Chanukka, Weihnachten, Weihnukka?
von Hanno Loewy

Jedes Jahr zur gleichen Zeit wird besinnliche Stimmung erwartet. Fieberhafte Festvorbereitungen und Familiendramen, Lichterglanz und Kaufrausch kündigen eine heilige Nacht an, in der sich Menschen in aller Welt an die Geburt eines Königs der Juden erinnern - mit skurrilen heidnischen Bräuchen und deutschen Liedern, die selbst in Japan zu hören sind, italienischen Lichterketten, einem rotgewandeten dicken, bärtigen Mann, amerikanischen Schlittenträumen, einem Baby in einer Wiege (aus Holz oder Plastik) und mehr oder weniger überbordend geschmückten und erleuchteten Festbäumen, die an pagane Sonnenwendrituale erinnern, sich aber erst im. aufgeklärten 19. Jahrhundert weithin verbreiteten. Das alles für den König der Juden?

Die einzigen, die damit, so scheint es, jedes Jahr ein Problem haben, sind die Juden selbst, die dieses Schauspiel sich ansehen (müssen) - oder mitmachen. Denn was sich im 4. Jahrhundert als Weihnachtsliturgie durchzusetzen begann, als das Christentum im Römischen Reich zur Staatsreligion wurde, hat erst im 19. Jahrhundert jene Form gefunden, die heute zwischen Tokyo und San Francisco allgemeingültig zu sein scheint: das Lichterfest als bürgerliche Familienfeier, in der im Ritual des Beschenkens die Beziehung zwischen den Individuen als Gemein. schaft bekräftigt wird, sich alle vertragen sollen - was die Beteiligten für gewöhnlich auf eine harte Probe stellt. Eine Zeit ist das, in der freilich wohl weniger an den Geburtstag des »Königs der Juden« erinnert, als der Beginn eines neuen Jahres (Inn. ekehrend) vorbereitet wird. Wer mag da nicht an die Nähe von Versöhnungsfest und Neujahr - freilich in umgekehrter Reihenfolge - im. jüdischen Festkalender denken.

Die Entscheidung für den 25. Dezember hatte mit dem realen Geburtstag des Jesus von Nazaret wenig zu tun, dessen Datierung bekanntlich eine Konstruktion ist; dafür umso mehr mit heidnischen Festen zur Wintersonnenwende, die der römische Kaiser Aurelian im Jahre 274 im Zeichen des Mithraskults zum »Geburtstag der unbesiegten Sonne« kodifizierte. Diesen Tag an dem man sich auch weiter im Norden traditionell darüber freute, daß die Sonne ihren Dienst nicht endgültig einstellte, sondern wiederkam - als Lichterfest zu feiern, lag nahe. Doch bis der Weihnachtsbaum ins Spiel kam, sollten viele Jahrhunderte vergehen. Seine Spuren beginnen im 16. Jahrhundert im Elsaß, von wo aus er sich in Deutschland durchsetzte. In Wien findet er sich, als »Berliner Sitte«, zuerst in einem Bericht der Geheimpolizei über die Umtriebe im Wiener Salon der Jüdin Fanny von Arnstein. Auch das unübersichtliche Personal der verschiedenen christlichen Bräuche zur Winterszeit, vom Christkind über den hl. Nikolaus und Knecht Ruprecht bis zu den heiligen drei Königen, aber auch so manche Figur »heidnischer« Volksbräuche, wurde in der Figur des Weihnachtsmanns protestantisch oder synkretistisch rationalisiert - vor allem aber zur Folklore, zum Volksbrauch degradiert, die sich in das häusliche Bescherungsfest einpassen ließ, ohne allzuviel sakralen Zauber und damit Priesterschaft und religiöse Exklusivität zu fordern.

Ist es ein Wunder, daß dieses Fest der Feste auf die Juden Mitteleuropas von jeher einen besonderen Reiz ausübte? Ein Fest, das Individuum, bürgerliche Familie und nationale Gemeinschaft zugleich feierte, ohne das Trennende der Religionen über die Maßen zu betonen?

