Unser Chanukka-Baum
von Tereska Torres Levin

Kürzlich hörte ich von einem kleinen jüdischen Mädchen, das von seinen Großeltern gefragt wurde, was es sich zu Chanukka wünschte. Das Mädchen antwortete: Einen Weihnachtsbaum. Ich war kein kleines Mädchen mehr, sondern eine erwachsene Mutter von drei Kindern, aber ich wollte auch einen Weihnachtsbaum. Am liebsten zu Weihnachten, aber meinetwegen auch zu Chanukka.

Bis wir nach Israel kamen, hatten wir immer einen en großen Weihnachtsbaum. Mein Mann, Meyer, schien sich daran genauso zu freuen wie unsere Kin' der. Er lud Freunde zu diesem Anlaß ein, wir verteilten Geschenke und servierten ein großes Festessen. Alles änderte sich, als wir in Israel waren. Plötzlich widersetzte sich Meyer. Ich glaube, er fand, es paßte nicht zu seinem Bild als »bewußter Jude«. Er war nicht religiös, aber er war bewußt. Da gab es auch noch andere Gründe, aber davon möchte ich hier nicht sprechen.

Für mich war es einfach fach traurig, kein' e duftende Tanne nach Hause zu bringen, nach tiefen Wäldern riechend, ein' e Erinnerung an die Träume der Kindheit. Es war traurig, sie nicht mit silbernen Girlanden und glänzenden Glaskugeln schmücken zu können, nicht die Dutzende von gleißenden Kerzen anzuzünden und die Gesichter meiner Kinder zu beobachten, voller Freude über dieses Werk volkstümlicher Kunst. Ein Weihnachtsbaum ist ein. lebendiges Gemälde, er ist so bewegend wie Musik und Poesie.

Ich bin eine Frau mit gemischten Identitäten. Ich glaube, viele Identitäten zu haben bedeutet, viele Schätze zu bewahren und zu teilen. Ich glaube nicht an Ghettos irgendwelcher Art. Besonders

keine geistigen. Ich wäre froh, ich könnte jeden Feiertag begehen: jüdische, buddhistische, christliche und andere, solange sie Frieden und Freude feiern.

Ich glaube an die Vereinigten Staaten der Religionen. Zu sagen: dies ist mein Feiertag, und jener Feiertag kann deiner nicht sein, er ist nur der der anderen — das bedeutet doch in Mauern der Unbrüderlichkeit gefangen zu sein. Das ist es nicht, was ich meinen Kindern beibringen wollte.

Als wir in Israel lebten, bin ich, so gut ich konnte, meiner Vorstellung gefolgt, einen gemeinsamen, wohltätigen Gott zu teilen, der zu den vielen verschiedenen Festtagen gehörte, die seine Kinder erfunden haben.

Chanukka kam heran, Weihnachten war nah. Ich bat den Tischler am Ort, uns eine große Chanukkia zu bauen, so groß wie unsere vergangenen Weihnachtsbäume. Ich strich das Holz grün und dekorierte die acht Arme mit silbernen Girlanden und Engelhaar, und ich hängte farbige Glaskugeln hinein. Am Ende jeden Armes war ein Kerzenhalter befestigt, für ziemlich große Kerzen. Als sie alle angezündet waren, schaute mein ChanukkaBaum, mein Weihnukka-Baum großartig aus.

Meyer war vergnügt, die Gesichter unserer Kinder strahlten vor Erstaunen und Begeisterung. Wenn sie auch nur ein' en Feiertag feiern durften, so war es doch die Verwirklichung vieler Wunder. Ich hätte gerne Räucherkerzen zu Ehren des freundlichen Buddha hin' zugefügt und Blumengirlanden des Hinduismus. Ich weiß leider nichts über die Feste des Islam, aber wenn ich davon wüßte, würde ich auch ihnen gerecht werden wollen.

Die Menschen sprechen so viel von ihren Wurzeln. Ich ziehe Flügel vor.

aus: „Solls der Chanukkabaum heißen“. Chanukka, Weihnukka, Weihnachten. Jüdische Geschichten vom Fest der Feste, gesammelt von Hanno Loewy, im Verlag Das Arsenal, 3. erw. Aufl. 2011, ISBN 9783931109608, € 14,80

zur Titelseite

zum Seitenanfang

ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
Robert-Schneider-Str. 13a, 64289 Darmstadt
Tel 06151-423900 Fax 06151-424111 email