltschaft Rufe wie „Jude, Jude, feiges Schwein – komm heraus und kämpf’ allein“ nicht als Volksverhetzung, sondern lediglich als Beleidigung einstuft.

Tun die muslimischen Verbände genug? Oder sind sie da ohnehin machtlos?
Machtlos sind sie nicht. Sie könnten durchaus mehr tun. Soweit ich weiß, das muss ich unter Vorbehalt sagen, haben sich die namhaften Leute etwa aus der Islamkonferenz zu den aktuellen Vorgängen bisher noch nicht geäußert. Da könnte deutlich mehr kommen. Man wird am Freitag bei der Al-Kuds-Demonstration sehen, wie es dann darum bestellt ist.

Was ist ansonsten zu tun?
Wir müssen vor allem unsere Aufmerksamkeit schärfen. Diese so genannte Querfront, inspiriert und geleitet von dem ehemals antideutschen Publizisten Jürgen Elsässer, jetzt ein guter Bekannter des iranischen Holocaustleugners Ahmadinedschadad, ist eine neue Qualität, die man in Zukunft sehr viel stärker wird beobachten müssen. Das ist politisch durchaus ernstzunehmen – wenn auch nicht im engeren Sinne parteipolitisch.

73 Prozent der Deutschen fällt zum Nahost-Konflikt nichts mehr ein. Ist die daraus womöglich resultierende Gleichgültigkeit aus Resignation nicht die größere Gefahr für Israel als der Antisemitismus?
Das glaube ich nicht. Ich würde aber grundsätzlich sagen, dass die Gleichgültigkeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen und Kriegen generell zunimmt. Der Gaza-Krieg ist schon schlimm genug. Aber wenn wir sehen, dass sich niemand mehr für die inzwischen 170 000 Opfer des syrischen Bürgerkrieges interessiert, dann merkt man, dass sich hier eine unfruchtbare Resignation breit macht.

Ist die angesichts der Fülle und Heillosigkeit der Konflikte nicht auch verständlich?
Man muss das nicht billigen. Aber man kann das durchaus verstehen – zumal viele Bürger meinen gelernt zu haben, dass man zu Israel am besten gar nichts sagt, weil man sich da nur den Mund verbrennt.

Wie lautet Ihr Fazit?
Wir müssen durch Dialog, aber auch mit Mitteln des Strafrechts Brandmauern errichten, damit die Funken dieser nahöstlichen Konflikte nicht auf die Bundesrepublik überspringen und wir am Ende Verhältnisse wie in Frankreich haben.

Eine letzte Frage: Wie nehmen Sie die Stimmung in der hiesigen jüdischen Gemeinschaft wahr?
Die verantwortlichen Leute sind außerordentlich beunruhigt und verunsichert. Unter Gemeindemitgliedern bemerke ich Ängstlichkeit, vor allem aber Ratlosigkeit.

Interview: Markus Decker Frankfurter Rundschau, 24.7.2014

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