Monika Richarz hat die Geschichte dieser »bürgerlichen Bekehrung« im Zeichen des sozialen Aufstiegs deutscher Juden, aber auch vor dem Hintergrund der traditionellen Bedeutung häuslicher religiöser Feste im Judentum beschrieben. »Dieses intime, stimmungsvolle Fest mußte auch bei ihrer eigenen Religion entfremdeten Juden Eindruck erwecken, nicht als christliches Fest sondern als säkulare häusliche Familienfeier.« (1) Und der Londoner Reformrabbiner Lionel Blue betont: »Zu Weihnachten haben es die Juden schwer, denn Weihnachten ist ein Fest, wie sie es gerne mögen: mit Religion, Einladungen, gutem Essen, Geschenken für die Kinder ...« (2)

Auch das Chanukkafest, das Fest der Wiedereinweihung, das im jüdischen Kalender just in dieselbe Zeit fällt, auf den 25. Kislet und die Tage danach, zumeist also zwischen Nikolaustag und Weihnachtsabend, wird als Lichterfest begangen. Und im Lauf der Geschichte hat dieses Fest ähnliche Wandlungen erfahren wie das christliche Weihnachtsfest und sich mit Spielen, leckeren Speisen und Geschenken zum Familienfest für Kinder der harten Konkurrenz mit dem Weihnachtsfest gestellt. Mit dem Dreidel ein Kreisel mit den Buchstaben Nun, He, Gimel und Schin für die Worte Nes gadol haja scham [Ein großes Wunder ereignete sich dort] wird um Chanukkageld aus Schokolade gespielt, und in Öl gebackene Latkes [Kartoffelpuffer] gehören nun ebenso dazu wie die Kerzen, die im Verlauf der acht Abende entzündet werden, jeden Tag eine mehr.

Erinnerung an das Lichtwunder nach der »Befreiung« des Tempels durch Judas Makkabäus, der 165-163 vor der allgemeinen Zeitrechnung gegen die eigenen, sich an die Griechen anlehnenden Eliten rebelliert hatte und die Seleukiden, die unter Antiochus IV. begonnen hatten, Palästina massiv zu hellenisieren, aus Jerusalem zurückschlug. Die Makkabäerbücher und der Talmud berichten davon, daß die »Heiden« nur einen kleinen Krug geweihten Öls zurückgelassen hätten, eine Menge, die nur einen Tag für das Licht der Menora gelangt hätte. Doch wunderbarerweise reichte das Öl für die achttägige Zeremonie der Wiedereinweihung, jedenfalls bis zu dem Moment, da wieder geweihtes Öl bereitet war.

Die Symbolik des geretteten Lichts verweist jedenfalls ebenso auf die Wintersonnenwende. Doch die klaren Winternächte wurden im südlichen Mittelmeerraum wohl weniger als eine Mahnung der vom Tode des Dunkels bedrohten Natur - die wiedergeboren werden mußte - empfunden denn als eine Zeit besonderer Nähe zu den Sternen und damit zu Gott, eine Zeit, in der der Bund mit Gott sich erneuert. In Marokko trafen sich Juden in den Sabbatnächten im Winter daher traditionell zu den Bakkaschot, um bis zum Morgengrauen zu singen und diese Zeit »offenen Himmels« für ihre Gebete zu nützen.

Der religiöse Inhalt des Chanukkafestes changiert so zwischen Überwindung der Anfechtung, Zurückweisung der Assimilation an den Hellenismus (die im Lichtwunder der Wiedereinweihung symbolisiert wird) und den kriegerischen, nationalen Taten der Makkabäer, die später zu zionistischen Gründungsmythen verklärt wurden. Kein Zufall, daß das Chanukkafest in Spielfilmen, die in den Gründungsjahren des jüdischen Staats entstanden, eine besondere Rolle spielte.

Das war vor 1933 anders, als die Zeit von Chanukka selbst zu einer Feier der Assimilation geworden war. Als die Träume von »Symbiose« und »deutschem Judentum« noch nicht zerstört waren, stand auch in jüdischen Wohnzimmern in Deutschland und Österreich zum Jahresende ein Weihnachtsbaum, auch im Wohnzimmer des Gründungsvaters der zionistischen Utopie. »Aber meinetwegen solls der Chanukkabaum heißen«, notierte Theodor Herzl am 24. Dezember 1895 in sein Tagebuch und bestand darauf, mit seinen Kindern die Kerzen anzuzünden. Sein Freund, der Rabbiner Güdemann, war entsetzt - aber hatte keinen Grund, sonderlich überrascht zu sein.

Schon längst hatten die einen begonnen, mannigfaltige Weihnachtsbräuche, vor allem die Geschenkrituale, in die Chanukkafeiern aufzunehmen, Weihnukka zu feiern. (3) Die anderen gingen noch weiter, fügten den Weihnachtsabend mit seinem duftenden Baum und seinem süßen Behang dem eigenen Festkalender hinzu - und nahmen in Kauf, daß Chanukka, jedenfalls in den Augen der Kinder, immer mehr in den Hintergrund trat.

Schon 1871 hatte die Synode der Reformrabbiner in Deutschland mahnen müssen, Chanukka wieder ernster zu nehmen, da das Weihnachtsfest begann, ihm unter Juden den Rang abzulaufen.

Natürlich, es gibt sie, die Schilderungen besinnlicher Chanukka-Abende in jüdischen Familien. Und doch, selbst Bella Chagalls Erinnerungen ist abzulesen, daß Chanukka im jüdischen Leben manchmal einen schweren Stand hat. »Warum sind Mamas Sabbat-Kerzen so hoch und groß? Und warum segnet Vater, der so groß ist, ein so kleines Chanukka-Lichtchen?«

Eher schon sind es die Erzählungen um Herschel Ostropoler, den jüdischen Eulenspiegel, die bis heute etwas von der Dramatik des Kampfs um das Licht mitteilen, vor allem in amerikanischen Kinderbüchern der Gegenwart. Da muß der Schelm die Chanukkakerzen gegen ein ganzes Heer von liebenswert schrulligen Monstern verteidigen, Monster, die eine nichtjüdische Umgebung repräsentieren und den Juden den selbstbewußten Ausdruck ihrer Identität, die weithin sichtbar im Fenster leuchtenden Kerzen, einfach auspusten.

Doch solche Identitätsgeschichten haben einen schweren Stand gegenüber dem Wunsch dazuzugehören, der um so stärker wird, je mehr die Gesellschaft dazu einlädt. An der allgemeinen Euphorie teilzuhaben, das wollte man jedenfalls weder den Kindern noch sich selbst vorenthalten, auch wenn man mit manchem Detail des jährlichen Rituals seine liebe Not hatte. Denn unter dem bald überall in der Welt stehenden »deutschen Baum« und seinen Lichtern stand eigentlich eine Krippe mit jenem »Kinder-König«, der so wenig Heil gebracht hatte - und den die christliche Umgebung nicht nur starrsinnig als Gott - als Götzen also - verehrte und in Liedern besang, die man in der allgemeinen Festlaune ja gerne mitsingen wollte und doch nicht wirklich durfte. Da half es nur schlecht und recht, für manches Chanukkalied Melodien der Weihnachtslieder zu entlehnen oder (wie meine Eltern es taten, selbst in Israel) in der Krippe den ersten jüdischen Kommunisten der Geschichte zu erblicken. Noch im Österreich der Nachkriegszeit versammelten sich die jüdischen Kinder im kommunistischen Kindergarten zur Weihnachtszeit, um das einzige religiöse Fest des Jahres zu feiern, das man freilich anders nannte, zum Beispiel Weihnukka. Und selbst in Israel tauchte so mancher Chanukkabaum auf, wider alle nationale Besinnung auf jüdische Mythen und Symbole.

Erst recht vor der Schoa, im Zeichen selbstbewußter jüdischer Bürgerlichkeit, verwandelten sich alljährlich die Juden, nicht nur in Deutschland, in »Ethnologen«, die sich in teilnehmender Beobachtung versuchten - mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Festlaune der Eingeborenen, halb mitmachend und halb distanziert studierend, was sich in den Wohnzimmern und auf den Straßen abspielte. Und natürlich in den Geschäften und auf den Märkten, denn Weihnachten, das Fest der Liebe, war schließlich auch ein Fest der Dinge in ihrer schönsten Form: als Gabe. So entfaltet sich Weihnachten in den Texten jüdischer Autoren im Erleben und im Erkennen zugleich, im Lichte einer Neugier, die von Fremdheit und Nähe, Distanz und Intimität geprägt ist: Geschichten von Festen zu Hause und vom Fest der andern, von Engeln und Chanukkabäumen, Inbrunst und Fremdeln, stockend gesungenen Weihnachtsliedern und glänzenden Augen, Geschenkritualen und seltsamen Bräuchen. Else Lasker-Schüler erzählt davon, wie es ist, am Ende den Weihnachtsbaum auch noch mit in die Badewanne zu nehmen, um in die Aura dieses Festes einzutauchen und sie zu verlängern.

Weihnachten, eine Neuentdeckung: Die Texte in diesem Band erzählen von dieser Faszination in all ihren Widersprüchen und Facetten, vom großbürgerlichen Weihnachtsfest einer Frankfurter jüdischen Familie, die mit ihrer Dienerschaft zusammen feiert, bis zu den Weihnachtskarpfen im Teich eines von den Nazis drangsalierten tschechischen Juden, vom Rätsel der Weihnachtsgeschenke in einer ungarischen Provinzstadt bis zu Anne Franks Gedanken über Nikolaus und Chanukka auf dem Amsterdamer Dachboden, von Jettchen Geberts weißen Weihnachten in Berlin bis zur Erfindung des Chanuklaas in Oslo, vom innerfamiliären Kulturkampf gegen die weihnachtliche Assimilation im Zeichen des beginnenden Zionismus bis zu den Narren von Chelm, die sich von einem fahrenden Händler einen Chanukkabaum als neueste amerikanische Innovation andrehen lassen.

Und in der Tat hat sich Weihnukka in den USA heute weitgehend durchgesetzt, in einem Land, in dem Familien mit gemischtem religiösen Hintergrund alljährlich vor dem sogenannten december dilemma stehen und sich von Halloween bis Weihnachten eine Festzeit des Kitsches und der schönen Dinge entfaltet, die jeden religiösen Partikularismus mühelos aufsaugt und integriert, in einem Land, dessen vielleicht romantischstes Weihnachtslied - »I'm dreaming of a white christmas« - aus der Feder des jüdischen Komponisten Irving Berlin stammt. Und ein Land, das zumindest den Anspruch darauf bewahrt, daß solche jüdische Weihnachtsseligkeit nicht eine einseitige Assimilation darstellt, sondern die Liebe zu den Festen der »anderen« vielleicht irgendwann einmal auch auf Gegenseitigkeit beruhen könnte.

Am Kennedy-Flughafen in New York warten im Duty Free Shop saisonale Abteilungen auf die Reisenden. ChanukkaLeuchter aller Art stehen bereit - ein besonders schönes Exemplar zeigt eine jüdische Familie, die am Kai von Ellis Island einem Schild mit der Aufschrift Immigration folgt. Auf den Schiffspol-lern stecken die Kerzen, und im Hintergrund hält die Freiheitsstatue die Dienerkerze bereit.

Doch daneben gibt es auch Weihnukkabedarf: Dreidel und Seasons greetings aus Glas mit Aufhängern für den Chanukkabaum. Davon konnte man in den Zeiten, in denen die meisten der hier versammelten Geschichten spielen, noch nicht einmal träumen.

(1) Monika Richarz, »Der jüdische Weihnachtsbaum - Familien und Säkularisierung im deutschen Judentum des 19. Jahrhunderts«, in: Geschichte und Emanzipation. Festschrift für Reinhard Rürup. Hg. von Michael Grüttner u.a., Frankfurt am Main 5999, S. 281
(2) Lionel Blue/June Rose Ein Vorgeschmack des Himmels. Abenteuer der religiösen Kochkunst. Berlin 1979, S. 26.
(3) Ein erster Versuch, den gegenseitigen Einfluß der beiden Feste zu thematisieren, war eine kleine Ausstellung des Jüdischen Museums in Wien von Felicitas Heiman-Jelinek und Cilly Kugelmann 1994; dazu erschien auch ein Katalog.

aus: „Solls der Chanukkabaum heißen“. Chanukka, Weihnukka, Weihnachten. Jüdische Geschichten vom Fest der Feste, gesammelt von Hanno Loewy, im Verlag Das Arsenal, 3. erw. Aufl. 2011, ISBN 9783931109608, € 14,80

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